[LE] Interview mit Néstro nach seiner Entlassung am 22.01.2020
Interview mit Néstro vom 22.01.2020, wenige Stunden nach seiner Entlassung. Geführt haben das Interview Konrad Mendel und Anja Schwerthoff vom Solidaritätskomitee 31.12. Das Interview kann auch als PDF heruntergeladen werden.
Hallo Néstro – es freut uns so richtig, dass du jetzt gerade vor uns sitzen kannst! Du bist vermutlich sehr fertig von den letzten Tagen und willst deine Freiheit genießen. Wir versuchen, uns kurz zu halten. Wie geht es dir gerade?
Mir geht es heute mega gut, weil ich frei gekommen bin. Es ist verdammt schön über die andere Seite des Zauns gucken zu können. Gleichzeitig bin ich schon auch ein bisschen traurig, weil die anderen das noch nicht können…
Deine Entlassung war für uns alle sehr überraschend. Wie kam es dazu?
Ja, für mich war es auch überraschend. Vor allem einen Tag vor der Haftprüfung – das ist schon komisch. Der Witz ist, dass die Freilassungsgründe am Ende die selben waren, die drei Wochen vorher vom Haftrichter einfach ignoriert wurden um mich in Haft zu stecken. Dazu kommt, dass mein Anwalt von Anfang an auf verschieden Verfahrensfehler hingewiesen hatte, aber das haben die auch ignoriert. Naja, und ich denke, die Justiz hat auch ein bisschen Bammel wegen dem Hungerstreik bekommen. Aber ob das jetzt der ausschlaggebende Grund für meine Entlassung war, kann ich nicht sicher sagen.
Du hast gerade den Hungerstreik angesprochen. Wie geht es dir nach 6 Tagen ohne Essen?
Wenn man sich mit dem Fasten beschäftigt, weiß man, dass sich der Körper schon nach drei Tagen selber ernährt, also von sich selber zehrt. Erst wird das Fett in Zucker gewandelt, dann kommen die Muskeln dran. Mehr braucht das Gehirn auch erst mal nicht. Ich habe ja die ganze Zeit Wasser getrunken, bei einem trockenen Streik, also einem Durststreik, sieht das anders aus. Zwischendurch habe ich dann auch mal einen Tee oder eine Magnesium-Tablette oder ein bisschen Brühe getrunken.
Hattest du bereits Erfahrung mit Hungerstreik?
Nee, das war mein erstes Mal, aber ich habe mich schon mal damit beschäftigt. Ich war von Georg Huß inspiriert, der mit einem Hungerstreik auf die Zustände in französischen Knästen aufmerksam gemacht hat. Das war 2017, als er 43 Tage oder so geschafft hat, drei davon im Durststreik.
Was waren deine Hoch- und Tiefpunkte in der Haft?
Das schönste war immer der Besuch und die Briefe von den Unterstützer*innen. Das Feuerwerk vorm Knast hat uns drinnen auch sehr gut getan. Das schlimmste war auf jeden Fall die Lüftung. Da zog andauernd Kacke-Geruch und Zigaretten-Rauch durch. Am liebsten morgens – alles in meine Bude rein!
Wie kamst du mit den anderen Inhaftierten und den Wärter*innen zurecht?
Das Wichtigste ist, sich nicht hängen zu lassen und sich nicht alles gefallen zu lassen. Es ist aber bei weitem nicht so schlimm, wie man es so aus dem Fernsehen kennt. Du bist halt mit Leuten zusammen, mit denen du hier draußen nichts zu tun hast. Man muss sich halt arrangieren…
Du hast angesprochen, dass Georg Huß gegen die Zustände in französischen Gefängnissen protestiert hat. Wie sind denn die Zustände hier?
