„Respekt – was sonst?!“ Videobericht & Artikel

Arme Menschen sind insgesamt einer besonderen Gefahr durch Covid19 ausgesetzt. Dabei sind Wohnungslose und drogengebrauchende Menschen von der Coronakrise spezifisch betroffen. Wir haben mit Betroffenen, Aktivist*innen in Selbsthilfestrukturen und mit Sozialarbeitenden über gesundheitspolitische Herausforderungen und Notwendigkeiten der Solidarität in Zeiten krisenhafter Hilfesysteme gesprochen. Der Beitrag wird im Vorfeld des Internationalen Gedenktags für verstorbene Drogengebraucher*innen veröffentlicht, der am 21. Juli stattfindet.

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Respekt – was sonst?!

Menschen in prekären Lebensverhältnissen sind von der Corona-Krise besonders hart betroffen, werden aber kaum gehört. Die Probleme, vor die Wohnungslose und Drogengebrauchende während der letzten Monate gestellt wurden, mögen zwar teilweise schon vorher bestanden haben, sie haben sich nun aber deutlich verschärft. Insbesondere der mangelhafte, teilweise auch fehlende Zugang zu medizinischer Versorgung und zu grundlegenden Hygienemöglichkeiten stellen eine unzumutbare zusätzliche Gefahr für die Betroffenen dar.

Soziale Sicherheiten und Schutzräume stärken

Schon vor Corona galt: das Leben auf der Straße birgt die Gefahr, auf vielen Ebenen krank zu werden. Eine einseitige Ernährung und mangelnde Sauberkeit aufgrund eingeschränkter Möglichkeiten oder auch Ressourcen tragen dazu bei, dass obdachlose Menschen häufiger krank werden. Menschen, die unregelmäßigen Zugang zu wärmenden Orten oder Medikamenten haben, leiden oft unter hartnäckigen Erkältungskrankheiten, Hautproblemen und schlecht heilenden Wunden, die dringend versorgt werden müssen.

Ein Teil der wohnungslosen Menschen gebraucht zudem legale und illegalisierte Drogen. Sie gehören damit zu einer besonders vulnerablen Gruppe – ein Zustand, der sich während der Coronakrise weiter zugespitzt hat. Vielen war es während der Einschränkungsmaßnahmen weder möglich, sich das erforderliche Geld für den Konsum zu besorgen, noch, an die benötigten Substanzen zu kommen. Eine weitere gefahrvolle Folge für Einzelne: einen unbegleiteten Entzug durchstehen zu müssen. Dies ist eine außerordentliche körperliche und psychische Belastung, die unter Umständen auch zum Suizid führen kann.

Vor dem Hintergrund der zahlreichen Gefahren für Leib und Leben der Betroffenen muss ihr Zugang zu Gesundheitsangeboten dringend gewährleistet sein. Drogengebrauchende und Wohnungslose haben das Recht, auch und insbesondere zu Ausnahmezeiten durch das Gesundheitssystem aufgefangen zu werden. Diese soziale Sicherheit war zwischenzeitig aber nicht garantiert. Davon erzählt auch ein Sozialarbeiter aus der Drogenhilfe: „Wir wussten am Anfang nicht, ob wir (Wohnungslosenhilfe und Drogenhilfe, Anm. Red) weiterarbeiten können, ob wir als systemrelevant eingestuft werden oder nicht. Wir haben uns natürlich auch Sorgen gemacht um die Klienten.“ [1]

„Du kannst ja einem Obdachlosen schlecht sagen, er soll nach Hause gehen“

Soziale Widersprüche und Diskriminierung nehmen in Krisenzeiten zu. Daraus entstehende Ängste, aber auch sozialdarwinistische Verhaltensweisen werden leicht auf dem Rücken (wohnungsloser) Drogengebraucher*innen ausgetragen. Die fehlenden Möglichkeiten, eine eigene Wohnung als Schutzraum aufzusuchen oder an Schutzausrüstung zu kommen, werden den Betroffenen zum doppelten Verhängnis. Sie werden als Menschen mit hohem Infektionsrisiko stigmatisiert, wodurch die soziale Ausgrenzung zunimmt.

Gleichzeitig wird ihnen der Zugang zu überlebensnotwendigen Hilfen eingeschränkt, weil übliche Unterstützungsstrukturen wenig oder gar nicht zur Verfügung stehen (können). In Gespräch mit dem re:volt magazine bringt Niels die Situation von ihm und anderen Betroffenen auf den Punkt: „Du kannst ja einem Obdachlosen schlecht sagen, er soll nach Hause gehen, sonst wird er verhaftet“.

