Stellungnahme zu Nazi-Chats in der Polizei in Essen und NRW

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Abstract: 

Am 16. September wurde bekannt, dass es in der Polizei Essen/Mülheim 30 Verdachtsfälle „rechtsextremer“ Umtriebe gibt. Am 24.11 wurden bei erneuten Razzien weitere Beteiligte ermittelt. Laut Innenministerium gibt es in NRW seit 2017 191 „Verdachtsfälle“ von „Extremismus“ („Linksextreme“ werden darunter nicht sein).  Die betreffenden Polizist*innen sollen in Chatgruppen Gewaltphantasien und NS-verherrlichende Bilder geteilt haben. Für uns als Linksradikale ist das keine Überraschung. Wir, die diesen bewaffneten Organen der Staatsmacht regelmäßig auf der Straße gegenüber stehen, die regelmäßig mit bekommen, wie migrantisierte Menschen von dieser Polizei behandelt werden (auch wenn viele von uns nicht im selben Ausmaß betroffen sind wie diese) machen uns keine Illusion über den Charakter der deutschen Polizei. Wir wissen, dass die Polizei als Institution ganz bestimmte Sozialcharaktere anzieht: Die autoritären, die rassistischen, sexistischen und sonst wie menschenverachtenden nämlich. Wir wissen auch, dass die Polizei hauptsächlich damit betraut ist, ein Gesellschaftssystem aufrecht zu erhalten, dass Herrschaft, Ausbeutung, Rassismus und Gewalt beinhaltet und dass sie darum als Institution auch abstrakt niemals auf der richtigen Seite stehen kann.
Insbesondere in Essen war dies bereits in den Monaten vor der Enttarnung der Nazi-Chats zu beobachten: Mehrere Fälle von brutaler Polizeigewalt, z.B. gegen Omar Ayoub und seine Familie, gegen eine Familie nigerianischer Herkunft, welche eine gestohlene Handtasche auf der Polizeiwache anzeigen wollte, oder die Erschießungen von Adel B. und Mikael Haile sind hier beispielhaft zu nennen. Hinzu kommt die alltägliche Gängelung migrantisch markierter Stadtteile wie Essen Altendorf oder die nördliche Innenstadt, die als migrantische Treffpunkte gelten und von polizeilichen Maßnahmen überzogen werden, welche vor Allem unter dem Deckmantel der Bekämpfung von “Clankriminalität” ablaufen und mit Gentrifizierungsabsichten von Seiten der Stadt zusammen fallen (Siehe dazu auch folgende Studie von Forscher*innen der Uni Duisburg Essen: gh.copernicus.org/articles/75/23/2020/). Betroffene haben uns im Zuge dessen immer wieder von racial profiling berichtet, auch wir selbst sind mehrfach Zeugen offensichtlich rassifizierter Kontrollen geworden. Durch die ständige Polizeipräsenz, Razzien, Kontrollen usw. wird nicht nur praktisch das Leben der Betroffenen erschwert oder gar bedroht (siehe die Morde an Adel B. und Mikael H.), die mediale und behördliche Generalisierung aller nicht-Weißen in den betreffenden Vierteln zu vermeintlich schwer kriminellen „Clans“ verankert rassistische Bilder und Zuschreibungen auch in weiten Teilen der Bevölkerung. Die Folgen davon ließen sich vor einigen Monaten in Hanau beobachten, wo ein deutscher Rassist in einer Shishabar um sich schoss und 10 Menschen ermordete. Die Feindmarkierung von Shishabars und anderen migrantisch markierten Treffpunkten, die auch den Mörder von Hanau zu seiner Tat trieb, wird in Essen von Politik, Polizei und nicht zuletzt der lokalen Tagespresse (WAZ) bereits seit einigen Jahren konsequent betrieben.
Wir haben, gemeinsam mit Freund*innen, Genoss*innen und Betroffenen in den letzten Monaten versucht, auf diese mörderischen Zustände aufmerksam zu machen. Die einzigen Reaktionen darauf waren Repression der Staatsgewalt, Verächtlichmachung und Verunglimpfung in der WAZ und eine bedingungslose Solidarisierung der Politik mit der Essener Polizei.
