Arroganz ist keine Waffe
Der Text ist aus dem Bedürfnis heraus entstanden Indymedia wirklich zu einem Medium zumachen. Während in den Zeitschriften (Interim, Radikal) noch ein Austausch mit Diskussionen, Antworten und Widersprüchen existierte, gibt es diese Form der aufeinander beziehenden Texte hier nicht. Ich hoffe damit einen Beitrag zur wirklichen Nutzung von Indymedia als Austauschplattform zu machen, in der nicht nur Texte hochgeladen werden welche mit "Wir sind nachts wütend losgezogen um..." beginnen. Der Text ist bewusst nicht in Gruppenkontexten erschienen, da er alle Gruppen betrifft. Der Text soll aber keine Gruppen ansprechen sondern jeder Mensch soll persönlich überlegen inwieweit ihn der Text betrifft. Ich hoffe auf viel Widerspruch, Hasskommentare, Ergänzungen und Diskussionen, Viel Spaß beim Lesen!
Arroganz
Hand aufs Herz. Wer hat sich beim ersten Besuch vom AZ, einer Info-Veranstaltung oder in der ersten politischen Gruppe wohlgefühlt? Die Wahrheit ist leider, wir Linksradikalen sind arrogant, sehr arrogant sogar. Die Arroganz schwächt uns und ist zugleich ein Ausdruck unserer Schwäche. Egal ob mensch nun die Revolution will oder einfach nur handlungsfähig sein will, Arroganz lähmt uns. Es kommt einem so vor als müsste mensch sich in jedem Haus, und in jeder Gruppe erst beweisen oder äußerlich und verhaltensmäßig anpassen um akzeptiert zu werden. Gerade viele Menschen welche neu hinzukommen und aus der Arbeiter*innenklasse kommen sind passiv und eingeschüchtert von unserer Sprechweise und unserem Verhalten. Vielleicht sollten wir einfach mal überlegen ob es nicht schon bezeichnend ist, dass wir von einer linken "Szene" sprechen oder die Mehrheit der Bevölkerung gar nicht erst ansprechen wollen? Aber anstatt ewige Theorie Diskussionen zu führen, sollten wir einfach unser persönliches Verhalten ändern: Wir sollten endlich aufhören arrogant zu sein! Keine Coolness, keine Verachtung und keine Abgeklärtheit!
1. Wir untereinander
Eine Person hat es mal wie folgt ausgedrückt: „Die Szene, ein Ort an dem man das Gefühl hat endlich Zuhause angekommen zu sein, aber nie richtig ankommt“. Bei Crust-Konzerten und Wagenplätzen wird mensch ohne Dreads und Aufnäher komisch gemustert. In einer feministischen Gruppe sollte mensch niemals trainiert mit körperbetonter Kleidung aufkreuzen In einem AZ darf es keine bunten Jacken geben, außer diese sind schon 10 Jahre alt. In einer Sportgruppe sind die Mindestanforderungen kurzgeschorene Haare und kein Humor. Die Reihe lässt sich unendlich fortsetzen. Die Linksradikale Szene ist untereinander ständig arrogant und wir schließen uns gegenseitig aus, allein schon wegen dem Aussehen. Wir sollten aufhören uns als etwas Besseres zu sehen und abschätzig auf die schauen welche nicht so sind wie wir.
