Bure/F: Die Rückkehr der Eulen

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ein Nachtrag zur Wiederbesetzung des bois lejuc im Juli 2019

Zwei Monate sind inzwischen vergangen, dass die Nachricht von der Wiederbesetzung des Waldes durch die Medien gingen. Die gewaltsame Räumung folgte unmittelbar und dauerte zwei Tage an. Ist die Aktion also gescheitert? Wir denken das nicht! Dennoch: so groß die öffentliche Aufmerksakeit war, so schnell war sie wieder verflogen; zumal auch von Seiten der Akteur*innen keine weiteren Lebenszeichen in Form von Erklärungen oder weiteren Aktionen folgten. Wir Bedauern sehr, dass nach der Aktion keine öffentliche Auswertung aus Sicht der beteiligten Personen stattgefunden hat. Wir denken diese wäre wichtig gewesen, um das geschehene diskutierbar zu machen und daraus Schlüsse für zukünftige Strategien des Kampfes zu ziehen. Es scheint uns wenig hilfreich, über die Motive dieses Schweigens zu spekulieren, es wird schon seine Gründe haben. Als Menschen, die hier in der „Zone“1 Leben und Kämpfen wollen wir das geschehene jedoch trotzdem zum Anlass nehmen, um ein Paar Gedanken zum Thema öffentlich zu teilen, sowie den Beteiligten und dem Widerstand im Ganzen ein Feedback unserer Wahrnehungen zu geben. Eine Analyse der technischen Abläufe vor Ort, können wir somit natürlich nicht leisten.

Worüber wir jedoch sprechen wollen ist die Tatsache, dass dieses kurze (wieder)Aufflammen von militantem Widerstand uns mit neuer Hoffnung erfüllt hat! Seit über zwei Jahren Leben wir hier nun unter diesem polizeilichen Besatzungszustand. Unter permanenten Provokationen und Schikanen einer staatlichen Übermacht. In einer Region, die zunehmend im Mafiastil verwaltet wird. Freund*innen sitzen im Gefängnis, sind auf der Flucht, oder haber (sich) aufgegeben. Wer unter diesen Bedingungen lebt versteht sehr schnell, dass dieser Kampf sich nicht „militärisch“ gewinnen lässt. Und trotzdem kann es richtig und notwendig sein den Angriff zu wählen! Die Friedhofsruhe, die sich seit der Räumung im Februar 2018 über Bure und den umliegenden Dörfern ausgebreitet hat, ist für einen kurzen Moment durchbrochen worden. Und auch wenn es nicht gelang, mit dem Angriff einen Sieg über die nuklearen Vasallen davonzutragen, so wurde doch ein Sieg über die Angst errungen, die schon zu lange unser tägliches Leben prägt.

Die Eulen sind zurückgehrt! Zumindest hier in der „Zone“ ist die Botschaft trotz der spärlichen Worte wohl angekommen. Wir sehen es im komplizenhaften Lächeln unserer Nachbar*innen, wenn wir auf der Flucht vor der nächsten Polizeistreife durch die Strassen huschen. Wir sehen es in ihrem schadenfrohen Grinsen, wenn die Patroullien ihre Häuser passieren. Wir lesen es in den grimmigen Gesichten der Projektbefürworter*innen, die sich gerade an die Totenruhe gewöhnt zu haben schienen. Wir lesen es bei jeder Fahrzeugkontrolle in den weinerlichen Requisitionen2 der Bullen die davon zeugt, dass sie auch zwei Monate dannach die ihnen verabreichte Kost aus Mollis und Steinen nicht verdaut haben. Wir wissen nicht, ob die direkt beteiligten Personen unseren Optimismus in dieser Frage teilen. Es scheint zumindest schwer vorstellbar, dass Menschen die Inspiration finden, sich auf diese Form der Auseinandersetzung einzulassen, ohne dabei auch ein Stückweit die Hoffnung zu haben am Ende einen konkret greifbaren Erfolg zu erzielen. Um so wichtiger scheint uns, den Menschen die im Juli den Kampf um den bois lejuc wieder aufgenomen haben zu versichern, dass sie nicht gescheitert sind und dass die von ihnen entzündeten Feuer in unseren Herzen weiterbrennen!

