Christopher Street Day Freiburg
Nach über 10 Jahren findet in Freiburg erstmals wieder ein Christopher Street Day (CSD) statt. Vom 11.-13. Juli gibt es diverse Veranstaltungen in Erinnerung an die Aufstände Homo- und Transsexueller in der New Yorker Christopher Street im Jahr 1969.
Der CSD ist ein Festtag an dem schwule, lesbische, bisexuelle, trans*, inter* und queere Menschen ihrem Leben mit Kultur, Tanz, Musik und Paraden selbstbewusst eine Stimme geben. Zugleich ist der CSD aber auch ein Kampftag für all diese Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Identität weltweit Gewalt und Verfolgung erfahren. Diese Gewalt reicht von der Todesstrafe für Homosexualität beispielsweise in Saudi Arabien bis zur Diskriminierung Transsexueller in Deutschland. Gewalt die dann beginnt wenn schwul als Schimpfwort gebraucht wird und damit endet, dass die Selbstmordrate von homosexuellen Jungen in Deutschland bis zu 7mal höher ist als bei anderen Gleichaltrigen.
Solange Menschen Diskriminierung und Gewalt erfahren, solange ist der Christopher Street Day notwendig um unseren Forderungen Ausdruck zu verleihen. In diesem Sinne werden wir am CSD zusammen feiern und kämpfen. Wir leben wie wir wollen und wir lieben wen wir wollen.
Pressemitteilung zum CSD 2014 in Freiburg im Breisgau
CSD-Freiburg gegen Homo- und Transphobie. Diskriminierung stoppen. Ausgrenzung beenden. Gewalt verhindern. Liebe leben.
Die Aufstände in der Christopher Street 1969 sind ein Symbol für die Versuche Homo- und Transsexueller sich gegen die staatliche Unterdrückung ihres (Liebes)Lebens zur Wehr zu setzen. Die Auseinandersetzungen stellen eine Art Zäsur in der öffentlichen Wahrnehmung des Widerstands gegen heteronorme Machtverhältnisse da - Machtverhältnisse die in der Verfolgung und Ermordung Homosexueller eine historische Kontinuität haben.
In Deutschland gipfelte diese im Nationalsozialismus, wo die Verschärfung des §175 dazu führte, dass tausende Homosexuelle in Konzentrationslager verschleppt wurden und damit dem Naziterror zum Opfer fielen (1). Seither wurde viel erkämpft, der §175 der sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte wurde 1994 endlich endgültig abgeschafft (2). Und obwohl Homo-, Bi-, Inter- und Transsexuelle und Transgender* in Deutschland nicht mehr verfolgt werden, kann von einer wirklichen Gleichberechtigung in allen gesellschaftlichen Bereichen keine Rede sein. Von staatlicher Seite wird noch immer diskriminiert, was nicht der Heteronorm entspricht. So werden homosexuelle Paare rechtlich anders behandelt und sie haben nicht in gleichem Maße das Recht Kinder zu adoptieren wie heterosexuelle. Transsexualität ist per Transsexuellengesetz und im ICD10 (3) als psychische Krankheit definiert (4). Transsexuelle Menschen und Transgender*-Personen gelten entgegen ihrer Selbstdefinition als "geschlechtsidentitätsgestörte Frau oder Mann" und damit als kranke, behandlungsbedürftige Menschen. Ihnen wird also vom Staat nicht zugestanden, ihre Geschlechtsidentität selbst zu bestimmen, auch außerhalb des binären Geschlechtsverständnisses.
