Auf den Spuren von Sherlock Holmes oder warum es gut ist, den Behörden und staatlichen Institutionen auf die Finger zu schauen

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Bei den taz-Blogs wurde ein Artikel veröffentlicht, für den noch mal bei bei verschie­denen staatlichen Stellen nachgeforscht wurde, wie der aktuelle Stand der Verfahren, Argumente und Indizien in den Strafverfahren gegen einen Redakteur von Radio Dreyeckland (RDL), der im vorletzten Jahr in einem – auf der Webseite des Senders veröffentlichten – Artikel das Archiv von linksunten.indymedia verlinkt hatte, sowie ge­gen vermeintliche BetreiberInnen dieses Archiv ist. (Durch den RDL-Artikel und insbesondere die Verlinkung, soll eine verbotene Vereinigung unterstützt worden sein, so die Staatsanwaltschaft Karlsruhe.)

 

 

 

 

Was sucht die Staatsanwaltschaft Karlsruhe auf bei einem Redakteur von Radio Deyeckland beschlagnahmten Datenträgern?

 

Schon vor einiger Zeit [1] ging es bei den taz-Blogs um die Frage, warum die Staatsan­waltschaft Karlsruhe immer noch erpicht darauf ist, die bei dem RDL-Redakteur be­schlagnahmten Datenträger auszuwerten, obwohl dieser sich doch längst – glaub­würdig – dazu bekannt hat, der Autor des Artikels auf der RDL-Webseite zu sein. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat Ende vergangenen Jahres gegenüber dem Landgericht geltend gemacht, die Datenträger seien nicht nur für den Beweis der Au­torschaft relevant, sondern auch „für die Frage des Fortbestehens der unterstützen Vereinigung“ (gemeint ist der angebliche „Verein“ linksunten.indymedia). In dem Arti­kel bei den taz-Blogs wird vermutet, dass die StA Ausschau hält nach etwaigem Mail­wechsel zwischen dem/n Archivbetreiber/Archivbetreibern und RDL und die Staats­anwaltschaft hofft, darüber dann – in einem zweiten Schritt – beweisen zu können, dass der frühere laufende Betrieb von linksunten.indymedia und der jetzige Betrieb des Archivs durch denselben Personenkreis erfolge. Dies würde dann wahrscheinlich juristisch als „Fortbestehen der unterstützen Vereinigung“ bewertet. (Auf dieses Fort­bestehen kommt es in dem Verfahren juristisch an, weil nur existierende Vereine un­terstützt werden können.)

 

 

Hat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg versucht, die Herausgabe von Paßwörtern zu erpressen?

 

Außerdem wird in einem Artikel von Freitag vergangener Woche auf einen netzpolitik.org-Bericht Bezug genommen, wonach vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg versucht worden sein soll, die vermeintlichen Archiv-BetreiberInnen zur Herausgabe von Passwörter für beschlagnahmte Datenträgern zu zwingen, indem ih­nen gedroht wurde, im Weigerungsfalle Kontakt mit ihren Arbeitgebern aufzuneh­men. Zwei Personen sollen in diesem Zusammenhang auch ihren Job verloren ha­ben (sie sollen noch in der Probezeit gewesen sein), so netzpolitik.org. Nachdem sich die Staatsanwaltschaft Karlsruhe lange gestreubt hat, dazu konkret Stellung zu nehmen, hat das Landeskriminalamt nun so etwas wie ein Dementi geschickt:

„ich [kann] Ihnen erneut mitteilen, dass sowohl der sachleitenden Staatsanwaltschaft Karlsruhe als auch dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg keine Hinweise vor­liegen, dass Passwörter gegen Drohung eingefordert wurden. Zudem kann ich Ihnen im Hinblick auf ihre konkretisierende Nachfrage mitteilen, dass durch das LKA Baden-Württemberg nicht auf Arbeitgeber der beschuldigten Personen zugegangen oder gegenüber den beschuldigten Personen ein solches Vor­gehen angekündigt wurde“, so ein Sprecher des LKA BaWü.

Ob es geglaubt wird, sei dem Urteil der LeserInnen überlassen.

 

 

Der Zeitplan für die beiden Strafverfahren

 

Außerdem wurde der weiteren Zeitplan für die beiden Strafverfahren in Erfahrung ge­bracht:

  • Dem Spiegel (Nr. 51/2023, S. 48) wurde erklärt: „Ab April soll es zur Hauptver­handlung gegen Kienert kommen“. Auch auf der Webseite von RDL steht: „Die Hauptverhandlung vor dem Karlsruher Landgericht findet voraussichtlich ab Mitte April 2024 statt.“

  • Der Abschluß des Ermittlungsverfahrens gegen die vermeintlichen Archiv-Be­treiberInnen ist dagegen weiterhin ungewiss: „Eine Prognose, wann die Ermitt­lungen abgeschlossen sein werden, ist nicht möglich“, so zumindest die Aus­kunft der Staatsanwaltschaft Karlsruhe [2] – allerdings schon von Anfang November.

