#LE0907: Bericht des 2. Prozesstages vom 24.01.20
Am 09.07.2019 wurde eine Person aus der Leipziger Hildegardstraße abgeschoben. Mehr als 500 Menschen stellten sich den Cops dabei bestimmt in den Weg, was die anwesenden Beamt*innen mit exzessiver Gewalt, rassistischen Beleidigungen und 3 Festnahmen beantworteten.
Gegen 2 der Festgenommenen hat am 06.01.2020 der Prozess am Amtsgericht Leipzig begonnen, im Folgenden der Bericht vom 2. Verhandlungstag am 24.01.20.
2. Verhandlungstag
Am Freitag, den 24.1.20 wird das Verfahren am Amtsgericht Leipzig gegen zwei Angeklagte fortgeführt, denen vorgeworfen wird, bei einer Demonstration Flaschen und Steine auf Polizeibeamte geworfen zu haben. Der Angeklagte K., vertreten durch Rechtsanwalt Mucha und der Angeklagte B., vertreten durch Rechtsanwalt Engel, müssen sich vor Richter Weber, zwei Schöffenrichter*innen sowie Staatsanwalt Brückner verantworten.
Das Verfahren wird auch diesmal wieder von etwa 30 Interessierten verfolgt. Nach wie vor gibt es vor dem Betreten des Saals umfangreiche Kontrollen, auch elektronische Geräte wie Handys oder Laptops müssen am Eingang abgegeben werden. Gegen 9:05 wird das Verfahren durch Richter Weber eingeleitet. Es wird noch einen vierten Prozesstag am 02.03.20 geben. Für den heutigen, zweiten Tag des Verfahrens sind 5 Zeugen geladen. Der Polizeibeamte P.K. M., der einzige Belastungszeuge des Angeklagten B., erschien entschuldigt schon zum zweiten mal nicht.
Bevor der erste Zeuge erscheint, gibt Richter Weber der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern die Möglichkeit, nachträgliche Anmerkungen zum ersten Prozesstag zu machen. Staatsanwalt Brückner gibt an, sich über die von Rechtsanwalt Mucha erwähnten, wegen (gefährlicher) Körperverletzung im Amt laufenden, Strafanzeigen gegen zwei der am ersten Verhandlungstag als Zeugen geladen Polizeibeamten informiert zu haben. Er habe dazu keine laufenden Strafverfahren, sondern zwei durch Rechtsanwalt Mucha gestellte Anzeigen gefunden. Rechtsanwalt Mucha entgegnet, dass es bereits ein Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft gibt und dieses nachgereicht werden kann.
Der erste Zeuge dieses Prozesstages war der Vertreter des Ordnungsamtes und der Versammlungsbehörde H, der am 09.07.19 gegen 23:40 Uhr bei der Versammlung eintraf. Er erklärte, dass die Versammlung durch den Polizeieinsatzleiter mit Hilfe eines Megafons um 01: 30 Uhr beendet wurde und um 01:40 Uhr eine Freiräumung der Polizeifahrzeuge begann, die durch Sitzblockaden und Stehende blockiert wurden. Ab diesem Zeitpunkt sei dann auch die Stimmung in der Menge umgeschlagen. Es sei erst zu verbalen Äußerungen von Seiten der Versammlungsteilnehmer*innen und kurz darauf auch zu Stein- und Flaschenwürfen gegen die Beamten der Polizei und des Ordnungsamtes gekommen. Daraufhin benutzte die Polizei auch Pfefferspray. Ab 01:45 Uhr beobachtete der Zeuge H dann auch Festnahmen von zwei ihm unbekannten Personen. Auf Frage des Richters erklärte der Zeuge, dass es auch um 01:19 Uhr schon eine erste Beendigung durch den Einsatzleiter ohne Megafon gab, woraufhin aber nur wenige Teilnehmer*innen die Versammlung verließen.
Die Staatsanwaltschaft befragte nun den Zeugen. Der Zeuge erklärte, dass es in der Hildegardstraße zu Flaschenwürfen von ca. 10 bis 20 Werfenden kam. Es habe gegenüber den Werfenden keine deeskalierenden Maßnahmen gegeben. Der Zeuge war sich nicht sicher, ob es auch stillschweigende Versammlungsteilnehmer*innen gab. Er sagte aus, dass es sich um schätzungsweise 250 bis 300 Teilnehmende bei der Versammlung handelte und bejahte die Frage, ob es ein Protokoll der Vertreter*innen der Versammlungsbehörde gegeben habe. Anschließend wurde H gebeten noch genauer die Richtung und den Zeitpunkt der Flaschenwürfe zu beschreiben. Woraufhin er sagte, dass die Flaschenwürfe erst ab 01:45 Uhr anfingen. Die Flaschenwürfe seien aus der Hildegardstraße und die Steinwürfe vor allem aus der Eisenbahnstraße gekommen. Der Zeuge wurde dann gebeten dies in einer Karte einzuzeichnen.
