[LE] Das Richtigere im Falschen tun - NoCompact Nachbereitung
Das Richtigere im Falschen tun
Erst im Sommer wurde die Leipziger Linke geadelt, zu den aggressivsten, radikalsten oder sonst wie schlimmen Autonomen zu gehören: Nie mehr zweite Liga! Das Dreieck Hamburg-Leipzig-Berlin wurde beschworen, und ob man sich nun positiv darauf beziehen oder angeekelt davon abwenden will, so suggerierte es doch eine wie auch immer geartete linken oder sogar linksradikale Hegemonie. Dass Leipzig aber nicht so rot ist, und vermutlich auch niemals war, wie es gern bleiben würde, wurde schon deutlich, als es nach den ersten Legida-Demos kaum noch gelang, die Szene für den Widerstand zu mobilisieren. Zugegeben, die Polizeitaktik machte es auch nicht einfach, dort etwas zu reißen und auch uns ist damals kein Umgang eingefallen, der etwas anderes bedeutet hätte, als sich grundlos mit Repression überziehen zu lassen. Trotzdem scheint es symptomatisch für eine radikale Linke in Leipzig zu sein, dass alles, was außerhalb klassischer autonomer Taktiken liegt, heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervorholt. Tatsächlich stimmt noch nicht einmal das wirklich. An die Stelle der tatsächlichen Handlung ist das Bild davon getreten.
Als am 12.12.2015 die Rückkehr des Nazi-Zombies Worch1 mehrere Tausend Autonome auf die Straße trieb, konnte zwar auch nichts verhindert werden, aber immerhin konnte man sich gegenseitig auf der Straße im Gefecht mit den Bullen beweisen, wie antifaschistisch und radikal man doch sei. Bis heute werden in den verschiedensten alkoholseeligen Runden Partisan*innen-Geschichten von damals ausgepackt. Heroisch wurde der eigene Kiez verteidigt, in dem zwar selbst nichts stattfand, aber wo ja irgendwie ursprünglich was sein sollte und auf jeden Fall war es ganz schön heroisch. Vergessen wird dabei, dass man zu dem Zeitpunkt einer 11-monatigen Dauermobilisierung von Legida schon nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Vor diesem Hintergrund scheint es schon fast so, als sei es damals mehr um einen Abwehrkampf gegangen denn um einen Kampf gegen den Faschismus oder gar den Kapitalismus, von dem man in diesem Zusammenhang bekanntlich nicht schweigen darf. Wenn schon Leipzig verloren ist, erhalten wir wenigstens den Mythos vom Leipziger Süden. Soll das die Antwort sein?
Als am 25.11. diesen Jahres in nächster Nähe zum Szene-Kiez die Compact-Konferenz stattfand, schien sich die Frage zu beantworten. Dort gab sich die Crème de la Crème der deutschsprachigen Rechten ein Stelldichein. Unter der hütenden Hand von Elsässer versammelten sich von den Identitären über den rechten Betriebsrat Oliver Hilburger bis hin zu Höcke und Bachmann alles, was die Reaktion in Deutschland und Österreich gerade bedeutend nach vorne treibt. Wer glaubt, dass ein solches Treffen, auf dem vor allem die Bündnisse geschmiedet werden, die einer Linken in den nächsten Jahren das Leben zur Hölle machen wollen, nicht ungestört stattfinden darf, teilt unsere Analyse und war wahrscheinlich mit uns auf der Straße. Wer glaubte, dass das schon reichen müsste, um ohne künstlichen Alarmismus sowohl Antifaschist*innen als auch eine linke Zivilgesellschaft zu mobilisieren, irrte sich mit uns. Gerade einmal 250 Personen waren nach den optimistischsten Schätzungen dem Aufruf gefolgt, die Tagung zu blockieren. Eine so kleine Gruppe konnte sich weder Hoffnungen auf eine erfolgreiche Blockade, noch auf ausreichenden Schutz vor der Willkür der sächsischen Polizei machen. Und so endete der Gegenprotest schon kurz nachdem die Veranstaltung drinnen begonnen hatte.
