[S] Solidarität mit Efrîn – Reflexion unserer Praxis
Während den letzten zwei Monaten habe wir als Initiative Kurdistan – Solidarität Stuttgart intensiv zu Efrîn und den Solidaritätsprotesten gearbeitet. Mit dem Einmarsch des türkischen Militärs in Efrîn Stadt und der taktischen Neuausrichtung der Syrian Democratic Forces (SDF) hin zum Guerillakrieg hat sich in Efrîn viel geändert. Wir wollen diesen Zeitpunkt zum Anlass nehmen um einen Moment inne zu halten. Mit diesem Text wollen wir die Solidaritätsarbeit aus Deutschland und vor allem unsere Arbeit in Stuttgart Revue passieren lassen. Der Text ist dabei kein in Stein gemeißeltes Manifest. Wir wollen in ihm unsere Arbeit reflektieren und zu einer breiteren, auch kritischen, Diskussion anregen.
Seit dem 20. Januar versucht das türkische Militär mit Hilfe von dschihadistischen Milizen den Kanton Efrîn in Rojava zu besetzen. Sie sind zunächst in den Kanton Efrîn und jetzt in die Stadt eingedrungen. Der schnelle Vorstoß nach Efrîn-Stadt konnte gelingen, weil die Syrian Democratic Forces (SDF) sich zurückgezogen haben und damit auch die Zivilbevölkerung in Sicherheit gebracht haben. Das ermöglichte den taktischen Schritt hin zum Guerillakrieg. Warum mussten die SDF den Stellungskrieg aufgeben? Was hat das mit der Internationalen Solidaritätsbewegung zu tun? Wie kann unsere Solidaritätsarbeit bewertet werden?
Warum mussten die SDF den Stellungskrieg aufgeben?
Die Türkei hat ihren Angriffskrieg am 20. Januar begonnen. Anfänglich wurde die Offensive vielerorts von den SDF zurückgeschlagen. Anfang März kamen die Nachrichten, dass die türkische Armee kurz vor der Stadt Efrîn stehen würde. Viel früher als erwartet standen dann am 18. März das türkische Militär und seine dschihadistischen Verbündeten im Stadtzentrum von Efrîn.
Die SDF haben in Form von Stellungskrieg gegen das türkische Militär gekämpft und es im Bodenkampf mehrere Wochen lang erfolgreich zurückgeschlagen. Die SDF sind allerdings nicht dazu ausgerüstet, langfristig einen Stellungskrieg gegen eine Armee wie die türkische zu führen. Die türkischen Kampfflugzeuge und schwere Artillerie haben es den SDF unmöglich gemacht ihre Stellungen zu halten. Bewiesen hat sich das in Raco und Cindirês. Nachdem das türkische Militär am Boden auch nach schweren Gefechten immer wieder zurückgeschlagen wurde, wurden die beiden Städte von der türkischen Luftwaffe und Artillerie beinahe komplett zerstört. Diese Art der türkischen Kriegsführung hatte immer auch eine hohe Anzahl an zivilen Opfern zur Folge.
In der Konsequenz haben die SDF beschlossen den Stellungskrieg in Efrîn zu beenden und sich, auch zum Schutz der Zivilbevölkerung, aus Efrîn zurückzuziehen. Somit konnten die SDF in ganz Efrîn einen langwierigen Guerillakrieg beginnen und werden diesen weiter ausweiten. So lange die SDF in Efrîn politisch isoliert bleiben, werden die Türkei und ihre dschihadistischen Milizen allerdings nicht aus der Region vertrieben werden können. Der Guerillakrieg, ist keine Taktik um ein Land zu erobern. Er ist so ausgelegt, dass er dem Feind so viel Schaden bringt wie möglich. Der Guerillakrieg hat also das Ziel zu verhindern, dass die Türkei sich in Efrîn etablieren kann und sie soweit zu schwächen, dass sie keine weiteren Regionen, wie zum Beispiel Şengal oder Minbic angreifen kann.
Wie kann unsere Solidaritätsarbeit bewertet werden?
In den ersten Wochen nach den Angriffen fanden in ganz Deutschland und auch in Stuttgart regelmäßige, oftmals tägliche Aktionen in Solidarität mit Efrîn statt. Es gab tägliche Mahnwachen und Kundgebungen und beinahe wöchentlich Demonstrationen. Am 25. Januar nur einige Tage nach Ausbruch des Krieges fand in Köln eine Großdemonstration mit mehreren Zehntausenden TeilnehmerInnen statt. Parallel zu diesen Aktionen gab es in den ersten Wochen des Krieges deutschlandweit zahlreiche militante Aktionen, die sich mit Efrîn solidarisierten.
