In (nicht nur) eigener Sache

Die DIG hat versucht, eine Veranstaltung mit mir in Heilbronn zu vereiteln. Dabei habe ich mir eine offizielle Einstufung seitens der deutschen Bundesregierung als Antisemit eingehandelt.

Vor einigen Wochen wurde ich vom Heilbronner Friedensrat zu einer Veranstaltung eingeladen, die am Dienstag, den 12. März, stattfinden sollte. Vorgesehen war ein Vortrag mit anschließender Diskussion, die eine Darlegung der aktuellen Lage in Israel/Palästina, eine Analyse der Vorgeschichte des Konflikts sowie die Erörterung von Zukunftsperspektiven und möglichen Lösungen enthalten sollten.

Ursprünglich war für diese Veranstaltung eine gemeinsame Trägerschaft durch die Heilbronner Volkshochschule (VHS) und den Heilbronner Friedensrat sowie eine Durchführung in Räumen der VHS geplant. Dann aber, kurze Zeit vor dem Veranstaltungstermin, wurde bekanntgegeben, dass der Heilbronner Friedensrat diese Veranstaltung in eigener Trägerschaft in der Jugendherberge Heilbronn, Paula-Fuchs-Allee 3, durchführt. Man könne an ihr entweder in Präsenz oder online teilnehmen.

Was war geschehen? Die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) Heilbronn kritisierte die Veranstaltung “gegenüber Dritten”. Dargelegt wurde u. a., dass der Referent offen für die Boykottbewegung BDS eintrete und für sie werbe. Ferner verstoße die VHS mit der Veranstaltung gegen den Beschluss des Bundestages vom Mai 2019, der fordere, dass Projekte, die zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung unterstützen, nicht finanziell gefördert werden dürfen.

Die VHS bemerkte dazu: “Bedauerlicherweise ist die DIG mit ihrer Kritik zu keiner Zeit direkt an die VHS Heilbronn herangetreten. Nachweise für die erhobenen Vorwürfe wurden nicht vorgelegt. Die VHS hat im Vorfeld zur Person des Referenten recherchiert. Belastbare Erkenntnisse im Sinne der erhobenen Vorwürfe haben sich dabei nicht ergeben. Da eine abschließende Überprüfung in der Kürze der Zeit jedoch nicht möglich und ein sachlicher und objektiver Austausch nicht zu erwarten war, hat die VHS die Mitveranstalterschaft vorsorglich abgesagt. Eine juristische Prüfung wurde eingeleitet.”

Die VHS hatte sich am 7. März an das Innenministerium des Innern und für Heimat mit folgender Anfrage zu meiner Person gewandt: “Liegen Ihnen oder Ihrer Dienststelle gesicherte Erkenntnisse darüber vor, dass Z. der BDS-Bewegung angehört oder aktiv für Ziele eintritt, die die BDS-Bewegung verfolgt? Sind Ihnen Äußerungen von Z. bekannt, die nachweislich den Schutzbereich der Meinungsfreiheit verlassen und in Rechtsgutverletzungen umgeschlagen sind? Hintergrund: Die VHS Heilbronn plante eine VA mit Z. und sieht sich dafür harscher Kritik der DIG ausgesetzt. Unsere eigenen Recherchen haben im Vorfeld keine belastbaren Hinweise erbracht. Eine gleichlautende Anfrage beim Antisemitismusbeauftragten Baden-Württemberg läuft.”

Ich weiß nicht, was die Anfrage beim Antisemitismusbeauftragten Baden-Württemberg erbracht hat. Hingegen bekam die VHS, vertreten durch Herrn Peter Hawighorst, folgenden Bescheid von Leonard B. Kaminski, seines Zeichens Persönlicher Referent des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus (Dr. Felix Klein):

Sehr geehrter Herr Hawighorst,

besten Dank für Ihre Anfrage an Herrn Beauftragten Dr. Klein, in dessen Auftrag ich Ihnen antworte.

