Veranstaltung zum 2ten Todestag von Rosemarie F.
Das Cafe am Schäfersee in Berlin-Reinickendorf ist kein Ort für linke Veranstaltungen. Doch am 10. April wurde dort eine Gedenkveranstaltung für die Rentnerin Rosemarie F. organisiert. Sie ist am 11.4.2013 gestorben, nachdem sie zwei Tage zuvor aus ihrer Wohnung ganz in der Nähe des Cafés zwangsgeräumt worden war.
Die Ortswahl hatte auch einen besonderen Grund. 2 Jahre zuvor, anfang April 2013 versuchte hatte eine Initiative des Bündnisses „Zwangsräumungen verhindern“ in eben dem Cafe am Schäfersee eine Veranstaltung organisiert, Rosemarie F. war dabei. Es gab damals noch die Hoffnung, die Zwangsräumung durch öffentlichen Druck zu verhindern, was nicht geklappt ist. Wenige Tage später war Rosemarie F. tot. Vor dem Eingang des Cafés statt ein Foto der Rentnerin und ein Blumenstrauß. Vielleicht konnten sich manche der Nachbar_innen noch an die Rentnerin erinnern. Schließlich hat ja die Räumung berlinweit Proteste ausgelöst und nach dem Tod der Rentnerin gab es für eine kurze Zeit scheinbar Betroffenheit bei allen Parteien. Beim ersten Jahrestag des Todes von F. organisierten Mieter_innengruppen eine Demonstration, die von der Polizei angegriffen worden ist. Der zweite Todestag hatte einen anderen Charakter. Es wurde bewusst ein Ort in der Nähe des Wohnorts der Rentnerin gewählt, weil so die Möglichkeit bestand, dass sich einige an dem Gedenken beteiligen. Schließlich besteht der Anspruch der Initiativen gegen Zwangsräumung, den Widerstand in den verschiedenen Stadtteilen zu unterstützen, in dem denen die betroffenen Mieter_innen leben. Und das ist in Berlin neben Kreuzberg, Neukölln etc. .auch Reinickendorf.
Die kriminologische Geschichte einer Entmietung
Im Mittelpunkt der Veranstaltung zum zweiten Todestag stand das Buch „Rosemarie F. kein Skandal“ http://www.edition-assemblage.de/rosemarie-f-kein-skandal/, das Margit Englert im Verlag Edition Assemblage veröffentlicht hat. Sie hat zahlreiche Dokumente ausgewertet, die f. zu dem Treffen des Bündnisses „Zwangsräumungen verhindern“ mitbrachte. Es sind Dokumente einer Entmietung und des erfolglosen Kampfes dagegen, der mit dem Tod der geräumten Mieterin endete.
In einem Interview begründet die Autorin den Titel Rosemarei F. kein Skandal:
„Tabu und Skandal liegen dicht beieinander. Wenn der Tod Rosemaries zum Skandal erhoben wird, lässt es sich leicht zurücklehnen und zur Tagesordnung übergehen. Und auf der Tagesordnung steht halt, Gewinne mit Immobilien zu machen, oder sich mit gutem Einkommen in Berlin eine der freiwerdenden Wohnungen zu nehmen, oder sich vorbildlich um die eigene Altersversorgung zu kümmern, durch Investition in Immobilien.“
Die Autorin betonte auch, dass es sich nicht um ein Buch über das Leben von Rosemarie F. handelt, sondern um die Umstände, die zu ihren Tod führten. Die aber lagen eben, anders als zahlreiche Medien zu suggerieren versuchten, nicht im Leben der Rentnerin begründet. Schon die Kapitel, aus denen Englert auf der Veranstaltung gelesen hat, machten deutlich, dass das Buch dem im Untertitel formulierten Anspruch, einlöst, „Einblicke in den sozialstaatlich-immoblienwirtschaftlichen Komplex“ zu geben. So wird dort geschildert, wie die Siedlung in der Rosemarie F., eine Rentnerin, die Grundsicherung bezogen hat, wohnte, zur „Kapitalanlage in beschleunigten B-Lage“ wurde, wie sie in Zeitungen der Immobilienwirtschaft“ beworben wurde. Aus Mietwohnungen wurden Eigentumswohnungen und die sind für die Besitzer_innen ohne Mieter_innen auf jedem Fall profitabler. Englert zeigte auf, wie das Grundsicherungsamt durch verweigerte Mietzahlungen die Gründe schuf, die schließlich zum Räumungsbeschluss führte. Während in den letzten Wochen das Bündnis zur Verhinderung von Zwangsräumungen durch Behördenbesuche eine Garantie bekam, dass die Mietschulden beglichen werden, was die Eigentümerin aber nicht interessierte und nicht veranlasste, den Räumungstitel zurückzunehmen, konnte Englert durch Auswertung der Dokumente nachweisen, dass das Grundsicherungsamt schon längst in Kontakt mit der Wohnungsbesitzerin war. Die Frage, warum dann das Amt die Miete nicht einfach auf das Konto der neuen Wohnungseigentümerin einzahlt blieb ebenso offen, wie die merkwürdigen Umstände um den nicht vorhandenen Briefkasten der Rentnerin. Die hatte nämlich ihren alten Briefkasten zugeklebt und den Namen entfernt. Post sollte ihr direkt an die Wohnungstür gebracht werden. Der Eigentümerin war das bewusst. Schließlich befestigte sie die Kündigung in einen offenen für alle sichtbaren Brief an der Wohnungstür von F. Doch für die wichtigen Ladungen zu den Gerichtsterminen wurde ein anderer Weg ersonnen. Die Eigentümerin vereinbarte mit einer Angestellten des Gerichts einen Termin in dem der Briefkasten von F. reaktiviert wurde, ohne dass sie es wusste. Das Klebeband wurde abgemacht und ein Namensschild draufgeklebt. Ob F. davon erfuhr, war nicht maßgeblich. Maßgeblich war ein Einwurf der Briefe unter Zeug_innen, dann gelten sie als zugestellt. So fanden die Gerichtstermine ohne Anwesenheit der Mieterin statt und dass ist für die Eigentümerin die komfortabelste Situation. Denn dann wird das Räumungsbegehren sofort bestätigt. So war es auch im Fall der Rentnerin.
