Willst du meine Hand halten?
Am 24. August werden Tausende von Menschen nach Dresden kommen, um gemeinsam im Rahmen von #Unteilbar in einer großen Demonstration auf die Strasse zu gehen. Wenn du noch nichts davon gehört hast, lebst du wahrscheinlich in einem Bunker und hast dieses Magazin irgendwie zufällig aus deinem benachbarten Bunker bekommen. Die Mobilisierung für die Demonstration läuft auf Hochtouren. Präsentationen, Konzerte und andere öffentliche Veranstaltungen versuchen, so viele Menschen wie möglich zu mobilisieren, um gemeinsam für eine offene und freie Gesellschaft und viele andere gute Dinge zu kämpfen.
Den Aufruf für die Demonstration könnt ihr auf der Website: unteilbar.org nachlesen. Wir würden diesen Teil euch überlassen. Er ist weder besonders schlecht noch besonders inspirierend. Zumindest für uns. Wir wollen aber trotzdem gerne ein paar Gedanken mit euch teilen. Wir haben durchaus einige Kritik, teilen allerdings nicht die Perspektive, dass #Unteilbar völkisch nationalistische Tendenzen aufweist, wie im letzten Circle-A zu lesen war.
Der Rechtsstaat
Es gibt bestimmte Dinge, mit denen wir nicht einverstanden sind. Zum Beispiel Sorgen über den Angriff auf den Rechtsstaat. Das ist etwas, das wirklich weit weg von einer sozialen oder anarchistischen Agenda ist. In Deutschland und anderen Ländern der Welt ist Rechtsstaatlichkeit etabliert, um den Status quo zu erhalten. Die Tatsache, dass die Gesetze gegen die Armen arbeiten und wenig Einfluss auf Machtstrukturen haben, zeigt sich seit es Kapitalimus gibt und wurde durch Generationen antikapitalistischen Kampfes immer wieder aufgezeigt. Die Revolutionär*innen des 19. und 20. Jahrhunderts standen auf dem Boden humanistischer Moral und nicht der Gesetze, die von der herrschenden Klasse organisiert wurden und werden.
Ein Angriff auf den Rechtsstaat ist aus anarchistischer Perspektive nicht negativ. Tatsächlich sind es jene Angriffe, die die Gesellschaft immer weiter vorantreiben. Diese sind der breiten Öffentlichkeit in Form von Arbeiter*innen-, Frauen-, Schwarze Befreiungsbewegungs- oder LGBT-Kämpfe des 20. Jahrhunderts bekannt.
Vergessen wir nicht, dass auch die modernen Gesetze zum Extremismus Teil dieses Rechtsstaats sind. Die Gesetze, die alle Versuche, das kapitalistische System der Ausbeutung zu Fall zu bringen, untergraben. Widerständige Menschen werden versucht in moderate politische Strömungen zu lenken. Legales Engagement, abseits des sogenannten Extremismus, das in den Sumpf der Bürokratie des deutschen Staates passt. So wird am Ende des Tages der Kampfgeist, die Radikalität gebrochen, die es aber braucht um das System zu verändern.
Als Anarchistinnen sind wir Extremistinnen in diesem System, da wir radikale Veränderungen des aktuellen Status quo fordern. Wir wollen nicht, dass die Dinge so sind, wie sie im goldenen Zeitalter des Sozialstaates waren. Wir wollen die Welt ohne Staaten und kapitalistische Ausbeutung, und das ist bereits so extremistisch wie es in den Augen des Rechtsstaates nur sein kann.
Alles in allem sehen wir den Angriff auf den Rechtsstaat als wesentlichen Bestandteil der Errichtung einer gerechten und freien Gesellschaft.
Wenn wir das alles sagen, glauben wir nicht, dass die Leute, die den Aufruf geschrieben haben, ursprünglich über diese Dinge nachgedacht haben. Wir glauben, dass der Angriff auf den Rechtsstaat sich mit den Versuchen der Konservativen befasst, jene Grundrechte abzubauen, die dem Staat durch soziale Kämpfe abgerungen und schließlich als Gesetze institutionalisiert wurden. Wie z.B. Gesetze gegen Diskriminierung.
Wenn wir uns jedoch auf ein autoritäres System(das der Staat mit all seiner vertikalen Macht ist) verlassen, um unsere Rechte zu garantieren, dann ist es eine Frage der Zeit, wann diese Rechte von den nächsten Generationen, die ein solches autoritäres System übernehmen, in Frage gestellt werden.
AfD, AfD, AfD, AfD, AfD
Auf der Website von #Unteilbar gibt es eine Menge Materialien, die meisten sind in deutscher Sprache verfügbar. Es gibt eine Erklärung die nach den Europawahlen im Mai, die zeitgleich mit den Kommunalwahlen in Sachsen stattfanden veröffentlicht wurde. Im Text finden wir Gedanken zur aktuellen Situation mit der AfD und deren Erfolg in der Region.
Als Gegenmacht gegen die AfD sieht #Unteilbar ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis aus verschiedenen sozialen Bewegungen, Kirchen, Gewerkschaften, antifaschistischen Gruppen und sozialen Initiativen. Diese Perspektive wird auch durch viele andere Texte vermittelt. Wir müssen uns mit verschiedenen Gruppen zusammenschließen, um den Weg der AfD zur Macht zu stoppen.
