Mumia Abu-Jamal: Die unendlich langsamen Mühlen der Justiz 41 Jahre sind 41 Jahre zu viel!
Der afroamerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal sitzt seit Ende 1981 in Haft; vorgeworfen wird ihm der Mord an einem Polizisten in Philadelphia im US-Bundestaat Pennsylvania. Eine Untersuchung der „Beweise“ gegen ihn zeigt jedoch, dass sie praktisch von A bis Z von Polizei und Staatsanwaltschaft erfunden wurden – der klassische Fall eines „frame-up“, eines abgekarteten Spiels. Seine Verurteilung von 1982 beruhte auf einem politischen Schauprozess, den Millionen Menschen weltweit als rassistisches und klassistisches Unrecht begreifen.
In einem ihrer seltenen einem einzelnen Gefangenen gewidmeten Berichte stellte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) im Februar 2000 fest:
Nach vielen Jahren der Beobachtung des Falls von Mumia Abu-Jamal und einer gründlichen Untersuchung der Originaldokumente einschließlich der gesamten Prozessprotokolle ist Amnesty International zu dem Schluss gekommen, dass das Verfahren, bei dem Mumia Abu-Jamal schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt wurde, die internationalen Mindestnormen für faire Prozessführung und die Verhängung der Todesstrafe verletzt hat. Amnesty International ist daher der Meinung, dass den Interessen der Gerechtigkeit am besten gedient wäre, wenn Mumia Abu-Jamal ein neues Verfahren gewährt würde.1
Deutlicher hat sich diese Organisation nur selten zu Verfahren in den USA geäußert.
Mehrere Generationen antirassistischer und solidarischer Menschen haben sich seit Jahrzehnten gegen Mumias Hinrichtung und für seine Freiheit eingesetzt. Dabei ging es nie um Mumia allein, sondern um die gesamte Frage der rassistischen Todesstrafe und Justiz in den USA, die es immerhin fertigbringen, im sogenannten „Land of the Free“, dem „Land der Freien“ 2,14 Millionen Menschen einzusperren und im Rahmen einer Gefängnisindustrie, die nichts anderes ist als eine moderne Form der Sklaverei, auszubeuten. Bemerkenswerterweise liegt die Anzahl der Gefangenen im US-amerikanischen System der Masseninhaftierung etwa ebenso hoch wie die der kapitalistischen Weltmarktkonkurrenten China und Russische Föderation zusammengenommen.
Trotzdem geht es immer auch um die Einzelperson Mumia Abu-Jamal, der inzwischen 68 Jahre alt ist und gesundheitlich schwer von der Haft gezeichnet ist: Er sollte genauso wie alle anderen Langzeitgefangenen in den USA2 sofort freigelassen werden.
Ende 2018 entdeckten die Mitarbeiter*innen des seit Januar 2018 im Amt befindlichen Bezirksstaatsanwalts Philadelphias, Larry Krasner, bei einer gründlichen Durchforstung alter Akten sechs Kartons mit Dokumenten, die Mumia und seiner Verteidigung bis dahin vorenthalten worden waren. Nach ihrer Überstellung an Mumias Verteidigung machte diese drei wichtige Entdeckungen. Es gab da
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den Brief des Hauptbelastungszeigen Robert Chobert, der von seinem Taxi aus gesehen haben wollte, wie der Polizist von Mumia regelrecht hingerichtet wurde, an Staatsanwalt Joseph McGill einen Monat nach Abschluss des Verfahrens gegen Mumia, einen Brief, in dem Chobert im Wesentlichen fragt: „Wo bleibt mein Geld?“
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den Schriftwechsel zwischen McGill und anderen Staatsanwälten und „Rechtspflegern“, in dem McGill in typischem juristischem „Aktensprech“ andeutete, der anderen Hauptbelastungszeugin gegen Mumia, einer Prostituierten namens Cynthia White, solle in ihren anhängigen Verfahren Strafnachlass gewährt werden
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Notizen von Staatsanwalt McGill während der Juryauswahl in Mumia Verfahren, in denen sich neben dem Namen potentieller Geschworener immer wieder ein B für „Black“ („Schwarz“) findet. Das war deshalb besonders wichtig, weil die Verteidigung McGill vorwirft, sein Recht auf unbegründete Ablehnung von Geschworenen systematisch zur Ablehnung Schwarzer Geschworener eingesetzt zu haben.