Aber nicht nur von Seiten des Stastes gibt es in Deutschland Handlungsbedarf. Die aktuelle Debatte um den Bildungsplan in Baden-Württtemberg zeigt, wie rechtes Gedankengut gepaart mit religiösem Fanatismus dazu führen, dass Menschenfeindlichkeit und Antihomohetze wieder einen Nährboden finden. Dass die Selbstmordrate von schwulen Jungs bis zu siebenmal höher ist als bei anderen Gleichaltrigen (5) (6) wird kaum registriert oder wird gar als Beleg für deren Problematik angesehen. Vielmehr propagieren rechte und rechtspopulistische Gruppen, religiöse und sogenannte konservative Bürger*innen den Untergang der Menschheit, nur weil laut neuem Bildungsplan künftig in Schulen vermittelt werden sollte, dass es mehr gibt als Mann und Frau und die Liebe in der Hetero“normalität”.
In allen gesellschaftlichen Bereichen werden wir damit konfrontiert, dass es normal sei heterosexuell zu sein, inklusive einem Wust sexistischer Rollenbilder die Mann und Frau zu erfüllen haben. Diese Themen betreffen alleine in Deutschland hunderttausende Menschen. Umfragen zufolge wagt es aber gerade einmal jede*r vierte Homosexuelle offen zu seiner Sexualität zu stehen (7). Das heißt, dass es nur ein Bruchteil der Menschen schafft ihre Sexualität oder Liebe zu leben und die überwiegende Mehrheit von Homosexuellen ein unerträgliches Versteck- spiel oder Doppelleben führen müssen, was für den Profifußball ebenso gilt wie für alle anderen Lebensbereiche. Bei transsexuellen Menschen liegt die Dunkelziffer derer die versteckt leben noch höher. So führt gerade die Angst vor Ausgrenzung und Gewalt dazu, dass es kaum möglich ist die Anzahl der “sexuell anderen” realistisch zu benennen. Sicher ist, dass es Homo-, Bi-, Inter-, Transsexuelle, Transgender* und queere Identitäten schon immer gab und auch künftig in allen Gesellschaften und Kulturen geben wird.
Menschen zu verfolgen und sie durch religiösen oder staatlichen Eifer zu ermorden oder zu unterdrücken, zementiert lediglich Machtstrukturen die alle Menschen am Leben hindert, die die Norm der Heterosexualität nicht erfüllen. Homo- und Transsexuelle müssen fliehen und ihre Familien verlassen, weil es noch immer Staaten gibt in denen ihnen lediglich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung die Todesstrafe droht. Diese Dramatik wird dadurch noch verschärft indem Länder wie Deutschland mit genau solchen Regierungen beziehungsweise Regimen zusammenarbeiten und im diplomatischen Eiertanz keine klaren Worte finden. Und die Gesetzeslage gegen sogenannte sexuelle Minderheiten verschärft sich weiter, wie beispielsweise in vielen afrikanischen Staaten (8) (9) oder auch in Indien (10) und Russland (11).
Staatliche Verfolgung und religiöse Hetze sind Wasser auf die Mühlen von reaktionären, rechtsextremen und konservativen Kräften, was dazu führt, dass zum Beispiel im Jahr 2014 in Russland Neonazis Kopfprämien für die Ermordung von Homosexuellen zahlen. In vielen Ländern werden Webseiten gesperrt in denen das Wort “GAY” auftaucht (12). Die großen Religionsgemeinschaften treiben Homophobie und die Ausgrenzung von Homosexuellen weltweit voran. Die psychischen und physischen Folgen für die Betroffenen sind katastrophal. Es stimmt, dass in den vergangenen Jahrzehnten viel erkämpft wurde und es positive Entwicklungen für sogenannte sexuelle Minderheiten gab; und trotzdem sind die derzeitigen Zustände in Deutschland nicht akzeptabel. Weltweit sind sie unerträglich.