Anschließend wandte sich Rechtsanwalt Engel mit einigen Fragen an den Zeugen. Er kritisierte vor allem die Antworten des Zeugen, da er auch Details, die er nicht genau wusste, wissentlich verneinte. Außerdem kritisierte er, dass es Unterschiede zwischen den Aussagen des Zeugen und dem Protokoll gäbe. Der Verteidiger ging auch nochmal auf die Durchsage durch den Einsatzleiter zur Beendigung der Versammlung ein. Woraufhin der Zeuge erklärte, dass diese nur auf Deutsch gewesen sein, er sie selber aber auch gar nicht gehört habe. Er sagte jedoch, dass er auch gehört habe, dass auch andere Sprachen, unter anderem auch Arabisch, auf der Versammlung gesprochen wurden.
Letztendlich kam es noch zu einer Befragung durch den Rechtsanwalt Mucha. Er erkundigte sich beim Zeugen, ob es im Nachhinein noch zu einer Aussprache zwischen der Polizei und dem Ordnungsamt und auch im Ordnungsamt intern kam, was der Zeuge verneinte. Außerdem fragte er, ob er mit den Versammlungsteilnehmer*innen persönlich gesprochen hätte, was er ebenfalls verneinte. Die Frage, ob das Verlassen der Versammlung für alle möglich gewesen sei, bejahte der Zeuge H, erklärte auf Nachfrage des Anwalts aber auch, dass das Verlassen für ihn nicht möglich gewesen sei, da sein Fahrzeug von Polizeifahrzeugen zugeparkt gewesen sei. Der Zeuge sagte auf Nachfrage des Anwalts auch aus, dass die Polizei Pfefferspray benutzte, er über den Einsatz von anderen Mitteln gegen die Versammlungsteilnehmer*innen aber nichts wüsste. Die Identitäten von den Ordner*innen der Versammlung seien von der Versammlungsbehörde nicht festgestellt worden, da sie lediglich durch ein Band markiert waren. Auf die Frage nach Verletzungen durch Pfefferspray bei Teilnehmer*innen, antwortete der Zeuge, dass er sich nicht sicher sei, ihm aber weinende Menschen entgegengekommen seien.
Rechtsanwalt Engel tat zum Schluss auch nochmal seinen Unmut über pflichtwidrig fehlende beziehungsweise wenig detaillierte Aufzeichnungen durch den Zeugen und das Ordnungsamt kund. Der Zeuge H wurde um 09:52 Uhr aus dem Gerichtssaal entlassen.
Der zweite befragte Zeuge ist ein Polizeibeamter, welcher in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 2019 im Einsatz war. Er gibt an, mit einigen Kollegen eine Kette um die Einsatzfahrzeuge gebildet zu haben, um diese vor den Versammlungsteilnehmer*innen zu schützen. Auf die Frage, ob er verletzt worden sei, erläutert er, er sei von einem geworfenen Stein an der Achillessehne und einem weiteren, ihm nicht erkenntlichen Gegenstand am Oberschenkel getroffen worden. Er sei daraufhin zum Arzt gegangen, dieser hätte ihn jedoch nicht krankgeschrieben. Auch blaue Flecken hätte er seiner Erinnerung nach nicht bekommen. Von wo und von wem die Gegenstände geworfen wurden weiß er nicht, da er mit dem Rücken zum Geschehen stand. Der Zeuge wird aufgefordert, auf einer Karte der Umgebung einzuzeichnen, wo er sich zu welchem Zeitpunkt der Geschehnisse aufgehalten habe.
Rechtsanwalt Mucha fragt nach, ob sich der Polizeibeamte an die Beteiligung von anderen, durch RA Mucha namentlich genannten, Polizeibeamten am Einsatz in der Hildegardstraße erinnert. Der Befragte antwortete darauf, dass dies nicht der Fall sei, da er „mehr als einen Einsatz im Jahr“ habe. Auch an eine besondere Nachbesprechung des Einsatzes unter ihm und seinen Kolleg*innen habe er keine Erinnerung.