Genau um diese drei Punkte geht es derzeit vor Mumias ursprünglichem Prozessgericht in Philadelphia, dem „Court of Common Pleas“ („Amtsgericht“). Hierzu hat Mumia im Dezember 2021 einen Antrag nach dem sogenannten Post Conviction Relief Act (PCRA) eingereicht, einem der Mechanismen, durch die Verurteilungen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden können.
Es ist insgesamt Mumias sechster solcher PCRA-Antrag.
Sein fünfter solcher Antrag, bei dem Mumia geltend gemacht hatte, dass der Staatsanwalt, der als sein Verfahrensgegner die Aufsicht über seine allererste Berufung in den 1980er Jahren geführt hatte, später als Richter über weitere Berufungsanträge Mumias mitentschieden hatte, war kurz vor Auffindung der erwähnten Kartons vom Amtsgericht in Philadelphia bewilligt worden, wurde aber am 26. Oktober 2021 vom Pennsylvania Superior Court verworfen.
Enttäuschend war, dass schon in dieser juristischen Runde der im November 2017 als Reformer gewählte Bezirksstaatsanwalt Philadelphias, Larry Krasner, dezidiert als sein Gegner aufgetreten war und sich in einem Antrag an den Superior Court von Februar 2021 sämtliche Falschbehauptungen gegen Mumia, mit denen er nun schon so lange hinter Gitter gehalten wird, zu eigen gemacht hatte.3 Leider gab ihm der Superior Court am Ende recht.
Auf Mumias sechsten PCRA-Antrag hin fand dann am 2. März 2022 eine ultrakurze Anhörung vor Richterin Lucretia Clemons statt, die im Wesentlichen daraus bestand, dass die Staatsanwaltschaft um 120 Tage Zeit bat, auf den PCRA-Antrag der Verteidigung antworten zu können. Die Richterin entsprach der Bitte und die nächste kürze Anhörung wurde auf den 29. Juni angesetzt.
Wie sich herausstellte, nutzte die Anklage jeden einzelnen dieser 120 Tage und reichte ihren Gegenantrag erst in der Nacht vor dem Termin ein, und auch das nur in elektronischer Form. Obwohl Larry Krasner und seine Behörde schon im Herbst 2021 ausführlich über die zahllosen faktischen Falschdarstellungen in ihrem früheren Antrag von Februar 2021 in Kenntnis gesetzt worden waren,4 werden in ihrem neuen Gegenantrag sämtliche dieser Falschdarstellungen im Hinblick auf Mumias angeblich zweifelsfrei feststehende Schuld beharrlich wiederholt. Diese sind zum Teil schon seit vielen Jahren widerlegt.
Aber nicht nur das, jeder einzelne der drei zentralen Punkte der Verteidigung:
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Bestechung des Zeugen Chobert
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Bestechung der Zeugin White
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Buchführung über die „Rasse“ potentieller Geschworener zum Zweck der „ethnischen Säuberung“ der Jury
wird von der Staatsanwaltschaft mit verharmlosenden Pseudoerklärungen (so etwa zu Chobert: vielleicht wollte er ja nur einen Ausgleich für den Verdienstausfall als Taxifahrer, den er durch seine Zeugenaussage erlitt?) oder juristischen Fußangeln (die Verteidigung hätte längst schon herausfinden können, dass McGill über die Hautfarbe der Geschworenenanwärter*innen Buch führte und somit ist der Anspruch „verjährt“) beiseite gewischt.
In einer Zeit, in der Reformstaatsanwält*innen überall in den USA heftigen Anfeindungen der extremen Rechten ausgesetzt sind (jüngstes Beispiel ist die Abwahl von Chesa Boudin, dessen beide Eltern selbst politische Gefangene waren, in San Francisco), ist der Fall Mumia offenbar selbst für eine Mann wie Larry Krasner, der in Philadelphia viel Gutes bewirkt hat und hauptverantwortlich für die Entlassung von über zwei Dutzend zu Unrecht wegen Mordes verurteilter Gefangener verantwortlich ist,5 ein zu heißes Eisen.
Am 29. Juni bat die Verteidigung um 45 Tage Zeit für ihre Antwort auf die Eingabe der Staatsanwaltschaft, was von der Richterin gewährt wurde. Richterin Clemons behielt sich dann immerhin weitere 67 Tage vor, die Eingaben von Anklage und Verteidigung zu prüfen, was an sich ja kein schlechtes Zeichen ist, und setzte den 19. Oktober 2022 als den Tag an, bis zu dem sie über die Anträge entscheiden will.
