Adbustings zum Polizeikongress: Ein Rückblick. Teil 1
2022 gibt es keine Demo zum Polizeikongress. Vermutlich werden die Cops das Fehlen einer Demo gar nicht bemerken, denn besonders konfrontativ waren die Demos in den letzten Jahren aller Verbalradikalität zum Trotz nicht. Dafür ärgerten sich die Sicherheitsbehörden so sehr über veränderte Werbeplakate, dass Adbustings sogar Thema im Terrorabwehrzentrum GETZ waren. Doch die Repression war ein Bumerang: Sie führte letztlich dazu, dass in Berlin Adbusting de facto entkrimimalisiert ist und die Cops auf Werbung mit City-Light-Postern verzichteten. Ein analytischer Rückblick, wie dieser seltene autonome Kampagnenerfolg ganz ohne Demos möglich war.
Der diesjährige Verzicht auf eine Mobilisierung zum Polizeikongress ist eine gute Gelegenheit, nach dem Sinn großangelegter Demo-Mobilisierungen zu diesem Event zu fragen. Da keine Mobi stattfindet, fällt man mit kritischen Fragen auch niemanden unsolidarisch in den Rücken. Was uns hier besonders interessiert, ist die Frage, wie viel oder wenig durch die Demos erreicht wurde, dass es in der Mehrheitsgesellschaft zum Hinterfragen des neoliberalen Sicherheits-Narrativ und der Polizei kommt, und ob dies nicht viel eher z. B. durch andere Aktionsformen erreicht werden könnte.
Proteste seit den 2000ern
Die Proteste gegen den Polizeikongress beginnen in den 2000er Jahren. Eine mehr oder weniger große Demo scheint von Anfang an zentraler Teil des Protestkonzeptes gewesen zu sein. Das Verändern von Werbung scheint dabei erst recht spät eine Rolle zu spielen. Die ersten Adbustings, die wir im Internet finden konnten, die gegen den Polizeikongress protestieren, stammen aus dem Jahr 2016.
2016: "Gewalttäter? Einer muss es ja machen"
Damals lieh sich die Künstler*innengruppe „Gewalttäter*innen dissende Polizeikritiker*innen (GdP)“ das Logo der Gewerkschaft der Polizei und ein paar Playmobil-Polizist*innen aus und machten daraus ein Poster. Darauf stand groß: „Gewalttäter? Einer muss es ja machen“ und etwas kleiner: „Ohne staatlich bezahlte professionelle Gewalttäter gibt es leider auch keinen Rechtsstaat. Stehen Sie deshalb zu Ihrer Polizei, wenn sie mal wieder mit ungerechtfertigter Kritik überzogen wird.“
Vermutlich mittels „Spoofing“, also dem elektronischen Umadressieren von E-Mails, versendeten die Chaot*innen außerdem ein gefälschtes Dementi im Namen der GdP. Angeblich zog sich die GdP den Schuh mit den „Gewalttätern“ voll an. Bei der Morgenpost aus dem Springer-Verlag kann man ein gefälschtes Zitat nach wie vor nachlesen: „Der Bundesvorsitzende der GdP, Oliver Malchow, distanziert sich von der illegalen kriminellen Aktion: ,Ich dachte, ich trau meinen Augen nicht, als ich heute morgen diese infame Frechheit gesehen habe! Wer rechtmäßige Polizeieinsätze als Anschlag auf die Demokratie verunglimpft, hat unsere Demokratie nicht verstanden!‘ Die GdP hat inzwischen Anzeige gegen Unbekannt erstattet.“
Die Polizeikongress-Demo im Jahr 2016 war noch eine der Besseren. Sie fand am Eröffnungstag statt und endete in Hör- und Sichtweite des bcc am Alex, wo der „Kongress“ statt fand. Trotzdem findet sich im Netz nichts mehr dazu. Die Morgenpost und der Tagesspiegel zeigen bis heute dank der Adbusting-Aktion Polizist*innen als Gewalttäter*innen.
