Luftbrücke Hong Kong – Barcelona. Bulletin Nº 2

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 "Wir wollen keine Huldigungen, nur um dann der Nachwelt in der Geschichte der Katastrophen zu erscheinen."


Das gro
ße Spiel

Ruinen

Spanien ist eine Ruine. Der Wind weht durch die Leere, die die Größe Spaniens hinterlassen hat. Wir wurden von der sogenannten Tradition, von jeder Generation von Herrschern, von jeder Generation von Kaufleuten und Betrügern ausgeraubt. Nur zerbrochen und gescheitert, können die Spanier versuchen sich neu zu erfinden, um dem Niveau ihrer Kunst und ihrer Feste gerecht zu werden. Hongkong, Chile, Ecuador, Haiti, Libanon und die gelben Westen Frankreichs zeigen, dass die Regierungsform selbst eine Ruine ist. Eine grimmige Ruine, die ihre Seifenblasen schützt, als wären sie Diamanten.

Consejo de los Tumultos

Im 16. Jahrhundert brach in den Niederlanden eine Revolte gegen die spanische Krone aus. Gefordert wurde die Freiheit der Religionsausübung, die Freiheit der Konvertierung zur protestantischen Religion. 1556 schickte Philipp II. den Herzog von Alba, um den Aufruhr zu unterdrücken. Er führte ein Regime des Terrors und der Unterdrückung unter dem Namen einer Institution namens Consejo de los Tumultos ein, das nichts anderes als ein Sondergericht war.

 

Auf die Proteste gegen diese Willkür erwiderte der Herzog Fernando Alvarez de Toledo:
"Und wenn einige dadurch versehentlich sterben sollten, dann werden sie eben Märtyrer und kommen direkt in den Himmel."

 

Der Prinz von Oranien bekräftigte daraufhin sein Motto "Ich werde nicht nachgeben" (No cejaré) und leitete seine Kampagne „der Armen des Meere“ ein, Operationen einfacher Leute, die sich an Überraschungsangriffen an den Kanälen beteiligten, um sich dann wieder zu verstreuen. Das spanische Imperium musste sich achtzig Jahren Krieg stellen, verlor seine Territorien und begann zusammenzubrechen. Heute nun will Spanien diese seine Strategie von Terror und Unterdrückung fortführen.

 

 

Alles blockieren

Dies war die erste Intuition der katalanischen Revolte. Die Blockade des Flughafens zeigte denen, die es sehen wollten, die illusorische Natur der Normalität. Blockaden von Straßen, Wegen und Bahnlinien erstreckten sich über das ganze Land. So viele Orte der Begegnung und Auseinandersetzung, des Ideenreichtums von Leibern und Barrikaden. In der zweiten Woche wurde ständig alles weiterentwickelt. Es wurden bereits zwei Mal Baumstämme auf Gleisen platziert, wirkungsvoll wie die einfachen Haken an den Oberleitungen, die vor langer Zeit die Bewegung des TGV in Deutschland und Frankreich blockierten.

 

Wir werden nichts mehr erwarten, jetzt wo alles begonnen hat

 

Es sind die Jugendlichen, die die Revolte für alle vorantreiben. "Wir haben unser Lächeln verloren." - "Jetzt, wo wir ihnen gegenüber stehen, wollen wir nicht weichen." - "Wir sind hier für jeden Hieb, den unsere Großmütter erleiden mussten." - "Was wir tun, ist Selbstverteidigung. Unser Wunsch, die Welt zu verändern, ist größer als die Angst, die unser Körper fühlt."

 

In dieser zweiten Woche begannen an vielen Universitäten Blockaden und Besetzungen. Einige hatten Konfrontationen von Angesicht zu Angesicht mit ultrarechten Gruppen und bürgerlichen Studenten. "Wir werden nicht nachgeben." Diejenigen, die sich widersetzen, sind zu einer Basis geworden, um die Bewegung und die Auseinandersetzung zu intensivieren.

Den Aufstand teilen

 

Wie überall lösen die Forderungen, die den Konflikt ursprünglich auslösen, nicht alles. Was sind dreißig Cent mehr? (1) Und ein Staat mehr oder weniger? Das sind nur die Tropfen, die das Gefäß einer Wirklichkeit füllen, die nicht mehr die kapitalistische ist. Der Overflow beginnt, es sind die auftretenden Kräfte, die die grundsätzliche Öffnung der Situation bestimmen. Das heißt, die Bedeutung dessen, was geschieht und was durchbrochen wird. Das Leben, das sich in der Rebellion eröffnet, bricht nicht nur mit der Normalität, sondern hörtauf, die Abspaltung und die Gleichgültigkeit, das Leiden, das in uns wohnt, weiter zu nähren.

 

Jetzt, da alles beginnt, ist es an der Zeit, die Beziehungen, die hinter den Barrikaden entstanden sind, zu erhalten und auszubauen. Jeder einzelne von uns teilt, mit leuchtenden Augen, den Wunsch, alles zu verändern und Brücken zu bauen. Und es geht bereits darum, darauf zu achten, was sich ereignet: Die Bindungen der Freundschaften, die entstehen, sowohl innerhalb der anonymen Massen, die die Straßen erobern, als auch zwischen den verschiedenen Leben, die sich innerhalb der Zusammenhänge verflechten, die sich jetzt überall organisieren.

