DHL Logistik – Sexpuppen oder Schutzmasken?
Trotz Corona geht die Ausbeutung bei DHL weiter. Unnötige Sendungen behindern den Transport von lebenswichtigen Gütern.
Das weltweit größte Logistikdrehkreuz von DHL befindet sich am Flughafen Halle/Leipzig in Schkeuditz. Während der Nachtschicht verrichten hier 1500 Niedriglöhner ihre schwere körperliche Arbeit auf engstem Raum. Peter Neubauer* ist einer von ihnen. Im Interview verrät er, wie der Chef Ralph Wondrak in der Coronakrise seine Beschäftigten im Betrieb ausbeutet.
Peter, du arbeitest, neben deinem zweiten Job, als geringfügig Beschäftigter bei DHL am Flughafen Halle/Leipzig. Was sind dort deine Aufgaben?
Ich bin in der Sortierhalle beschäftigt. Hier bearbeiten in jeder Schicht 1500 Kollegen die Sendungen, die aus verschiedenen Ländern kommen und in verschiedene Länder verschickt werden sowie in andere Orte in Deutschland. Ich be- und entlade Frachtcontainer mit Expressendungen für die Transportflugzeuge.
Wie beeinflusst dich Corona bei der Arbeit?
Ja, ich versuche eine „normale“ Schicht jetzt unter Corona-Bedingungen ein bisschen greifbar zu machen. Also im ÖPNV ist so ein Mindestabstand schon möglich. In der Bahn geht das, andere kommen ja mit dem Auto. Dann haben die aber bestimmte Vorkehrungen getroffen, damit es keine großen Menschenansammlungen gibt. Und ja, also zum einen, dass man da beim Eingang in der Schleuse dann nur den Ausweis hinhalten muss und dann die erste Schleuse dann mit dem Fuß aufgetreten werden kann. Das ist halt so eine Anweisung, man soll das nicht mit der Hand anfassen, sondern mit seinem Fuß aufstoßen. Ja das ist ja auch umsetzbar, aber dann ist es auch witzig. Es ist insgesamt total widersprüchlich und haut nicht hin. Also, dann gibt es wiederum die Umkleidekabine, wo es notwendig ist, dass alle diesen einen Türgriff anfassen. Anders kommt man nicht rein. Und das ist halt wiederum etwas lustig oder makaber. Und dann ist es mittlerweile so, dass man an der Schleuse gar nicht mehr abgetastet wird von der Security.
Aber du musst noch durch den Metalldetektor.
Genau, ja. Und dieser Venenscanner ist auch ausgesetzt, also man kommt durch diese Schleuse zu dem Arbeitsbereich, indem man einfach nur die Karte ranhält und später gucken die Leute von der Security noch einmal diese Karte an, ob man dieser Mitarbeiter auch ist, der auf der Karte steht.
Man muss sich nicht mehr ausstechen. Aber alle machen das, um sicher zu gehen, dass die Arbeitszeit verbucht wird. Vor dem Scanner am Ende einer Schicht kommt es immer zu einer sehr großen Gruppenbildung.
Das Wichtige, oder der ganze Widerspruch, wo man es am deutlichsten sieht, ist halt, man kann ja noch so viel irgendwelche Anweisungen geben oder irgendwelche Vorkehrungen treffen. Aber in der Praxis beim Arbeiten ist es halt so, dass dann Hand in Hand gearbeitet wird. Und wenn dann ganz viel Fracht kommt zu Stoßzeiten, dann steht man halt zu zweit oder teilweise zu dritt an einem Containerplatz, um das Frachtaufkommen zu bewältigen und sich gegenseitig zu helfen, weil sonst die Rutschen verstopfen. Und dann ist halt praktisch alles hinfällig die ganzen Maßnahmen. Also man sieht, entweder wird das geschlossen oder die ganzen Sendemengen ganz krass reduziert, indem dann allen Kunden gesagt wird: Nur das Wichtigste. Oder es läuft halt weiter und in der Praxis läuft es einfach normal weiter, auch wenn es diese Vorkehrungen gibt, wo dann überall irgendwelche Aushänge sind und das so kommuniziert wird: „Wir kümmern uns.“ Aber in der Praxis ist es einfach so, dass man dann mit den ganzen Kollegen in seinem Arbeitsbereich einfach zu tun hat. Und dann kann es schon weiterhin diese großen Infektionsketten geben und dann ist das unverantwortlich so, wenn es nicht anders geregelt werden kann. Und das Problem ist einfach, es gibt zehn Prozent der Sendungen, die halt irgendwie wichtig sind, damit bestimmte Sachen am Laufen bleiben und auf die die ganze Gesellschaft angewiesen ist. Trotzdem kommt dann weiterhin ganz viel Kram, der überhaupt nicht wichtig ist. Was interessant war, gestern zum Beispiel waren da viele, das ist so lächerlich, aber das ist halt echt so. Das waren wahrscheinlich irgendwelche Sexpuppen. Und davon ungefähr dreißig Stück, die halt relativ groß waren. Da war fast ein Container halb gefüllt nur mit diesen Sexpuppen. Die meisten Sachen sind echt nur irgendwelche Klamotten, irgendwelche Proben, die dann später irgendwie massenhaft verschifft werden, also irgendwelche Testexemplare. Und das ist auf jeden Fall ziemlich unnötig. Und ganz viele Schutzmasken, die da noch versendet werden. Also relativ kleine Pakete mit so 200 Stück Schutzmasken aus China, die das da mittlerweile selbst nicht mehr so brauchen. Diese notwendigen Sendungen gibt es auch.
