Zapatistas in der friedlichen Offensive

 Einflussgebiet der Autonomie in Südmexiko erfolgreich erweitert

 Bewegung erhält trotz Repression und Diffamierung Zulauf

 

 

Die linke, indigen geprägte Bewegung der Zapatistischen Befreiungsarmee EZLN hat ihren Einfluss im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas deutlich erweitert. Nach über Tausend basis­demokratischen Gemeinde­versammlungen und Mobilisierungsarbeit im Untergrund in den vergangenen drei Jahren wurden ohne Waffengewalt weitere regierungs- und parteiunabhängige Parallelstrukturen aufgebaut. Diese Gremien, die als "Räte der guten Regierung" bezeichnet werden, organisieren aufgrund des Versagens, der Ausbeutungspraxis und der Repression des mexikanischen Staates erfolgreich eigenständig Bereiche wie Agrarökologie, Bildung, Frauenrechte, indigene Rechte, Gesundheit, Kooperativen, Medien, Menschenrechte, Lebensmittelproduktion, Ökonomie, Rechtsprechung, Sicherheit, Transport, Verwaltung sowie die Vernetzung mit linken sozialen Bewegungen in ganz Mexiko und weltweit.

Die Initiative haben vor allem die zapatistischen Frauen und Jugendlichen vorangebracht. Auch ehemalige Regierungs­anhänger*innen unterstützen die neue Initiative der EZLN.

Die Sitze der zapatistischen Räte werden als "Caracoles" (deutsch: Schneckenhäuser) bezeichnet und fungieren als autonome Verwaltungszentren für jeweils mehrere Zehntausend Menschen. Sie koordinieren die autonomen Landkreise, Dörfer und Städte. Das Besondere ist, dass die Struktur "von unten nach oben" funktioniert - alle Mandate sind stets nur von der Basis "geliehen" und alle Beauftragten können jederzeit abberufen werden.

Es ist als historisch zu bezeichnen, dass nun neben den fünf bereits existierenden Caracoles sieben weitere gegründet wurden, darüber hinaus stieg die Anzahl der autonomen Landkreise von 27 auf 31. In einem Kommuniqué mit dem Titel "Wir haben die Umzingelung durchbrochen" vom 17. August schreibt Subcomandante Moisés, Sprecher der EZLN: "Nach Jahren der geheimen Arbeit, trotz der Belagerung, trotz der Lügenkampagnen, trotz der Diffamierungen, trotz der Militärpatrouillen, trotz der Nationalgarde, trotz der als soziale Programme getarnten Aufstandsbekämpfungskampagnen, trotz des Vergessens und der Verachtung sind wir gewachsen und stärker geworden. Gegen die Verachtung der Mächtigen, die uns als unwissend und dumm abtun, setzen wir Intelligenz, Wissen und Vorstellungskraft ein."

Chiapas ist seit des zweiwöchigen bewaffneten Aufstands der EZLN gegen Ausbeutung, Diskriminierung und Unterdrückung von 1994 einer der am meisten militarisierten Bundesstaaten Mexikos. Die aktuelle Regierung unter Präsident Andrés Manuel López Obrador hat die Militarisierung noch weiter vorangetrieben.

Mit der Argumentation, dass die bisherigen Sicherheitskräfte für ihre Zusammenarbeit mit dem Drogengeschäft und anderen äußerst gewalttätigen illegalen Strukturen berüchtigt sind, hat der Präsident eine "Nationalgarde" gegründet, die inzwischen etwa 58.000 Personen umfasst. Mit über 230.000 Soldaten insgesamt sind damit so viele Militärs wie noch nie im Einsatz und leisten vermeintlich polizeiliche Arbeit zum Schutz der Bevölkerung, die nicht von der Verfassung gedeckt ist.

Die Hochrüstung der Streitkräfte wird von Menschenrechts­organisationen, sozialen Bewegungen und progressiven Intellektuellen massiv kritisiert, da keinerlei Verbesserung der Alltagsrealität, sondern eine deutliche Verschlechterung bereits eingetreten ist. Besonders pikant ist, dass das meiste Militär nicht etwa dort stationiert ist, wo die Kriminalitätsrate pro Kopf besonders hoch ist, sondern dort, wo ökonomische Großprojekte wie Berg- und Tagebau, agrarindustrielle Monokulturen wie Ölpalmen oder Tourismusprojekte geplant oder bereits im Entstehen sind, darunter der sogenannte "Maya-Zug" auf der Halbinsel Yucatán in der mexikanischen Karibik und in Palenque, Nord-Chiapas.

Auch die ressourcenreichen und indigen geprägten Nachbarbundesstaaten Oaxaca und Guerrero sind besonders von der Militarisierung betroffen. Gleichzeitig erfüllt Mexiko mit der Kontrolle der Grenze zu Mittelamerika die Aufgabe, Menschen abzuwehren, die in die USA migrieren wollen.

Umso beachtlicher ist es, dass der EZLN es trotz der bis heute permanenten Anwesenheit der staatlichen Polizei- und Militärkräfte, der illegalen Paramilitärs und Banden der Großgrundbesitzer, des organisierten Verbrechens und der anti-zapatistischen Hasskampagnen in den "Sozialen Medien" gelungen ist, viele Menschen vor Ort von ihren emanzipatorischen Zielen zu überzeugen. Vor allem die erfolgreiche Alltagspraxis hat die Menschen überzeugt.

Die EZLN konnte in den Landkreisen Amatenango del Valle, Chicomuselo, Chilón, Motozintla, Ocosingo, Tila und sogar in der großen, touristisch geprägten Stadt San Cristóbal de las Casas, neue autonome Räte und Landkreise etablieren.

Diese Selbstverwaltungsstrukturen haben bisher stets zu mehr Selbstbestimmung, mehr Geschlechtergerechtigkeit, mehr Deeskalation und weniger Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung beigetragen. Interessant ist, dass auch viele Nicht-Zapatistas seit vielen Jahren diese freieren Strukturen, vor allem in den Bereichen Rechtsprechung und Gesundheit, nutzen.

Präsident López Obrador sah sich ob des großen Rückhalts der EZLN in der Bevölkerung vor Ort genötigt, die Ausweitung der zapatistischen Strukturen öffentlich zu begrüßen. Die EZLN wiederum distanziert sich konsequent von der aktuellen Regierung.

Bedeutend ist, dass die Zapatistas sich weiterhin nicht allein auf Chiapas beschränken. Sie haben angekündigt, zu vielen Treffen zu politischem Aktivismus, kritischen Wissenschaften und Künsten einzuladen und rufen dazu auf, eine weltweite Räteföderation für Widerstand und Rebellion aufzubauen. Auch der parteiunabhängige Nationale Indigene Kongress CNI soll weiter gestärkt werden.

Die Erklärung der EZLN endet mit den Worten: "Wir sind Rebellion und Widerstand. Wir sind eines der vielen Schlag­werkzeuge, die die Mauern zertrümmern werden, einer der vielen Winde, die über die Erde fegen und einer der vielen Samen, aus denen andere Welten entstehen werden."

Surftipps: https://www.chiapas.eu/ * https://www.ya-basta-netz.org/ * https://www.aroma-zapatista.de/

 

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