Prozessbericht vom 14. Prozesstag im Antifa-Ost-Verfahren 10.11.21
Bericht vom 14. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 10.11.21.
Der Prozesstag begann um 9.45 Uhr und verhandelte den Komplex Wurzen II, einen Angriff am Wurzener Bahnhof auf eine Gruppe Faschisten, die vom sogenannten Trauermarsch in Dresden zurück fuhren. Geladen waren drei Zeugen, die gleichzeitig Geschädigte des Vorfalls waren. Alle drei sind oder waren Mitglieder der rechtsradikalen Szene. Zwei der drei Zeugen erschienen nicht vor Gericht, gehört wurde lediglich zum zweiten Mal Matthias „Matscher“ Leder, der schon einmal im Zeugenstand saß und dessen Vernehmung zu Ende geführt werden musste. Der Zeuge Ackermann meldete sich am Morgen ordnungsgemäß krank. Der Zeuge Benjamin Schwelnus fehlte wiederholt ohne Abmeldung daher wurde seine Vorführung vom Gericht angeordnet.
Nach den heftigen Diskussionen am letzten Verhandlungstag verhielt sich der Vorsitzende Schlüter-Staats an diesem Tag betont freundlich. Der Befangenheitsantrag, den die Verteidigung aufgrund seiner Äußerungen am letzten Verhandlungstag gestellt hatte, wurde vom Senat zurückgewiesen.
Schlüter-Staats eröffnete die Verhandlung mit einer Anmerkung zur Coronasituation; die Verteidigung wies darauf hin, dass vor allem die Vertreter der Nebenklage wiederholt ohne Maske im Gebäude herumliefen. Anwesend war an diesem Verhandlungstag zunächst jedoch nur Manuel Tripp als Nebenklagevertreter. Außerdem teilte die Verteidigung von Lina mit, dass ihr in der JVA kaum Zugang zu FFP2-Masken gewährt wird und ihre Anwälte ihr darum bei nächster Gelegenheit solche mitbringen wollen.
Nachdem es an den vergangenen Verhandlungstagen regelmäßige Auseinandersetzungen bezüglich der Anwesenheit der Referendar:innen der Verteidigung im Saal und Beratungszimmer gab, bot der Vorsitzende nun auch ein Gespräch mit den Referendar:innen an und betonte, dass ihm etwas an ihrer Ausbildung liege und sie ja potentiell in den Staatsdienst treten könnten. Die Regelung, dass nur ein:e Referendar:in im Saal Platz nehmen darf, bleibt vor erst bestehen.
Rechtsanwalt Nießing begann sodann die Weitervernehmung des Matthias „Matscher“ Leder (siehe Bericht vom 9. Prozesstag). Die Vernehmung wurde beim ersten Mal abgebrochen, da sich im Verlauf der Befragung herausstellte, dass eine zweite polizeiliche Vernehmung stattgefunden hatte, welche nicht Teil der vorliegenden Akten war und zunächst nachgereicht werden musste. Rechtswanwalt Nießing stellte bereits am 1. Prozesstag einen Antrag auf vollständige Einsicht in alle relevanten Akten. Der vorsitzende Richter Schlüter-Staats bewertete damals die Aktenlage als ausreichend vollständig (siehe Bericht vom 1. Prozesstag). Substantielles hatte der Zeuge nicht zu Protokoll zu geben. Er verwies einerseits wiederholt auf einen Sanitäter, welcher im Zug um Spenden gebeten hätte. Im Nachhinein sei dem Zeugen klar geworden, dass das ein höhnischer Hinweis auf die anstehende “Tracht Prügel” gewesen sein könnte. Matthias Leder hätte im Zug außerdem eine Person wahrgenommen, die mit einem norddeutschen Akzent sprach. Das kam ihm in der ostdeutschen Provinz so merkwürdig vor, dass er sich die Stimme angeblich exakt einprägte. Als er später einmal ein Youtube-Video sah, auf dem ein Fanmarsch beim Spiel Hansa Rostock gegen Dynamo Dresden von Unbekannten kommentiert wurde, hätte er die Stimme wiedererkannt und geistig direkt wieder im Zug gesessen. Die Bundesanwaltschaft erkundigte sich diesbezüglich, ob er die Stimme wiedererkannt oder sie ihn nur an die der Person im Zug erinnert hätte. Daraufhin stellte der Zeuge – entgegen der vorherigen Aussage – klar, dass die Stimme ihn nur an die Person erinnert hätte, er sie aber nicht wiedererkannt habe. Den Höhepunkt seiner Vernehmung stellte eine Entschuldigung dar, die an einen der Angeklagten gerichtet war. Leder hatte diesen bei seiner letzten Befragung angeblich als eine der Personen erkannt, die im Zug neben ihm saßen und musste sich und vor Gericht nun eingestehen, dass nach in Augenscheinnahme der Lichtbilder aus dem Zug keine optische Übereinstimmung vorhanden ist. Leder gab wie die meisten Zeug:innen an, er habe sich abseits von Polizeivernehmungen oder Erstversorgungen nicht über den Angriff unterhalten. Alle seine Schilderungen würden auf der Grundlage seiner eigenen Erinnerungen basieren.
