Einige Überlegungen zum 25. Januar in Leipzig
Am 25. Januar löste eine Demonstration gegen das Verbot von linksunten.indymedia.de sogenannte "Ausschreitungen" aus. Während die Presse und einige Linke überrascht waren, war der Angriff auf den Staat des Kapitals seit mehreren Monaten gewollt
Selbst wenn sich die Bullen deeskalierend geben, greifen wir sie trotzdem an. Sie können sich nur so deeskalierend geben, wenn sie darauf vertrauen können, dass wir sowieso nicht gegen die Regeln des Staates verstoßen. Weil sie darauf vertrauen können, dass wir sowieso zu gehirngewaschen sind oder durch dauernde Überwachung zu viel Angst haben um etwas zu tun.
Am 25. Januar zeigten Aktivist*innen jedoch, dass sie den Frieden nicht akzeptieren werden, der nur durch staatliche Übermacht erreicht wird, sei es durch die Einnahme unserer Gehirne durch die kapitalistische Ideologie oder durch physische Gewalt der Polizei. Diesen Frieden zu akzeptieren wäre wie eine Beute, die sich, nachdem sie von einem Raubtier gefangen und zu Boden gezwungen wurde, ihrer Hilflosigkeit hingibt und sich nicht mehr selbst verteidigt. Aktivist*innen haben sich dieser Rolle entzogen und sich für einen offenen Angriff entschieden. Sie haben gezeigt, dass dies auch 2020 noch möglich ist. Die Fenster von Polizeiautos wurden zerbrochen, die Polizei wurde mit Hilfe von Pyrotechnik, Farbbeuteln und Steinen angegriffen und zum Rückzug gezwungen. Die Autos von Reichen wurden beschädigt.
Es war eine kluge Handlung der Aktivist*innen, den Zeitpunkt der Eskalation sich nicht von Provokationen der Bullen vorgeben zu lassen, sondern Ort und Zeit der Konfrontation selbst zu wählen. Wir müssen das Territorium wählen, in dem die Kämpfe stattfinden. Wir müssen Territorien wählen, an die die Bullen nicht gewöhnt sind und wo sie nicht gut kämpfen können, mit denen wir aber gut zurechtkommen.
Die Aktivist*innen bedauern mit Sicherheit, dass die Scheiben eines Genossenschaftsautos kaputt gingen. Im Gegensatz zu dem, was einige selbstdarstellerische Journalist*innen auf Twitter behaupteten, handelte es sich nicht um eine absichtliche Tat, sondern um einen unabsichtlichen und möglicherweise bereitwillig hingenommenen Kollateralschaden. Es ist völlig unrealistisch, eine Revolution oder einen Weg dahin zu erwarten, bei dem nichts kaputt geht.
<strong>Die Rolle der Presse</strong>
Während der Demonstration wurden auch Vertreter der Presse bedroht und angegriffen. Seit Herbst 2019 und und seit dem eigentlich, bis auf die Gewalt der Bullen, nicht besonders ereignisreichen Silvester in Connewitz, wurde jede Demonstration und jede kleine Veranstaltung in der Nachbarschaft von Journalist*innen auf der Suche nach Ruhm und Klicks belagert.
(Siehe auch dazu: https://rigaer94.squat.net/2020/01/29/spiegel-investigativteam-belastigt...)
Journalist*innen, die so aufdringlich waren wie Bienen um ein Bonbon, summten die ganze Zeit um die Demonstration und filmten während der Demonstration aufdringlich. Es war lange klar, dass diese Demonstration militant sein würde. Da beispielsweise RTL-Journalisten beim G20 für Ermittlungszwecke Fotos und Videos für die Bullen zur Verfügung gestellt haben, ist es legitim, sie daran zu hindern, Gesichter aus der Nähe zu filmen und zu fotografieren.
Darüber hinaus wollten einige Personen wahrscheinlich nicht in den Boulevard-Niveau-Nachrichten, auf welcher Ebene die meisten Zeitungen von "den Linken" sprachen, mit ihren Gesichtern erscheinen, denn das kann direkte Konsequenzen für diese in ihrem täglichen Leben haben. Wenige oder gar keine linken Aktivist*innen können ihr Geld sich selbst vermehren lassen und müssen sich so bei Demonstrationen davor schützen, von ihren Chef*innen gesehen zu werden.
Viele wollen sich auch vor der Gefahr durch Nazi-Angriffe auf Linke schützen. Nicht alle linken Aktivist*innen leben in einem links-liberalen "Paradies" wie Leipzig.
Journalist*innen wurden übrigens nur daran gehindert, Fotos zu machen und zu filmen. Journalist*innen wurden nicht daran gehindert, Berichte zu schreiben. Dies zeigt, warum es bei den "Bedrohungen" ging: Um Selbstschutz, nicht um Einschränkung der Pressefreiheit.