Moshe Zuckermann ist aufgrund seiner Positionen zu Israel in der Tat stark umstritten. Konkret war er z.B. 2022 als Referent zu einer von BDS organisierten Veranstaltung eingeladen. Er vertritt auch die Ansicht, in Israel würde grundsätzlich Apartheid gegenüber Nichtjuden herrschen. Dies ist eine Position, die nach von der Bundesregierung indossierten Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance als antisemitisch gewertet werden müsste.

Nun besteht kein Verbot, auch derlei umstrittene Personen einzuladen. Zum demokratischen Austausch gehört gleichzeitig aber auch, dass für eine solche Einladung auch mit entsprechend intensiver Kritik gerechnet werden muss.

Beste Grüße

Leonard Kaminski

Somit darf ich mich jetzt rühmen, von der deutschen Bundesregierung offiziell zum Antisemiten erklärt worden zu sein. Man könnte das einfach abwinken – was versteht schon die deutsche Bundesregierung einschließlich ihres “Antisemitismusbeauftragten” von Antisemitismus? Aber dann bleibt das Verdikt in der Luft hängen: Die deutsche Herrschaftsinstitution hat den Juden Moshe Zuckermann für einen Antisemiten erachtet. Nicht, dass ich etwas daran zu ändern vermag, aber einiges zur Klärung bzw. Aufklärung scheint mir dennoch angebracht. Hier also einige Anmerkungen zur Farce.

Angst vor dem Antisemitismus-Vorwurf oder vorgeschriebene Israelsolidarität?

Über die DIG möchte ich hier kein Wort verlieren. Sie ist ja in erster Linie (und dies schon seit Jahren) ein Ableger der israelischen Hasbara (Propaganda), obwohl sie sich als zuständig “für die Förderung der bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel in den Bereichen Zivilgesellschaft, Kultur und Wissenschaft” wähnt. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie sich je kompetent zu den inneren Konflikten und Diskursen in Israel, geschweige denn zum israelisch-palästinensischen Konflikt geäußert hat.

Zu fragen gilt es aber, welchen ernsthaften Grund die VHS sah, die Anfrage zu meiner Person beim Innenministerium zu stellen. Nur weil es der DIG nicht in den Kram passte, dass man eine Veranstaltung mit mir plante? Bevor sich die DIG interessengeleitet (und ganz im Sinne ihrer Propaganda-Funktion) einmischte, hatte die VHS doch kein Problem mit mir als Referenten. War da vorauseilender Gehorsam am Werk? Oder doch etwas, das viel symptomatischer ist für die deutschen Befindlichkeiten bei den “bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel”: pure Angst vor dem Antisemitismus-Vorwurf, der in Deutschland schon lange kaum noch realen Antisemitismus belangt, sondern, wenn überhaupt, vorgeschriebene Israelsolidarität, ungeachtet der Frage, mit was für einem Israel man sich dabei solidarisiert.

Gehen wir also die Antwort des bundesrepublikanischen Antisemitismusbeauftragten (bzw. seines persönlichen Referenten) Wort für Wort durch.

[…] besten Dank für Ihre Anfrage an Herrn Beauftragten Dr. Klein, in dessen Auftrag ich Ihnen antworte.

Warum der herzliche Dank? Mag sein, dass es sich um eine Höflichkeitsformel handelt. Aber wieso bedankt man sich eigentlich als Amt dafür, dass man eine Bitte im Kompetenzbereich des Amtes stellt? Es liegt nah anzunehmen, dass sich der Beauftragte dafür bedankt, eine durch die Anfrage sich einstellende Bestätigung der Raison seines (letztlich überflüssigen) Amtes erhalten zu haben. Denn warum gibt es keinen Bundesbeauftragten für Fremdenfeindlichkeit, für Islamophobie oder (umfassend) für Rassismus? Die deutsche Antisemitismus-Neuralgie hat mit der Katastrophengeschichte von Deutschen und Juden im 20. Jahrhundert zu tun (und kann noch immer als nachvollziehbar gewertet werden). Aber ist der Antisemitismus im heutigen Deutschland dermaßen akut, dass es eines gesonderten Beauftragten zu seiner Bekämpfung bedarf? Oder liegt dem etwas anderes zugrunde? Darüber gleich mehr.