 

Lokale Komitees

 

Einige hätten gewollt, dass der Aufstand eine Angelegenheit des katalanischen Volkes ist. Eine romantische und bürgerliche Idee des 19. Jahrhunderts. In jeder Revolte gibt es diverse Splitter, Gruppen von Menschen. Und es sind immer hartnäckigsten und entschlossensten Splitter, die Brüche in der Normalität öffnen und den Spieltisch selberumstürzen. Zerstöre den Tisch, fliehe der Seligsprechung jenes Elends, das von den Polizisten der katalanischen und spanischen Regierung gebilligt wird. Die Initiative haben die lokalen Verteidigungskomitees, die CDRs (Comités de Defensa de la República) und die in den Quartieren und Dörfern organisierten Gruppen. So zerstreut und inkonsistent sie auch erscheinen mögen, es ist jener Ort, an dem die politische Phantasie die Regierungen hinweg spült, die angesichts von Millionen von organisierten Zusammenhängen nichts tun können. Wir sind nicht allein. All das Leid und all die Traurigkeit, die unsere Existenz zerfetzt, schreit nach Bündnissen und Verteidigung.

 

Absetzen. Denken, Kämpfen, Aufbauen.

 

Rosa Luxemburg sagte, dass es nicht der Generalstreik war, der die Revolution hervorgebracht hat, sondern die Revolution, die den Generalstreik mit sich brachte. Denn jede Revolution ist ein Prozess, der seine eigene zeitliche Entwicklung hat, bis er in einer bestimmten Epoche wahrnehmbar wird. Gleiches gilt für den entbehrungsreichen Prozess, der der Ausstieg aus der ökologischen und existenziellen Katastrophe dieser Welt sein wird. Auf uns wartet keine sichere Zukunft. Die Verelendung des gegenwärtigen Zustands der Dinge bedeutet nicht nur Zerstörung. Gleichzeitig ist es das Auftauchen neuer Orte, die Entstehung von Räumen. Es ist ein Prozess, der sich entwickelt. In den Aufständen gegen diese Welt, die sich von Land zu Land ziehen, die von Stadt zu Stadt verlaufen, bleibt der Prozess der Verelendung offen. Verelendung bedeutet auch, gemeinsame Wahrnehmungen über das zu entwickeln, was nicht ist, und zwar in seinen Möglichkeit: Alles, was wir in diesen Tagen gesehen haben, alles, was wir uns vorstellen können, gegen die Totalisierung der Administration, die die Fortsetzung der Katastrophe ausmacht.

 

Alle hassen die Polizei

 

Überall steht die Polizei als Hindernis zwischen den Rebellen und den Herren der Welt. In Katalonien und Barcelona war das bereits für jeden offensichtlich. Die Angstreflexe, die durch Fernseher und andere staatliche Gerätschaften hindurch sickern, sind aufgebrochen. Die Angst vor dem anderen und die Angst vor den Armen. Jeder hasst die Polizei. Die Polizei, die in sieben Tagen vier Menschen getötet hat. Diejenige, die versuchte, uns mit ihren Transportern zu überfahren und es ein paar Mal geschafft hat. Die uns verprügelt und blockiert und einsperrt. Die alte Taktik Hongkongs, Feuer und Wasser zu sein, zu explodieren und zu verschwinden, schwer fassbar zu sein wie Wasser und raffiniert wie Feuer, zeigt seit Monaten die Unwirksamkeit der Polizeiinstitutionen gegenüber der strategischen Intelligenz von Tausenden von Aufständischen. "Wir sind die Polizei und wir tun, was wir wollen. Wir sind das Gesetz", sagten sie neulich einem Journalisten. Wenn die Polizei das Gesetz ist, ist die Revolte die Stärke der Wenigen, die die Verantwortung für andere Formen des Lebens in dieser Welt übernehmen.

 

Heute ist das Regime am Ende. Weil diese Welt untergegangen ist.

 

Die unerträgliche Leichtigkeit, mit der das Unerträgliche in uns lebt, wird mit der extremen Last sichtbar, die wir schon immer mit uns herumgeschleppt haben.

 

Das Gesicht, das zur Revolte aufruft, ist anonym.

 

Wie Wasser bis zum Überlaufen auffüllen. Und wieder verschwinden.

 

Wie Feuer, brenne überraschend und verbrenne sie zu Asche. Und davonfliegen.

 

Immer und immer wieder. Tausende von Körpern, Erinnerungen, verschwundene Wesen.

 

Immer und immer wieder ist jeder Tag ein Fest.

 

Das Fest ist der Aufstand von Körpern, Blicken, Anwesenheiten. Zählen ohne zu zählen.

 

Denn der Aufstand ist angesichts des Zusammenbruchs das einzige mögliche Fest.

 

Was wird als nächstes passieren?

 

Danach war es gestern.

 

Morgen ist reines Vertrauen im täglichen und gewöhnlichen Leben, das an der Oberfläche der Haut brennt wenn ich dich umarme.

 

 

 

(1) Gemeint ist die Preiserhöhung der Metro von Santiago de Chile, die die jüngste Revolte dort auslöste

 

 

 

 

 

 

 

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