Bericht vom 30. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 02.02.2022

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+++ Der Prozess fällt diese Woche (09.02. und 10.02.22) +++

Der 30. Prozesstag startete mit einem Aufreger. Der Vorsitzende Schlüter-Staats fragte, ob sich eine bestimmte Person im Zuschauer:innenraum befinde. Dies wurde bejaht, woraufhin die Person noch im Gerichtssaal als Zeuge für den Verhandlungstermin am 10.02. angekündigt wurde. Folglich durfte die Person die Verhandlung nicht mitverfolgen und wurde des Gebäudes verwiesen. Die Spontanität dieser „Ladung“, verbunden mit der Aussagepflicht im Prozess, belegt einmal mehr den Versuch, die Angeklagten dieses Verfahrens zu spalten. Außerdem wurden der Faschist Nils Ackermann als Zeuge vernommen, sowie etliche schriftliche Aufzeichnungen diverser Beamter und Lichtbilder eingebracht. Zudem war eine Vertretung für den Nebenklageanwalt Hannig vor Ort, RA Schulz, welcher sich zu Tripp gesellte.

 

Der Vorsitzende begann diesen Prozesstag mit einer Anschuldigung gegenüber der Verteidigung, indem er ihr vorwarf, sie hätten Dokumente an den Spiegel durchgestochen. Die Verteidigung wies die Vorwürfe von sich und wusste nicht, worum es geht. Sie merkten an, dass derartige Vorwürfe zu Beginn der Verhandlung für schlechte Laune sorgen.

Anschließend wollte der Vorsitzende damit beginnen, Aktenvermerke einiger Beamter zum Tatkomplex Eisenach II zu verlesen und unterbrach die Sitzung für das Studium der Protokolle. Nach der Unterbrechung legte die Verteidigung Widerspruch gegen das Verlesen ein, sie sieht darin einen Verstoß gegen das Unmittelbarkeitsprinzip, da in den Berichten Zeugenaussagen enthalten sind und somit aufgrund des vernehmungsähnlichen Charakters die persönliche Ladung der Zeugen Vorrang gegenüber der Verlesung hat, der Zeugenbeweis hat Vorrang vor dem Urkundenbeweis. Laut Vorsitzendem und Oberstaatsanwältin Geilhorn sei dies nicht der Fall, die Stellen, in denen Zeugenaussagen enthalten seien, würden viel mehr nicht verlesen werden. Problematisch hierbei ist, dass die Einführung der Berichte der Verteidigung erst kurz zuvor angezeigt wurde. Der Widerspruch der Verteidigung gegen die Verlesung wurde jedoch wie üblich abgelehnt.

Die Verteidigung forderte einen richterliche Beschluss für die Ablehnung, woraufhin der Vorsitzende den entsprechenden Paragraphen zu verlesen begann. Die Verteidigung reagierte darauf empört, da dies unterstellen würde, sie hätten keine Kenntnis der Rechtslage und der Vorsitzende führt sie mit eben dieser Verlesung nur vor. Der Vorsitzende unterbrach die Verteidigung mehrfach, warf ihr vor, sie würden sich das Wort erkämpfen und er würde den Gesetzestext nur verlesen, damit die Zuschauenden den Rechtsirrtum der Verteidigung verstehen könnten und ihnen stehe es frei einen Beweisantrag zu stellen, um entsprechende Zeug:innen zu hören. Die Verteidigung kritisierte diese unsachlichen Attacken, diese sind unfair und gebühren dem Vorsitzenden nicht, sie kennen das Gesetz und lassen nicht zu, dass einzelne Kolleg:innen der Lächerlichkeit preisgegeben werden. 

Frau Geilhorn erwiderte, der Vorsitzende sei nur bemüht, das Publikum mitzunehmen und sie teile die Rechtsauffassung des Vorsitzenden und die Verteidigung solle einen Beweisantrag stellen, wenn sie die Zeug:innen hören wolle. 

Der Vorsitzende kündigte an, zu gegebener Zeit über den Widerspruch zu entscheiden.

Hiernach kam es zur Vernehmung des Faschisten Nils Ackermann aus Eisenach. Nach der Belehrung wurde er zu der Nacht befragt, in der er laut Vorsitzendem Geschädigter eines Angriffs geworden sei.

Er wäre mit Freunden in dem von Leon Ringl betriebenen ‚Bulls Eye‘ gewesen. Er hätte sich dort mit niemandem speziell verabredet. Seine Mutter hätte den damals 21-jährigen Neonazi am früheren Abend in die Szenekneipe gebracht. Nachdem die letzten Nazis die Kneipe verlassen hätten, wäre er zusammen mit Leon Ringl, Maximilian Andreas und Robert Schwaab mit dem Auto nachhause gefahren. Zuerst hätten sie Leon Ringl nachhause gebracht. Nachdem sie ihn abgesetzt haben sollen, wären sie weitergefahren. Ihm wären bereits an dem Fahrbahnrand zwei Autos aufgefallen, ein silberner VW und ein Skoda.