Als dritter Zeuge wurde der Immobilienmakler und Dolmetscher S. geladen. Dieser war bei der Vernehmung des Angeklagten K. anwesend und übersetzte für diesen die Fragen des Polizeibeamten auf Englisch, sowohl simultan als auch konsekutiv. Bei der Vernehmung wurden ihm sowohl Fragen von Seiten des Richters und der Staatsanwaltschaft, als auch von Seiten der beiden Verteidiger gestellt. Dabei wurde sehr detailgenau vorgegangen, vor allem der Rechtsanwalt Engel beschäftigte sich sehr intensiv mit den Aussagen des Zeugen. Zuerst wird festgestellt, dass S. freiberuflich arbeitet und nicht vereidigt ist. Auf die Frage, warum S. letzteres nicht getan habe, antwortete S. nur sehr ausweichend. Letztendlich kam er nach mehreren Nachfragen zu dem Ergebnis, dass er eine Vereidigung nicht brauche und es deswegen noch nicht versucht habe. S. werde 3-5 Mal im Monat als Dolmetscher zu Vernehmungen von der Polizei gerufen, so auch am 10. Juli für K. Mit diesem habe er auf Englisch geredet, obwohl dies weder die Muttersprache des K., noch die primäre Muttersprache des S. war. Letzterer habe sich nicht nach der Muttersprache des K. erkundigt, da er selbst als Dolmetscher für die englische Sprache gerufen wurde. Auf Nachfragen der Rechtsanwälte erklärte S., dass er in Kamerun geboren sei und die Amtssprachen dort Französisch und Englisch seien. Primär habe er zu Hause Französisch gesprochen, Englisch habe er in der Schule gelernt. Zu Beginn der Vernehmung habe S. den K. gefragt, ob dieser ihn verstehe. Auf Nachfragen des Staatsanwalts konkretisierte S. seine Aussage, dass er den K. gut genug verstanden habe.
Dies wurde von der Staatsanwaltschaft aufgegriffen und es wurde versucht zu ermitteln, wie gut die Englischkenntnisse des S. seien. Der Staatsanwalt wollte wissen, ob K. ein sehr einfaches Vokabular nutzte und bei schwereren Wörtern lange überlegen musste. S. erwiderte daraufhin, dass er den K. gut verstanden habe, auch wenn dieser kein Wörterbuch zur Hand hatte. S. wurde auch nach dem Zustand des Angeklagten K. bei der Vernehmung gefragt. Darauf antwortete er, dass K. müde, ängstlich und besorgt wirkte, was er sich durch ein Zittern des K. erklärte. Auf die Frage des Rechtsanwaltes M., ob S. schon öfter mit unter Alkoholeinfluss oder auf Drogen Stehenden gearbeitet habe, bejahte S. dies. Dem Angeklagten wurde das Handy abgenommen, weshalb er seine Freundin nicht erreichen konnte. S. sagte auch aus, dass er dem Angeklagten eine Belehrung über die mögliche Inanspruchnahme eines Anwalts übersetzte. S. könne sich aber nicht mehr erinnern, ob K. eine*n Anwalt/Anwältin vor oder nach der Vernehmung wollte. Fraglich ist auch, ob auf der Belehrung vorgefertigt stand, dass K. keinen Anwalt annehmen wolle. In der weiteren Vernehmung des S. stellte sich heraus, dass dieser eine Qualifikation auf C2 Niveau in der Sprache Deutsch habe, allerdings nicht in der juristischen Fachsprache. Er sei seit 2011 in Deutschland und lernt seitdem auch die Sprache. Seit 2016 dolmetscht er für Behörden. Danach fragte Rechtsanwalt Mucha den Zeugen, ob dieser ihm die Worte Effekten, Sicherheitsleistung und Ordnungswidrigkeitsgesetz auf Deutsch beschreiben könne. All dies gelang dem S. nicht. Insgesamt gab es mehrere Verständnisfragen seitens des Anwaltes E. an den Zeugen und dieser verstand die Fragen oft nicht.
Danach äußerte sich der Richter zu dem Protokoll der Vernehmung zwischen S. und K., nach dem der letzte Satz des Vernehmungsbeamten den Inhalt hatte: „wenn Sie hiernach gehen könnten, wohin würden sie gehen?“. Fraglich ist, ob S. dies genau so übersetzt hatte oder stattdessen, dass der K. nach der Vernehmung nach Hause gehen könne. Problematisch war laut Protokoll auch, dass S. nicht weiter darauf einging, dass sein eigener Name falsch geschrieben und unklar war, wann der S. gegangen sein.
Als vierter Zeuge wurde Polizist M. geladen. Seine Befragung startete mit den Zuständen der Polizeiwägen, konkreter dem Abschiebefahrzeug und den festgestellten Schäden nach dem Abend. Ferner wurde die Anwesenheit und Gefährdung von zivilen Fahrzeugen erfragt. Dabei konnte M. möglicherweise entstandene Schäden keinem der Angeklagten zuordnen. Laut weiterer Aussage startete die Demonstration durch Sprechchöre gegen die Abschiebung und der bloßen Präsenz der Teilnehmer*innen. Später soll sich die Stimmung jedoch gewandelt haben, nachdem klar geworden sei, dass die Abschiebung trotz friedlicher Verhinderungsversuche dennoch vollzogen wurde. Dabei richteten sich laut M. ganz klare Aggressionen direkt gegen die Polizei.