Ergebnis wird dann entweder eine Ablehnung von Mumias PCRA-Antrag sein – oder aber eine mündliche Anhörung vor Gericht, die auch eine Beweisanhörung einschließen könnte. Letzteres könnte zum Beispiel bedeuten, dass noch lebende Beteiligte wie Robert Chobert oder Joseph McGill und andere (Cynthia White gilt als tot) zur Befragung vorgeladen werden. Im Falle einer Ablehnung wird Mumias Verteidigung erst Widerspruch einlegen und bei erneuter Ablehnung in Berufung gehen. In diesem Fall würde der ewige Tiebreak in Mumias Berufungsverfahren weitergehen, was wieder bis zu zwei Jahre dauern könnte.
Dann wäre Mumia bereits 70.
Wie es am oder bis zum 19. Oktober weitergehen wird, ist derzeit ungewiss; alles ist möglich.
Es hat sich allerdings bereits gezeigt, dass wir uns in einem Fall wie dem Mumias selbst auf eine in vieler Hinsicht unstrittig progressive Staatsanwaltschaft nicht verlassen können. Im Hinblick auf Mumia hat sie bisher klar versagt und sich beschämenderweise auf die Seite der Kräfte des Status quo, der weißen Vorherrschaft und des Fraternal Order of Police (FOP) geschlagen, von Kräften also, die Larry Krasner eigentlich hasst und gegen die er ja ursprünglich angetreten ist.
Helfen kann hier neben der ausgezeichneten juristischen Verteidigung, die Mumia bereits hat, nur der sogenannte „court of public opinion“, das Gericht der öffentlichen Meinung – natürlich nicht im Sinn eines blindwütigen Lynchmobs, sondern einer aufgeklärten und informierten öffentlichen Meinung inklusive veröffentlichter Meinung, wo die Menschen die Fakten des Falles und die relevanten Argumente kennen, diskutieren und weiter und weiter verbreiten, so dass sich am Ende auch die Mächtigen dem dadurch entstehenden Druck nicht entziehen können.
Gerechtigkeit und damit Mumias längst überfällige Freiheit auf dem Weg über die Gerichte werden nur erkämpft werden können, wenn die länderübergreifende Unterstützung für Mumia wieder stärker sicht- und hörbar wird. Let’s do it!
Free Mumia – Free Them All!
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(1)Amnesty International, USA – Ein Leben in der Schwebe. Der Fall Mumia Abu-Jamal (Berlin/Heidelberg: 2000), 4. In der Zusammenfassung des Berichts heißt es u.a.: „Die Zweifel an diesem Verfahren beziehen sich auf Mumia Abu-Jamals inkompetenten Rechtsbeistand im Prozess von 1982; auf die Tatsache, dass der Vorsitzende Richter offenbar mehr Mühe darauf verwandte, das Verfahren zu beschleunigen, als eine unparteiische und faire Rechtsprechung zu gewährleisten; und schließlich auf die Politisierung des Gerichtsverfahrens und die mögliche Befangenheit der Berufungsgerichte.“ Ebd., 3. Mit der „Politisierung des Gerichtsverfahrens“ ist die Tatsache gemeint, dass Staatsanwalt Joseph McGill im Prozess sowohl während der Phase der Schuldfeststellung als auch der Phase der Strafzumessung ausführlich thematisierte, dass Mumia als Jugendlicher Mitglied der in offiziellen Amerika als „gewaltbereit“ vor allem gegen die Polizei verschrienen Black Panter Party gewesen war. https://www.academia.edu/44670551/Ein_Report_von_amnesty_international_I_ai_amnesty_international_F%C3%9CR_DIE_MENSCHENRECHTE.
(2)Das gilt natürlich für alle Langzeitgefangenen, unter anderem, weil das Rückfallrisiko tatsächlich schuldiger Langzeithäftlinge extrem niedrig ist, insbesondere aber auch für politische Gefangene wie Leonard Peltier, Veronza Bowers, Kenny Zulu Whitmore, Ed Poindexter, Mutulu Shakur, Kamau Sadiki, Ruchell Cinque Magee. Siehe dazu unter anderem „Postamt für Gefangene“, https://www.das-mumia-hoerbuch.de/post.htm.