2017: Verzicht auf Störungen
Im Jahr 2017 verzichtete die Autonome Szene auf eine direkte Konfrontation. Die rituelle Demo fand bereits drei Tage vor der Eröffnung statt und führte durch Kreuzberg. Die Organisator*innen verabschiedeten sich damit von der Idee, beim Polizeikongress zu stören und liefen lieber im Kreis durch einen Szenestadtteil. Adbustings lassen sich auch nicht ergoogeln.
2018: „Da für 5003 Schlackstockeinsätze“
2018 gab es seit langem keine Mobilisierung zum Polizei-„Kongress“. Stattdessen schlug die Kommunikationsguerilla umso heftiger zu. Drei Wochen vor dem Polizei-„Kongress“ hatte die Berliner Polizei eine neue Werbekampagne im City-Light-Format gestartet. Aktivist*innen klauten diese im großen Stil und hingen in die leeren Werbevitrinen stattdessen A3-Zettel mit der Aufschrift: „Achtung: Hier wurde ein Polizei-Plakat entfernt.“ Das Plakat erklärt auch warum: „Staatliche Gewalt kann Ihnen und Ihrer Gesundheit massiv schaden.“
Rund um den Tagungsort am Alex tauchten die Poster pünktlich zum Pozilei-“Kongress“ wieder auf. Allerdings hatte die Kommunikationsguerilla-Gruppe „@da_fuer_dich“ den Plakaten in der Zwischenzeit ein Update verpasst. Statt „Da für 5003 Demonstrationen pro Jahr und 1 Meinungsfreiheit“ hieß es nun „Da für 5003 Schlagstockeinsätze und die beste G20-Party“, „Da für 32300 Einzelfälle von nicht verfolgten Racial Profiling“ oder „Da für 1282695 mal mackeriges Auftreten, sexistische Sprüche und Übergriffe.“
Die beim "Kongress" versammelten autoritären Charaktere muss dass sehr geärgert haben und der Berliner Polizei war das sehr unangenehm. Gleich in der Woche drauf startet das LKA 521 mit viel Aufwand ein Strafverfahren. Weil man dort keine Ahnung hat, wer hinter der Aktion steht, macht das LKA das Adbusting-Kollektiv "Dies Irae" verantwortlich und führt wenige Wochen später bei einem mutmaßlichen Mitglied eine Hausdurchsuchung durch. Pikant: Das Adbusting-Kollektiv "Dies Irae" hatte bis zu dem Zeitpunkt sich noch nie mit Polizei- oder Militärpostern beschäftigt. Trotzdem rechtfertigte der Berliner Staatssekretär Akmann in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage die Verfahren damit, es ginge um die Themenfelder "Antimilitarismus" und "Antirepression".
Ein Zeitungsbericht dazu:
2019: "Ein Treffen zum Aufrüsten und Abschotten"
Im Februar 2019 gibt es wieder eine Demo zum Polizeikongress. Die Demo findet wieder drei Tage vor dem "Kongress" in Friedrichshain und Kreuzberg weitab vom Geschehen statt. Dieses Jahr haben die Organisator*innen auch darauf verzichtet, eine Route mit thematisch passenden Kundgebungen zu organisieren. Inhalt und Konfrontation sind halt out, man latscht lieber durch den eigenen Kiez...
Doch es gibt wieder eine Adbusting-Aktion. Gegenüber des Berliner Kongress Centers verkündet ein selbstgemaltes Plakat "EU-Polizeikongress - Ein Treffen zum Aufrüsten und Abschotten."
Auch wenn das am Montag in der Werbevitrine platzierte Plakat am Dienstag bei der Eröffnung niemand mehr gesehen haben dürfte (in der Nacht von Mo auf Di werden bundesweit alle Citylights gewechselt), zeigen spätere Recherchen mit einer parlamentarischen Anfrage, dass das Berliner Landesamt für Verfassungsschmutz dieses Adbusting ans Terrorabwehrzentrum GETZ meldete.
Doch wie die Repression gegen Adbusting erst zu Besprechungen im Terrorabwehrzentrum GETZ, Einträgen im VS-Bericht, Hausdurchsuchungen und DNA-Analysen und dann zur Entkriminalisierung ist Teil der nächsten Folge.
Alle drei Teile dieser Analyse gibt es bald auf