Rechte der baskischen Gefangenen
Am heutigen Nachmittag (20.09.2014) wurde in Bilbo das neugegründete Netzwerk SARE vorgestellt, Sare Herritarra oder Red Ciudadana, zur Verteidigung der Rechte der baskischen politischen Gefangenen. Für manche ist es die Nachfolge-Organisation für die vor einem Jahr illegalisierte Organisation HERRIRA, doch hat sie einen anderen Charakter, sie ist politisch offener und plural besetzt. Ihr öffentliches Gesicht ist der sozialdemokratische EA-Politiker und ehemalige Justiz-Senator Joseba Azkarraga, einer aus dem Establishment also. Diese Tatsache ist so zu deuten, dass sich die Gründer/innen versichern wollten, dass es nicht gleich wieder zu einem Illegalisierungs-Schlag der spanischen Reaktion kommt. Glücklich sind dennoch nicht alle Linken mit dieser Personalie.
In den bei der Vorstellung präsentierten Interviews kommen zudem zwei ehemalige Ministerpräsidenten zu Wort, die sich in klaren Worten gegen die Verteilung der Gefangenen auf den gesamten Staat beziehen (Dispersión – Sakabanaketa), und diese Maßnahme als Rachejustiz und zusätzliche Strafe bezeichnen. Sogar eine Angehörige von ETA-Opfern im Baskenland spricht sich öffentlich für SARE aus, für spanische Verhältnisse absolut undenkbar, im Baskenland hingegen ein Zeichen dafür, wie weit der Dialog zwischen “Tätern und Opfern“ bereits fortgeschritten ist. Die Rücknahme dieser Verlegung der Gefangenen in heimat-entlegene Gefängnisse, wie sie selbst die spanischen Gesetze einfordern, ist das maßgebliche Ziel der neuen Organisation. Dafür hat sie einen Marschplan entworfen der folgende Schritte vorsieht. Erstens soll es Sarekideak geben, Netz-Mitglieder, das heißt, Personen und Organisationen werden Mitglied bei SARE, bzw. unterschreiben einen Kompromiss zur Aufhebung der Dispersión. Zweitens soll eine Kampagne gestartet werden, die die Folgen der Gefangenen-Verteilung in der Gesellschaft noch sichtbarer macht als es bisher schon der Fall ist. Denn bis auf die 15% rechter Wähler/innen ist die baskische Gesellschaft – auch das Parlament – für die Aufhebung dieser illegalen Maßnahme, was einen enormen Schritt im Normalisierungs-Prozess bedeuten könnte. Doch gerade deshalb wird sie von der ultrarechten spanischen Regierung boykottiert. Drittens soll ein Buch herausgegeben werden, das die Dispersión erklärt und Strategien gegen sie bekannt macht. Und viertens soll mobilisiert werden für die jährliche Demonstration in Bilbo für die Rechte der Gefangenen. Die war im vergangenen Jahr tatsächlich von HERRIRA geplant gewesen. Nach deren Illegalisierung war sie in Frage gestellt, bis eine “Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern“ sich den Aufruf zu eigen machte und die Demonstration doch stattfinden konnte – gegen den Willen der versammelten ultrarechten spanischen Parteien, Regierungen und Opferverbände. Wegen der unsinnigen Illegaliserungs-Maßnahme hatte sich sogar die rechts-nationalistische Regierungspartei PNV demonstrativ an der Großaktion beteiligt, weil klar war, dass sich die Möglichkeiten des sogenannten Friedensprozesses angesichts der überharten Haltung der Spanier nach und nach verflüchtigen. Die Demo wurde zu einem riesigen Erfolg, noch mehr Menschen beteiligten sich als im Jahr zuvor (2013), als bereits von Rekordbeteiligung gesprochen worden war. Die Schätzungen für 2014 gingen von 130.000 Personen aus, Bilbao kollabierte förmlich.
Selbstverständlich hatten reaktionäre Kräfte auch im Vorfeld der Vorstellung von SARE ein Verbot angezettelt, waren jedoch kläglich gescheitert. Zuerst bekannte der (neue) Bürgermeister von Bilbo, er sähe keinerlei Grund, den Organisatoren nicht die beantragte Sporthalle zu überlassen. Danach gab auch das spanische Sondergericht Audiencia Nacional klein bei und sah keinen Grund zum Einschreiten. Tatsache ist, dass es selbst in den Jahren mit 100 Toten bei ETA-Anschlägen kein Problem war, Räume anzumieten und Großdemonstrationen durchzuführen. Nach sechs Jahren ohne Anschläge und dem definitiven Gewaltverzicht von ETA ist beides zum Problem geworden – eine absurde Situation, die Haltung der spanischen Rechten allerdings in richtige Licht rückt, und ihre Strategie “totaler Krieg, totaler Sieg“.
Sicher ist SARE nicht die Art von Organisation, die sich viele in der baskischen Linken zur Verteidigung der Rechte der politischen Gefangenen gewünscht hätten. Realistischerweise sind andere Konzepte derzeit nicht durchführbar. Und sie passen zur Strategie von SORTU, der neuen Partei der baskischen Linken, von der Sammlung aller unabhängigkeitswilligen Kräfte. Über der Existenz von SORTU schwebt ebenfalls noch das Damokles-Schwert einer erneuten Illegalisierung. Die taktische Entscheidung der SARE-Gründung könnte ein Schritt nach vorne werden, im Sinne der Rechte der Gefangenen. Ein erstes Ergebnis wird am 11.Januar 2015 zu sehen sein, wenn die baskischenTageszeitungen mit Fotos der Großdemo in Bilbo vom Vortag aufmachen. (Red.Baskinfo)
Fotoserie: www.flickr.com/photos/txeng/sets/72157647776299216/show/