Wenn nur noch das Event ködert und die Hoffnung, wenigstens mit ein bisschen Randale dem Altagstrott zu entfliehen, dann ist der Unterschied zwischen politischer Aktion und Silvester am Kreuz eingeebnet worden. Dann ist die politische Praxis, die sich vor dem Zustand einer befreiten Gesellschaft zu rechtfertigen hätte, auf eine Ebene herabgesunken, auf der eine Schneeballschlacht, brennende Mülltonnen und Angriffe auf des hinterhältigste aller staatlichen Organe – die Feuerwehr – wichtiger erscheint als die Frage, wie dem unbekümmert weiterrollenden gesellschaftlichen Rollback etwas entgegengesetzt werden kann.
Der Kampf für ein besseres Leben scheint schon längst aufgegeben worden zu sein. Stattdessen zieht man sich weiter zurück in die eigene Subkultur, die einem noch die Restwärme bietet, die außerhalb verwehrt bleibt. Widerstand ist nur noch Gestus und vor allem ein wichtiger Teil der eigenen Identität, derer es sich beim nächsten anstehenden Event immer wieder selbst zu bestätigen gilt. Dies sollte wohl auch das Motto „Kampf der inneren Sicherheit“ tun, das für die ja grundsätzlich nicht falschen Proteste gegen die Innenministerkonferenz in Leipzig genutzt wurde. Statt nach nicht-autoritären Antworten auf die Probleme, die sich hinter dem Begriff der „inneren Sicherheit“ verbergen, zu suchen, wird die Forderung danach als Ganzes delegitimiert. Natürlich halten auch wir nicht viel von dem Gedanken, dass mit mehr Repression mehr Sicherheit zu erreichen sei, wie es gängige Vorstellung unter den Innenministern zu sein scheint. Aber wenn Militanz nicht als reiner Selbstzweck fungieren soll, sondern ein Anspruch auf Veränderung besteht, muss das auch denjenigen vermittelt werden, die nicht schon wissen, dass es Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus sind, die uns ein Leben in Sicherheit verwehren. Die ganze Mobilisierung zu den Protesten gegen die IMK scheint von vorneherein nur eine linksradikale Szene in den Blick genommen zu haben, statt sich um das Verständnis desjenigen Teils der Gesellschaft zu bemühen, der wenigstens noch der bürgerlichen Ideologie von Freiheit und Gleichheit anhängt und somit prinzipiell auch von der Falschheit der Antworten des autoritären Staats überzeugt werden könnte. Mehr ließe sich erreichen, indem man die Probleme nicht nur abstrakt mit dem Verweis auf Kapitalismus etc. erklärt, sondern ihren sozialen Charakter hervorhebt.
Wir wollen den Genoss*innen, die diesen Protest organisiert haben, nicht in den Rücken fallen, denn das Anliegen halten wir nach wie vor für gerechtfertigt. Uns ist auch bewusst, dass im Rahmen der Demonstration und im Vorhinein in den Veranstaltungen eine inhaltliche Auseinandersetzung stattgefunden hat. Uns geht es aber um eine Frage der Mittel, und da scheinen die Proteste gegen die IMK symptomatisch zu sein. Symptomatisch für eine radikale Linke, die eher an alten Ritualen festhält, weil man das schon immer so gemacht hat, anstatt eine Analyse der Gesellschaft zur Grundlage für ihr Handeln zu machen; der es nicht mehr um die Wirkung ihrer Taten geht, sondern um die Tat selbst. Eine solche Haltung heißt nichts anderes, als schon aufgegeben zu haben. Die Vorstellung einer befreiten Gesellschaft, oder zumindest einer Bewegung in diese Richtung, wurde begraben. An ihre Stelle ist der Wunsch nach privater Behaglichkeit, identitärer Bestätigung und danach, es wenigstens ein-, zweimal im Jahr richtig krachen zu lassen. Wobei, tatsächlich stimmt auch das noch nicht einmal wirklich. An die Stelle der tatsächlichen Handlung ist wiederum nur das Bild davon getreten.
Anstatt immer so weiterzumachen, wollen wir wieder anfangen konkrete Utopien zu entwickeln – auch wenn das erst mal sowas heißt wie sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie in Sachsen eine schwarz-blaue Koalition 2019 zu verhindern ist. Das heißt auch damit, wie es möglich ist, das Richtigere im Falschen zu tun und es mit der befreiten Gesellschaft wieder ernst zu meinen, statt sich im eigenen Handeln auf die etwas freiere Szene zu beschränken.
1 Worch versuchte schon mehr als zehn Jahre zuvor Nazi-Demos in Leipzig stattfinden zu lassen, die damals jedoch am antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Gegenprotest scheiterten.