Oh ja, zu erst natürlich schlechtes Essen, also so richtig schlechtes Essen. So Nudelbrei mit Spinat zum Beispiel. Sogar mein Hund isst besser. Dann jeden Morgen das gleiche Brötchen, die gleiche Butter und darauf die gleiche Marmelade. Dann gab es zur Abwechslung mal Camembert, darüber habe mich übelst gefreut. Aber nichts da, weil die Kühlkette war unterbrochen worden und der Käse war super ekelhaft verschimmelt. Später war der ganze Hof voll mit dem dem Camembert. Alle haben den raus geschmissen. Naja, ihr könnt es euch vorstellen.
Freizeit-Aktivitäten sind kaum vorhanden. Um auf den Spotrplatz zu kommen, muss man die Schließer*innen wirklich überreden, dass man da raus darf. Das ist ein Witz.
Dann gibt es da die Firma Massak. Das ist das Standart-Unternehmen für die Knast-Shops. Bei denen muss man dann einkaufen, die haben Verträge mit den Knästen und furchtbar hohe Preise. So zum Beispiel bei Wasserkochern, die darf man nur von Massak kaufen. Eigentlich kann man alles nur bei Massak kaufen, sehr gute Monopol-Stellung. Wenn man sich dann das teure Zeug von Massak kaufen können will, muss man für 1,23 Euro Stundenlohn im Knast arbeiten.
Aber wenn dann mal Tag der offenen Tür ist, packen die eine Zelle aus der Folie aus. Dann kommen da neue Klamotten rein und der Hof ist blitzblank. Ich kann ja normal nicht viel sehen durch die vergitterten Fenster, aber die Ratten, die in der Nacht den Camembert vom Hof putzen schon. Ach, und ein Enten-Pärchen. Jedenfalls blitzblank am Tag der offenen Tür.
Aber dass die anderen Tage im Jahr so schlimm sind, liegt ja auch an der Gesellschaft, dass dort alles aufs Minimum reduziert wird im Knast. Was man draußen gar nicht mitbekommt, sind die beiden Toten im letzten Jahr. Es wurde versucht das zu vertuschen – drinnen soll darüber auch nicht gesprochen werden. Einer ist an einer Überdosis Subutex gestorben – das wird eigentlich vom Arzt verschrieben bei Heroin-Entzug. Der andere wurde ein paar Tage später bei Aufschluss abgestochen.
Wie möchtest du weiter machen?
Meiner Arbeit nachgehen, das ist gerade das wichtigste für mich. Mich wieder aufs Motorrad setzen. Freue mich sehr darauf, mich mit meinen geliebten Menschen zu umgeben. Man muss erstmal wieder dazu kommen, den eigenen Alltag wieder zu leben. Und auf mein Bett habe ich mich gefreut – ohne Scheiß – auf mein Kopfkissen. Das ist eine Katastrophe da drinnen, das ist winzig. Joa, das Kopfkissen ist echt wichtig.
Abschließen möchten wir noch einmal auf den Hungerstreik zu sprechen kommen: Die Anstaltsleitung hat durchgehend behauptet, dass sie alle Gefangenen befragt hätten und alle essen würden. Wie kam es dazu?
Eigentlich sollte ja am Donnerstag meine Haftprüfung sein. Da hätten sie bestimmt versucht, mir das negativ auszulegen, wenn ich im Hungerstreik bin. Wer weiß, am Ende hätten sie mich noch an den Schlauch gehängt und deswegen drinnen behalten… Aber ich konnte ja zum Glück auf die Leute draußen vertrauen, die meinen Brief bekommen haben und verstehen können, dass man dem Haftrichter nicht noch mehr Gründe geben will.
Hast du abschließende Worte?
Zunächst muss ich mich erst mal sortieren und einen klaren Kopf bekommen. Natürlich denke ich oft an die anderen beiden Silvester-Gefangen und wünsche mir, dass auch sie bald rauskommen. Außerdem möchte ich mich nochmal für die ganze Unterstützung bedanken.
In Liebe und Aufrichtigkeit für die Anarchie, Néstro