Hat XR die erfolgreiche Strategie, um den Planeten zu retten?
Dies ist eine Zusammenfassung des Artikels “Has XR the successful strategy to save the planet?” https://libcom.org/library/has-xr-successful-strategy-save-planet
Extinction Rebellion hat eine sehr klare Taktik: massenhafter gewaltfreier ziviler Ungehorsam. XR erklärt, dass sich erwiesenermaßen die erfolgreichste Strategie sei. XR’s Mobilisierungen haben erfolgreich gezeigt, dass sie eine Massenbeteiligung aufbauen können mit einer großen Anzahl von Personen, die bereit sind sich verhaften zu lassen. Diese Taktik wird auch in ihren Prinzipien und Werten festgelegt.
"2. Unser Fokus liegt auf dem Erreichen des Notwendigen. Die 3,5 Prozent der Bevölkerung zu mobilisieren, die nötig sind, um Systemveränderungen zu erreichen.
"9. Wir sind ein gewaltfreies Netzwerk. Wir nutzen gewaltfreie Strategien und Methoden als effektivstes Mittel, um Veränderungen herbeizuführen.
Die Taktik basiert in erster Linie auf der Studie und dem Buch "Why civil resistance works: The strategic logic of nonviolent conflict" von Erica Chenoweth (2008, 2011). Die Studie untersucht nationale Kampagnen, die entweder Anti-Regime-, Anti-Besetzungs- oder Unabhängigkeitskampagnen sind. Viele in XR glauben nicht, dass sie versuchen, ein Regime zu ändern, aber eins ihrer Ziel ist eine Änderung der Regierungsweise durch die Verlagerung der Macht von Parlamenten auf eine Bürger:innenversammlung.
Chenoweths Studie hat mehrere wesentliche Einschränkungen. Sie basiert auf einem Datensatz von 323 Widerstandskampagnen (1900-2006), von denen nur wenige in westlichen Industrienationen stattfinden (ETA, IRA) und von denen nur eine versucht hat, eine westliche Demokratie abzusetzen (Spanien 1936-39). Soziale oder wirtschaftliche Kampagnen sind per Definition ausgeschlossen.
Es ist nicht einmal eine umfassende Studie über diese Art nationaler Kampagnen zur Änderung eines Regimes. Im Datensatz fehlen Fälle wie die irische Unabhängigkeit oder die Russische Oktoberrevolution. Einige werden als "gewaltlos" eingestuft, obwohl andere sie als "gewalttätig" bezeichnen würden, wie z.B. die Erste Intifada in Palästina. Kampagnen gegen nichtstaatliche Akteure sind ebenfalls nicht enthalten. XR’s Behauptung, dass Gewaltlosigkeit der "effektivste Weg" - oder "doppelt so wahrscheinlich" - ist, kommt allein von der relativen Zahl in diesem spezifischen Datensatz.
Jede Kampagne wird als Einzelfall betrachtet und ist abgeschnitten von geschichtlichen Zusammenhängen sowie von anderen Kampagnen, die gleichzeitig stattfinden. Dadurch entstehen absude Fälle wie Südafrika, wo nur zwei Perioden berücksichtigt werden: die ‘First Defiance Campaign’ (1952-61) und dann eine zweite Kampagne (1984-94), die separat betrachtet werden. Die 23-jährige Lücke, in der bewaffneter Kampf, gewaltfreie Aktionen und internationale Boykotte stattfanden, ist für die Studie nicht signifikant. Die Anerkennung für die Beendigung der Apartheid geht allein an gewaltfreie Aktionen nach 1984.
Es ist eine häufige Behauptung, dass es bewiesen sei, dass nur 3,5% nötig sind, um den Erfolg einer massenhaften, gewaltfreien Kampagne des zivilen Ungehorsam zu garantieren. Dies wird auch in einer der Prinzipien von XR deutlich hervorgehoben. Aber dies kommt weder in der Studie noch im Buch vor. Chenoweth bezieht sich in ihrem TED-Gespräch in 2013 darauf, aber 2017 stellte sie klar, dass es keine Veröffentlichung darüber gibt. Es ist lediglich der Grenzwert in den drei größten erfolgreichen gewaltfreien Kampagnen, die in der Studie behandelt werden.
In Vorträgen und Präsentationen bezieht sich XR auch auf historische Fälle oder Figuren als Beispiele für erfolgreiches gewaltfreies Handeln. Zwei davon sind die Suffragetten, die in Großbritannien Bomben und Brandstiftungen einsetzten und dies nur für den Ersten Weltkrieg aussetzten; und Nelson Mandela, der den bewaffneten Flügel des ANC gründete und sich während seiner gesamten Haftzeit weigerte sich von Gewalt zu distanzieren. Der ANC setzte seinen bewaffneten Kampf 1990 aus - allerdings erst, als es ihm gelungen war, die südafrikanische Regierung an den Verhandlungstisch zu bringen. Andere erwähnte Fälle geben nur einer Person die Anerkennung für den Erfolg einer lang laufenden, vielfältigen Kampagne, wie z.B. Martin Luther King.
XR nimmt die Einschränkungen dieser Studie und wendet sie als Einschränkungen auf ihre eigene Taktik der Gewaltlosigkeit und Massenbeteiligung an, mit dem Ziel, verhaftet zu werden, um mehr Unterstützung zu erhalten. XR konzentriert sich dabei nur auf nationale Regierungen. Andere Machtstrukturen werden weder analysiert, noch in Frage gestellt. Die zugrunde liegende Annahme ist, dass die Bürger:innenversammlung wird irgendwie all diese anderen Strukturen überwinden und damit eine bessere Politik entwickeln werden.
Jede XR-Gruppe zielt nur auf ihre eigene nationale Regierung allein. Während Unternehmen manchmal Ziel einer Aktion sind, ist es Teil der Taktik, die lediglich die Regierung des einzelnen Staates anzugreifen. Andere multinationale oder internationale Institutionen kommen dabei nicht einmal vor.
In der chaotischen aktuellen Realität haben die Aktionen von Extinction Rebellion, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich gezogen. Sie haben zusammen mit anderen Gruppen wie Friday's for Future dazu beigetragen, die Bedrohung durch Klimawandel und Biodiversitätsverlust weiter in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Es ist ermutigend zu sehen, dass sich diejenigen, die durch die Aktionen von XR mobilisiert worden sind, sich auch anderen Gruppen in diesem gemeinsamen Kampf anschließen. Diese neuen Aktivisten sind bereit, an Aktionen teilzunehmen, die weniger starr sind, die sich auf unterschiedliche Forderungen gegen Klimawandel und Biodiversitätsverlust konzentrieren; Aktionen, die verschiedene Formen von Aktionskonsens haben können.
Die Geschichte von Veränderungen ist eine vielfältige Geschichte. Eine einzige Studie kann uns einige Dinge beibringen, sollte aber nicht als die wahre Wahrheit angesehen werden.
In Großbritannien, wo XR gegründet worden ist, lautet das Hauptziel “Tell the Truth” (Sag die Wahrheit). Sollte eine Organisation mit diesem Ziel nicht auch ihren Teilnehmenden die Wahrheit sagen? Sagen wir also die Wahrheit, statt Geschichte falsch darzustellen. Eins ist sicher: wir brauchen verschiedene Bewegungen und Aktionsformen, um Machtstrukturen zu verändern