Die Stimmung war allerdings noch nicht so angespannt, wie viele vielleicht erwarten. Das langsame Vorankommen des türkischen Militärs und die anfänglichen Erfolge der SDF, ließen viele Menschen an ein Scheitern des türkischen Angriffs glauben. Es gab auch immer wieder die Vermutung, dass die USA oder Russland eingreifen würden und den türkischen Angriffskrieg durch eine Blockade des Luftraums stoppen würden. Das wirkte sich auch auf die Teilnehmerzahlen der Solidaritätsaktionen aus. Während in den ersten Nächten nach dem Angriff noch sehr viele Menschen auf die Straße gingen, wurden die Proteste im Laufe der nächsten Wochen kleiner und entwickelten keine Massendynamik.
Eine schlagartige Veränderung bei den Solidaritätsprotesten gab es mit dem Vorrücken des türkischen Militärs auf Efrîn-Stadt. Nun war klar, dass die SDF dem türkischen Militär im Stellungskrieg unterlegen sind. Auch den hoffnungsvollsten OptimistInnen wurde nun bewusst, dass Efrîn Stadt und Zehntausende ZivilistInnen sich nun in direkter Gefahr befanden. Am Abend des 10. März gingen in ganz Europa Menschen auf die Straßen um gegen diesen Vorstoß des türkischen Militärs zu protestieren. In Stuttgart formierte sich eine spontane Demonstration mit ca. 700 TeilnehmerInnen. Auch am nächsten Tag brachen die Aktionen nicht ab. In ganz Europa gab es Demonstrationen, Kundgebungen und andere Aktionen. Auch in Stuttgart gab es erneut eine Demonstration mit ca. 1500 TeilnehmerInnen.
Aber auch die Antwort des deutschen Staates auf die Solidaritätsproteste wurde härter. Die Demonstration am 10. März in Stuttgart konnte ungehindert von der Polizei durch die Innenstadt laufen. Am Folgetag wurde die Demonstration von der Polizei brutal gestoppt und etliche Menschen durch Knüppel und Pfefferspray verletzt. Im Nachgang kam es zu Gefährderansprachen bei InternationalistInnen und kurdischen AktivistInnen. In Hannover versuchten die Repressionsbehörden die bundesweite Newroz Feier zu verbieten.
Was heißt das jetzt für uns?
Bei genauerer Betrachtung der Proteste müssen wir feststellen, dass eine Solidaritätsbewegung mit Efrîn nur existiert, weil es in Deutschland eine große kurdische Community gibt.
Stellen wir uns mal vor es würden keine KurdInnen in Deutschland leben. Wir könnten nicht annähernd von einer Solidaritätsbewegung reden. Solidarität mit Efrîn heißt unter anderem gegen den Krieg auf die Straße zu gehen. Wir müssen der Realität in die Augen sehen, in Deutschland existiert keine Antikriegsbewegung. Auch die Antikriegsgruppen, die es gibt haben sich kaum bis nicht an der Solidaritätsarbeit zu Efrîn beteiligt.
Wir denken, dass in Deutschland in absehbarer Zeit auch keine Antikriegsbewegung entstehen wird. Nichts desto trotz müssen wir ein Teil der bestehenden Solidaritätsbewegung werden. Unsere Aufgabe ist es darauf hinzuwirken, dass alle linken Gruppen, Organisationen und Partei sich an dieser Bewegung beteiligen. Wir können hier in Deutschland keinen direkten Einfluss auf den Kriegsverlauf nehmen. Dennoch müssen wir es schaffen Druck auf die deutsche Regierung auf zu bauen. Die deutsche Regierung steht in diesem Krieg klar auf der Seite der Türkei und unterstützt sie aktiv. Im Jahr 2017 wurden Waffen im Wert von 3,8 Milliarden Euro an die Türkei verkauft. Und auch seit dem Kriegsbeginn am 20. Januar wurden weitere Waffenexport im Wert von 4,4 Millionen Euro genehmigt. Auf Pressekonferenzen wird von einer „fluiden Lage“ gesprochen und alles getan um den türkischen Krieg nicht als das zu bezeichnen was er ist. Ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Hinzu kommt die immer härtere Kriminalisierung, der kurdischen Bewegung in Deutschland, wie die Razzia im kurdischen Verlag Mezopotanien. Der deutsche Staat will verhindern, dass die kurdischen GenossInnen weiter mehr auf die Straße gehen, indem er Parolen, Fahnen und ganze Demonstrationen verbietet.
Es ist wichtig die verlogene Haltung Deutschlands anzugreifen und das Schweigen zu durchbrechen. Ab heute gilt es für uns gegen die türkische Besatzung von Efrîn auf die Straßen zu gehen und weiterhin zu versuchen Druck auf die Regierung aufzubauen. Wir dürfen uns nicht von der Kriegspropaganda der Türkei entmutigen lassen. Es ist klar, dass die Bedienungen für uns nicht gut aussehen, doch was wäre die Alternative? Alles hinnehmen wie es ist?Nein! Der Widerstand in Efrîn geht weiter, das heißt auch unser Kampf hier geht weiter. Wir wollen hiermit unsere Trauer über die getöteten ZivilistInnen aussprechen und den Gefallenen KämpferInnen versprechen, dass der Kampf weiter gehen wird.
Trauer zu Wut und Wut zu Widerstand!
22.03.2018
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