Hausbesetzung in Pamplona
Im Dezember 2015 begann in der Compañia Straße der Altstadt von Iruñea (Pamplona) ein neues Besetzungs-Projekt. Kurz danach beschloss die Vollversammlung der Besetzerinnen, den von der Stadtverwaltung vorgeschlagenen alternativen Standort in einer alten Villa am Rande des Altstadt zu akzeptieren. Ein knappes Jahr später wurde das neue Gaztexte-Jugendhaus Iruñea eröffnet. Gaztetxe ist ein baskischer Begriff der sich aus gazte (Jugend) und etxe (Haus) zusammensetzt. Im Namen nicht enthalten sind die Konzepte Besetzung und Selbstverwaltung, gerade das macht jedoch den Charakter all dieser besetzten Häuser aus, die es seit 30 Jahren in den vielen Orten des Baskenlandes gibt.
Weil sie rechtlich auf wackligen Füßen stehen und deshalb häufig geräumt werden, wechseln die Gaztetxes oft den Standort und das Personal. Das aktuell berühmteste Gaztetxe ist jenes in der Hauptstadt Gasteiz (Vitoria), das sich seit mehr als 25 Jahren gegen reaktionäre PP-Stadtverwaltungen behauptet und in der Altstadt von Gasteiz tiefe Wurzeln geschlagen hat. Weit über die baskischen Grenzen hinaus bekannt war die besetzte Fabrik Kukutza III in Bilbao-Rekalde, die nach 13 Jahren gemeinnütziger und solidarischer Arbeit im September 2011 von der Polizei brutal geräumt wurde.
Bereits zwischen 1992 und 1996 gab es in der Altstadt von Bilbo ein großes besetztes Haus, das jahrelang die Gegenkultur belebte. Aktuell ist noch das vor zehn Jahren besetzte Kulturzentrum Zazpi Katu (Sieben Katzen) in der historischen Altstadt zu finden, viermal wurde es geräumt, aber immer erneut besetzt – Katzen haben ja bekanntlich sieben Leben. Im Juli 2015 wurde das erste feministische Gaztetxe des Baskenlandes besetzt, unter dem Namen OihuK (baskisch: Schrei) im Kukutza-Stadtteil Rekalde, dieses Zentrum ist allein Frauen vorbehalten.
Aus Mangel an Treffpunkten und um der kommerziellen Freizeitgestaltung aus dem Weg zu gehen, organisieren sich linke Jugendliche im Baskenland seit Jahrzehnten, um alternative und selbstverwaltete Kulturzentren zu organisieren, die nicht nur der Jugend dienen, sondern häufig auch Bedürfnisse großer Teile der Nachbarschaft berücksichtigen. Erst in den vergangenen Jahren bekamen Gaztetxes auch als Wohnort eine Bedeutung, in der Regel sind sie Treffpunkte, die einen wichtigen Beitrag leisten zum kulturellen Angebot in Städten und Dörfern.
Die Wege, die bei Besetzungen von den Aktivgruppen beschritten werden, sind sehr unterschiedlich. In Sestao (Industriestadt nahe Bilbo) wurde 2014 das Verwaltungsgebäude eines ehemaligen Industriebetriebes besetzt. Sofort danach wurde damit begonnen mit der Stadt zu verhandeln, mit dem Ergebnis, dass die christdemokratische Stadtverwaltung bereit ist, das Projekt zu dulden unter der einzigen Bedingung, nur drei der sechs Stockwerke zu besetzen – Txirbilenea heißt das Projekt an der Bahnlinie neben dem alten Hochofen. Entscheidend bei der Respektierung von Interessen von jungen Leuten ist nicht zuletzt die politische Farbe der jeweiligen Stadtverwaltungen und der Bürgermeister(innen). In der Küstenstadt Ondarroa zum Beispiel musste gar nicht zum Mittel der Besetzung gegriffen werden, die linke Stadtverwaltung stellte der Ortsjugend am Fluss einen Raum zur Selbstverwaltung zur Verfügung. Als ältestes Gaztetxe gilt das Projekt im bizkainischen Larrabetzu, das 2015 auf 50 Jahre zurückblicken konnte. Dass der Ursprung von 1965 im Franquismus liegt erklärt sich daraus, dass der ursprüngliche Raum von der Kirche zur Verfügung gestellt wurde und sich in späteren Epochen halten konnte.