Auch in den Gruppen untereinander sieht es nicht besser aus. "Wie viele Pressemitteilungen hast du denn schon geschrieben?" oder "Wie oft hast du diese Aktion den schon gemacht?" sind leider Sätze die öfter fallen. Wir sollten uns wirklich fragen ob solche Suggestivfragen sinnvoll sind. Können wir Nachfragen nicht ohne Augenrollen begegnen? Können wir nicht ohne Arroganz kommunizieren? Egal ob ein Mensch 10 oder 20 Jahre aktiv ist und immer die gleichen Aufgaben übernimmt, kein Mensch hat ein Recht auf Arroganz! Die Streitereien gehen weiter: Hat mensch schon genug Texte gelesen oder ist "man Theorie-Macker"? Ist mensch ein „scheisz Bürgi“ oder „eh nur auf Gewalt aus“? Ist mensch schon reflektiert genug in dem Thema oder macht mensch nur Einthemenpolitik? Wir werten uns, unsere Aktionsformen und unsere Theorien ständig gegenseitig ab. Warum können wir Wissen nicht schnell und kompakt weitergeben ohne Arroganz? Warum können wir andere Aktionsformen nicht nebeneinander stehen lassen? Wir sollten endlich anfangen auf Augenhöhe untereinander zu erklären, diskutieren und zu streiten. Arroganz lässt jedes Treffen nur zu einem Spießrutenlauf werden und macht die nächste Aktion doppelt so schwer. Lasst uns sachlich ohne Hierarchien diskutierten. Lasst uns wirklich undogmatisch sein! Die arrogante Verteidigung des einzig richtigen Glaubens bzw. einne Volksfront von Palästina"-Politik hat noch keine*n weitergebracht.
2. Wir nach außen
"Auf dem Plenum jeder Satz durchdacht. Dann werden Flyer produziert die keiner kapiert". Die Zeile reicht eigentlich für den gesamten Absatz. Im Ernst: Wen sollen unsere Flyer, Reden und Erklärungen ansprechen? Sogar Texte die mobilisieren sollen, wirken so fernab jeglicher Alltagssprache, dass es manchmal weh tut sie zu lesen. In der Regel sind es nur Ansammlungen von Phrase die mit -Ismen und Schachtelsätzen garniert werden. Informationsgewinn oftmals gleich Null. Wir strukturieren weder unsere Texte noch bringen wir Fakten oder versuchen gar Aussenstehende behutsam auf Problematiken hinzuweisen. Es ist witzig, dass wir zurzeit versuchen möglich viele POCs, Sexarbeiter*innen oder Gefangene anzusprechen, ohne dies bei unserem Nachbarn*innen gar zu versuchen. Wir probieren spezielle Zielgruppen anzusprechen, scheitern aber schon beim Nachbarn. Ich habe nicht den Lösungsansatz dafür und auch dieser Text ist nicht der beste. Aber wir könnten damit beginnen unsere Analysen/Kritikpunkte, unsere Handlungen und unsere Utopien zu erklären. Ist euch schon mal in den Sinn gekommen, dass Fremdwörter (ja auch englische!), -Ismen und Parolen als Texte die meisten Menschen abschrecken? Können wir einfach uns bitte endlich dazu herablassen unser Anliegen anderen Menschen zu erklären? Die Arroganz von wegen „der dumme Bürgi soll sich mal selbst informieren“ muss endlich aufhören.
3. Wenn neue Menschen hinzukommen
Jede Religion, Partei, politische Bewegung und regionale Feuerwehr versucht neue Personen einzubinden. Wir nicht. Im Gegenteil, jede Person wird strengstens befragt bevor sie in Gruppen kommen darf. Keine der Aussagen darf vom Thesen-Papier der Gruppe abweichen. Bei Fragen am Info-Point, der Bar oder an eine anderen Person wird abschätzig geschnaubt und ignoriert was das Zeug hält. Mensch hat den Eindruck es soll mit allen Mitteln verhindert werden, dass neue Personen dazukommen. Wir freuen uns nicht über neue Menschen, sondern verachten sie. Wir laden Sie nicht zu andere Aktionen ein oder interessieren uns nicht für ihre Motivationen. Anstatt Menschen langsam unsere Theorien näher zu bringen, setzten wir diese voraus. Mensch hat oft das Gefühl, dass: "Das schlimmste was passieren könnte, ist dass plötzlich ganz normale Menschen zu unseren Treffen hinzukommen und diese dann gar nicht mehr so geheim und cool sind".