Strafverteidiger Engel übernahm im Folgenden die Befragung. Im Mittelpunkt standen dabei die Sichtverhältnisse, die genauen Abstände zu den Demonstrant*innen und die Möglichkeiten zur Identifizierung einzelner Personen. Zeuge M berichtet im Bezug darauf von der Unmöglichkeit Stein- und Flaschenwürfe aus hinterer Reihe zu erkennen, da sich die Polizist*innen in dynamischer Bewegung befanden und die Dunkelheit sowie die Anzahl der Demonstrant*innen die Sichtverhältnisse erschwerten. Die Frage des Strafverteidigers Mucha, ob der Zeuge M den Einsatz körperlichen Zwanges, insbesondere durch Tränen- und Reizgas einsetzte, verneinte M ebenfalls.
Als Fünfter wurde anschließend Polizeiobermeister S. in den Zeugenstand gerufen. Im Gegensatz zu Zeugen M berichtete Zeuge S. von direktem körperlichen Zwang, den er selbst im Versuch der Räumung gegen die Demonstrant*innen anwandte. Auch den Einsatz von Tränengas nahm er wahr. Zusätzlich konnte er jedoch keine Stein- oder Flaschenwerfer identifizieren und bestätigte die schlechten Sichtverhältnisse. Zeuge S. kümmerte sich direkt um den Angeklagten K. und berichtete in diesem Zusammenhang ebenfalls von dessen kritischen Zustand. Mehrmals erwähnte S., K. sei besonders „weinerlich“, emotional und schluchzend aufgetreten. Verletzungen wies er laut S augenscheinlich jedoch nicht auf.
Strafverteidiger Mucha verlas im Anschluss zu diesen Aussagen einen Polizeibericht der ZPG über den körperlichen Zustand des K. nach der Demonstration. Demnach seien in seinem Gesicht mehrere Schürfwunden und Kratzer diagnostiziert worden. Ein Arzt sei nicht zuletzt aufgrund der Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Beamt*innen und dem Angeklagten K. nicht gerufen wurden. Die Befragungen der letzten beiden Zeugen zielte wiederholt auf den Polizeibeamten P. K. M., der in zivil unterwegs gewesen sein soll, ab. Dieser wird im nächsten Prozess Termin am 17.2.2020 einen der Hauptzeugen darstellen. Von ihm wird eine Aussage bezüglich sieben vermeintlicher Steinwürfe des B. erwartet. Die Polizeibeamten und Zeugen S. und M. standen nach eigener Aussage während der gesamten Geschehnisse nicht im Kontakt mit P.K.M und können seine Anwesenheit nicht bestätigen.
Zum Ende des Prozesstages verkündete Engel den Missmut seines Mandanten B. über die derzeitig andauernde Inhaftierung in U-Haft. Diese Behandlung sei unangebracht. Engel meinte dabei, dass eine Identifizierung seines Mandanten nicht stattgefunden habe und dass die Vorstellung einer Sammlung und Hortung von sieben Wurfgeschossen in den geschilderten Umständen abwegig sei. Er brachte außerdem kritisch zu bedenken, dass B. als alleinerziehender Vater als Bezugsperson für seine Tochter fungiere und er diese Rolle in Untersuchungshaft kaum wahrnehmen könne.
Richter Weber unterbrach diese Bestreben daraufhin recht forsch. Drei Wochen würde es K auch noch in Haft aushalten, meinte er. Da die Aussage des P.K.M. weiterhin ungeklärt sei, verbleibe Angeklagter B. auch weiterhin bis zum 17.2.2020 in U-Haft.
Darauf folgende Kritik aus dem Publikum durch empörtes Murmeln, wurde mit Ordnungsrufen belegt. Auf die Frage des vorsitzenden Richters Weber, was denn lustig sei, antworteten verschiedene Personen aus dem Publikum, dass sie nichts lustig fänden, sondern schockiert über die lapidare Aussage des Richters seien, drei Wochen im Gefängnis halte B. auch noch aus. Insbesondere als Alleinerziehender einer dreijährigen Tochter und trotz Unschuldsvermutung 8 Monate im Gefängnis zu sein, komme es auf jeden Tag in Freiheit an.
In Unruhe endete gegen 14.15 der zweite Prozesstag.
Kritische Jurist*innen Leipzig und Solikomitee 1007