Erfreuliche Diskussion zum „Wutwinter“
Auf Tueinfo.org sind zuletzt zwei (typische) Texte erschienen, die sich mit linken Positionen und Handlungsoptionen bei bevorstehenden sozialen Protesten beschäftigen.
Kommende soziale Kämpfe – auch in Tübingen?
Es droht die Diffamierung legitimen Protests
Obwohl v.a. der zweite Text deutliche Kritik am ersten übt und eine Art Gegenposition einzunehmen scheint, gefallen mir beide gut. Es folgt eine Kritik an beiden Texten in Form von Thesen – was den Vorteil hat, dass sie sich (einzeln) diskutieren lassen und Widerspruch zur einen nicht reflexartig Widerspruch zur nächsten oder diesem ganzen Text hervorrufen muss. Sie soll damit auch ein Beitrag zu einer linken Debattenkultur sein, die wir uns wieder verstärkt aneignen sollten.
...Auf Tueinfo.org sind zuletzt zwei (typische) Texte erschienen, die sich mit linken Positionen und Handlungsoptionen bei bevorstehenden sozialen Protesten beschäftigen. Obwohl v.a. der zweite Text deutliche Kritik am ersten übt und eine Art Gegenposition einzunehmen scheint, gefallen mir beide gut. Es folgt eine Kritik an beiden Texten in Form von Thesen – was den Vorteil hat, dass sie sich (einzeln) diskutieren lassen und Widerspruch zur einen nicht reflexartig Widerspruch zur nächsten oder diesem ganzen Text hervorrufen muss. Sie soll damit auch ein Beitrag zu einer linken Debattenkultur sein, die wir uns wieder verstärkt aneignen sollten...
Zum ersten Text:
- Die „kommenden sozialen Kämpfe“ sind aktuell noch eine Projektion, basierend auf Narrativen der extremen rechten und der Regierung gleichermaßen. Linke sollten sich vielleicht davor hüten, extreme Szenarien der Verelendung („massive Verarmungen“, „Strom-Ausfälle und andere Versorgungsengpässe“, „gesteigerte Versorgungsengpässe“) etc. von der extremen Rechten zu übernehmen und stattdessen unterstreichen, dass Krieg, Aufrüstung, Inflation vor dem Hintergrund jahrzehntelangen Sozialabbaus, Privatisierung des Gesundheitswesens und des (öffentlichen) Raumes bereits jetzt und seit langem Anlass für massive Proteste böte. Schön angedeutet ist dies allerdings mit der Formulierung: „Im Hintergrund laufen die beiden globalen Katastrophen Artensterben und Klimawandel unbeirrt weiter“.
- Die Forderung an den Staat, „dieser muss intervenieren“ deutet ein problematisches Verständnis des kapitalistischen Staates an – obwohl richtig angemerkt wird, dass „erfahrungsgemäß solche Forderungen nur bei ausreichend Druck von der Straße erfüllt“ werden. Der Staat interveniert pausenlos, durch Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, Geschenke an die Rüstungs-, Automobil-, Chemie- und Hightech-Industrie, durch eine „Energiewende“, die bei wachsendem Verbrauch (z.B. Elektromobilität, Wasserstoff-Strategie, KI-Strategie) internationale Wettbewerbsvorteile erzielen soll, durch Sanktionen und das Kappen von Gasleitungen und durch eine Geldpolitik, die Jahrzehntelang fiktives Kapital wachsen ließ, nun die explodierenden Staatsschulden (zulasten der Lohnabhängigen) entwerten soll und die Immobilienpreise durch die Decke gehen ließ. Von diesem Staat zugleich Reförmchen wie einen „Mieten- und Energiepreisdeckel“ zu verlangen ist eben das – reformistisch – während man die Idee eines „Systemsturzes“ geradezu exemplarisch den Rechten überlässt.
- Der Vorschlag, „In linken, emanzipatorischen Krisenbündnissen Unterstützung anbieten und klären, dass und wie Nazis und Querdenker*innen aus den eigenen Mobilisierungen rauszuhalten sind“ ist im Grunde lobenswert. Die Formulierung „Nazis und Querdenker*innen“ ist in aktuellen – ungeklärten – Auseinandersetzungen verhaftet und unscharf. „Querdenker*innen“ sind viel mehr noch als „Nazis“ primär eine Zuschreibung von Außen. Sie mit Nazis gleichzusetzen ist problematisch und relativierend. Es sei hier unterstellt, dass neben „Nazis und Querdenker*innen“ auch Rassist*innen, Antisemit*innen und vermutlich auch Sexist*innen „rauszuhalten“ wären. Angesichts dessen, wie unscharf, fluide und umkämpft viele dieser Begriffe sind, die zudem in der (jüngeren) linken Geschichte als Alltagsphänomene der bürgerlichen Gesellschaft begriffen werden, droht eine gewisse Willkür und ein Dominanzanspruch in der Absicht mit, diese (potentiell mittlerweile auf Jede*n anwendbare) Kategorien von der Mobilisierung und dem Recht auf „soziale Proteste“ auszuschließen. Für die Kategorie „Nazis“ und die organisierte, extreme Rechte gibt es hierzu allerdings keine Alternative.