Im Ernst wer hat schon mal probiert normal angezogene Freunde zur Küfa mitzunehmen? Die Wahrheit ist unser Aussehen und Sprache sind eintöniger als jede Museums-Gruppe. Sobald eine Person diese Eintönigkeit stört wird diese verächtlich, misstrauisch und im besten Fall paternalistisch/belehrend betrachtet.
Ich merke ich habe viele Themen angeschnitten die hier vlt. nur bedingt reingehören. Jeder Absatz könnte eigene Artikel beinhalten und aus ganz anderen Blickwinkeln beleuchtet werden. Ich finde nur das die Arroganz in vielen Zusammenhängen (Sprache, Theoriearbeit, Demonstrationen, Bekenner*innen-Texte usw.) oftmals auch unerwartet auftritt. Bei manchen Genoss*innen bestimmt sie teilweise deren gesamte politische Arbeit.
Wenn ihr kein Bock habt den gesamten Text zu lesen. Hier das wichtigste:
1. Seid einfach weniger arrogant! Jede Person soll sich selbst reflektierten und das Image als „coolste, härteste, realste, belesendste, reflektierteste, abgefuckteste ...“ schnellstens überdenken!
2. Redet so dass andere Personen sich trauen nachzufragen und zu kritisieren. Seid dann bei Nachfragen und Kritik nicht herablassend, auch wenn ihr diese schon mitgedacht habt.
3. Keiner unserer Texte sollte eine Profitmaximierung für Google sein. Sprecht einfach so dass jede Person euch versteht‘ohne googlen zu müssen.
4. Akzeptiert andere (linke) Theorien, Kleidungen, Sprechweisen und Aktionsformen. Linke Arroganz untereinander ist erbärmlich und dogmatisch.
5. Bindet neue Personen ein ohne herablassend zu sein. Ladet Menschen einfach unverfänglich zum nächsten Konzert, Mobivortrag, Plakatieren, Lesekreis oder Sport machen ein.
6. Kritisiert arrogantes Verhalten untereinander! Die gesamte Bevölkerung ist arrogant und jeder Mensch, auch ich bin oft arrogant. Wir müssen daher ständig versuchen dieses Verhalten zu unterbinden.
Ergänzungen
Danke für diesen Text. Sehr
Danke für diesen Text. Sehr erfrischend zum dem, was man sonst in der Linken erlebt.
Begriffe
Was ist denn mit Arroganz gemeint? Der Text spricht über ein Problem welches sehr vielschichtig ist und nicht mit dem Wort "Arroganz" erklärt werden kann. Man könnte eher sagen es gibt in der linken viele Auseinandersetzungen um Macht und persönlichen Freiraum-Individualismus und Identitätspolitik. Das mit Arroganz zu erklären ist komplett verkürzt und inhaltlich falsch. Generell ist die linke Szene viel toleranter als andere Gruppen in Gesellschaft. Es gibt immer wieder auch Leute die das anders sehen, aber man kann so rumlaufen wie man will und auch ordentlich gibt es überhaupt keine Probleme an crustige Orte zu gehen. Aber eine gewisse Extreme Einstellung, darauf kommt es an. Wer hat den Bock auf einem Hardcore Konzert mit irgendwelchen normal Kapitalisten abzuhängen oder die fünfte Gewaltdiskussion zu führen. Das kann ich total verstehen, das man Bock hat auf gleichgesinnte. Kritisch finde ich die zunehmende Identitätspolitik die sich als Opfer einer Mehrheit und wegen jedem bisschen diskriminiert und persönlich angegriffen ist. Der Beitrag Arroganz ist keine Waffe schlägt in Prinzip wieder in die gleiche Opfer Täter Kerbe. Man kann sich über persönliche Angriffe und Beleidigungen aufregen, aber ob Menschengruppen irgendwie antisozial, Arrogant oder sonstwas wirken ist ne subjektive Interpretation. Das passt in diese neue paranoide Welt von Menschen die alles auf sich beziehen. Vielleicht beantworten Menschen keine Fragen, weil sie kein Bock haben, weil sie Angst vor Spitzeln haben, oder sonstwas.