(B) Knallige Demo für bedrohte Projekte
Am Samstag Abend fand die Demo für den Erhalt von Liebig34 und anderer bedrohter Projekte statt. Dabei kam es gegen Ende zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und Beschädigungen an der Baustelle der CG-Gruppe. Hier ein paar gesammelte Eindrücke und Wertungen.
Die Demo startete gleichzeitig mit nur etwa 450 Leuten am Lausitzer Platz und an der Köpi, wo sich ungefähr die selbe Menge an Menschen zusammengefunden hatte. Zuvor war ein Demozug aus Richtung Syndikat nach Kreuzberg gekommen. Die zwei Züge vereinten sich am Schlesischen Tor und als die Demo über die Oberbaumbrücke in den Friedrichshainer Südkiez kam, wuchs die Menge deutlich an. Die Staatlichen berichten von 1000 Menschen, eigene Schätzungen gehen bis 2000. Außer Feuerwerk blieb die Demo bis dahin ruhig und auch die Bullen blieben auf Abstand. Dann ging es in den Nordkiez und an der Baustelle der CG-Gruppe vorbei, welche von den Bullen nicht geschützt wurde. Der Funken zündete: Die Baustellenabsperrungen wurden niedergerissen um an den Container der Securities zu kommen, welche bis heute diesen Straßenabschnitt kontrolliert und Anwohner_innen terrorisiert hatten. Laut Presse meinte ein Security später, dass er glaubte um sein Leben rennen zu müssen. Der Container wurde demoliert und auch ein Bengalo landete wohl darin. Der bereits verputzte Neubau wurde mit Farbe beworfen. Dann schwenkten die Angriffe auf die dort zahlenmäßig stark unterlegenen und verunsicherten Bullen um. Sie wurden mit Baustellenmaterial, Steinen, Flaschen, Feuerwerkskörpern und Klappbänken beworfen und es kam wohl auch zu direkten Handgreiflichkeiten. Es entstanden für diesen kurzen Zeitraum Momente, in denen sich einige Individuen und Kleingruppen ihre Freiheit nahmen Chaos zu stiften. Die Stimmung wurde von Sprechchören aus den organisierten Reihen solidarisch begleitet: „All Cops are targets!“. Die Demo ging weiter und kurz nach der Rigaer78, zwischen Silvio-Meier-Straße und Proskauer Straße wurden etliche geparkte SUVs eingeknallt – fragwürdigerweiße aber auch einige Kleinwägen. Die Einsatzleitung reagierte auf die überraschenden Ereignisse schließlich mit der Absperrung der beiden Querstraßen, was zu einer Kesselsituation führte, in der eine sehr große Menge eingeschlossen war. Nach zwanzig Minuten wurde der Kessel aufgehoben und die Demo konnte an den Dorfplatz ziehen, wo die obligatorische Pyroshow der Liebig34 mit der Enthüllung eines Riesenplakats gekrönt wurde. Wenig später, am Bersarinplatz wurde die Demo aufgelöst und viele Leute begaben sich Richtung Dorfplatz. Dort gab es Musik aus der Konserve. Hier wurde sich über die Ereignisse ausgetauscht. Somit kann nicht nur subjektiv berichtet werden, dass die Demo als kraftvoll und die Angriffe als wichtiger offensiver Moment im Kampf um die bedrohten Projekte bezeichnet werden können. Viel wurde auch über die Verletzten geredet, die es auf unserer Seite gab. Berichtet wurde von einer Person, die bewusstlos war und von den Demo-Sanis erstversorgt wurde, bis die Bullen nach längerer Verzögerung eine Ambulanz durchließen. Die genauen Geschehnisse sind bisher nicht aufgeklärt, was hoffentlich noch geschieht. So oder so gilt die Solidarität den Verletzten und auch den Festgenommenen, deren Zahl nach vorsichtiger Schätzung im einstelligen Bereich lagen. Ihr Los muss kollektiv getragen werden.
Doch der Abend war – zumindest zwischen Liebig34 und Rigaer94 – noch nicht vorbei. Im Bewusstsein der globalen Klimakatastrophe wurde ein smartes Carsharing E-Mobil politisch verschönert und die Straßenbeleuchtung wurde auf Anwohner_innen-Initiative reduziert. Es wurden alt-bewährt Mülltonnen auf die Rigaer Straße geschoben und angezündet, während am Dorfplatz die Bullen massiv angegriffen wurden. Es dauerte einige Minuten, weitere Steine und Farbangriffe, bis die Bullen reagieren konnten, indem sie die ganze Straße fluteten. Gut war, dass sich viele Leute davon nicht verdrängen ließen und der Abend ohne weitere Ereignisse ausklingen konnte, als die Einsatzleitung entschied, ihre bloßgestellten Söldner wieder zurückzuziehen.