Iruñeako Gaztetxea
Sergio Salinas ist einer aus der Gruppe, die das neue Iruñea-Gaztexte in Pamplona aufbauen. Seine erste Erfahrung mit Besetzuung machte er 1994 beim ersten Versuch der Polizei, das damalige Gaztexte „Euskal Jai“ zu räumen. „Dieser Angriff hatte zur Konsequenz, dass sich viele eingemischt haben“, erinnert er sich. „In der ganzen Stadt war dicke Luft. Ich war für Aktion, ziemlich praktisch, ich denke, zu Beginn eines Projekts ist das attraktiv“, dabei vergisst er dennoch nicht die unendlichen Diskussionen bei den Vollversammlungen. Marc Fernandez wurde in Katalonien geboren, er erinnert sich, wie er und seine Freunde in ihrer katalanischen Heimat das Video sahen von der definitiven Räumung des Euskal Jai. Ohne vorherige politische Erfahrung begannen sie danach, auch in ihrem Ort Lokale für Jugendliche zu fordern. „Nach und nach wachsen Bewusstsein und Engagement“, sagt der heute in Iruñea lebende Aktivist des neuen Gaztetxe.
Die Organisierung des neuen Projekts begann kurz vor dem Regierungs-Wechsel in den Institutionen der Hauptstadt Pamplona und der Region Navarra. In jenem Moment mischte sich auch Saioa Alonso ein. Zusammen mit anderen sah sie die Notwendigkeit eines selbstverwalteten Raumes, der den Bedürfnissen und Notwendigkeiten vieler junger Leute entsprechen sollte. Im Mai 2015 begannen die Vorbereitungen, die im Dezember zur Besetzung eines leer stehenden Gebäudes in der Compañia-Straße der Altstadt führten. Nach der Besetzung bot die neue linke Stadtverwaltung als Alternative die Villa Caparroso an – nach ausführlicher Diskussion nahm die Gaztetxe-Vollversammlung das Angebot an.
Die drei genannten Aktivistinnen bezeichnen den bisher erlebten Prozess als „lang und schwierig“. Marc hebt hervor, „dass einige Politikerinnen zwar guten Willen zeigen, gleichzeitig aber übergeordneten Strukturen unterliegen, die sie begrenzen“. Um weitere Schritte nach vorne zu machen, sieht er deshalb die Notwendigkeit, von Seiten der Volksbewegung „Ungehorsamkeit“ zu zeigen. Die Aktivistinnen sagen nicht, dass Besetzung die beste Option sei, vielmehr hänge alles von den Bedürfnissen ab, von den Fähigkeiten und von den Zielen. In diesem Fall sei es allerdings der beste Weg gewesen. Zur Vollversammlung gehören junge Leute ohne finanzielle Mittel. Sich um die Finanzierung eines Zentrums zu konzentrieren und das Geld für eine eventuelle Miete auftreiben zu müssen, hätte eine starke Begrenzung für das Projekt bedeutet. „Ein weiterer Grund ist, dass ein Gaztetxe ein befreiter Raum sein muss, frei von jeglichen Machtbeziehungen, von den ungerechten Gesetzen des aktuellen Systems“.
