Kein Vergeben - Kein Vergessen - Plakataktion zum Gedenken an Orte der Zwangsarbeit in Leipzig

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Der Tod ist ein Meister aus Deutschland

 

Am 27.01.2020 machten zahlreiche Plakate im Leipziger Stadtbild darauf aufmerksam, dass es auch 75 Jahre nach der Befreiung des zum Symbol für die deutsche Vernichtungspolitik gewordenen KZ Auschwitz nicht ausreicht, nur „nicht vergessen zu haben.“ Denn aufgearbeitet ist die Vergangenheit noch lange nicht. Aus diesem Grund wurde auf den Plakaten unter anderem an die immer sichtbar gewesene Geschichte der Zwangsarbeit in Leipzig erinnert und die Profiteure der Zwangsarbeit aufgefordert ihre Verstrickungen in die NS-Verbrechen aufarbeiten.

 

 

 

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland

 

Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. Seit 1996 wird an diesem Tag bundesweit den Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Die Stadt Leipzig erinnert ihrerseits durch eine offizielle Gedenkveranstaltung an dem "Mahnmal in Abtnaundorf" an die Lagerbefreiung.

Mit der Befreiung von Auschwitz waren die Gräueltaten der Deutschen keineswegs vorbei, durch den Wegfall der Vernichtungslager in Osteuropa wurde die systematische Ermordung von Menschen auf deutschem Boden intensiviert. Zum letzten Kapitel der deutschen Barbarei sind u.a die sogenannten Kriegsendphaseverbrechen zu zählen. Hierunter fällt neben den sogenannten Todesmärschen auch das "Massaker von Abtnaundorf", bei dem SS- und der Volkssturm kurz vor Einmarsch der US-Armee die zurückgebliebenen ca. 80 Häftlinge des KZ "Leipzig-Thekla" in eine Baracke einsperrten und diese in Brand schossen.

 

Doch der Intensivierung der deutschen Vernichtungspolitik, deren Teil auch die 6 Außenlager des KZ Buchenwald in und um Leipzig waren, gingen Jahre der antisemitischen Verfolgungspolitik voraus, die etwa in der Pogromnacht des 9./10. November 1938 gipfelten. Auch in Leipzig wurden unter Beifall und Mitwirkung großer Teile der Bevölkerung jüdische Einrichtungen und Wohnungen angegriffen und geplündert, jüdische Menschen misshandelt, deportiert und ermordet.

 

Abseits der KZ-Außenlager wurden ZwangsarbeiterInnen in Leipzig in ca. 500 Sammelunterkünften wie Schulen, Turnhallen, Festsälen, Gaststätten, privaten Wohnungen oder Barackenlagern interniert. So wurden von 1939 bis Kriegsende mindestens 60.000 Menschen aus den besetzten Ländern und Regionen nach Leipzig verschleppt und mussten Zwangsarbeit verrichten. ZwangsarbeiterInnen wurden u.a in kleineren Betrieben, Krankenhäusern, bei der Post, der Stadtverwaltung und von der Reichsbahn eingesetzt. Zwangsarbeit gehörte zum Alltag und war sichtbarer Bestandteil des Stadtbildes.

 

Auch im Leipziger Osten lassen sich Orte finden, die die alltägliche Präsenz von Zwangsarbeit widerspiegeln. So wurde in der Eisenbahnstraße 131b in den sog. „Rheingold-Festsälen“ ein Kriegsgefangenenlager von der Stadtverwaltung betrieben, dessen Insassen u.a. im Bereich Stadtreinigung und Abfallwirtschaft Zwangsarbeit leisteten. Oder die heutige Wurzner Straße 55, damals das Lager „Ostland“. Hier wurden überwiegend sog. OstarbeiterInnen von der LVB als SchaffnerInnen, KontrolleurInnen oder in der Wartung des ÖPNV ausgebeutet. Beide Beispiele sind exemplarisch für die Verstrickung der Stadt und städtischer Unternehmen mit NS-Zwangsarbeit und zeigten auf, dass Zwangsarbeit für die Leipziger BürgerInnen sichtbar war und es diverse Kontaktpunkte zwischen diesen und den Ausgebeuteten gab. 

 

Ein zentraler Ort im Leipziger Zwangsarbeitssystem war der Eilenburger Bahnhof auf dem Gelände des heutigen Lene-Voigt-Parks. Hier kamen während des Krieges täglich Transporte mit bis zu 1000 Menschen an. Die Deportierten durchliefen anschließend die Riebeckstraße 63 wo sie registriert, medizinisch untersucht und auf die Betriebe verteilt wurden. Arbeitsorte waren beispielsweise die Riebeck-Brauerei, heute Sternburg, und die Karl Krause Maschinenfabrik in Anger-Crottendorf. 

Zwangsarbeit war in Leipzig – auch für die Zivilbevölkerung - allgegenwärtig. Trotzdem sind die meisten Orte der Verbrechen heute vergessen. Damit das Ausmaß und die Alltäglichkeit von Zwangsarbeit Eingang in das kollektive Gedächtnis der Stadtbevölkerung findet, muss die Geschichte dieser Orte sichtbar gemacht werden.

 Denn aufgearbeitet ist die Vergangenheit noch lange nicht. Dies zeigen sowohl die bis heute vorhandenen Lücken in der Erforschung der nationalsozialistischen Verbrechen, als auch die Kontinuitäten antisemitischer, rassistischer, antiziganistischer, homophober Denkweisen innerhalb der Gesellschaft. Welche Gefahr von einem solchen Gedankengut ausgehen kann, zeigen Vorfälle wie der Anschlag auf die Synagoge in Halle nur zu deutlich. Da nach 1945 plötzlich niemand mehr etwas gewusst oder gesehen haben wollte, blieb auch eine genauere Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Verbreitung von Zwangsarbeit aus. Wir fordern daher, dass über das den ZwangsarbeiterInnen angetane Leid aufgeklärt und ihnen angemessen gedacht wird. Akteure wie die LVB, die Stadtwerke und die Stadtverwaltung müssen ihre Verstrickungen in NS-Verbrechen aufarbeiten und diese in die städtische Erinnerungskultur hineintragen. Erinnern muss mehr bedeuten, als nur „nicht vergessen zu haben“. Erinnerung darf nicht im historischen Rückblick erstarren, sondern muss diesen Rückblick mit politischen Forderungen an die Gegenwart verknüpfen.

75 Jahre nach der Befreiung des zum Symbol für die deutsche Vernichtungspolitik gewordenen KZ Auschwitz gilt es um so vehementer an Adornos kategorischen Imperativ zu erinnern: dass Denken und Handeln so einzurichten sei, dass Auschwitz sich nicht wiederhole und nichts ähnliches geschehe.

 

"Kein Vergeben, kein Vergessen!"

 

 

 

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