- Die Formulierung „Unterstützung anbieten und klären, dass und wie … aus den eigenen Mobilisierungen rauszuhalten sind“ offenbart eine – hier vielleicht zugespitzte – Distanz zu den erwarteten „kommenden sozialen Kämpfen“. Hierin liegt vielleicht einer der Knackpunkte der Situation. In der Vergangenheit war die „Antifaschistische Aktion“ selbstverständlicher Akteur, nicht nur beratend, in der Organisation sozialer und antimilitaristischer Proteste, der Kämpfe um Bürger- und Menschnrechte oder zugespitzt: des Klassenkampfes. (Extreme) Rechte haben alleine deshalb nicht zu diesen Protesten mobilisiert, sondern dagegen. Heute treten die explizit und „nur“ noch antifaschistischen Kräfte demgegenüber primär dadurch in Erscheinung, gegen die sozialen Proteste zu mobilisieren – und damit die Rechten darin zu integrieren. Der hier kritisierte Text versucht, diesen Fehler zu vermeiden, wiederholt ihn aber in Teilen durch die vorangenannten Kritikpunkte.
Zum zweiten Beitrag:
- Auch in der Replik auf diese bissige Reaktion trifft die erste These zu, wonach weniger die aktuelle (seit Jahren andauernde) Situation, als die „Angst vorm Frieren“ die Menschen auf die Straße treiben könnte. Sie scheint hier eher von Hoffnungen, als von Befürchtungen geprägt.
- Im Mittelpunkt steht die Befürchtung, „dass Linke anstatt sich diese Proteste zu erobern – wenn sie es wieder verschlafen selbst sie zu initiieren – sich wieder zum Handlanger für Staat und Kapital macht“. Auch hier lässt sich eine gewisse Distanz erkennen, ein geradezu dem Regierungs-Narrativ entsprechendes strategisches Verhältnis auch der Linken zu den anstehenden Protesten. Dass auch und gerade Linke in ihren oft prekären (Care-)Arbeitsverhältnissen besonders betroffen sein werden und abseits strategischer Erwägungen „auf die Strasse“ müssen/wollen wird damit tendeziell negiert.
- Die angedeutete Unterscheidung zwischen einer akademischen Linken und den Betroffenen ist falsch, trügerisch und entspricht rechten Narrativen. Einerseits werden große Teile der akademischen Linken – eine an sich problematische Kategorie – von der weiteren Prekarisierung besonders betroffen sein, andererseits hat u.a. die Black-Lives-Matter Bewegung sehr gut die anhaltende Diskriminierungen und auch Solidarisierungen entlang verschiedener (kapitalistischer) Kategorisierungen wie Gender, Race und Class aufgezeigt. Der Text zeigt nicht nur hier eher spalterische Tendenzen (in Deutschland), anstatt Perspektiven für gemeinsame Kämpfe zu eröffnen,
… die zweifellos nötig sind und sein werden.
Ergänzungen
Sozialrevolutionäre Perspektiven jenseits der Sachzwangpolitik
Der sogenannte "Wutwinter" ist womöglich aber das völlig falsche Pferd und wird vor allem von den Medien und der etablierten Politik selbst als Frage hochgejazzt um anschließend belegen zu können die Politik habe die Lage gut im Griff. Denn Elend und Armut verstärken nicht automatisch sozialrevolutionäre Tendenzen. Die marxsche Verelendungstheorie greift eben nicht automatisch. Gradmesser wäre eher die Legitimation staatsbürgerlicher Vertretungsansprüche und Diskurse. Heisst: Solange die Leute die Logik und Argumentation des nationalen Zusammenrückens fressen, nehmen sie auch soziale Einschränkungen und hohe Preise hin.
Ein besserer Angriffspunkt als realpolitische Forderungen um "die Preise" wäre daher eine Absage an vermeintliche nationale Kollektivzwänge und die sogenannte staatsbürgerliche Vernunft. Ein Bündniss mit den Illegalisierten und Ausgegrenzten, welche die Situation am härtesten trifft, statt Politikberatung im Bündnis mit privilegierten Bürgerschichten in Abstiegsängsten, die am Ende doch nur den (kapitalistischen) Status Quo erhalten wollen.