Interview mit Ivan Leszno, Mitglied von La Insurgencia, einer spanischen antifaschistischen Rap-Gruppe
Ivan Leszno aus Malaga (Andalusien / Spanischer Staat) wurde zu zwei Jahren und einem Tag Gefängnis, einer Geldstrafe von 4.800 Euro und der Entfernung seiner Musik aus dem Internet verurteilt. All das, um gegen die Repression des spanischen Staates zu protestieren.
Hallo Ivan, zuallererst, vielen Dank das du diesem Interview zugestimmt hast.
Zunächst einmal möchten wir dich bitten, dass du uns etwas über das Kollektiv La Insurgencia erzählst.
Ich danke euch, dass ihr mir die Möglichkeit gent, mich frei zu äußern.
La Insurgencia war ein musikalisches Kollektiv, dass aus kommunistischen und antifaschistischen Rappern aus dem spanischen Staat und aus Lateinamerika bestand.
Im Jahr 2016 wurden die 14 Rapper, die das Kollektiv in Spanien bildeten, zur Aussage vor die Audiencia Nacional (ehemaliges Gericht für öffentliche Ordnung der Franco-Diktatur) wegen Verherrlichung des Terrorismus, Aufstachelung zum Hass gegen die Institutionen des Staates und Bildung einer unerlaubten Vereinigung zitiert.
Im Jahr 2017 wurden wir zu 2 Jahren und einem Tag Gefängnis, einer Geldstrafe von 4.800 €, 9 Jahren Ausschluss von der Ausübung öffentlicher Ämter, Zahlung der Kosten des Verfahrens und zur Entfernung der im Internet veröffentlichten Songs verurteilt. Aufgrund des Kontextes des Kampfes des katalanischen Volkes und der Solidaritätskampagne, die die Genoss*innen meiner Stadt und ich organisiert haben, reduzierten sie unsere Gefängnisstrafe auf 6 Monate und einen Tag und die Geldstrafe auf 1200 Euro. Dies geschah im Jahr 2018, als sich das Kollektiv aufgrund interner Probleme schließlich auflöste.
Im Jahr 2020 bestätigte der Tribunal Supremo (Oberste Gerichtshof) unsere Verurteilung.
Anfang dieses Jahres setzte die Audiencia Nacional unsere Gefängnisstrafe für zwei Jahre aus, unter der Bedingung, dass wir das Verbrechen, mittels Musik Ungerechtigkeiten anzuprangern, nicht wieder begehen.
Wie würdest du die aktuelle Situation in Spanien beschreiben?
Die Situation in Spanien ist auf ökonomischer Ebene ein absolutes Desaster. Ihr einziger Ausweg ist die Verschärfung der Ausbeutung der Arbeiterklasse, die Verschlechterung ihrer Lebens-, Arbeits- und Wohnverhältnisse, die Vorenthaltung von Rechten und Freiheiten, die Kürzungen im Bildung- und Gesundheitswesen...
Auf politischer Ebene befindet sich der Staat in einer fundamentalen Krise. Die politischen Parteien der sogenannten "Linken" und die meisten Gewerkschaften haben weniger Glaubwürdigkeit denn je, weil sie nicht in der Lage sind, die gravierendsten Probleme der Menschen zu lösen, da ihr Gehorsam gegenüber den Banken und den großen Firmen sie daran hindert, anders zu handeln.
Auf sozialer Ebene haben wir einen totalen Mangel an menschenwürdiger Arbeit, mit Arbeitstagen, die von 3 Stunden bis über 12 Stunden reichen können, ohne jegliche Arbeitsrechte.
Wir haben auch keinen Zugang zu Wohnraum aufgrund der hohen Mietpreise, und mit den prekären Jobs, die wir haben, können wir uns auch kaum ein eigenes Haus [oder eine Eigentumswohnung] leisten.
Wir wissen nicht, was demokratische Rechte und Freiheiten sind. Viele von uns sind zu Gefängnisstrafen verurteilt worden, weil sie Lieder geschrieben haben, weil sie Gewerkschafter*innen sind, weil sie sich in Basisinitiativen außerhalb der Institutionen des Regimes organisiert haben...
Bildung und Gesundheit sind durch die Kürzungen zerstört, unter denen sie seit Jahrzehnten unter allen Regierungen, die wir hatten, gelitten haben. Es mangelt an Lehrer*innen, in vielen Schulen gibt es keine Heizung, kein Schulmaterial, das Gesundheitspersonal wird stark ausgebeutet, außerdem fehlt es an ausreichendem Material zur Versorgung von Kranken.
Aus all diesen Gründen befinden wir uns in einer Gesamtsituation, die sehr förderlich für große soziale Ausbrüche ist, die sich aufgrund des Missmanagements der Pandemie bereits abzeichnen.
Gibt es in Spanien Gerechtigkeit?
Ja, es gibt sie für die Bourgeoisie, ihre Institutionen und politischen Parteien und ihre Ordnungskräfte.
Für den Rest, die einfachen Volksklassen, gibt es nur politische Repression in Form von Gefängnis, Geldstrafen,
Prozessen, Verurteilungen, Prügel, Exil, Verhaftungen, Zensur, Schweigen, etc.
