Solidarität mit Emilio!

Am Freitag, den 3. Dezember 2020, wurde einer unserer Kameraden, Emilio Scalzo, von Italien nach Frankreich ausgeliefert und im Gefängnis von Aix-Luynes inhaftiert.

Emilio, ein 67-jähriger ehemaliger Fischhändler, langjähriger NoTav-Aktivist und von Anfang an engagiert für die Solidarität mit den Migranten auf der Durchreise durch Valsusa und Brianconnese, wird im Anschluss an die Demonstration vom 15. Mai 2020 zwischen Claviere und Monginevro, die als Reaktion auf die Räumung der Casa Cantoniera, des selbstverwalteten Zufluchtsortes für Migranten in Oulx, organisiert wurde, der Gewalt gegen einen Polizisten beschuldigt.

Diese Demonstration, die Teil einer dreitägigen Aktion gegen das Grenzregime war, wurde fast sofort von Dutzenden von CRS "blockiert", die den Demonstrationszug auf den Wegen verfolgten und die Straße zumachten, wobei sie Tränengas und "Granaten" (eine Art Waffe, die von der französischen Polizei verwendet wird) abfeuerten und Knüppelschläge austeilten. Emilio war wegen seiner Knieprothese und seines zweiten Knies, das noch operiert werden muss, ein wenig zurückgeblieben. Als er sich hinsetzte, wurde er von einem Gendarmen angegriffen, der zunächst eine Granate nach ihm warf und dann versuchte, ihn mit einem Schlagstock zu treffen. Emilio verteidigte sich. Der fünfundvierzig Jahre jüngere Polizist zog sich einen schmerzenden Arm zu.

Am 15. September wurde Emilio verhaftet; italienische Polizeibeamte in Zivil entführten ihn buchstäblich auf der Straße, und viele Stunden lang hörte man nichts von ihm. Die Täter wussten, dass Emilio in dem Tal, in dem er lebt, sehr beliebt ist, und entführten ihn deshalb im Verborgenen. Am 23. September wurde er unter Hausarrest gestellt, bis am 1. Oktober die Richter des Turiner Appellationsgerichts der vom französischen Staat beantragten Auslieferung zustimmten. Am 1. Dezember, nach zweieinhalb Monaten Hausarrest, wurde Emilio erneut von den Digos von Turin (politische Polizei) verhaftet, die mit einem riesigen Polizeiaufgebot die Straßen rund um sein Haus blockierten, über das Tor kletterten, es aufbrachen und die Verhaftung vornahmen. Er wurde in das Gefängnis Vallette in Turin gebracht, obwohl er bereits seit zwei Monaten unter Hausarrest stand. Und warum? Wegen der "zu großen Solidarität" der Bewegung, die bis zu seiner Verhaftung in seiner Nähe bleiben und ihn nicht allein lassen wollte. Tatsächlich befürchtete die italienische Polizei vermutlich einfach, ihn nicht rechtzeitig ausliefern zu können und bei den französischen Gendarmen einen schlechten Eindruck zu hinterlassen.
Am 3. Dezember wurde er an Frankreich ausgeliefert und nach einer Scheinanhörung/einem Scheinverhör - bei der man bereits beschlossen hatte, ihm keine alternative Maßnahme zur Haft zu gewähren - im Gefängnis von Aix-Luynes in der Nähe von Marseille eingesperrt.