Der Christopher Street Day ist ein Gedenk- und Festtag an dem wir auf die Straßen gehen. Ein Tag an dem wir unser Leben in die Öffentlichkeit tragen. Ein Tag an dem wir Gleichberechtigung für ALLE fordern. Ein Tag von 365 Tagen im Jahr. Der CSD ist ein Tag an dem wir allen Opfern von Homophobie und Sexismus gedenken. Ein Tag an dem wir feiern und an dem wir kämpfen; für eine Welt in der Ausgrenzung und Diskriminierung keinen Platz mehr haben. Wir haben genug von politischen Sonntagsreden und falscher Toleranz. Wir fordern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit LSBTTIQ-Themen auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen. Mit der ersten CSD-Demonstration in Freiburg seit über 10 Jahren verleihen wir unseren Forderungen auch im Süden Deutschlands Nachdruck.
• Wir fordern eine Offenlegung und das Ende jeglicher Gewaltanwendungen gegen Menschen aufgrund deren Abweichung von der Heteronorm. Damit verbinden wir auch das konsequente Vorgehen gegen nationalistische, rechtsextreme und religiöse Propaganda.
• Wir fordern die Unterstützung von Menschen die Aufgrund ihrer körperlichen Ausprägung oder ihrer sexuellen Neigung fliehen mussten; Bleiberecht für alle und das Ende der Residenzpflicht für Flüchtlinge.
• Wir fordern ein sofortiges Ende der Lohndiskriminierung von Frauen in Deutschland inklusive der Verbrei- tung sexistischer Rollenbilder und patriarchaler Machtvorstellungen.
• Wir fordern die sofortige und ersatzlose Streichung der Kategorie “Geschlechtsidentitätsstörung” aus dem gängigen Krankheitskatalog ICD und somit ein sofortiges Ende der Transpathologisierung in Deutschland.
• Wir fordern die völlige Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften, inklusive des vollen Adoptionsrechts.
• Wir fordern die Anpassung der Bildungspläne an queere Lebensrealitäten, frei von religiösdominierten, heteronormen und sexistisch geprägten Machtstrukturen.
• Wir setzen uns ein für einen gemeinsamen Kampf für die Rechte ALLER, unabhängig welcher sozialer, kultureller oder geografischer Herkunft, Fähigkeiten, körperlicher Ausprägungen oder sexueller Orientierung.
• Wir wünschen uns mehr Solidarität innerhalb emanzipatorischer sozialer Bewegungen, weil Diskriminierungsformen miteinander verschränkt sind.
In diesem Sinne sehen wir uns auf den Straßen und in allen anderen Bereichen des Lebens. Wir feiern zusammen, wir lachen, weinen, arbeiten, faulenzen, freuen uns und streiten miteinander.
WIR LEBEN WIE WIR WOLLEN UND WIR LIEBEN WEN WIR WOLLEN.
Deshalb rufen wir alle Menschen dazu auf, sich an den Veranstaltungen des CSD-Freiburg und insbesondere an der Demonstration am Samstag, den 12. Juli 2014 zu beteiligen.
Weitere Informationen finden sich unter http://csd.blogsport.de/.
Orgateam des Freiburger CSD 2014
Fußnoten:
(1) http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/ 7808/2010-03-08-Die-nationalsozialistische-Homosexuellenverfolgung
(2) http://www.tagesspiegel.de/politik/gleichberechtigung-fuer-homosexuelle-... schande/9590732.html
(3) http://www.who.int/classifications/icd/en/GRNBOOK.pdf
(4) http://atme-ev.de/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog...
(5) http://www.coming-out-day.de/informationen/fakten.html
(6) http://www.freitag.de/autoren/cyterion/suizidversuch-bei-jedem-fuenften-...
(7) http://www.sueddeutsche.de/leben/studie-zu-homosexuellen-in-europa-nur-j...
(8) http://www.zeit.de/politik/2014-02/uganda-homosexualitaet-diskriminierung
(9) http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/homosexualitaet-in-afrika-von-dul... ablehnung/9569520.html
(10) http://www.spiegel.de/panorama/justiz/gerichtsurteil-in-indien-ist-homos...
(11) http://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-putin-segnet-gesetz-gegen...
(12) http://en.wikipedia.org/wiki/Internet_censorship_by_country