Im nächsten Moment hätte er einen Schlag auf die Windschutzscheibe wahrgenommen. Frau Geilhorn unterbrach hier. Sie hätte einen Nachrichtenton aus dem Zuschauerraum wahrgenommen. Nebenklageanwalt Manuel Tripp erklärte zur Enttäuschung Geilhorns, es wäre sein Handy gewesen. Er hätte vergessen, es auf lautlos zu stellen. Ackermann erzählte weiter. Die drei Nazis wären noch ca. 15 Meter weitergefahren, bis sie laut Ackermanns Aussage aus dem Auto ausgestiegen seien. Sie hätten dann ca. 4-5 vermummte Personen gesehen. 

Der Vorsitzende fragte kritisch nach, warum sie sich nicht dem Kampf gestellt hätten, Ackermann und Andreas seien ja keine Personen „von Zierlichkeit“. Ackermann erwiderte, er hätte zum Zeitpunkt des „Überfalls“ noch zwanzig Kilogramm weniger gewogen. Außerdem hätte Andreas den Rückzug befohlen.

Im nächsten Moment sollen die Autoscheiben eingeschlagen worden sein. Es wäre mit Pfefferspray in das Auto gesprüht und die Insassen mit Schlagwaffen attackiert worden. Er hätte mindestens einen Teleskopschlagstock und etwas wie eine silberne Stange wahrgenommen.

Richter Andreae fragte weiter, ob die Nazis zum Schutz Ringls mit ihm mitgefahren wären. Laut Ackermann wäre es nur darum gegangen, nachhause zu fahren. Auf Nachfrage Andreaes erklärte Ackermann zur Belustigung des Publikums, von einem weiteren Vorfall im ‚Bulls Eye‘ hätte er damals nichts gewusst.

Andreae hielt ihm als Nächstes eine Aussage aus dem Vernehmungsprotokoll bezüglich des Geschlechts der Angreifer vor. Damals hatte er gesagt, dass er keine Frau wahrgenommen hätte. Auf Nachfrage Andreaes erklärte Ackermann, er wäre aufgrund der Staturen der Angreifer davon ausgegangen, zudem würde er Frauen so etwas nicht zutrauen. Auch nach Vorhalt konnte er sich nicht daran erinnern, dass der Fahrer des silbernen VW mit Hammer ausgestiegen wäre.

Nach der Mittagspause schwenkte die Befragung des Zeugen Nils Ackermann vom vermeintlichen Tathergang auf mögliche Tatmotive um.

Befragt zu seinem Verhältnis zum ‚Bulls Eye‘-Betreiber, dem Faschisten Leon Ringl, gab der Zeuge an, er sei über seinen Freund und Neonazi Maximilian Andreas Mitte 2019 zur faschistisch orientierten Kampfsportgruppe „Knockout 51“ dazugestoßen, wo er Ringl kennengelernt habe. Für ihn habe der Kontakt zu Ringl nur wegen „Sport und Bierchen“ bestanden, wobei „Knockout 51“ für ihn keinerlei politische Ausrichtung vertreten hätte. Auch bei seinem Besuch des „Kampf der Nibelungen 2020“ , ein ebenfalls faschistisch orientiertes Kampfsportevent in Ostritz, sei es für ihn nur um den Sport gegangen, Erkennungsmerkmale einer faschistischen Veranstaltung, insbesondere verfassungsfeindliche Zeichen und Symbole, seien ihm auch hier nicht aufgefallen. Aussagen wie diese sorgten beim gesamten Senat und der Verteidigung kollektiv für hochgezogene Augenbrauen, der Vorsitzende sah sich mehrfach genötigt, Ackermann an seine Pflicht der wahrheitsgemäßen Aussage zu erinnern.

Ackermann wurde weiter befragt, welche Hypothesen in seiner Gruppe zum Vorfall angestellt wurden. Auch hierzu könnte er sich an nichts mehr erinnern, insbesondere an die ihm aus einem Vernehmungsprotokoll durch den Vorsitzenden vorgehaltene Hypothese Ringls und Andreas’, der Vorfall könnte mit Jenaer Hooligans in Zusammenhang stehen, vermöge er sich nicht zu erinnern.