Auch die technisch-nüchterne Bilanz der Besetzung kann sich in unseren Augen sehen lassen: Nach allem was wir gehört haben, müssen wir davon ausgehen, das die Bullen von der Aktion überrascht wurden. Weder waren im Vorfeld verstärkte Patroullien in und um den Wald festzustellen, noch waren Spezialkräfte der Höhenrettung vor Ort (diese mussten erst aus Paris angefordert werden). 300 Gendarmen stehen zur permanenten Verfügung, um diesen gerade einmal 200 Hektar großen Wald zu bewachen. Stattdessen verbringen sie ihre Zeit lieber damit Anwohner*innen zu schikanieren und wahrlose Kontrollen durchzuführen. Die Einsatzleitung dürfte einiges zu erklären gehabt haben, wie es rund 50 Aktivist*innen gelingen konnte unbemerkt in den Wald einzudringen, dort Baumhäuser und Barrikaden zu errichten und schließlich die Bullen am Boden anzugreifen und aus dem Wald zu jagen. So zogen sie es vor, einen Angriff von außen herbeizuhalluzinieren der von den Sicherheitskräften abgewehrt werden konnte. Allein die Tatsache, dass zum Zeitpunkt des bekanntwerdens der Besetzung bereits 4 Baumhäuser bzw. Plattformen im Wald errichtet worden waren entlarvt diese Behauptung als billige Propagandalüge. Dass es so scheint, dass sie weder mit dem Zeitpunkt noch der Intensität des Angriffes gerechnet haben, soll jedoch keineswegs bedeuten, dass sie unvorbereitet waren! Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass sie in dem Moment der Veröffentlichung ein von langer Hand geplantes Programm abspulten, dass durch den permanenten polizeilichen Besatzungszustand jederzeit abrufbar ist und auch in anderen szenarien vermutlich ähnlich aussehen würde. Es wäre sicherlich interessant zu diskutieren, was diese Beobachtung für zukünftige Aktionsstrategien innerhalb der „Zone“ bedeuten könnte.

Doch nicht nur die Polizei schien von der unangekündigten Wiederbesetzung überrascht worden zu sein: mangelnde Mobilisierung im Vorfeld, eine nur spärliche Komunikation während der Aktion, sowie die völlig ausbleibende Vermittlung im Nachhinein machten es vielen Menschen im Widerstand schwer, das Geschehen politisch einzuordnen. Wir haben in Gesprächen später häufiger die Kritik gehört, dass fehlende Informationen das Bild einer recht Exklusiven Veranstaltung einer geschlossenen Gruppe entstehen liessen, in der sich viele Menschen nicht wieder finden konnten. Das mag (neben der kurzen Dauer) einer der Gründe sein, warum eine Unterstützung der Besetzung von außen – die für ein längeres Bestehen wohl notwendig gewesen wäre – weitgend ausblieb. Wir haben den Eindruck, dass weit mehr Menschen sich beteiligt bzw. solidarisiert hätten, wenn die Aktion offener komuniziert worden wäre. So beschränkte sich die Anteilnahme der Bewegung auf ein paar Solifotos und eine abgefackelte ENEDIS Karre in Ivry-sur-Seine.

