Zensur auf Indymedia

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Über die intransparente, willkürliche und manchmal auch systematische Löschpraxis von Indymedia

Seit über einem Jahr ist uns, dem Kritischen Medienkollektiv, negativ aufgefallen, dass auf de.indymedia.org scheinbar willkürlich, zu bestimmten Themen aber auch systematisch zensiert wird. Ganze Beiträge werden gelöscht, insbesondere solche mit anarchistischen und szenekritischen Inhalten. Es werden auch Kommentare gelöscht, die sich auf die Beiträge selbst beziehen und sie inhaltlich ergänzen. Ganz unterschiedliche Gruppen und Einzelpersonen sind hiervon betroffen. Wir sind nur ein kleiner Kreis von Menschen, denen das aufgefallen ist. Die Spitze des Eisbergs.

Aktuelles Beispiel sind die Beiträge unter dem Beitrag "Aufruf zum antifaschistischen Zusammenschluss". Dort haben Menschen geschrieben, was ihrer Meinung nach gegen die AfD und den Rechtsruck praktisch getan werden könnte. Es waren inhaltlich respektvolle und sinnvolle Beiträge, keine Beleidigungen oder anderer Blödsinn. Die Beiträge könnten Genoss*innen Ideen geben, um vor Ort eigene Strukturen gegen den Rechtsrutsch aufzubauen und gegen Nazis aktiv zu werden. Es stand auch nix illegales darin, aus dem Repressionsbehörden Indy einen Strick drehen könnten. Es wurden keine Strukturen oder Namen offengelegt.

Wir und befreundete Genoss*innen haben viel Zeit aufgewendet, um verschiedene Texte zu linken Themen zu erstellen und sie hier zu veröffentlichen. Sie sind gelöscht worden, ohne transparent zu machen, warum und wieso. Sie mussten mehrfach eingestellt werden, bis sie der Moderation entweder durchrutschten oder irgendwer entschied, das jetzt halt nicht zu löschen. Die Urheber*innen haben auch auf Nachfragen nie eine Erklärung dafür erhalten, warum die Moderation entschied, wie sie entschied.

Warum hat die Moderation diese Beiträge gelöscht? Warum will sie nicht, dass sich Linke hier bilden, vernetzen und austauschen, auch wenn das kontrovers verlaufen kann? Warum wird zensiert? Ist Indymedia überhaupt noch ein linkes Medium, das "make your own media" verwirklicht? Es scheint, dass Indy zu einer reinen Blogschau und Ansammlung von Bekennerschreiben verkommen ist. Eine rotgestrichene Tagesschau.

Die Löschpraxis wirft viele Fragen auf. Allen voran, ob die Moderator*innen überhaupt die Verhaltens- und Moderationsregeln hier kennen oder den ursprünglichen Sinn, warum das Indymedia-Netzwerk überhaupt entstanden ist. Und ob es eine - durch ganz Indy, oder durch Einzelpersonen in der Moderation - verfolgte Agenda gibt, bestimmte Gruppen, innerlinke Meinungen und Strömungen unsichtbar zu machen, weil sie aus welchen Gründen auch immer manchen nicht in den Kram passen.

Insbesondere die Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr an lokale Strukturen angebunden sind oder sein können, die nicht mehr so easy auf nächste Plenum gehen können, werden durch dieses unsolidarische Verhalten vor den Kopf gestoßen. Es reiht sich ein in eine gesamtlinke Tendenz, Einzelpersonen mit ihren Problemen und Meinungen nicht ernst zu nehmen. Sie schwächt die linke Szene und sorgt dafür, dass Menschen ausbrennen und sich aus dem Politischen zurückziehen. Auch in der Linken hat es scheinbar einen Rechtsrutsch gegeben: Informelle Hierarchien sind entstanden, die völlig willkürliche und intransparente Entscheidungen treffen. Nachfragen werden abgeblockt und wegzensiert. Fehlerkultur - Fehlanzeige. Autoritäre Scheiße galore! Und die hat in der gesamten Linken, aber eben auch auf Indy in den letzten Jahren deutlich und spürbar zugenommen.