Judentum, Zionismus und Israel sind drei verschiedene Kategorien

Moshe Zuckermann ist aufgrund seiner Positionen zu Israel in der Tat stark umstritten.

Umstritten sein, kann einem zur Ehre gereichen. Die Frage ist allerdings: umstritten bei wem? Die Antwort darauf ist bereits im zitierten Satz indirekt enthalten: Es sind meine Positionen zu Israel, nicht zu Juden oder zum Judentum, die mich bei Israelfreunden umstritten werden lassen. Nun bin ich israelischer Staatsbürger und habe, wie jeder verantwortungsbewusste Bürger, nicht nur das Recht, sondern die zivilgesellschaftliche Pflicht, mich dem Staat gegenüber, in dem ich lebe, zu positionieren. Das schließt, wenn es nötig ist, kritische Positionen ein, die der DIG oder dem Antisemitismusbeauftragten nicht genehm sein mögen.

Was das aber überhaupt mit Antisemitismus zu tun haben soll, ist unerfindlich. Denn auch der Bundesbeauftragte und sein persönlicher Referent sollten endlich begreifen, dass Judentum, Zionismus und Israel drei verschiedene Kategorien sind, die man (aus ideologischen Gründen) miteinander verbinden kann, aber nicht muss; entsprechend leitet sich davon ab, dass Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik auseinanderzuhalten sind. Man vergesse nicht, dass nicht alle Juden Zionisten, nicht alle Zionisten Israelis und nicht alle Israelis Juden sind. Jenen aber, die sich solch polemischer Diffamierung bedienen (wie sie Leonard Kaminski betreibt), will es offenbar gar nicht in den Sinn kommen, dass man antizionistisch ohne Antisemitismus und israelkritisch ohne Antizionismus sein kann; ja dass man sogar Israel- und Zionismusanhänger, zugleich aber antisemitisch sein kann. Besonders übel wird es, wenn in diesem Zusammenhang Nichtjuden Juden des Antisemitismus zeihen, und gewisse Juden sich gar nicht anders zu helfen wissen, als mit der Perfidität, israelkritischen Juden (gar jüdischen Israelis) einen „jüdischen Selbsthass“ vorzuwerfen. Das ist übrigens eine bekannte Taktik der israelischen Hasbara.

Apartheid und Definition des Antisemitismus

Konkret war er z.B. 2022 als Referent zu einer von BDS organisierten Veranstaltung eingeladen.

Ich habe im Jahr 2022 an einer Konferenz teilgenommen. BDS wurde in ihr nicht thematisiert, und ohnehin habe ich mich auf jener Konferenz nicht zu diesem Thema geäußert. Guilty by association? Ist das Kaminskis Ernst? Ist das alles, was er vorzubringen hat? Ich denke nicht daran, hier “Beweise” zu bringen, dass ich die BDS nicht nur nicht unterstütze, sondern auch ihre politische Effektivität schriftlich infrage gestellt habe. Die Ehre will ich Kaminski und seinem ideologischen Ziehvater Klein auf keinen Fall erweisen. Aber wenn das das Rechercheniveau des persönlichen Referenten des Bundesbeauftragten sein soll, dann kann man nur antworten: Was der Vorwurf gegen mich zum Inhalt hat, ist erstunken und erlogen. Ich selbst boykottiere freilich seit über vierzig Jahren Erzeugnisse von jüdischen Siedlern im okkupierten Westjordanland.

Er vertritt auch die Ansicht, in Israel würde grundsätzlich Apartheid gegenüber Nichtjuden herrschen.

Falsch! Ich vertrete die Ansicht, Israel betreibe Apartheid in den okkupierten Gebieten des Westjordanlandes. Man beweise mir, dass dem nicht so sei. Israel hat zwei Justizsysteme – eins für die Bürger des israelischen Staates und ein System militärischer Justiz in den Territorien der Okkupation. Apartheid! Es gib im Westjordanland reichlich gesonderte Straßen für Juden und Palästinenser. Apartheid! Besonders eklatant ist dies in Hebron der Fall (das hat seinerzeit selbst Sigmar Gabriel nach einem Besuch in der Stadt gesagt, bevor er dann auf politischen Druck hin zurückrudern musste).