<strong>Rolle physischer Angriffe in der Revolution</strong>
Kleinere Angriffe, wie die Demonstration vom 25. Januar, zeigen, dass der Staat nicht völlig übermächtig ist, dass die Leute sich gegen ihn wehren können. Diese Angriffe sind ein Ausweg aus dem alltäglichen Gefühl der Hilflosigkeit, hin zu einer Möglichkeit, sich zu befreien.
Die tägliche Unterdrückung des linken Aktivismus erlaubt diesen kaum außerhalb der Parlamente. Aufgrund des Korsetts, in dem wir vom bürgerlichen Staat gezwungen werden, sind wir kaum in der Lage, politisch zu handeln. Jede kleine Handlung, sei es das Verteilen von Flugblättern oder das Verteilen von Nahrungsmitteln gegen eine Spende, muss auf mögliche Konsequenzen überprüft werden. In der Regel stellt sich heraus, dass legal so gut wie nichts möglich ist. Nur dank der Entschlossenheit der Genossen, die vom bürgerlichen Staat selbst festgelegten Spielregeln nicht ihr Handeln bestimmen zu lassen, ist es möglich, dass es noch so etwas wie eine Linke gibt. Wenn linker Aktivismus stattfinden soll, muss man immer zur gleichen Zeit daran arbeiten, die Polizei, ohne die Politik und Justiz nicht handeln können, zu vertreiben. Das Erreichen der Menschen und der militante Kampf gegen den Staat müssen gleichzeitig stattfinden. Eines, ohne das andere stattfinden zu lassen, würde der linken Bewegung nichts bringen.
<strong>Vermittelbarkeit</strong>
Die Vermittelbarkeit militanter Aktionen ist eine wichtige Sache, aber nicht die erste Priorität.
Es ist anzumerken, dass es die Presse ist, die dafür sorgt, dass militante Aktionen für die Bevölkerung nicht verständlich gemacht werden. Handlungen werden entpolitisiert, militante Aktivist*innen als Adrenalin-Junkies und Krawalltouristen dargestellt (als hätten sie im Allgemeinen nicht mehr politisches Wissen als einige bürgerliche Linke) und fast nur Polizeiführer*innen, Kapitalist*innen und CDU-Politiker*innen werden interviewt.
Als Linke sollten wir uns nicht darum kümmern, die öffentliche Meinung zu ändern. Die öffentliche Meinung ändert sich ständig. Sie hängt weitgehend von Hysterie, Skandalen und Falschmeldungen ab. Wir müssen uns darum kümmern, Menschen vor Ort zu organisieren und unsere Praxis durchzusetzen. Er brauchte nicht die ganze Bevölkerung, um die Revolution durchzuführen, sondern immer nur eine "revolutionäre Minderheit". Das ist faktisch immer so gewesen und keine Erfindung von Insurrektionalist*innen. In den meisten Fällen folgt der Rest der Bevölkerung einfach.
Ein wichtiger Punkt der Aktionen ist, dass sie von „normalen Leuten“ kopierbar sein müssen. Elite-Angriffe von hochqualifizierten Kämpfer*innen bringen die Revolution nicht näher.
<strong>Wahl der Ziele</strong>
Ein Angriff auf eine Filiale von "Subway" kann durchaus kritisiert werden. Lohnarbeiter*innen haben in großen Unternehmen oft bessere Bedingungen als in kleinen, wo sie unter dem Vorwand des "Zusammenhalts" gezwungen sind, unbezahlte Überstunden zu leisten und Arbeitsrichtlinien zu ignorieren. Wir wissen nicht, ob dieser Angriff spontan stattgefunden hat oder ob es doch Gründe gibt, gegen Subway vorzugehen.
Wenig überlegt war auch das Schießen von Pyrotechnik in die Demonstration hinein. Das hat dazu geführt dass die Demonstration geteilt und geschwächt wurde und sollte nicht passieren.
Eine weitere Sache: Die Medien behaupten oft, dass militante Aktivist*innen Gewalt zum Vergnügen anwenden. Während dies eine gute Werbung für die militante Linke sein mag, könnte es nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Während des Kampfes gehen linke Aktivist*innen absichtlich noch tiefer in die Scheiße, gegen die sie wirklich kämpfen wollen. Das Leben im Überwachungsstaat wird zum Leben im noch überwachteren Gefängnis. Miltante-Aktionen werden nicht zum Vergnügen ausgeführt, sondern weil sie sinnvoll sind. Aber gerade weil militante Aktionen auch viel Energie, Ressourcen und Lebenszeit kosten und Schmerzen verursachen, sollte immer besprochen werden, wann sie sinnvoll sind und ob sie die richtigen Ziele treffen. Es versteht sich von selbst, dass wir als Linke nicht in eine Friedens-Ideologie (und nichts anderes ist die bürgerliche „Gewaltlosigkeit“, ein "notwendiges falsches Bewusstsein") abrutschen dürfen.