Oury Jalloh das war Mord - Solidarität aus Münster
Am Morgen des 07.01.2018 haben wir, anlässlich des Jahrestages der Ermordung von Oury Jalloh, ein Banner an der Überwasserkirche in Münster angebracht.
Es folgt unser inhaltliches Statement zur Aktion:
Oury Jalloh – Das war Mord!
„Ich habe noch nie von einer Person gehört, die gefesselt an Armen und Beinen verbrannt ist. Noch nie.“ - Silas Nkunu, Prozessbeobachter aus Südafrika im Jahr 2007.
Am 07. Januar 2005 verbrennt in Dessau ein Mensch in einer Polizeizelle. Oury Jalloh, 37, Vater, geflüchtet aus Sierra Leone und seit vier Jahren in Dessau, stirbt an diesem Tag einen grausamen Tod.
Was folgt ist eine kaum zu ertragedne Farce. Der Staat und seine Behörden zeigen kein Interesse das Verbrechen aufzuklären, sondern versuchen den Tod Jallohs zu vertuschen. Trotz aller Ungereimtheiten, trotz eindeutiger Indizienlage, trotz mehrerer Gutachten die zu dem Schluss kommen dass Jalloh ermordet worden sein muss.
So bleiben viele Fragen offen – und der Mord an Oury Jalloh unbestraft.
Es ist allein der beachtlichen Arbeit der Initiative Oury Jalloh und ihren Unterstützer*innen geschuldet, dass die Ermordung Jallohs nicht längst zu einem Fall für die Akten geworden ist. Alle staatlichen Institutionen, Polizei und Staatsanwaltschaft, Justiz und Politik, haben in einer Art und Weise versagt, die schwer in Worte zu fassen ist. Das ist unerträglich, nicht nur für alle Menschen die Jalloh nahe standen, sondern auch für alle die in unserer Gesellschaft bis heute von rassistischer Gewalt betroffen sind.
Denn der Mord an Oury Jalloh ist mehr als ein nicht zu rechtfertigender Polizei- und Justizskandal. Er ist Ausweis der alltäglichen rassistischen Gewalt und des unfassbaren Unrechts das unsere Gesellschaft produziert.
Der rassistische Mord an Oury Jalloh war keine vereinzelte Tat von Verbrecher*innen, die losgelöst von gesellschaftlichen Zusammenhängen begangen wurde. Jalloh wurde nicht nur von Einzelpersonen ermordet, er ist auch von einer rassistischen Mehrheitsgesellschaft umgebracht worden. Es ist der allgegenwärte Rassismus, die alltägliche strukturelle Gewalt gegen people of color, die diesen Mord vorbereitet und möglich gemacht hat.
Jalloh ist das Opfer einer Gesellschaft, die wesentlich auf Rassismus aufgebaut ist. Eine Gesellschaft, die tagtäglich mit unvorstellbarer Gewalt einen Teil ihrer Mitglieder angreift. Jalloh ist das Opfer eines Staates der ohne jeden Skrupel ausschließlich eigenen chauvinistischen Interessen folgt. Ein Staat der mit grausamer Menschenverachtung lieber Abschiebungen organisiert statt sich solidarisch zu zeigen mit Menschen in Not. Jalloh ist das Opfer eines faschistoiden und repressiven Polizeiapparats, der systematisch Menschenrechte verletzt. Eine Polizei, die für viele Menschen eben kein „Freund und Helfer“ sein will.
Dabei kann die Schuld für den rassistischen Mord an Oury Jalloh nicht allein auf strukturelle Probleme und abstrakte Zusammenhänge geschoben werden. Strukturelle Gewalt sieht nur aus Perspektive von Nicht-Betroffenen abstrakt aus - für Betroffene dagegen ist sie mehr als real; sie hat reale Folgen und sie wird von realen Menschen ausgeübt, die Verantwortung für ihr Handeln tragen.
Das bedeutet: Letztendlich waren es Einzelpersonen, die Oury Jalloh getötet haben: Mordende Polizist*innen, Faschos in Uniform, die vom Staat und seinen Institutionen systematisch geschützt werden.
Dabei geht es nicht um dramatische Einzelfälle, die Deutschland zwar schrecklich findet, die aber eine Ausnahme bilden würden. Stattdessen handelt es sich um grundsätzliche Probleme: Die Ermordung Jallohs war kein „Fehler im System“, sondern ist Teil des Systems, wie weitere Fälle, etwa die Ermordung von Laye-Alama Condé am 06.01.2005 in Bremen, zeigen. In den seltensten Fällen wird Polizeigewalt zur Anzeige gebracht und strafrechtlich verfolgt. Wird dennoch mal ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, kommt es in den seltensten Fällen zur Anklage - und praktisch nie zu einer Verurteilung. Die Aufklärungsquote von Polizeigewalt in Deutschland ist katastrophal. Die Datenlage ist undurchsichtig, die Verbrechen von Polizist*innen werden nicht dokumentiert, Statistiken bewusst nicht erhoben. Die wenigen Zahlen die es gibt machen fassungslos: Bei 4500 Ermittlungsverfahren im Jahr 2013 wegen „Tötungsdelikten“, Körperverletzung und Amtsmissbrauch kam es in weniger als 50 (!) Fällen zu einem Gerichtsprozess.