Soviel zum Versammlungsverlauf. Am Tag danach sind die öffentlichen Reaktionen bisher zurückhaltend. Die CDU berichtet exklusiv von 40 verletzten Polizeibeamt_innen, was wenig glaubwürdig ist, auf der Henkelschen Skala der Demo aber wohl den Rang der schlimmsten und gewalttätigsten Demo seit 2016 eingebracht hätte. Zur Einmischung der CDU muss noch erwähnt werden, dass die zwei Vorzeige-Idioten Kurt Wansner und Burghardt Dregger („Rigaer94 abreissen und drei Jahre Brach liegen lassen“) versucht haben, aus dem Datum Kapital zu schlagen, indem sie am Samstag Vormittag eine provokative „Kieztour“ und Infoveranstaltung im Cafe Sibylle in Friedrichshain zum Thema Rigaer Straße veranstaltet haben. Einige engagierte Menschen haben dort am Freitag Abend die Scheiben eingeschmissen (https://de.indymedia.org/node/43673), möglicherweise in der selben Hoffnung wie die CDU, das Datum zu nutzen. Vielleicht liegt es daran, dass der Innensenat die Presse im Griff hat, dass dieser „Angriff auf ALLE“ (Tom Schreiber) nicht am Samstag Morgen auf den Startseiten landete. Vielleicht wurden aber auch in der bürgerlichen Pressehetze in der letzten Zeit zu oft aus Mücken Elefanten beim Thema Rigaer Straße gemacht und die Luft ist raus.
Erwähnenswert zum Samstag ist noch, dass parallel zur Demo auch die „Dezentrale Interkiezionale“ unterwegs war. Die Bußgeldstelle der Bullen in der Nähe des Alexanderplatzes wurde eingeworfen, mit Farbe besudelt und eine brennende Barrikade davor errichtet. In einem Schreiben (https://de.indymedia.org/node/43720) wird für mehr dezentrale Konzepte und eine queerfeministische Praxis plädiert.
Alles in allem ein sehr interessanter, kämpferischer Tag mit klar sichtbaren Bezügen der verschiedenen Themenfelder eines gemeinsamen Kampfes. Der Angriff auf die CG-Baustelle war überfällig und fiel vielen Anwohner_innen wie ein Stein vom Herzen. Auch wenn der Schaden nicht groß sein dürfte, so ist es doch die Schadenfreude und die Freude darüber, mit dem gemeinsamen Angriff der Demo einen kollektiven Gruß an all die Menschen schicken zu können, die der CG-Gruppe die Hölle heiß machen!
Die in letzter Zeit zunehmenden queer-feministischen Aktionen stehen in Verbindung mit den Angriffen auf die CDU, dieser Partei der Abtreibungsgegner_innen und ihrer Rückzugsräume. Die Liebig34 fungiert damit als Bindeglied vereinzelter Kämpfe und gewinnt im Moment der stärksten Bedrohung an Relevanz. Die relativ gezielten Angriffe auf die SUVs aus der Demo sind einerseits als Sabotage der Reproduktionsmittel (eher was mit konsum?) der Reichen im Kiez zu verstehen, andererseits aber als Widerstand gegen tödliche Technologien. Vor einigen Tagen erst schaffte es eine Serie von Farbanschlägen auf SUVs auf die Titelseite einer Berliner Boulevardzeitung, die erklärte, dass u.a. ein Unfall, bei dem ein außer Kontrolle geratener SUV vier Menschen tötete, zu einer zunehmend ablehnenden Haltung gegenüber diesen Autos beiträgt. Selbstverständlich sind es auch Fragen der Ressourcenverteilung und Umweltbelastung, die zählen.
Wenig thematisiert wurde, dass wir hier in Berlin gleichzeitig mit vielen Kämpfen an anderen Orten auf der Straße sind. Unsere Herzen schlagen dennoch im Gleichklang mit den Menschen in Hong Kong, die mit Brandsätzen die Bullen und die staatliche Nachrichtenagentur angegriffen haben, mit den Menschen auf dem Territorium des Staates Chile, die sich trotz der Massakrierungen und Folterungen erhoben haben, mit Exarchia, wo eine weitere Räumung eines Squats mit Molotov-Cocktails beantwortet wurde, mit den Gilets Jaunes, denen wir zum 1-jährigen gratulieren können, mit den Menschen die Leipzig zum Gefahrengebiet für staatliche Schläger machen und natürlich mit den Entschlossenen, die nicht auf die kollektive Momente warten sondern tagtäglich auf diese hinarbeiten.
Ergänzungen
Ergänzung
Guter Bericht. Über SUVs oder teuere Kleinwägen lässt sich streiten, auch wenn zb ein Porsche kein SUV ist, tuts der wohl auch, oder?
Ergänzend ist zu sagen, dass endlich wieder geschafft wurde, von unserer Seite aus die Initiative zu ergreifen und den Zeitpunkt (die Zeitpunkte) zu bestimmen. Dass nicht wie üblich auf das Ende gewartet wurde, wo die Bullen ihre geplante (und teils schon routinierte) Initiative umsetzen, nicht darauf gewartet wurde, dass die Bullen und ihre Chefs die Situation im Griff haben.
Es darf halt nicht heißen, "wann gehts endlich ab", sondern "wann gehe ich/ "wann gehen wir endlich ab".
Kein Krawall ohne Bullen - ohne Bullen kein Krawall. Diese Altautonomen-Regel trifft oftmals zu - und zeigt somit auf, dass es auf unserer Seite auch eine gewisse Konditionierung gibt, Situationen ohne Bullen einfach nicht zu nutzen. Das war diesmal nicht der Fall, weil die Ausnahmen der Regel gut genutzt wurde und sich auf die Guerilla-Faustregel "da anzugreifen wo der Gegner (sei es auch nur in Momenten) schwach" ist", besonnen wurde.
:-)
Bilder
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