Suhl: Größter Thüringer Naziaufmarsch seit fast 5 Jahren
In Suhl bot sich am Abend des 12. Januar 2015 ein Bild des Schreckens. Ein hetzender Mob aus 600 Personen, mindestens die Hälfte davon organisierte und militante Nazis, marschierte durch die Stadt und skandierte alles, was sich aus Goebbels Propganda-Repertoire auf wenige Begriffe herunterbrechen ließ. Gegen diesen Südthüringer PEGIDA-Ableger demonstrierten ca. 750 Menschen. Durch Blockaden gelang es den Marsch von SÜGIDA zu verkürzen. Wir berichten vom Abend und dokumentieren unseren auf der Gegenkundgebung verteilten Flyer zur Kritik des zivilgesellschaftlichen Umgangs mit SÜGIDA.
SÜGIDA-Demo war Naziaufmarsch
Überrascht hat es uns nicht. Längst war bekannt, dass sich hinter dem Südthüringer PEGIDA-Ableger SÜGIDA Nazis aus dem Umfeld von Tommy Frencks "Bündnis Zukunft Hildburghausen" (BZH) versammeln. Die Anmelderin Yvonne Wieland, die im Vorfeld der Demo zu Massakern an Migranten und Befürwortern einer solidarischen Gesellschaft aufgerufen hatte, beteuerte zwar kein NPD-Mitglied zu sein, sondern Mutter. Aber was heißt das schon? Zahlreiche der angereisten Nazis waren keine Mitglieder der NPD. Außer dem BZH waren militante Kameradschaftsnazis aus ganz Thüringen angereist. Neben diesen Nazis aller Fraktionen hatten auch Mitglieder der Südthüringer AfD am Marsch teilgenommen. Bereits am 22. Dezember beteiligten sich jene an den rassistischen Aufmärschen in Dresden. Unter ihnen befand sich auch der Vorsitzende der AfD Südthüringen Heiko Bernardy aus Weitersroda bei Hildburghausen, der den Aufmarsch als großen Erfolg feierte. Dabei war letztlich sogar dem AfD-Landeschef Björn Höcke – der Berühungsängste mit Faschisten eigentlich unverdächtig – das nach Suhl mobilisierende Milieu zu krass. Höcke distanzierte sich im Vorfeld von SÜGIDA. Dass diese Demonstration, einiger Distanzierungen zum Trotz, ein demonstrativer Schulterschluss zwischen Faschisten und Protofaschisten war, zeigt nicht zuletzt die Beteiligung des ehemaligen Arnstädter Bürgermeisters Hans-Christian Köllmer (Pro Arnstadt).
Am Aufmarsch beteiligten sich nach MDR-Angaben ca. 600 Menschen. Unter ihnen waren mindestens die Hälfte organisierte und militante Nazis aus ganz Thüringen. Als Redner trat Tommy Frenck auf und weinte bittere Tränen, weil zwei Männer auf dem Friedberg einem Baby die Nuckelflasche geklaut haben sollen. Zentrales Thema in Frencks Rede war die Flüchtlingsunterkunft auf dem Suhler Friedberg. Sie ist der eigentliche Grund der Demonstration in Suhl. Dass mehr als die Hälfte der Teilnehmer überhaupt wusste, was das Abendland ist, ist genauso unwahrscheinlich, wie eine ausgeprägte Angst vor dem Islam. Es ging schlicht gegen Ausländer. Moderiert bzw. angeheizt wurde der Mob vom faschistischen Multifunktionär und Ansgar Aryan-Geschäftsführer Patrick Schröder, über den wir bereits im Sommer 2013 berichteten. Die Demonstration durch die Stadt war eine denkwürdige Veranstaltung. Ein potentiell bis zur äußersten Gewalt bereiter Mob marschierte durch die Straßen und skandierte Parolen wie "Wir sind das Volk", "Lügenpresse", welches erst kürzlich zum Unwort des Jahres gewählt wurde, "Volksverräter" und "Hier marschiert der nationale Widerstand". Nicht ohne Grund bettelte die Anmelderin Yvonne Wieland auf der Auftaktkundgebung förmlich darum, dass sich die Teilnehmer "bitte, bitte" benehmen sollten. Sie wusste, wer da gekommen war – ein who is who der militanten Faschistenszene aus Thüringen.