Im Anschluss folgte die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft zum früher gestellten Antrag der Rechtsanwältin Weyers auf Heranziehung eines Wahrnehmungspsychologen bei der Vernehmung von Leon Ringl. Weyers hatte begründet, dass es bei allen Aussagen Leon Ringls zu erheblichen Unterschieden gekommen ist, die vor allem mit seinem Bemühen in Verbindung stehen, Antifaschist:innen im Verfahren zu schädigen. Aus diesem Grund ist es notwendig, einen Sachverständigen beizuziehen. Zentral für die Begründung der Ablehnung war die Behauptung der Bundesanwaltschaft, dass das Gericht und die Verfahrensbeteiligten Jurist:innen die notwendigen Kenntnisse zur Einordnung der Aussagen Leon Ringls und dessen politischer Bestrebungen mitbringen würden.
Fortgeführt wurde die Verhandlung mit der Inaugenscheinnahme einiger Ausdrucke, die die genauen Standorte von Kameras und mutmaßlich beteiligten Personen im Regionalexpress Dresden-Leipzig vom 15.02.2020 zeigen sollten. Dabei wies der Richter Schlüter-Staats auf eine Korrektur seitens der Soko LinX hin. Diese hätte die Uhrzeiten der Überwachungsvideos erneut überprüft und bemerkt, dass die bisher mitgeteilten Zeiten falsch dargestellt waren. Das Geschehen im Zug verschiebt sich also um mehrere Minuten. In Vorbereitung auf die Vernehmung der Kriminalhauptkommissarin Möller am 15. Verhandlungstag folgte dann die Inaugenscheinnahme der Querschnitte des Regional Express.
Da der Zeuge Ackermann fehlte, fiel die Mittagspause sehr lang aus. Im Anschluss fuhr der Vorsitzende mit der Lesung eines Beschlusses zur Frage nach dem Modus Operandi fort. Am letzten Verhandlungstag war es darüber zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen (siehe Bericht vom 13. Verhandlungstag). Nach Auffassung des Vorsitzenden seien Fragen an ermittelnde Polizeibeamt:innen unzulässig, wenn sie deren Auffassung betreffen, was der Modus Operandi der vermuteten kriminellen Vereinigung sei. Fragen in dieser Richtung würden nichts zur Wahrheitsfindung beitragen, da dem Gericht lediglich die Bewertung der zusammengetragenen Beweismittel obliege. Er wolle sich dahingegen nicht damit beschäftigen, warum Polizeibeamt:innen im Ermittlungsverfahren diesen oder jenen Schluss gezogen hätten. Die Verteidigung argumentierte dagegen, dass gerade die Annahme der Polizeibeamt:innen zentral für die Begründung der kriminellen Vereinigung ist.
Rechtsanwalt Werner kündigte daraufhin eine längere Stellungnahme zur Wichtigkeit der kritischen Reflexion des polizeilichen Modus Operandi für einen der kommenden Verhandlungstage an.
Nach einer weiteren kurzen Pause wurde um 14.00 Uhr klar, dass auch der nächste geladene Zeuge, der geschädigte Faschist Benjamin Schwelnus, nicht erschienen war. Ihm wurde die Ladung für den 14. Verhandlungstag am 01.11.21 von Polizeibeamten persönlich übergeben und er wurde bezüglich seines Nichterscheinens belehrt. Er fehlte dennoch unentschuldigt, sodass das Gericht seine polizeiliche Vorführung für einen der kommenden Verhandlungstage sowie ein Bußgeld anordnete.
Es folgte die Inaugenscheinnahme mehrerer Ausdrucke, die die zwei Zugteile des Zuges zeigten, in dem die angegriffenen Neonazis am Abend des 15. Februar von der Nazidemo in Dresden Richtung Leipzig fuhren. Diese diente ebenfalls der Vorbereitung der Anhörung der Zeug:innen am nächsten Tag. Zudem hatte das LKA in einer Nachlieferung ein Video angebracht, welches den Angriff am Wurzener Bahnhof zeigen soll. Bisher war dieses in keinem Aktenband vorhanden, weshalb die Verteidigung nicht nur die vorgelegten Screenshots sondern das gesamte Video anforderte.
Die Sitzung endete verfrüht schon um 15.16 Uhr. Der nächste Prozesstag ist der 11.11.21, Beginn voraussichtlich 9:30 Uhr.
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