Auf die Frage nach den Vorteilen eines selbstverwalteten Raumes, der über eine Versammlung organisiert wird, im Vergleich zu einem institutionellen Raum ist die Antwort klar: „nur Vorteile“. Vor allem aus zwei Gründen: „Wenn wir innerhalb bestimmter administrativer Grenzen agieren müssen, bremst das die Möglichkeiten des Selbstorganisation; zweitens bindet ein selbstverwaltetes Konzept mehr Personen“. Die Aktivistinnen wissen dass es schwierig ist, ein solches Projekt über eine Vollversammlung zu organisieren, denn „von klein auf wurden wir daran gewöhnt, anders zu funktionieren“, deshalb sieht Sergio Salinas im Projekt auch eine „Lern-Funktion“.
Saioa betrachtet als Ziel des Gaztextes unter anderem, „die Jugendbewegung zu aktivieren und voranzutreiben“. Deshalb wurden verschiedene Arbeitsgruppen gegründet, um Alternativen zu schaffen. Bereits im ersten Sitz in der Compañia-Straße wurde mit Euskara-Klassen begonnen. Gleichzeitig wurde eine feministische Arbeitsgruppe eingerichtet. Nach und nach sollen weitere Bereiche dazukommen. Vorerst wird mit allen Kräften daran gearbeitet, den Raum so schnell wie möglich nutzbar zu machen. Saioa erzählt von Filmvorführungen, die im Sommer jeweils am Mittwoch stattfanden. Freitag ist der Tag der „Pintxopotes“, wenn zum Imbiss durch die Altstadt gezogen wird. Bei der Renovierung helfen alle, die bereit sind zur Nachbarschaftsarbeit.
Eine Vorstellung ist, einen transparenten Raum zu schaffen, in dem eine große Zahl von Personenen Kultur- und Freizeit-Aktivitäten nachgehen kann. „In der gesamten Altstadt gibt es heutzutage keinen solchen Raum“. Daneben soll es eine Volksküche geben und einen Raum für Sport und Theater. Sergio hat die Vorstellung, eine Theatergruppe zu gründen und darüber Events zu organisieren. Gemeinsam hoffen die drei, dass das Gaztexte im Stadtteil gut integriert wird. „Wenn jemand eine konkrete Idee hat und einen Raum benötigt, hier stehen die Türen offen“. Die Tatsache, dass es keine Wohnhäuser in der Nähe gibt, erleichtert es, das eine oder andere Konzert zu organisieren. Gleichzeitig wird es jedoch aufgrund fehlender Nähe schwieriger, die Nachbarschaft zu integrieren und zur Teilnahme zu bewegen.
Besetzungs-Erfahrung
Es ist nicht die erste Situation, in der Iruñea-Pamplona eine Besetzung erlebt. Nach der Besetzung des Gaztetxes Euskal Jai im Jahr 1994 propagierte die Iruñerriko Gazte Asanblada (IGA – städtische Jugend-Versammlung) ein Gaztetxe pro Stadtteil. Diese Forderung wurde nach der Räumung des Euskal Jai im Jahr 2004 erneuert. Kurz nach der Räumung wurde zwei Tage lang eine damals entweihte Kirche besetzt. Dort befindet sich heute eine Pilger-Herberge der Kirche. Eine weitere Besetzung folgte, im Jahr 2007 wurde versucht den Palast Marqués de Rozalejo zu besetzen.
Marc geht davon aus, dass sich der Charakter der Besetzungsversuche nach 2008 aufgrund der sogenannten „Wirtschaftskrise“ verändert hat. 2011 wurde während eines Generalstreiks ein Häuserblock in der Amaia-Straße symbolisch besetzt, von dort startete eine große Streikdemonstration. Kurz darauf wurde im Stadtteil Errotxapea erfolglos eine Besetzung einer leerstehenden Textilfabrik versucht. Marc meint, der Zweck der Block-Besetzung sei nicht die Nutzung gewesen, sondern eine gesellschaftliche Anklage, mit der der immer aggressivere Kapitalismus gebrandmarkt werden sollte. Im Jahr 2012 schließlich wurde für einige Tage am Castillo-Platz besetzt.
(Vollständig: http://www.baskultur.info/kultur/tradition/334-gaztetxe-pamplona)