Habt ihr Sicherheitswarnungen bei Sendungen aus Gefahrengebieten wie China oder Italien?
Nein, sie sagen einfach ganz lapidar, dass es bisher noch nicht erwiesen ist, dass es Infektionen über Gegenstände und Oberflächen gibt. Wo man ja eigentlich weiß, dass das Virus mehrere Stunden auf der Oberfläche haften kann.
Und was sagen die Kollegen zu den Maßnahmen?
Ja und da ist die Stimmung irgendwie ganz interessant. Die einen, die Kinder haben, da bleiben viele noch zuhause. Da ist es so geregelt, dass Studenten dann einspringen können oder halt gefragt werden, ob sie einspringen können, um Sonderschichten zu machen. Und dann auch Leute mit Vorerkrankungen, die dann sicherlich da nicht mehr arbeiten, also erstmal nicht zur Arbeit kommen. Aber im Großen und Ganzen ist es auch bei älteren Kollegen echt so eine Stimmung: „Das juckt mich nicht groß, weil wenn es passiert, dann passiert‘s.“ Die denken, glaube ich, alle, wir sind auf das Geld angewiesen und mit Kurzarbeit würden die meisten nicht klarkommen wahrscheinlich. Und die machen einfach weiter so lange es geht. Wahrscheinlich denken sie sich, es wird schon nicht so schlimm werden, falls ich infiziert werde und dann kriege ich Krankengeld in dem Fall. Also die Stimmung ist trotzdem noch relativ locker, dafür dass es jetzt schon so ein Risiko gibt. Zum Beispiel wird sich oft umarmt und das findet schon nicht mehr statt. Aber einsfünfzig oder zwei Meter Abstand zu haben und sich dann anzuschreien, das wird nicht gemacht, weil es sehr unpraktikabel ist.
Pünktlich zur Ausgangssperre in Sachsen habt ihr von Ralph Wondrak, dem Chef, einen DHL-Passierschein bekommen. Gibt es von dem oberen Management weitere Meldungen?
Es gibt gerade ein Video, was auf den Bildschirmen im Arbeitsbereich abgespielt wird, wo sich Wondrak in der Arbeitsweste zeigt. Im Hintergrund läuft da irgendwas in der Halle und er ist da wie so der Krisenmanager. Dann werden immer nur die Wörter, also man kann ja nicht verstehen, was er sagt, so auf stumm geschaltet. Letztendlich kommen dann nur so Schlagworte, da steht dann zum Beispiel: „Wir werden es gut schaffen.“ Also die hoffen wahrscheinlich einfach nur, dass es gut weiterläuft, die ihre Prämien bekommen und die Aktionäre auch glücklich sind. Geben sich so besorgt und gleichzeitig soll alles weiterlaufen wie bisher.
Also nur pro forma, um die Leute zu beruhigen?
Genau. Sie sind die Macher, sie kümmern sich. Sie machen sich Gedanken und sind irgendwie bei den Arbeitern direkt, sozusagen als wären sie genauso betroffen, aber das ist schon ziemlich geheuchelt.
Aber eine Einschränkung der Fracht oder eine Schließung würde für die nicht in Frage kommen?
Also die haben den Willen nicht und wahrscheinlich auch nicht den Mut, ich weiß nicht, wie ich das gerade ausdrücken soll, dann einfach zu sagen: „Es werden jetzt nur medizinische Fracht und irgendwelche Ersatzteile, wo was drauf ankommt, transportiert.“ Das werden die wahrscheinlich nicht machen. Weil die sich einfach sagen: „Ah wir sind irgendwie Teil der Post, dem Kommunikationskonzern, weil die sich da auf diese Paragraphen beziehen. Sie berufen sich auf diese Sonderregelungen für bestimmte Wirtschaftsbereiche und kritische Infrastruktur und darunter fallen die auch. Und dann sagen die sich: „Weil wir unter diesen Wirtschaftsbereich fallen, kann das hier alles normal weiterlaufen.“ Also das ist sehr zweckmäßig in ihrem Sinne ausgelegt.
Was hast du für Wünsche und Forderungen, wie mit der Situation umgegangen werden soll?
Ja, wenn man an solche großen Betriebe denkt, da ist auf jeden Fall eine richtige Forderung, die viel diskutiert wird: Wenn Betriebe Arbeit machen, die jetzt gesellschaftlich nicht notwendig ist und davon nichts abhängt, also wie Leben oder irgendwas im Gesundheitssystem, dann müssen diese auch ihre Arbeit ruhen lassen. Weil so was unverantwortlich ist, wenn da mehrere Tausend auf relativ engem Raum zusammenarbeiten.
Diese ganze Logistik ist für viele Leute nicht sichtbar, aber sie ist notwendig damit trotz Corona alles in den Läden da ist. Wenn sie wegfallen würde, würde man die Wirtschaftskrise erst richtig merken.
Ja. Und man sieht, welche Macht die Arbeiter hätten, wenn sie ihre ökonomische Position in der Logistik politisch nutzen würden.
*Name geändert.