Ich könnte jetzt eine ellenlange Liste von argen Apartheid-Maßnahmen gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten erstellen. Aber wozu denn? Klein, Kaminski und die DIG wissen a priori, dass es keine Apartheid in Israel/Palästina gibt bzw. geben kann. Und was das sein soll “Apartheid gegenüber Nichtjuden”, wird man mir noch erklären müssen. Dass aber die in Israel lebenden Araber als Bürger zweiter Klasse benachteiligt und diskriminiert werden, darf wohl behauptet werden, ohne deshalb des Antisemitismus geziehen zu werden. Aber woher sollen das die in Berlin fungierenden Klein und Kaminski wissen.

Dies ist eine Position, die nach von der Bundesregierung indossierten Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance als antisemitisch gewertet werden müsste.

Wie schön! Keinen größeren Gefallen konnte die israelische Regierung der ideologisch indoktrinierten deutschen Israel-Solidarität erweisen, als sie seinerzeit darauf drängte, diesen Paragraphen in die IHRA-Definition einzubringen. Ich selbst hänge der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus an (die ich selbst mitunterschrieben habe). Diese widersetzt sich dem Postulat eines “israelbezogenen Antisemitismus”, dessen fragwürdige begrifflich-theoretische wie historische Basis ich oben bereits angedeutet habe.

Dass die Bundesregierung sich der IHRA-Definition verschrieben hat, ist ihr gutes Recht, wiewohl sie sich damit zwangsläufig in Widersprüche verfängt. Aber auf keinen Fall sollte sie sich anmaßen, diese prekäre Definition zur Waffe der Antisemitismus-Bekämpfung zu erheben. Denn nicht nur bekämpft sie damit nicht den realen Antisemitismus in der Gesellschaft, sondern es kommt dabei der hanebüchene Quatsch heraus, den Klein & Kaminski gegen mich formuliert haben.

Nun besteht kein Verbot, auch derlei umstrittene Personen einzuladen. Zum demokratischen Austausch gehört gleichzeitig aber auch, dass für eine solche Einladung auch mit entsprechend intensiver Kritik gerechnet werden muss.

Wie schön, dass kein Verbot besteht, “derlei umstrittene Personen einzuladen”. Wirklich, man kann angesichts solcher Großzügigkeit nur dankbar sein. Wenn nun aber “für eine solche Einladung auch mit entsprechend intensiver Kritik gerechnet werden muss”, dann erhebt sich die Frage, wo genau hört die “intensive Kritik” auf und beginnt die politische Schikane? Gehören Raumverbote mit dazu? Und darf man bei der Gelegenheit auch im Gegenzug behaupten, dass es sich dabei nicht um demokratischen Austausch, sondern um politische Verfolgung handelt?

Es wäre wünschenswert, dass sich die “intensive Kritik” endlich kundig macht, was sich in Israel in den letzten Jahren, besonders im letzten Jahr und gegenwärtig abspielt. Und es wäre an der Zeit, dass sie sich zu der von Israel seit über einem halben Jahrhundert betriebenen völkerrechtswidrigen Barbarei der israelischen Okkupation positioniert. Denn wenn DIG, Felix Klein und Leonard Kaminski alles ist, was die vielgerühmte deutsche “Aufarbeitung der Vergangenheit” erbracht hat, dann ist es denkbar erbärmlich um sie bestellt.


 

[ Moshe Zuckermann ist ein israelisch-deutscher Soziologe und emeritierter Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv. Er wurde als Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender in Israel geboren und wuchs in Tel Aviv auf. Seine Eltern emigrierten 1960 nach Deutschland (Frankfurt am Main), wo Zuckermann ein Gymnasium besuchte. Mit 20 Jahren kehrte er von Frankfurt nach Israel zurück. Zuckermann besitzt auch die deutsche Staatsbürgerschaft. ]

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