Der Vorsitzende befragte Ackermann abschließend noch zu den Eisenacher Zuständen 2019. Nach langem Beharren auf eine „unpolitische“ Prägung des Eisenacher Stadtbildes und -klimas gab Ackermann an, er „glaube es gab 2019 schon eher mehr rechte als linke Aufkleber und Graffiti in Eisenach“.

Der Vorsitzende beendete seine Befragung mit der Anmerkung, das Aussageverhalten des Zeugen, welcher aktuell auf Bewährung ist, sei bei ihm und dem Senat auf Verwunderung gestoßen und übergab das Wort an die Verteidigung.

Nach kurzer Beratung stellte die Verteidigung noch einige Fragen zum Ablauf des Vorfalls. Auch hier ergaben sich wieder signifikante Abweichungen zwischen dem vor Gericht Gesagten und den Protokollen der zwei polizeilichen Vernehmungen, so z.B. zur vermeintlichen Vorfallszeit und Gegebenheiten am Vorfallsort.

Anschließend wurde Ackermann als Zeuge entlassen.

Der Vorsitzende verkündete nun den Beschluss, dass der am Morgen angestrebten Verlesung der Polizeiprotokolle stattgegeben wurde. RAin Belter widerstrebte dies weiterhin, insbesondere hinsichtlich der Verlesung des Protokolls des POM Fritzler, welchen sie gern noch als Zeugen befragen möchte. Ihrem Einwand wurde, wenig überraschend und in altbekannter Manier, keine Beachtung geschenkt.

POM Fritzler gab im Protokoll an, Ringl habe die Polizei gerufen. Der POM sei daraufhin zu Ringl gefahren, habe diesen unverletzt mit einem Unbeteiligten angetroffen und sei dann mit Ringl und dem Unbeteiligten zum Rewe-Parkplatz gegangen. Dort seien sie auf die Faschisten Nils Ackermann, Maximilian Andreas und Robert Schwaab getroffen, welche anschließend mit dem Rettungswagen abgeholt worden seien.

Daraufhin wurde der Festnahmebericht des POM Langer verlesen. Langer sei mit einem anderen PM nach Ringls Anruf mit einem Streifenwagen Richtung Ringls Adresse gefahren. Ihm seien zwei PKW entgegengekommen, welche auf Signal nicht stehengeblieben seien. Die PKW hätten sich dann getrennt und Langer hätte einen PKW stellen können, wobei zwei Insassen festgenommen worden seien, welche nicht aussagten.

Der anschließend verlesene zweite Festnahmebericht der POK Dixon und Becker bezog sich zunächst auf den Sachverhalt des Berichts von POM Langer. Zudem sei eine weitere, vermeintlich aus dem PKW flüchtige Person, ebenfalls festgenommen worden.

Vor der Verlesung der Berichte der PM Müller sowie PM Knapp wies RA Zünbül auf die Rechtswidrigkeit der in dem Bericht u.a. thematisierten Durchsuchung eines PKW hin. Die Durchsuchung ist ohne Beschluss eines:r Ermittlungsrichter:in erfolgt. Dies führt zu einer Rechtswidrigkeit der Maßnahme und einem Beweisverwertungsverbot, sofern keine Gefahr in Verzug besteht. RA Zünbül schloss eine solche aus, weil der PKW bereits in Polizeigewahrsam stand und so keine vermeintlichen Beweise im PKW vertuscht werden konnten.

Zünbüls Einführungswiderspruch schloss sich die gesamte Verteidigung an, der beantragte Gerichtsbeschluss bestätigte die Nichtbeachtung des Widerspruchs durch den Vorsitzenden.

Der nun vorgelesene Bericht der PM Müller sowie PM Knapp führte an, der zweite PKW sei ebenfalls angehalten und die zwei Insassen festgenommen worden. Bei den Insassen handele es sich um zwei im hiesigen Verfahren Angeklagte. Im Zuge ihrer widerstandslosen Festnahmen seien noch einige Gegenstände festgestellt worden.

Zum Abschluss des Prozesstages wurde noch eine Lichtbildmappe bezüglich der im zweiten PKW festgestellten Gegenstände in Augenschein genommen.

Der Inaugenscheinnahme einer zweiten Lichtbildmappe widersprach die Verteidigung mit Hinweis auf die nicht objektiven, sondern interpretierenden Bildbeschreibungen in dieser. Zudem wies RA Zünbül noch einmal auf die Problematik des fehlenden ermittlungsrichter:innenlichen Durchsuchungsbeschlusses hin. 

Eine Entscheidung über den Widerspruch wurde auf einen anderen Prozesstag verschoben.

Die Sitzung wurde gegen 15:45 Uhr beendet. Der nächste Prozesstag ist der 03.02. um 09:30 Uhr am OLG Dresden.

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