Brief an die Besetzer:innen des Wasserwalds

Abstract: 
Ein eher persönlicher Brief an die Mitkämpfenden, der hier hoffentlich alle Gemeinten erreicht

Ich sitze hier und denke beim Anblick der Fotos der gesmashten Hütten des Wasserwalds an die geräumten Leute, die jetzt müde im kalten Zelt sitzen und sehen, wie das Dorf von der Macht abgeräumt wird. Es mag das Gefühl von Traurigkeit und Verlust überhand nehmen. Was jetzt geschieht, gibt sicher ein trauriges Bild ab, mit haufenweise Spezialgerät, behütet von ganzen Schwärmen von Cops fräsen sie unsere Sachen aus dem Wald, gleichzeitig wühlen sich Baumaschinen durch die Erde, es wird jetzt eine Straße durchplaniert – rundum grässlich. Endzeitstimmung. Alles kaputt. Hat es sich gelohnt?

 

Ich denke zurück. Vor bald genau 40 Jahren saß ich das erste Mal tagelang in einem Hüttendorf. Damals waren wir noch froh, wenn wir bereits genau ein Hüttendorf irgendwo in Deutschland auf die Reihe bekommen haben – seinerzeit war’s Wackersdorf. Ein Jahr Vollzeitaktivismus. Am Schluß alles brutal zerklopft und in die Hoffnungslosigkeit abdriftend. Wir für eine ganze Zeit ausgebrannt. Doch die Kämpfe wirkten nach. Jahre später wurde das Projekt der WAA beerdigt. Heute haben wir uns komplett von der Atomkraft gelöst, wenn es auch eine brüchige Sache ist. Das Wichtige aber: in mir drin wirkte auch etwas nach. Ich war nicht mehr derselbe, da war eine Glut entfacht die nicht mehr verlöscht bis heute. Der wichtige Erfolg des Widerstands gegen die Atomanlage war weniger der strategische im Kampf gegen AKW’s, sondern das Entfachen dieser Glut. Bei mir, bei unzähligen anderen Menschen in Wackersdorf und überall, sie war schon vorher da und wird immer sein. Ich sah damals Fäden in die großen Kämpfe zu Anfang des Jahrhunderts reichen, ich sehe heute Fäden von damals ins Jetzt gesponnen.

 

Und ich sehe mit Freuden, das heute viele Hüttendörfer blühen, die der kaputten Maschine der kapitalistischen Zivilisation trotzen, krass viele Leute den Traum vom freien, selbstbestimmten Leben in sich tragen und auch feste Hand anlegen, anstatt sich nur in fähnchenschwingende Kolonnen einzureihen. Anstelle der Massendemos mit geifernden Politpromis auf den Podien haben wir ein flächendeckendes Aufflammen von Widerstandsnestern. Mittlerweile ist eine richtige Kultur darum entstanden, es gibt Skills, Equipment und Professionalität. Es hat sich schon viel geändert und es ist eine Zeit, in der die Barrikaden blühen. Unsere Appelle der letzten Jahre waren ein Angebot – künftig wird gehandelt. Es ist erkennbar ein Roll-Back, wenn genau jetzt in der „großen Politik“ der Hebel auf einen totalitären Staat gestellt wird, mit allen Tricks die der Macht zur Verfügung stehen.

Sie flippen aus wenn auch nur eine Flasche auf ihre Polizeihorden fliegt und reden von Gewalt, wollen uns erdrücken. Wovor sie aber eigentlich Angst haben, ist die Gewalt unserer Argumente. Ich sehe auf einen Blick mit wachem Auge, was für ein Blödsinn hier passiert. Wie aus ganz Berlin die Massen zusammengezogen und mehr als 30 Kilometer weit entfernt hier ins Naturschutzgebiet an ihrem Arbeitsplatz ausgekübelt werden, ist bereits eine Absurdität. Wenn Kleinwagen für Berlin aus China oder Spanien hergebracht werden, während die Bonzenschüsseln aus Grünheide nach China und Spanien gehen findet dieser Irrsinn seine globale Fortsetzung. Das soll ein Strukturwandel sein? Wenn das da drüben eine Modellfabrik ist, dann aber höchstens zur Schleifung der Gewerkschaften und ihrer erkämpften Rechte und Reformen, dem Schleifen von Rechten für die Umwelt und Menschen, die sich geschädigt fühlen – kurz eine Modellfabrik, welche die völlige Entfesselung raffgierigem Profitstrebens von jeglicher moralischer Instanz vorleben will. Da spricht aber niemand von Gewalt.

 

Gegen den Tesla-Betontempel des Verderbens habt ihr mit ein paar Brettern, Seilen und gehörig Handarbeit einen Turm der Erkenntnis errichtet, der daneben stand wie ein Licht in der Dunkelheit. Da sind hunderte Leute durchgegangen und haben mitgebastelt, haben sich die Köpfe frei gewaschen und auch diese Glut getankt. Sehr lange habt ihr diesen Begegnungspunkt gehalten und fortentwickelt. Manche mit vollem Einsatz, andere in Teilzeit, viele gar nicht da – ein cooles Projekt kriegen wir auch ohne Chefs und Staat hin.

Wenn sich jetzt bei einigen das Gefühl von Ohnmacht oder Depression einschleicht, dann verzagt nicht. Das ist nur eine Verschnaufpause. Indem sie diesen Platz zerstampfen, stiebt die Glut wieder tüchtig auf und wird in alle Richtungen getragen. Mit einer gehörigen Portion Zorn dran. Auch die Glut die ihr geschaffen habt, wird also Folgen haben – in der Politik insgesamt und in euch. Ich denke ihr solltet nicht traurig sein, sondern ein wenig stolz. Denn in dem Augenblick in dem ihr die Zelte abbrecht, züngeln anderswo bereits wieder die Flammen hoch. Es werden noch viele Kämpfe folgen. Das war schon immer und wird immer sein bis alles und alle frei sind.

Bilder: 
Anarc
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