Wie erwartet, löst sich der Podemos-Effekt wie ein Zuckerwürfel in den Händen der Banken auf. Glaubst du, dass es noch möglich ist, innerhalb der bürgerlichen Demokratie einen Weg aus der chronischen Krise zu finden, in der Spanien steckt?
Innerhalb des gesetzlichen Rahmens gibt es keinen Ausweg aus dieser Krise, ganz im Gegenteil. Den dieser ist am Ende ein Teil davon. Den Beweis liefert Podemos’ eigener Kurs. Der einzige Ausweg ist, sich außerhalb dieser falschen Demokratie zu organisieren. Nicht, weil wir es uns so aussuchen, sondern weil uns keine Teilhabe aufgrund unserer Interessen gestattet wird. Der größte Teil der Bevölkerung ist nicht organisiert und gehört keiner Partei oder Gewerkschaft an. Dies ist kein Zufall.
Was ist deine Meinung über die spanische Jugend in Hinsicht auf ein potenzielles historisches Subjekt, das den Lauf der Geschichte verändern kann?
Die spanische Jugend ist in dieser Situation am schlechtesten dran. Vergessen wir nicht, dass dies für einen guten Teil von uns die zweite große Krise ist, die wir seit 2008 durchmachen, die uns bereits ohne Zukunft zurückließ. Wir leben in den Tag hinein und haben immer weniger zu verlieren.
Mit all unseren Widersprüchen sind wir diejenigen, die am besten analysieren können, was vor sich geht, und eine Strategie und Taktiken entwerfen können, die uns die Möglichkeit verschaffen, einen Bruch mit dem faschistischen Regime, das wir seit 1939 erleiden*, zu organisieren und zu führen.
Welche Rolle spielt deiner Meinung nach Europa und die Europäische Union im Allgemeinen bei dem derzeitigen sozialen Kollaps, in dem sich der spanische Staat befindet?
Die Europäische Union, als das imperialistische Projekt, das sie ist, kann nur auf der Grundlage der Unterdrückung, die sie über andere Länder ausübt, am Leben erhalten werden. Innerhalb der EU ist die Rolle Spaniens eher die einer wirtschaftlichen Knechtschaft. Wenn die EU im Gegenzug für einen Kredit eine Arbeitsmarkreform fordert, die die Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen verschlechtert, führt die gerade im Amt befindliche Regierung sie klaglos aus, weshalb Europa einen der Faktoren darstellt, der den Zusammenbruch des spanischen Staates verschärft.
Auf welche Weise kann sich die deutsche Linke deiner Meinung nach mit den von politischer Repression Betroffenen im spanischen Staat solidarisieren?
Auf die gleiche Weise, wie sie es uns aus anderen Teilen der Welt zeigen: Agitation und Propaganda in den Straßen durch Graffiti, Transparente, Plakate, Flugblätter machen, Demonstrationen organisieren (im Fall der unterdrückten Rapper auch unsere Musik verbreiten) und jede Art von Initiative durchführen, die auf dem Kontext des Kampfes in eurem Land basiert. Jede Initiative ist willkommen.
Wenn du möchtest, kannst du noch ein paar letzte Worte loswerden.
Ich möchte daran erinnern, dass wir im spanischen Staat 16 Rapper*innen sind, die zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, weil wir in unseren Liedern Ungerechtigkeiten anprangern. Einer befindet sich im Gefängnis (Pablo Hasél), ein anderer im Exil (Valtonyc) und der Rest ist verurteilt. Das gibt es in keinem anderen Land in Europa und es zeigt, das sich in Spanien der Faschismus an der Macht halten konnte.* Was wir brauchen ist, dass alle Völker Eutopas zusammen mit den europäischen Demokrat*innen und Antifaschist*innen dies wahrnehmen und durchweg verurteilen. Es wird nicht so schwierig sein, die Dinge in unserem Land zu ändern, wenn wir auf eure Unterstützung zählen können, weswegen ich euch ermutigen möchte, uns auf jegliche erdenkliche Art, die ihr für richtig haltet, zu unterstützen.
Herzliche Grüße für den Widerstand!
Danke!
* Anmerkung der Übersetzer*innen: Anders als z.B. Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, wo es, wenn auch nur Dank der Alliierten, zu einem Bruch (politisch und teilweise auch personell) mit dem Faschismus kam, stellte die spanische transición keinen Bruch mit dem Franquismus dar. Es gab zwar eine gewisse Demokratisierung, doch die alten franquistischen Strukturen wurden dabei nie in nennenswertem Maße angetastet. Die alte franquistische Elite, deren Privilegien nie angetastet wurden, ist nicht über Nacht plötzlich zu Demokrat*innen geworden, eine gewisse Demokratisierung nach ihren Regeln begünstigte vielmehr deren materielle Herrschaftsinteressen: Zum einen galt es für sie den antifranquistischen Widerstand, der ab Ende der 1960er wieder massiv an Fahrt gewann, zu befrieden, zum anderen sah man so bessere Möglichkeiten, die eigenen ökonomischen Interessen zu befriedigen, weswegen man auch schon früh eine Mitgliedschaft in der EG (heute: EU) anstrebte. Doch die meisten Gründungsländer sahen nunmal eine faschistische Diktatur für unvereinbar mit ihrem "Club" an.