(3)Für eine ausführliche Analyse der Eingabe Krasners siehe Schiffmann (2021) – Facts Matter. Why the Philadelphia District Attorney’s Office Should Drop the Case Against Mumia Abu-Jamal und Schiffmann (2022) – Take a Walk at the Crime Scene, https://www.dropthecaseagainstmumiaabujamal.com/.
(4)Die in Fußnote 3 erwähnte Analyse Facts Matter wurde im Herbst 2021 sowohl per Mail als auch per Post an elf hochrangige Mitglieder der Staatsanwaltschaft in Philadelphia geschickt, darunter auch Larry Krasner selbst.
(5)Larry Krasner spielte auch eine maßgebliche Rolle bei der Entlassung der sieben überlebenden Mitglieder der sogenannten MOVE 9 auf Bewährung. Die Neun waren 1981 in einem Skandalprozess allesamt wegen der angeblichen Tötung eines einzigen Polizisten, der vermutlich in Wirklichkeit im Kreuzfeuer seiner schießwütigen Kollegen umkam, im Jahr 1978 zu 30 bis 100 Jahren Haft verurteilt worden. Sie kamen zwischen 2018 und 2020 nach jeweils über 40 Jahren Haft frei.
Siehe dazu u.a. https://www.das-mumia-hoerbuch.de/postamt/MOVE%209.pdf.
1Amnesty International, USA – Ein Leben in der Schwebe. Der Fall Mumia Abu-Jamal (Berlin/Heidelberg: 2000), 4. In der Zusammenfassung des Berichts heißt es u.a.: „Die Zweifel an diesem Verfahren beziehen sich auf Mumia Abu-Jamals inkompetenten Rechtsbeistand im Prozess von 1982; auf die Tatsache, dass der Vorsitzende Richter offenbar mehr Mühe darauf verwandte, das Verfahren zu beschleunigen, als eine unparteiische und faire Rechtsprechung zu gewährleisten; und schließlich auf die Politisierung des Gerichtsverfahrens und die mögliche Befangenheit der Berufungsgerichte.“ Ebd., 3. Mit der „Politisierung des Gerichtsverfahrens“ ist die Tatsache gemeint, dass Staatsanwalt Joseph McGill im Prozess sowohl während der Phase der Schuldfeststellung als auch der Phase der Strafzumessung ausführlich thematisierte, dass Mumia als Jugendlicher Mitglied der in offiziellen Amerika als „gewaltbereit“ vor allem gegen die Polizei verschrienen Black Panter Party gewesen war. https://www.academia.edu/44670551/Ein_Report_von_amnesty_international_I_ai_amnesty_international_F%C3%9CR_DIE_MENSCHENRECHTE.
2Das gilt natürlich für alle Langzeitgefangenen, unter anderem, weil das Rückfallrisiko tatsächlich schuldiger Langzeithäftlinge extrem niedrig ist, insbesondere aber auch für politische Gefangene wie Leonard Peltier, Veronza Bowers, Kenny Zulu Whitmore, Ed Poindexter, Mutulu Shakur, Kamau Sadiki, Ruchell Cinque Magee. Siehe dazu unter anderem „Postamt für Gefangene“, https://www.das-mumia-hoerbuch.de/post.htm.
3 Für eine ausführliche Analyse der Eingabe Krasners siehe Schiffmann (2021) – Facts Matter. Why the Philadelphia District Attorney’s Office Should Drop the Case Against Mumia Abu-Jamal und Schiffmann (2022) – Take a Walk at the Crime Scene, https://www.dropthecaseagainstmumiaabujamal.com/.
4 Die in Fußnote 3 erwähnte Analyse Facts Matter wurde im Herbst 2021 sowohl per Mail als auch per Post an elf hochrangige Mitglieder der Staatsanwaltschaft in Philadelphia geschickt, darunter auch Larry Krasner selbst.
5 Larry Krasner spielte auch eine maßgebliche Rolle bei der Entlassung der sieben überlebenden Mitglieder der sogenannten MOVE 9 auf Bewährung. Die Neun waren 1981 in einem Skandalprozess allesamt wegen der angeblichen Tötung eines einzigen Polizisten, der vermutlich in Wirklichkeit im Kreuzfeuer seiner schießwütigen Kollegen umkam, im Jahr 1978 zu 30 bis 100 Jahren Haft verurteilt worden. Sie kamen zwischen 2018 und 2020 nach jeweils über 40 Jahren Haft frei.
Siehe dazu u.a. https://www.das-mumia-hoerbuch.de/postamt/MOVE%209.pdf.