Trotz, und auch gerade wegen der widrigen Bedingungen für prekarisierte Menschen haben die Hilfsbereitschaft und die Solidarität zugenommen. Zahlreiche Menschen beteiligten sich aktiv an Hilfsstrukturen oder wurden anderweitig aktiv. Auch auf der Ebene der Institutionen gab es Verbesserungen, die hoffentlich auch noch nach der aktuellen Krisenzeit Bestand haben werden: In der sonst von Fremdbestimmung und Paternalismus geprägten Substitutionsbehandlung [2] wurden die Regeln gelockert. Dies betraf auch einige Berliner Substituierte, wie Andreas von der Selbsthilfe Organisation „Junkies Ehemalige Substituierte [JES)“ berichtet. In den konkreten Fällen wurden die Vergabekriterien für die sogenannte Take-Home-Regelung gelockert, damit Patient*innen nicht mehr täglich in die Praxis kommen müssen. Auch die rassistische Benachteiligung von nicht-versicherten migrantischen Drogengebrauchenden wurde an einigen Orten durchbrochen und temporäre Hilfen geschaffen Gesundheitspolitisch muss jetzt dafür gesorgt werden, dass die durch den Ausnahmezustand gelockerten Maßnahmen erhalten bleiben. Zwischenzeitig wurden zum Beispiel. die Kosten für eine Substitutionsbehandlung nicht-versicherter Menschen schnell und unbürokratisch durch soziale Träger übernommen. Inzwischen ist es wieder sehr schwierig und nur zu bestimmten Bedingungen möglich eine Kostenübernahme zu bekommen. Hier gilt es anzusetzen und diese Rückschritte nicht zuzulassen. Auch deshalb wird es am 21. Juli anlässlich des Internationalen Gedenktags für verstorbene Drogengebrauchende Aktionen geben. Der Gedenktag sollte in diesem Jahr eigentlich Probleme der Substitution ins Zentrum rücken, berichtet Andreas. „Migrant*innen haben oft keinen Zugang zu Substitution, das sollte thematisiert werden. Aber was dieses Jahr nun alles thematisiert werden soll, wissen wir noch nicht genau. Corona steht im Vordergrund, und wir werden aktuell gut daran erinnert, wie drogengebrauchende Menschen stigmatisiert werden, weil es durch Corona nun noch deutlicher wird.“

Kein Schritt zurück

Die Krise wird dadurch auch zur Chance für erfolgversprechende Kämpfe um Selbstbestimmung sowie für eine vorurteils- und repressionsfreie Drogenpolitik. Gesundheitspolitisch braucht es jetzt gesellschaftliche Solidarität und fortschrittliche soziale Träger die dafür Sorge tragen und Forderungen an die Gesundheitspolitiker*innen stellen, dass die durch den Ausnahmezustand gelockerten Maßnahmen erhalten bleiben und weiter im Sinne der Adressat*innen ausgebaut werden. Gesellschaftlich bleibt zu hoffen, dass Solidarität mit den Marginalisierten und Prekarisierten weiter gestärkt wird und auch nach der Krise nicht nachlässt.


„Respekt – was sonst?!“ – re:wire Videobericht

Arme Menschen sind insgesamt einer besonderen Gefahr durch Covid19 ausgesetzt. Dabei sind Wohnungslose und drogengebrauchende Menschen von der Coronakrise spezifisch betroffen. Wir haben mit Betroffenen, Aktivist*innen in Selbsthilfestrukturen und mit Sozialarbeitenden über gesundheitspolitische Herausforderungen und Notwendigkeiten der Solidarität in Zeiten krisenhafter Hilfesysteme gesprochen. Der Beitrag wird im Vorfeld des Internationalen Gedenktags für verstorbene Drogengebraucher*innen veröffentlicht, der am 21. Juli stattfindet.

 

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Anmerkungen zum Artikel

[1] Bei der Einrichtung handelt es sich um eine Kontaktstelle für drogengebrauchende Menschen mit integriertem Drogenkonsumraum. Angebote der Einrichtung sind Konsumutenislienvergabe , überlebenspraktische Hilfen, sozialarbeiterische Beratung und Drogenkonsum unter medizinischer Aufsicht.

[2] Substitutionsmittel sind ärztlich verschriebene Betäubungsmittel, die bei opioidabhängigen Patient*innen im Rahmen eines Therapiekonzeptes eingesetzt werden.


Artikel und Video-Bericht „Respekt – was sonst?!“ wurden im Vorfeld zum Internationalen Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher*innen veröffentlicht, der am 21. Juli begangen wird. Auf der Homepage der Selbsthilfe-Organisation „Junkies Ehemalige Substituierte“ (JES) gibt es weitere Informationen zum Geschichte des Gedenktags sowie zu aktuellen Protesten und Aktionen.

 

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