Mehr Farbenrhetorik, weniger Inhalte
Auf der Gegenkundgebung zum SÜGIDA-Aufmarsch versammelten sich ab 18 Uhr ca. 750 Nazigegner auf dem Platz mit dem unseligen Namen "der deutschen Einheit". Weit weniger gruselig als der Naziaufmarsch zwar, aber am Ende doch nichts anderes als eine inhaltsleere Werbeveranstaltung für die ach so bunte Gesellschaft, diese ewige Tretmühle der Plackerei, Entmenschlichung und Verblödung, die die Nazis so zuverlässig produziert, wie den Hunger der Dritten Welt, der im Kapitalismus bekanntlich kein Grund zur Produktion ist. Für diese bunte Gesellschaft wurde gebetet, getrommelt und sie herbeigeredet. Viel verstanden hat man schon akkustisch nicht. Die Technik war ein einziges Desaster. 750 Leute sollten mit einem Megafon beschallt werden. Daher sind nachfolgende Ausführungen unter Vorbehalt zu lesen, denn alles mitbekommen haben wir nicht. Die Rednerliste setzte sich aus neuen und alten Grußonkels und -tanten zusammen, darunter Minister, Landtagsabgeordnete und Leute, die bei keiner Anti-Nazidemo fehlen dürfen. Sie alle wiederholten unaufhörlich das Mantra des Abends, die never-ending-story, dass sich Suhl/Südthüringen/Thüringen erfolgreich gegen Nazis zur Wehr setzt, weil es hier so bunt, aufgeschlossen und tolerant zugeht. Von diesem Abend gehe ein Signal aus, bla bla bla. Das immer gleiche Geschwätz regierender Politiker und ihrer think tanks. Ausnahmen – von denen wir etwas mitbekamen – bildeten der Redebeitrag der Thüringer VVN-BdA-Vorsitzenden Elke Pudszuhn, die die gar nicht so ferne Vergangenheit des Nationalsozialismus ins Bewusstsein rückte und zur Solidarität mit Geflüchteten aufrief. Weiterhin sprach ein Genosse der Antifa Saalfeld über die Realität des PEGIDA-Rassismus und die Notwendigkeit einer progressiven Kritik reaktionärer Glaubensmodelle, wie des Islam. Unser eigener Redebeitrag und der etwas ausführlichere Flyer thematisierten neben einer materialistischen Kritik des PEGIDA-Rassismus, die Verfehlungen des zivilgesellschaftlichen Umganges mit der neuen Bewegung.
Immerhin gelang es abtrünnigen Kundgebungsteilnehmern den Aufmarsch der SÜGIDA-Nazis um ca. zwei Kilometer zu verkürzen und den Durchgang Richtung Straße der Opfer des Faschismus zu blockieren. An der Mobilisierung zu den Blockaden hatten die Organisatoren der Gegenkundgebung keinen geringen Anteil und das ist ihnen hoch anzurechnen.
Fazit und Ausblick
Beide Seiten bejubelten noch am Abend auf Facebook ihre Demonstrationen und gaben bekannt, dass es am kommenden Montag damit weitergehe. Für Antifaschist_innen stellt sich die Frage, wie man mit regelmäßigen großen Naziaufmärschen in der Südthüringer Provinz umgehen soll. Die Kundgebungen des NoSÜGIDA-Bündnisses erscheinen nicht wirklich als Option, weil die vergangene, von wenigen Beiträgen abgesehen, weder zur Aufklärung über das Problem noch zur Verhinderung des Aufmarsches taugte, sondern die bestehende Gesellschaft in ein besseres Licht rücken sollte. Für die radikale Linke ist da, auch angesichts der aggressiven Werbeavancen von NoSÜGIDA in Richtung CDU, kein Platz.
Ergänzungen
Verteiltes Flugblatt im Fließtext