Doch wir befinden uns im Wahlkampf und deshalb ist es wichtig, alles im Zusammenhang zu betrachten – die Linke, die Grünen und nun auch die SPD unterstützen #Unteilbar und werden ihren Platz in der Demonstration haben: Es wird einen Block von politischen Parteien geben. Die Teilnehmer*innen bei #Unteilbar sollten progressiver sein als die AfD?
Wir müssen nicht durch die Geschichte der politischen Errungenschaften dieser Parteien gehen, um daran zu erinnern, dass die SPD die Partei war, die der CDU geholfen hat, das repressive Polizeigesetz in Sachsen voranzutreiben. Das Gesetzt, dass die Ausweitung der politischen Macht der Polizei sowie die Schaffung von Instrumenten ermöglicht, die gegen politische Aktivist*innen eingesetzt werden können und werden. Die Linke und die Grünen taten so ziemlich dasselbe in anderen Ländern des Landes.
Oder denk daran, dass, wenn du in einem Haus, dass Vonovia gehört lebst, es höchstwahrscheinlich von dem Stadtrat verkauft wurde, der von jenen “progressiven” Parteien bestimmt wurde, die die treibende Kraft hinter der Privatisierung von städtischem Eigentum waren.
In diesem Zusammenhang wird die Fokussierung auf die AfD nicht nur zu einem Kampf gegen die rechte Partei (die die CDU trotzdem noch versucht auszuspielen), sondern auch zu einem Wahlkampf für so genannte progressive politische Parteien.
Wir leugnen nicht, dass die AfD ein Problem ist, aber es ist ein Problem, das sich aus dutzenden von Jahren autoritärer und konservativer Politik im Land sowie der Zerstörung linker, anarchistischer und basisdemokratischer Bewegungen und deren Ersetzung durch NGOs und staatlichen Organisationen ergibt.
Es macht keinen Sinn, auf Kritik an anderen Parteien zu verzichten, aus Angst, dass Menschen AfD wählen. Unsere politischen Ideale und Ziele sollten nicht durch die Farbe der regierenden Partei definiert werden. Wir stehen klar für die Organisation an der Basis und politische Parteien sollten in diesen Bewegungen keinen Platz haben.
Lasst uns eine große Demonstration machen!
Wenn wir von der Website weggehen, sehen wir auch ein Problem darin eine große Demonstration zu organisieren, um alle Probleme anzugehen, die von #Unteilbar thematisiert werden. Es ist auf jeden Fall für einige in Sachsen ermutigend, mit Zehntausenden Menschen auf die Straße zu gehen. Wir hoffen, dass es den jüngeren Generationen mehr Energie geben kann, um sich in die politischen Kämpfe einzubringen!
Wir verstehen aber auch, dass diese Demonstration für die kommenden Wahlen und die Machtdynamik in Sachsen in den kommenden Jahren wenig Auswirkungen haben wird. Die glückliche liberale Familie verschiedener widersprüchlicher Gruppen wird nicht in der Lage sein, die Probleme zu lösen, die nicht nur in diesem Land, sondern auch auf der ganzen Welt vor uns stehen.
Wir brauchen eine starke antiautoritäre und anarchistische Bewegung, die autoritäre Tendenzen mit direkten Aktionen und Organisationsformen, die gegen autoritäre Übergriffe resistent sind, zurückschlagen kann. Wir müssen unsere Werte tragen und für diese kämpfen, nicht um die Welt von heute zu retten, sondern die von morgen zu erschaffen.
Zu Hause bleiben, weil #Unteilbar nicht gut genug für dich ist?
Trotz all unserer Kritik sehen wir viele positive Momente in der ganzen #Unteilbar-Geschichte. Obwohl diese Plattform heute von liberalen Stimmen dominiert wird, gibt es viele Gruppen in dem Bündnis, die ernsthafte organisatorische Anstrengungen für radikale Veränderungen unternehmen. Und nein, wir sprechen nicht von Verdi oder dem DGB. Wir sprechen von kleineren antifaschistischen, feministischen, ökologischen Gruppen und Organisationen, die bei #Unteilbar teilnehmen.
Wir glauben auch, dass es Raum gibt, unsere Ideen zu präsentieren und mit Menschen über eine mögliche Zukunft zu sprechen. Viele Menschen, die an der Demonstration teilnehmen werden, haben ihre eigene unabhängige Lebensperspektive und sind offen für Gespräche und der Suche nach Alternativen zur aktuellen Situation.
Wir als Anarchist*innen können solche enormen organisatorischen Anstrengungen nicht ignorieren, und wir sollten im Gegensatz zu den liberalen Werten der Freiheit den wahren Wert der Freiheit einbringen, bei der kein Mensch ein Herr des anderen ist.
Nehmt an der Demo teil und bringt eure eigenen Botschaften aktiv und kreativ ein.
Schließt euch antifaschistischen und anarchistischen Gruppen an und verbreitet eure revolutionären Ideen für die Gesellschaft von Morgen!
Micha Schuhmann und Lisa Schimmel
vom Anarchistischen Netzwerk Dresden