Zu den Hintergründen: Die Gendarmen und die Paf (Grenzpolizei) kontrollieren diese Grenze und bringen eine Spur von Tod und Gewalt mit sich. In diesen Bergen wurden bereits fünf Leichen von Menschen gefunden, die alle geflohen oder von der französischen Grenzpolizei zurückgedrängt worden waren. Viele sind verletzt, werden seit Tagen vermisst, und unzählige wurden zurückgewiesen, misshandelt und bedroht. Jeden Tag versuchen Dutzende von Menschen ohne gültige Papiere diese Grenze zu überqueren, auf der Flucht vor Krieg, Armut und Diskriminierung, auf der Suche nach einem besseren Leben. Emilio ist für sie da gewesen.
Wer ist der Gewalttätige? Derjenige, der Tag und Nacht Jagd auf Migranten macht und täglich Dutzende von Menschen abweist, oder derjenige, der immer dafür gekämpft hat, dass die Durchreisenden nicht in diesen Bergen sterben? Wer ist der Gewalttätige, der auf Befehl zuschlägt, der Tränengas und Blendgranaten wirft - oder der einfach versucht hat, sich gegen diese Gewalt zu wehren?
Wir stehen an der Seite von Emilio. Wir alle kennen die Gewalt der französischen Polizei, wir alle erinnern uns an die Verwundeten unter den Gelbwesten, an die verlorenen Augen und Gliedmaßen und die zu Brei Geschlagenen. An die Toten in den Banlieus und bei den Demonstrationen. Die Bereitschaftspolizei, die Tränengas und Granaten auf Augenhöhe abfeuerte.
Die Staatsanwaltschaft von Gap versucht, Emilio für alles, was den Kampf an der Grenze umfasst, bezahlen zu lassen, indem sie die Rhetorik des "Gewalttätigen" benutzt, um die Solidarität so zu brechen. Diesmal wird er aus diesem Grund auch nicht der Beihilfe zur illegalen Einwanderung beschuldigt, obwohl Emilio auch in Italien wegen der Besetzungen der beiden selbstverwalteten Unterkünfte vor Gericht steht. Bei angeblicher bloßer "Gewalt" ist es einfacher, anzuklagen und zu verurteilen. Vor allem, wenn das Wort eines Menschen gegen die Aussage eines Gendarmen steht.

Sie wollen ihn als einen der Anführer der "No Border"-Bewegung hinstellen, nur weil er auf einigen Bildern ein Transparent in der Hand hält und einer der ältesten Teilnehmer des Protestes ist. Sie geben ihn als Terroristen aus. Als sie ihn auslieferten, stülpten sie ihm eine Kapuze über den Kopf, und der gepanzerte Wagen wurde von einem Hubschrauber eskortiert. Seit mehr als einem Monat sitzt er in französischen Gefängnissen, und erst heute haben sie seiner Frau die seit langem geforderten Besuche gestattet. Bis heute haben sie ihm nicht einmal seine Brille zurückgegeben, ohne die er nicht einmal lesen kann.
Auch die Wahl des Gefängnisses ist bezeichnend: Aix-Luynes ist weit weg, in der Nähe von Marseille. Sie haben also beschlossen, ihn von der Valsusa, von der Grenze, von seinen Angehörigen und von der starken Solidarität in diesem Gebiet wegzubringen. So wie damals bei Eleonora, Théo und Bastien, die am 22. April 2018 wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung verhaftet und aus "Sicherheitsgründen" von Gap nach Marseille verlegt wurden.

Lasst uns Emilio nicht allein lassen.
Schreiben wir ihm, verschaffen wir uns Gehör. Lasst uns auf die unterschiedlichste Art aktiv werden, um Solidarität zu zeigen. Jede_r auf seine Art und Weise, alle Wege sind willkommen.

Die Solidarität hört nicht auf!

Freiheit für Emilio!

Mehr Infos unter: https://www.passamontagna.info/

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Ergänzungen

"Am Freitag den 3.12.21 wurde Emilio Scalzo von Italien an Frankreich ausgeliefert und inhaftiert. Er sitzt jetzt nahe Marseille im Knast, weit weg von seinen Lieben und Genoss*innen aus dem Susatal. Emilio ist Aktivist aus der italienisch /französischen Grenzregion. Im Interview sind 2 seiner Companeras, die seine Repressionsgeschichte, und von anderen Repressionen an der Grenze erzählen und die zur Solidarität mit Emilio aufrufen."

Zum Radio-Beitrag: https://www.freie-radios.net/113315