Dieses offensichtliche Versagen hat System, es ist gewollt. Der Polizeiapparat ist in seiner Grundstruktur autoritär, es zählen Konformität, blinde Pflichterfüllung und das Prinzip von Befehl und Gehorsam. Eine hierarchisch-patriarchale Organisation wie die Polizei schafft Abhängigkeiten; Korpsgeist und falsch verstandene Solidarität machen gegenseitiges In-Schutz-Nehmen für Polizist*innen zur Pflicht.
In einem solchen Umfeld wird jede Ermittlung zur Farce. Kolleg*innen ermitteln gegen Kolleg*innen, die wesentlichen Zeug*innen sind selbst Polizist*innen. Opfer werden unter Druck gesetzt und müssen mit staatlichen Repressionen rechnen. Auch sonst wird es den Polizist*innen einfach gemacht: Sie genießen hohe Glaubwürdigkeit, außerdem können sie ihre Aussagen untereinander absprechen und haben Einblick in Protokolle und andere Zeug*innenaussagen, um sich auf Gerichtsverfahren „vorzubereiten“ – eine Praxis, die mit rechtsstaatlichen Prinzipien nichts zu tun hat.
Auch im Fall Oury Jalloh war eine entscheidende Zeugin eine Polizistin. Als sie in Anwesenheit ihrer Kollegen gegen diese Aussagen sollte, zog sie frühere, detaillierte und schwer belastende Schilderungen zurück. Polizist*innen haben nachweislich den Tatort manipuliert, Beweismittel nach Bedarf verschwinden und „auftauchen“ lassen, vor Gericht „systematisch gelogen“ und „eine Aufklärung verunmöglicht“ (Manfred Steinhoff, Richter im ersten Prozess gegen die Polizisten Andreas S. und Hans-Ulrich M.).
Dies alles zeigt überdeutlich, dass der Vertrauensvorschuss den die Polizei genießt mit nichts zu rechtfertigen ist. Die traurige Wahrheit ist, dass die Polizei in einer rassistischen Gesellschaft für viele Menschen keine vertrauenswürdige Institution ist die Schutz bietet – vielmehr ist sie Agressor und bedeutet Gewalt und Repression.
Das fatale Scheitern staatlicher Institutionen ist kein Einzelfall, es reiht sich nahtlos ein in die Funktionsweise eines Staates, der u.a. auch im NSU-Komplex eine beängstigende Rolle spielt. Letztendlich verantwortlich für dieses staatliche Versagen ist eine weiße Mehrheitsgesellschaft, die mit ihrer Ignoranz gegenüber diskriminierten und marginalisierten Menschen ihr offenkundiges Interesse an der Aufrechterhaltung der rassistischen Zustände bezeugt.
Wir beobachten aktuell, wie sich Diskurse weit nach rechts außen verschieben: Eigentlich Undenkbares wird vermeintlich sag- und machbar, Rassismus normalisiert sich mehr und mehr; längst ist er gesellschaftsfähig. Doch es handelt sich nicht bloß um Rhetorik, die Diskurse setzen sich in politische Entscheidungen und Ergebnisse um: Weitreichende Einschränkungen des Asylrechts wie die Erleichterung von Abschiebungen, die Aussetzung des Familiennachzugs, Kürzung von Leistungen für Geflüchtete oder Forderungen nach einer Obergrenze zeigen: Es wird spürbar (noch) kälter in Deutschland.
Eine rassistische Täter*innengesellschaft, eine menschenfeindliche Politik, greift tagtäglich das Leben von Menschen an, die nicht dazugehören dürfen. Für viele dieser Menschen haben sich die Lebensbedingungen in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Insofern gibt es ihn also, den vielbeschworenen „Rechtsruck“, und er hat fatale Auswirkungen für alle, die von Rassismus und rechten Ideologien betroffen sind.
Doch der Mord an Oury Jalloh erinnert auf grausame Weise auch daran, dass Rassismus kein neues Phänomen ist, das erst von der AfD erfunden wurde. Rassismus strukturiert diese Gesellschaft als Ganze, rassistische Positionen finden sich in allen Parteien. So steht z.B. die parteiübergreifende Befürwortung von Abschiebungen exemplarisch für den rassistischen Konsens der weißen Mehrheitsgesellschaft.
Deshalb ist es wichtig, rassistische Gewalt auch als solche zu benennen. Ausweichformulierungen, wie die in Deutschland beliebte Umschreibung „Fremdenfeindlichkeit“, sind Augenwischerei, um sich unangenehme Wahrheiten nicht eingestehen zu müssen. Aktuell erleben wir zudem, wie in unsäglichen Diskussionen insbesondere um Geflüchtete und den Islam der Begriff „Kultur“ den der „Rasse“ ersetzt. Auch hier spielt es keine Rolle, ob Rassismus nun biologistisch oder kulturell begründet wird: Das Problem bleibt das selbe, und es heißt Rassismus.
Rassismus ist dabei niemals diskutabel, er kann nie als vertretbare Position gelten. Rassismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Und auch daran erinnert die Ermordung Jallohs in schmerzhafter Klarheit: Rassismus ist gefährlich, Rassismus tötet.
Der rassistische Mord deutscher Polizist*innen an Oury Jalloh – er zeigt eines deutlich: Die Notwendigkeit des Widerstands gegen die herrschenden Zustände. In Dessau. In Münster. Überall.
Gegen Rassismus.
Für die befreite Gesellschaft.
Unterstützt den Kampf der Initiative Oury Jalloh für Gerechtigkeit und Aufklärung: https://initiativeouryjalloh [punkt] wordpress.com