Es ist daher bezeichnend, dass der Skandal um die Essener Polizei nun wegen des Versendens von Hitlerbildchen ins Rollen kommt und nicht etwa wegen der Gewalt gegen BPOC oder Linke. Es ist in diesem Land offenbar schlicht so, dass einzig wer sich offen zu Hitler bekennt, als rechtsextrem gilt. Und wer den Propagandisten, den Politiker*innen und Journalist*innen in diesem Land zuhört, der weiß auch schnell warum. Offen Hitler und den NS verherrlichende Polizisten machen es sowohl nötig als auch möglich, die Lieblingslüge dieses Staates zu verteidigen:
Die nämlich, dass das wiedergutgewordene Deutschland, das Land der Aufarbeitungsweltmeister, nicht trotz, sondern wegen Auschwitz das moralischste, demokratischste und beste aller Länder sei, weshalb Rechtsextremismus oder Rassismus, gar noch institutionalisiert oder strukturell, hier gar nicht existieren könnten.
30 Jahre nach der Wiedervereinigung sonnt man sich also wieder im Glanz der moralischen Überlegenheit der deutschen Nation und gibt sich gerade deswegen einstweilen mit dem rassistischen Normalvollzug der deutschen bürgerlichen Demokratie zufrieden, der die alltägliche Diskriminerung Marginalisierter und bspw. das massenhafte Sterben an den EU-Außengrenzen mit sich bringt. Da passt es dann auch gut ins Bild, dass die WAZ längst das größte Problem in der aktuellen Debatte darin ausmacht, dass nun „gewisse Zeitgenossen“ mit der „Rassismuskeule“ die Autorität der deutschen Polizei untergraben wollen. Dass sich rassifizierte Menschen mit dieser Polizei nicht im Geringsten sicher fühlen können, ist für die Volksgenossen von der WAZ nicht mal im Rahmen des Denkbaren, sie spielen im Weltbild dieser Besserdeutschen sowieso keine Rolle. Die Meinungsverschiedenheit zwischen denjenigen, die schon jetzt offen nach dem Führer rufen und jenen, die diesen Ruf für eine „Schande“ (Zitat Frank Richter, Polizeichef in Essen) halten, ist die alte Meinungsverschiedenheit darüber, ob sich das Totschlagen der „Anderen“ jetzt schon auszahlt oder ob es, wenn es allzu maßlos wird, nicht doch negativ auf die ehrbare deutsche Nation und ihre Vertreter zurückfällt. Darum gibt es in dieser Debatte keine tatsächliche Solidarität mit all jenen, die ermordet wurden und es in Zukunft werden. Und darum fällt es diesen Leuten auch überhaupt nicht schwer, auf der einen Seite das „Ausländer raus“ der Faschisten zu verurteilen, während sie selbst die rassistische Gängelung ganzer Stadtviertel in Auftrag geben und ausführen und Abschiebungen organisieren. Dementsprechend hat auch keiner der Innenminister*innen und Polizeichef*innen, weder NRW-Innenminister Reul noch Essens Polizeichef Richter, etwas davon gemerkt bzw sich dafür interessiert, dass hier astreine Nazis in ihren Behörden arbeiten. Schließlich sind sie nach wie vor auf die rassistische Prügelknaben angewiesen, denen sie selbst jahrelang beigebracht haben, dass die gute deutsche Gesellschaft von den Anderen, den Nicht-Weißen, Migrantisierten bedroht wird. Es ist von daher kein Wunder, dass gerade diese Polizisten einen Schritt weiter gehen und nach dem Führer rufen, der ihnen endlich freie Hand gibt, mit eben jenen mal aufzuräumen, statt sich im Auftrag der Demokraten, der Richters und Reuls, noch ein kleines bisschen zurück zu halten, um Demokratie und Ansehen des Staates nicht zu gefährden. Dass aber gerade Rechtsstaat und Demokratie für die nationale Sache allemal aufgegeben werden können, wenn es Kapital und Volksmob nur genug wollen, zu Gunsten des dann hemmungslosen Massenprogroms, ist historisch, zumal in Deutschland, längst bewiesen. Die Richters und Reuls werden, wenn es der deutschen Sache dann auch in ihren Augen dient, dem nichts entgegensetzen. Das ist die Quintessenz des Deutsch-Seins, ob in der moralisch überlegenen, besserdeutschen Variante der heutigen Verfassungspatrioten oder in der Variante derer, die bereits jetzt wieder „Heil Hitler“ rufen und in diesem Land wie eh und je Polizist*innen, Richter*innen oder Staatsanwält*innen sind.

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