linksunten.indymedia – was ist eigentlich noch verboten?
Bereits am 14. Mai hatte das Bundesverwaltungsgericht die schriftliche Begründung seines am 29. Januar mündlich verkündeten Urteils*1 in Sachen linksunten.indymedia veröffentlicht. Dies wurde jetzt erst – aufgrund einer Presseerklärung der AnwältInnen der damaligen KlägerInnen bekannt. In der Presseerklärung teilen die AnwältInnen zugleich mit, daß sie im Namen ihrer MandantInnen Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil erhoben haben. Soweit – so bereits am 29. Januar nach der mündlichen Verhandlung angekündigt.
Erstaunlich ist allerdings, daß sie folgenden Satz aus der schriftlichen Urteilsbegründung in ihrer Presseerklärung nicht erwähnen: „Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation […].“ (Textziffer 33; Hervorhebungen hinzugefügt)
Bereits in der mündlichen Verhandlung hatte Prof. Roth, der Prozeßvertreter des Innenministeriums erklärt: „Niemand – weder Ihre Mandanten noch andere – ist gehindert wieder so eine Seite einzurichten, wenn es nicht gerade eine Fortsetzung der verbotenen Vereinsaktivitäten ist.“1
Auch in einem Schriftsatz vom 07.01.2020 hatte Prof. Roth erklärt: „Die wiederholt vorgetragene Erwägung des Antragstellers, es könnten nur Vereinigungen verboten werden, nicht hingegen Medien, geht schon am Inhalt der Verbotsverfügung vorbei und damit ins Leere, da hiernach ausdrücklich der Verein ‚linksunten.indymedia‘ verboten worden ist.“2
Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hatte sogar schon in einem Beschluß vom 19.6.2018 (der damals von den Betroffenen selbst bzw. den AnwältInnen des dortigen „Antragsgegners“ [= Haussuchungs-Betroffenen] nicht bekannt gemacht wurde – und auf den auch ich erst Ende September 2019 stieß <bzw. gestoßen wurde>]) geschrieben:
„Keinen Erfolg hat der Antragsgegner mit seinem Einwand, ‚die Plattform linksunten.indymedia‘ unterfalle nicht dem Vereinsgesetz. Sofern der Antragsgegner mit dieser Bezeichnung ausdrücken möchte, es sei die vormals unter der URL ‚http://linksunten.indymedia.org‘ erreichbare Internetpräsenz verboten worden, nimmt er den Inhalt der Verbotsverfügung nicht hinreichend zur Kenntnis.“3
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Mitte Januar 2020 stellten Unbekannte das komplette Archiv von linksunten.indymedia ins Netz; zunächst unter der neuen Adresse: https://linksunten.archive.indymedia.org/; mittlerweile auch unter der alten linksunten-URL: https://linksunten.indymedia.org/.
Das heißt: Alle alten Artikel sind jetzt wieder unter ihrer alten URL erreichbar – auch diejenigen, die das Bundesinnenministeriums zur Begründung seiner Verbotsverfügung herangezogen hatte; z.B. der wohl4 aktuellste Text, auf den sich das BMI in seiner Verbotsbegründung bezogen hatte:
Wir sind wütend: Angriff auf eine Bullenwache in Hannover
in: linksunten.indymedia vom 12.07.2017
Das Archiv wurde im Januar mehrfach gespiegelt – von mir mit Namen im Impressum; auch wissen die Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg, das Bundesinnenministerium und das Bundesverwaltungsgericht von meiner Spiegelung.
Etwaige Ermittlungsverfahren sind jedenfalls mir seitdem nicht bekannt geworden.
Mit dem gleichen Schriftsatz, mit dem ich das Bundesverwaltungsgericht über meine Archiv-Spiegelung informierte, fragte ich auf S. 2 und 3:
„Wurde am 25.08.2017 – wie das BMI in seiner begleitenden Presseerklärung behauptete – das Verbot der internet-Plattform linksunten.indymedia bekannt gemacht? […]. Oder wurde es (das Verbot der internet-Plattform) – wie (inzwischen) die künftige Beklagte und der VGH Mannheim zu meinen scheinen […] – nie verfügt, sodaß also der erneute Betrieb dieser internet-Plattform als solches – d.h.: abgesehen von einzelnen etwaigen Äußerungsdelikten einzelner dortiger AutorInnen – völlig legal ist?“
Ich selbst bekam auf meine Frage nur die etwas undeutliche Antwort, die auch in Textziffer 28 der schriftlichen Begründung des Urteils vom 29. Januar steht:
„Das in Ziffer 35 des angefochtenen Bescheids enthaltene Verbot der Nutzung der Internetadressen des Vereins wiederholt lediglich die Gesetzeslage“.