Die Scham überwinden
Sie war nur in einem Punkt außergewöhnlich, wie im Anschluss Peter Nowak, Autor des Buches Zwangsräumungen verhindern“ http://www.edition-assemblage.de/zwangsraumungen-verhindern/ betonte. Sie gehörte zu den wenigen Menschen, die die drohende Räumung öffentlich bekannt machten und sich dagegen wehrten. In der Regel versuchen Betroffene unter allen Umständen zu verhindern, dass eine solche anstehende Räumung bekannt wird. Sie haben das Gefühl, sie selber sind Schuld, wenn sie Mietprobleme haben und schämen sich, wenn es in der Nachbarschaft oder im Bekanntenkreis publik wird. Die größte Überwindung sei daher, wenn Menschen, diese Scham überwinden und die Räumung zum Gegenstand von Widerstand machen. Darin liegt die Bedeutung von Rosemarie F. wie auch die von weiteren Initiativen wie den Palisadenpanthern, den Besetzer_innen der Stillen Straße, der Familie Gülbol oder Frau Cengiz. Dass sind nur einige der Mieter_innen und Initiativen, die in den letzte Jahren das Gesicht der neuen Mieter_innenbewegung bestimmen. Auch das Gesicht von Rosemarie F. gehört dazu. In einem Ausschnitt des Films Mietrebellen, der auf der Veranstaltung gezeigt wurde, sieht man Freund_innen von Rosemarie auf ihrer Beerdigung, aber auch ein Kurzinterview wenige Tage vor ihrem Tod. Dort hatte sie mit der Kündigung in der Hand erklärt, dass sie auch öfter einer Zwangsräumung ist und sich dagegen wehrt.
Ergänzungen
Detail zur Postzustellung
Danke für den tollen Artikel zur Veranstaltung!
ein Detail zur Postzustellung:
Wie Margit Englert es in der Veranstaltung auch darstellte, war maßgeblich dafür, dass die Post des Gerichts an Rosemarie als zugestellt gewertet wurde, nicht, dass die Post in Anwesenheit der Vermieterin als Zeugin in den Briefkasten geworfen wurde, sondern maßgeblich war die von der Justizbediensteten ausgestellte Zustellungsurkunde.
So schreibt die Richterin in ihrem Urteil: "Nach der vorliegenden Zustellungsurkunde hat die Justizbedienstete [...] das Versäumnisurteil in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt. Gemäß § 418 ZPO erbringt die Postzustellungsurkunde Beweis für den beurkundeten Vorgang in seinem äußeren Ablauf."
Der Anwalt der Vermieterin hatte vorher an das Gericht geschrieben: "Die Zustellungen sind im vorliegenden Fall dergestalt vorgenommen, dass die Klägerin nach dem og. Hinweis einen Zustelltermin mit der zuständigen Wachtmeisterin telefonisch vereinbart hat. [...] Die Wachtmeisterin hat dann in Anwesenheit der Klägerin das Schriftstück in den Briefkasten mit der Aufschrift F[...] eingeworfen. Zu diesem Zeitpunkt war der Briefkasten nicht verklebt." Dieses Zitat hat Margit Englert während der Lesung auch vorgelesen.
Also Name dran, Klebeband ab, der Justizbediensteten den Briefkasten gezeigt, Post rein, Urkunde ausgefüllt, und tschüss, Klebeband wieder dran, Name wieder ab, alles sieht aus wie vorher.
Warum und wieso Rosemarie keinen Briefkasten an ihrer Wohnung für den Postempfang bereitgestellt hat, sei dahingestellt. Sie hat es nicht. Die Post hätte nach ZPO daher beim Gericht für Rosemarie niedergelegt werden müssen, mit Nachricht an ihrer Wohnungstür. Die Zustellmöglichkeit per Briefkasten dennoch vorzutäuschen war Hartigs Weg zum Versäumnisurteil. Deshalb musste sie dabei sein, als die Justizbedienstete kam.
Im Buch "Rosemarie F. Kein Skandal" ist das ganze ausführlich aufgedröselt.