Freiheit für Rafael Braga!
Rafael Vieira Braga ist ein junger, armer Schwarzer, der bis Juni 2013 sein Geld damit verdiente, recyclebares Material in den Straßen des Zentrums von Rio de Janeiro zu sammeln. Er lebte vor allem auf der Straße und kehrte nur gelegentlich zu seinem Haus in Vila Cruzeiro zurück, wo er mit seinen Eltern und Geschwistern wohnte, um nicht zu viel Geld auszugeben. Am 20. Juni änderte sich die Routine Rafael Bragas.
An diesem Tag fand in Rio de Janeiro die größte aller Demonstrationen gegen den Preisanstieg des öffentlichen Busverkehrs statt. Nachdem die Demonstration sich auflöste, wurde Rafael Braga, damals 25 Jahre alt, in der Rua do Lavradio, Lapa, verhaftet, als er an einem verlassenen Haus ankam, in dem er manchmal schlief. Rafael Braga hatte nicht an der Demonstration teilgenommen und führte zwei Plastikflaschen bei sich, die Desinfektions- und Putzmittel Pinho Sol und Água Sanitária. Auf der Polizeiwache legten ihm die Polizist*innen die Flaschen geöffnet und mit Lumpen gefüllt vor. Ihm wurde vorgeworfen, explosives Material bei sich geführt zu haben: Molotowcocktails.
Rafael verbrachte bis zu seinem Urteil fünf Monate in der Strafanstalt von Japeri und wurde von einem öffentlichen Anwalt verteidigt. Am 23. September reichte sein Verteidiger einen Antrag auf Bewährung ein, der durch den Richter des 32. Strafgerichtshofes am vier Tage später abgelehnt wurde. Am 2. Dezember 2013 wurde Rafael Braga zu 5 Jahren und 10 Monaten Gefängnis verurteilt und ein paar Tage darauf in die Strafanstalt Bangu 5 verlegt. Aus dem Bericht der Bombenschwadrone der Zivilpolizei ging hervor, dass Rafael Braga Reinigungsmittel bei sich führte, die nur sehr unwahrscheinlich als Molotowcocktails hätten fungieren können.
Einige Zeitungsartikel berichteten über die Verurteilung Rafael Bragas. Aktivist*innen, Militanten und Kollektiven wurde bewusst, dass er immer noch im Gefängnis saß. Daraufhin übernahm das Menschenrechtsinstitut Instituto dos Defensores de Direitos Humanos (DDH) seine gerichtliche Verteidigung. Gleichzeitig begannen einige Kollektive und Aktivist*innen sozialer Bewegungen, sich zu artikulieren, um den Fall Rafael Braga bekannt zu machen und ihm zu helfen.
Nachdem der Fall aufgenommen wurde, ging das DDH in Berufung. Am 26. August 2014 beschloss die dritte Strafkammer des Gerichtes Rio de Janeiros, dass Rafael Braga weiterhin in Haft bleibt. Sein Strafsatz wurde nur um vier Monate reduziert. Vom 25. August bis zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung am darauffolgenden Tag wurde vor dem Gerichtsgebäude eine Mahnwache abgehalten.
Im Oktober 2014 kam Rafael Braga in den halboffenen Vollzug und ihm wurde gestattet, das Gefängnis zum arbeiten zu verlassen. Nach einigen Bemühungen konnte ihm das DDH einen Job in einem Anwaltsbüro vermitteln. Im November 2014 erhielt Rafael eine Strafte, nachdem einer seiner Anwälte ein Foto von ihm postete. Auf dem Bild stand er vor einem Graffiti, auf dem stand: „Du siehst nur von links nach rechts, der Staat zermalmt dich von oben nach unten“. Der Anwalt hatte das Foto auf dem Rückweg ins Gefängnis nach einem Tag Arbeit gemacht. Rafael verbrachte ungefähr einen Monat in Einzelhaft. Nachdem er einige Strafen erhielt und nicht mehr im halboffenen Vollzug war, wurde er am 1. Dezember 2015 aus dem Gefängnis entlassen, aber weiterhin durch eine Fußfessel überwacht.
Er zog zurück zu seiner Familie nach Cascatinha, Vila Cruzeiro. Am 12. Januar 2016 ging Rafael Braga morgens auf Wunsch seiner Mutter, Adriana, zur Bäckerei. Auf dem Weg wurde er von Polizist*innen der „Befriedungspolizei“ UPP angesprochen. Sie sagten ihm, dass er in den Drogenhandel involviert sei und verlangten die Herausgabe von Informationen und dass er ihnen gegenüber bestätigt, kriminell zu sein. Auf dem Weg zur Polizeiwache wurde er geschlagen und ihm wurde Vergewaltigung angedroht, falls er nicht zugäbe, am Drogenhandel beteiligt zu sein.
Die Militärpolizei lastete ihm auf der Wache ein Kit mit 0,6 Gramm Marihuana, 9,3 Gramm Kokain und einem Feuerwerkskörper an. Seit Januar 2016 wird Rafael Braga für Drogenhandel, Assoziation mit dem Drogenhandel und die Zusammenarbeit mit dem Drogenhandel verantwortlich gehalten.
In den Monaten April, Mai und Juni 2016 gab es an drei verschiedenen Tagen Anhörungen. An diesen Tagen wurden die Militärpolizist*innen, die Rafael Braga ansprachen, Rafael Braga selbst und Zeug*innen der Verteidigung angehört. Während der Anhörungen widersprachen sich die Militärpolizist*innen mehrmals untereinander darüber, wer zum Zeitpunkt der Verhaftung an der Station das Kommando hatte. Die Verteidigung des DDH erbat während dieser Anhörung fünf Dinge: Das GPS der Fußfessel, den Namen des Ingenieurs und der Ingenieursfirma, die die Militärpolizist*innen laut Eigenaussage an diesem Tag in der Favela eskortiert hatten, die Bilder von den inneren und äußeren Kameras des Fahrzeuges und die Kamerabilder der UPP. Der verantwortliche Richter verweigerte alle Anfragen und schickte den Fall an die Staatsanwaltschaft, wo der Prozess auf die finalen Anschuldigungen von Verteidigung und Anklage wartete.
Am 20. April 2017, nachdem die Vorwürfe veröffentlicht wurden, verurteilte der Richter Rafael zu einer 11 Jahre langen Gefängnisstrafe für Drogenhandel und die Assoziierung mit dem Drogenhandel. Die Anwält*innen werden in Berufung gehen.