Video: Dortmunder Polizei versucht Dokumentation eines Einsatzes zu verhindern
In der Dortmunder Nordstadt kam es in der Nacht zu Samstag, den 14. Oktober, zu einem massiven Polizeiübergriff auf Menschen vor der Kneipe "Nordpol". Diese hatten eine polizeiliche Maßnahme beobachtet und filmisch dokumentiert, weil sie aufgrund von vorherigen Erfahrungen mit Polizeieinsätzen in der Nordstadt eine rassistische Kontrolle vermuteten. Die Polizei setzte unter anderem einen Diensthund ein, dessen Bisse eine Person verletzten. Die Polizei nahm vier Personen in Gewahrsam.
Anwohner*innen beschreiben in einem Statement die Geschehnisse wie folgt:
"In der Nacht auf Samstag, den 14. Oktober, ist auf der Münsterstraße ein Polizeieinsatz eskaliert. Eine bis dahin friedliche Menschenmenge wurde von Polizisten mit Schlagstöcken attackiert und ein Polizeihund in die Menge gehetzt. [...] Etwa 40 Personen hielten sich zu diesem Zeitpunkt dort auf und beobachteten die Maßnahme der Polizeibeamten. Zu keiner Zeit wurde in die Arbeit der Polizisten eingegriffen. [...] Polizeikräfte gingen bei ihrem Eintreffen ohne weitere Klärung der Lage und ohne Vorwarnung mit Schlagstöcken gegen die Zuschauer vor. Ein Hundeführer ließ seinen Diensthund los, der daraufhin in die Menge rannte, wahllos einen der Umstehenden anfiel und sich in seinem Arm verbiss.
Besonders aggressiv reagierten die Polizisten auf Menschen, die mit ihren Handys Aufnahmen von dem Hund und den Schlagstockeinsätzen machen wollten. Mehrere Beamte drohten Filmenden mit Schlägen, sollten sie nicht aufhören. Der vom Hund Attackierte und drei weitere Personen wurden von der Polizei in Gewahrsam genommen, die Bissverletzungen mussten im Krankenhaus behandelt werden. [...]"
Die Polizei war laut eigenen Angaben auf der Suche nach einem Tatverdächtigen, der an anderer Stelle jemanden mit einem Messer attackiert haben soll. Einen Bezug zu der Menschenmenge vor dem "Nordpol", wie in einigen Berichten nahegelegt wird, hatte diese Tat jedoch nicht. Der mutmaßliche Täter wurde in einer Wohnung an der Mallinckrodtstraße festgenommen.
Die in der Stellungnahme von Anwohner*innen erwähnten Drohungen gegen Menschen, die den Polizeieinsatz filmten, werden durch ein Video belegt, das uns ein*e Anwohner*in zur Verfügung stellte, und das einen Ausschnitt der Vorgänge vor dem "Nordpol" zeigt. Insbesondere versucht ein Zivilpolizist zu verhindern, dass dokumentiert wird, wie der Polizeihund mehrfach nach einer bereits am Boden liegenden Person schnappt. Der Mann läuft auf die filmende Person zu, droht mit einem Tonfa-Schlagstock, brüllt "Verpiss dich mit deiner Kamera!" und "Du darfst mich nicht filmen!". Auch ein weiterer Polizist, den Zeug*innen als ranghohen Beamten der Nordwache identifiziert haben, versucht, das Filmen zu unterbinden, indem er auf den filmenden Menschen zuläuft und ihn beiseite drängt.
Vor wenigen Tagen wurde die Kennzeichungspflicht für Polizeibeamte in NRW abgeschafft. Daher ist es in Zukunft noch wichtiger, möglicherweise rechtswidrige Einsätze der Polizei kritisch zu begleiten und zu kommentieren. Dies gilt besonders für die Dortmunder Nordstadt, in der es in der Vergangenheit immer wieder zu Polizeiwillkür gekommen ist.
Die Nordstadt als benachteiligtes Wohnviertel, das geprägt ist durch eine im Durchschnitt eher arme und oft auch migrantische Bewohner*innenschaft, steht häufig im Fokus polizeilicher Maßnahmen. Sowohl in den medialen Diskurs über die Nordstadt als auch in die damit korrespondierende polizeiliche Praxis sind Rassismus und Klassismus eingelassen. Die Lokalpresse und auch bundesweite Medien stilisieren die Nordstadt immer wieder als "Kriminalitätsschwerpunkt" und "sozialen Brennpunkt" hoch. Für die Polizei bildet die Nordstadt eine Art polizeiliches Sondergebiet, in dem regelmäßig Großrazzien stattfinden. Auch wenn die polizeilichen "Erfolgsmeldungen", die sich meist im Rahmen von ca. drei Gramm Gras und ein paar Gemüsemessern bewegen, eher gering sind, tragen diese Razzien dazu bei, die gedankliche Verbindung von "Nordstadt" und "Kriminalität" zu verfestigen und Anwohner*innen einzuschüchtern. Zudem geht die Polizei ständig und massiv gegen Klein-Dealer*innen vor. Da sie Racial Profiling nutzt, um mögliche "Tatverdächtige" zu identifizieren, geraten immer wieder völlig unbeteiligte Personen, die aus Sicht der Polizei nicht deutsch aussehen bzw. in ihr rassistisch gefärbtes Täter*innenschema passen, in meist recht unsanft und wenig bürger*innenfreundlich bis brutal durchgeführte Kontrollen.
Die Polizei fürchtet offenbar die Dokumentation ihres Einsatzes. Dafür hat sie Gründe, die mit ihrem Selbstverständnis und ihrer Medienstrategie zusammenhängen. Die Polizei betreibt eine aufwändige Pressearbeit, um sich in der Öffentlichkeit als korrekte und zuverlässige Kraft zum Schutz der Bürger*innen zu präsentieren. Unter den Tisch fällt dabei, dass Gewalt gegen Tatverdächtige und Personen, die im Weg stehen, gerade in der Nordstadt an der Tagesordnung sind. An einer Dokumentation solcher Vorkommnisse ist die Polizei nicht interessiert, da sie ihr Außenbild in Frage stellen.
Gerade weil die Polizei an der Aufklärung ihres Handelns kein Interesse hat, liegt es an engagierten Beobachter*innen, solche Vorfälle zu dokumentieren. Sie nehmen hier eine journalistische Funktion ein, die als Korrektiv zur oftmals unrechtmäßigen Gewalt der Polizei funktionieren sollte. Dass selbst ein hochrangiger, mit Leitungsfunktionen beauftragter Beamter dafür kein Bewusstsein hat, zeigt, wie tief das Gefühl der Unantastbarkeit im Apparat der Polizei verankert ist. Dabei sagt doch ein Sprichwort: Wer nichts Illegales tut, hat auch nichts zu befürchten...
Auch das Kneipenkollektiv des "Nordpol" hat inzwischen eine Stellungnahme veröffentlicht:
https://www.nrdpl.org/2017/10/pressemitteilung-zum-polizeieinsatz-in-der...