Manche von uns nutzen Indymedia seit vielen Jahren. Vergleicht man de.indymedia.org, wie es heute ist, mit dem Zustand von vor 10 oder 15 Jahren, fällt auf: Früher war Indymedia ein Ort, wo sich Menschen auch ganz selbstverständlich austauschen konnten. Ergänzende, auf die Themen eingehende Kommentare wurden nicht gelöscht, und das Themenspektrum war vielfältiger. Die Entscheidungen der Moderation waren nachvollziehbarer, insgesamt wurde weniger in Diskussionen eingegriffen. Diese Art des Austausches ist wichtig, gerade für aktivistische Einzelkämpfer*innen, Gruppen und Arbeitskontexte, die nur kurz und anlassbezogen bestehen und/oder keine eigenen Webseiten, Mailadressen, andere Kontaktmöglichkeiten haben. Es gibt viele Gründe, warum Menschen sich entschließen, keine anderen digitalen Vernetzungsmöglichkeiten zu nutzen (allen voran: die Repression). Welche Alternative haben sie, von ihrer Arbeit zu berichten und Dinge öffentlich zu machen? Die Alternative wären eigene Webseiten (wer kennt und liest die schon?), kommerziell orientierte Datenkraken (Insta...) oder Zeitschriften/Zeitungen (wo eine Redaktion alles filtert). Indymedia hatte mal den Anspruch, ein Medium für alle zu sein. Nicht nur für namhafte Gruppen oder Bündnisse, die sowieso eigene Webseiten und soziale Medien haben, sondern wirklich "for the people" - für die, die sonst keine Ressourcen haben. Indymedia war ein Freiraum inmitten eines Internets, das immer mehr Kapitalisierungszzwängen und Repression unterworfen wurde. Wir bräuchten diesen Freiraum heute umso mehr, aber er ist keiner mehr.

Die Zensur auf Indymedia ist zum Kotzen. Liebe Moderation, hör auf damit! Wir brauchen Möglichkeiten des linken Meinungsaustausches mehr denn je. Verengungen des Diskurses gibt es genug!

Sollte diese Zensur weitergehen, sollten sich alle Genoss*innen überlegen, ob sie Indymedia weiter finanzieren und nutzen wollen. Dann wäre es wichtig, tragfähige Alternativen aufzubauen.

Wir gehen davon aus, dass auch dieser Beitrag schnell verschwinden wird. Wir werden ihn so lange neu einstellen, bis er nicht mehr zensiert wird, und dabei mitzählen. Damit ihr nachvollziehen könnt, wie oft er zensiert worden ist. Möge die Moderation entscheiden, ob sie jetzt löscht und sich die Blöße gibt, oder lieber doch nicht. Die ist das 1. Mal, dass der Beitrag bei de.indymedia.org eingestellt wurde.

Erstmals eingestellt am 14. März 2024, Kritisches Medienkollektiv.

 

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Ergänzungen

aber warum schreibt ihr nicht lieber eigene Artikel, statt Ergänzungen? dann wird auch nicht soviel gelöscht...

Und ja, Indymedia ist spektrenübergreifend. da sollte mensch abweichende Beiträge vom eigenen Beat schon aushalten können, oder?

hallo,

wer oder was ist das kritische medienkollektiv ? irgendwie ist es nicht nachvollziebar, warum keine kontaktmöglichkeit (website, email ... ) zur verfügung gestellt wird, da doch der diskurs gewünscht ist ? oder geht es um diffamierung ?

es werden viele unterstellungen formuliert und keine genauen angaben gemacht, welche postings/ergänzungen raus moderiert wurden und/oder im müllarchiov einsehbar sind ?

der vermeintliche rechtsruck wird auch nicht näher benannt - scheint also eine provokation zu sein, um irgendwie reaktionen hervorzurufen? - so arbeitet auch das konzept von counterinsurgency...

indymedia hat klargestellt, dass es eben kein diskurs-portal ist.: Mission Statement: Es bietet offene, nichtkommerzielle Berichterstattung sowie Hintergrundinformationen zu aktuellen sozialen und politischen Themen.

Der Appell an das kritische Medienkollektiv kann dann nur sein: 1 Plattform für Diskussion und Austausch zu schaffen, die nicht an Aktivitäten gebunden sein muß.

solidarische Grüsse