Aber schon dies erlaubte die Überlegung: Gesetzeslage ist lediglich, daß sich verbotene Vereine nicht betätigen dürfen – also auch keine internet-Adressen nutzen dürfen; nicht davon ist im Gesetz allerdings die Rede, daß Dritte nicht die internet-Adressen nutzen dürfen, die früher mittlerweile verbotene Vereine (oder verbotene angebliche Vereine) genutzt haben.
Eindeutig ist die Antwort auf die von mir dem Bundesverwaltungsgericht gestellte Frage, die das eingangs dieses Artikels angeführte Zitat aus der schriftlichen Begründung des Urteils vom 29. Januar darstellt:
„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, […].“ (Textziffer 33)
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Kurios ist nur, daß ich keine direkte Antwort auf die von mir gestellte Frage bekam; während die KlägerInnen vom 29. Januar eine Antwort auf die von ihnen gar nicht gestellte Frage bekamen – und sich folglich anscheinend auch für diese Antwort nicht interessierten.
Vielmehr behauptete Kläger-Rechtsanwalt Theune am Montag im Interview mit Radio Dreyeckland: „Eine Plattform linksunten.indymedia.org darf zurzeit nicht betrieben werden. […] man darf keine solche Seite betreiben“ (Min. 6:47 – 7:04)
Radio Dreyeckland gab mir am Freitag Gelegenheit meine gegenteilige Überzeugung zu begründen: „Ich würde sagen – soweit bin ich mit den AnwältInnen völlig einverstanden -: Das, was das Bundesinnenministerium verbieten wollte und auch tatsächlich verboten hat, war die internet-Plattform, das Medium – das war das Interessante. Aber wir haben jetzt insofern eine neue Situation, als das Bundesinnenministerium – und zwar nicht erst in Leipzig am 29. Januar -, sondern sogar schon in einem Verfahren, das 2018 vor dem Oberverwaltungsgericht [recte: Verwaltungsgerichtshof] Mannheim stattfand, und auch in meinem Verfahren einen Rückzieher gemacht hat. Während in der Presseerklärung von 2017 vom Innenministerium drin stand, de Maizière habe die internet-Plattform verboten, behauptet das Innenministerium mittlerweile, es habe die internet-Plattform gar nicht verboten, sondern nur den Personenkreis, der die Plattform betrieben hat. Das ist aber ein Unterschied. Wenn der Personenkreis verboten ist, aber nicht die Plattform, dann können halt andere Leute da einspringen. Das ist ja bei der radikal öfter passiert: Es sind Leute kriminalisiert worden, die haben sich dann zurückgezogen, und andere Leute haben das Projekt weitergemacht.“ (Min. 9:00 – 10:04 – aus dem fast dreißig-minütigen Interview)
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Zur Erinnerung die Pressestelle des Bundesinnenministeriums behauptete am 25.08.2017: „Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute die linksextremistische Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ […] verboten und aufgelöst.“ (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html)
War die Suppe nur halb so heiß auszulöffeln, wie sie vom BMI hoch gekocht wurde?
*1 Das Protokoll der mündlichen Verhandlung in: de.indymedia vom 01.02.2020; um Rechtschreib- und Satzzeichenfehler bereinigte Fassung in trend 2/2020.
1 https://beobachternews.de/2020/01/30/fortbestand-des-linksunten-verbots-ist-ein-skandal/ (Nr. 7; am Ende [im in Fußnote 1 genannten Protokoll ist der Satz leider nicht enthalten]; siehe dort aber meinen Kommentar vom 01.02.2020 um 22:04 Uhr).
2 http://links-wieder-oben-auf.net/juristisches/#drittens, S. 2 oben; vgl. http://links-wieder-oben-auf.net/wp-content/uploads/2020/01/Editorial-Layout.pdf, S. 4 linke Spalte unten / rechte Spalte oben.
3 http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=24556, Textziffer 10; vgl. dazu http://links-wieder-oben-auf.net/wp-content/uploads/2020/01/Editorial-Layout.pdf, S. 4, Fußnote 17.
4 falls ich die Verbotsbegründung sorgfältig genug durchgesehen habe.
5 Dort heißt es: „Es ist verboten, die unter der URL https://linksunten.indymedia.org sowie die im Tor-Netzwerk unter der Adresse http://fhcnogcfx4zcq2e7.onion abrufbare Internetseite des Vereins, einschließlich deren Bereitstellung und Hosting, zu betreiben und weiter zu verwenden.“ (Verbotsverfügung vom 25.08.2020)
Bundesinnenministerium und Bundesverwaltungsgericht ‚lesen‘ (das heißt: entschärfen) diesen Satz aus der Verbotsverfügung mittlerweile dahingehend, als hätte dort gestanden: „Es ist dem Verein ‚linksunten.indymedia‘“ (mit der kruden Bezeichnungsweise des BMI ist gemeint: der frühere HerausgeberInnen-Kreis von linksunten.indymedia.org – also das IMC linksunten) die fragliche URL zu verwenden – und alle anderen dürfen sie sehr wohl verwenden.