Soweit wir wissen gab es während der gesamten Aktion keine Verletzten und auch die Repression hätte weit schlimmer ausfallen können: Im Zuge der Räumung kam es zu mehreren willkürlichen Identitätsfeststellungen und Ingewahrsamnahmen in der näheren Umgebung. Ob diese Personen Teil der Besetzung waren, oder sich zufällig dort aufhielten ist völlig unklar. Fest steht jedoch, dass sämtliche Personen nach kurzer Zeit wieder freigelassen wurden. Am selben Tag kam es noch zu einer weiteren Verhaftung in Bure, die jedoch nicht in direktem Zusammenhang mit der Besetzung steht: Ein Mensch wurde wegen verletzung seiner juristischen Auflagen (Territorialverbot) verhaftet und zu indestens 4 Monaten Präventivhaft verurteilt3. Die Person befindet sich seither im Gefängnis Nancy/Maxeville. Auch im Nachhinein blieb (bislang) eine größere staatliche Reaktion auf die Wiederbesetzung aus.

Nach allem, was wir später über den Charakter der durchgeführten Aktion erfahren konnten, müssen wir den mancherorts entstandenen Eindruck einer homogenen Komandoaktion revidieren. Auch wenn die offensichtlich erfolgreiche Geheimhaltung der Planung viele Menschen faktisch ausgeschlossen haben mag, trägt die Wiederbesetzung deutliche Zeichen einer Strategie der Vielfalt der Taktiken, bei der unterschiedliche Aktionsformen gleichberechtigt nebeneinander praktiziert wurden. Diese Heterogenität halten wir nach wie vor für einen zentralen Schlüssel für den Erfolg unseres Widerstandes! Von daher wollen wir die Wiederbesetzung des Waldes auch nicht isoliert betrachten. Hinter uns liegt ein ereignisreicher Sommer, in dem sich der Widerstand gegen das Atomprojekt auf vielfältige Art zurückgemeldet hat. Veranstaltungen verschiedener Milleurs und Spektren haben deutlich gemacht, dass der Kampf gegen CIGEO auf allen Ebenen weiter geht. Wir denken dabei unter anderen an die 33 Konferenzen, welche die staatliche Öffentlichkeisdebatte atomkritisch begleitet haben, das Treffen der landeweiten Unterstützungskomitees anfang August in Dijon das im November in Valencean fortgesetzt wird, das Burelesques Festival, zu dem über 1000 Menschen in Hevillers zusammenkamen, die Eröffnung der Dauerausstellung „Trainstapping“ am Bahnhof von Luméville, das kurz bevorstehende feministisch-antinukleare Wochenende in Montieres, oder die angekündigte Bauwoche i Widerstandshaus in Bure (BZL).

Der alltägliche Terror der Staatsgewalt beginnt seinen Schrecken zu verlieren. Es gibt wohl kaum etwas was sie uns antun könnten, was sie uns nicht bereits angetan haben. Und doch geht unser Kampf weiter! Weniger spektakulär als zuvor, dafür mit mehr Bedacht und dem wissen um die Konsequenz. Mit der Repression kam die Angst und mit ihr Spaltung und Misstrauen. Es wird wohl noch einige Zeit brauchen, das verlorene Vertrauen in einander und in uns selbst wieder herzustellen. Doch wir sind sicher, dass wir – wenn wir diesen Weg weiter gehen – zukünftige Auseinandersetzungen auf ein stabileres Fundament stellen können, welches der Repression stand hält. Wir werden uns auch weiterhin – mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln – diesem teuren, nutzlosen und gefährlichen Projekt Namens CIGEO in den Weg stellen. Wir hoffen auf eine breite, spektrenübergreifende Beteiligung an der Großdemonstration „vent de Bure“ am 28. Septeber in Nancy. Lasst uns unsere Wut gemeinsam auf die Strasse tragen!

Einige Menschen aus der „Zone“, 14 September 2019

1Als „Zone“ bezeichnen wir hier ein geographisch variabeles Gebiet um Bure, des militärisch-polizeilichen Belagerungszustandes. Je nach behaubteter Sicherheitslage erstreckt sich dieses über weite Teile der Departements Meuse und Haut Marne.

2Allgemeinverfügungen, die die Kontrolle von Fahrzeugen und Insassen erlaubt.

3Die Präventivhaft kann bis zu 16 Monaten verlängert werden

 

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