 

 

Was ist eigentlich aus der These des Oberlandesgerichts Stuttgart geworden, die Website linksunten.indymedia sei nie gelöscht worden?

 

Die These des OLG Stuttgart, die Webseite linksunten.indymedia „sei niemals ge­löscht worden“ [3], enthält mehr (technische) Probleme, als man ihr auf den ersten Blick ansehen mag: Der bloße Umstand, dass unter der alten Adresse die allermeisten al­ten linksunten-Artikel wieder erreichbar sind, heißt nicht, dass die Seite nie gelöscht war. Jedenfalls war sie lange Zeit nicht erreichbar, und es scheint inzwischen auch ein anderer Server als bis zur Bekanntmachung des Verbotes genutzt zu werden [4].

 

Und selbst wenn die Website nie gelöscht worden sein sollte, so hieße dies nicht not­wendigerweise, dass auch der alte Betreiberkreis von linksunten noch existiert (was aber – wie oben schon gesagt – einer der entscheidenden Punkte in Bezug auf das Strafverfahren ist).

 

Diesen Problemen wurde auf akribische Art nachgegangen, und es werden die verschiedenen in Betracht kommenden Möglichkeiten, von denen bisher keine bewiesen ist, aufgezeigt.

 

 

 

Zum Mühsal und dem Nutzen, presserechtliche Auskunftsansprüche geltend zu machen

 

 

Dass es durchaus mühsam ist, Gerichten und Staatsanwaltschaften Informationen zu entlocken, zeigt ein anderer Fall. In diesem Fall musste sogar erst das Verwaltungs­gericht Gera mit einem Antrag auf Einstweilige Anordnung gegen das Amtsgericht Gera bemüht werden, um nun hoffentlich die gewünschten anonymisierten Durchsu­chungsbeschlüsse, die von letzterem erlassen wurden, zu erhalten. Mehr über die­sen Fall ist in einem Bericht von Peter Nowak zu lesen:

 

https://mmm.verdi.de/beruf/journalistin-erstreitet-aktenzugang-93791.

 

Inzwischen hat das Amtsgericht allerdings Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgericht eingelegt, sodass inzwischen das Thüringer Oberverwaltungsge­richt mit dem Fall beschäftigt ist. In einem parallelen Verfahren wurde dagegen die Staatsanwaltschaft Gera bereits rechtskräftig zu weiteren Auskünften verpflichtet und letztere inzwischen auch tatsächlich herausgerückt (dazu demnächst mehr).

Dies alles beweist eindrücklich, dass es politisch durchaus nützlich sein kann, die be­stehende Gesetzeslage zu kennen und für die eigenen Zwecke zu nutzen (nicht zu instrumentalisieren!) und dass der Spruch von der Presse als „vierte Gewalt“ mehr ist als nur eine demokratie-illusionäre Phrase.

 

 

Bonapartistische Gefahren

 

 

Gerade in einer Zeit, wo die Linke sich in einer massiven Krise befindet und den stra­tegischen Rückzug angetreten ist, hat die Verteidigung demokratischer (Freiheits)rechte und die Basiskontrolle gegen bonapartistische Staatstendenzen oberste Wichtigkeit. (Als ‚Bonapartismus‘ bezeichnete Marx [sowie bezeichneten später Trotzki und Thalheimer in ihren Faschismus-Analysen und Trotzki außerdem in seiner Stalinismus-Analyse] eine Konstellation, in der eine herrschende Klasse die politische Macht ‚abtritt‘, um gesellschaftlich [ökonomisch] weiterhin die herrschende Klasse bleiben zu können. Es handelt sich also um eine gewisse Verselbständigung des Staatsapparates gegenüber seiner gesellschaftlich-materiellen Basis.)

Marx ging davon aus, daß bonapartistische Phänomene in Situationen eines Klas­sengleichgewichts [5] auftreten. Dies mag für die von Marx untersuchten Situationen zutreffend gewesen sein. Aber heutzutage wäre wohl eher von einem politischen oder Machtvakuum zu sprechen, das sich ‚bonapartistische‘ Kräfte zunutze machen können. Wichtig ist auch noch, dass man den Bonapartismus (entgegen seines Na­mens) nicht an einer Person festmachen sollte, sondern es können auch Institutionen und Gruppen – bevorzugt bürokratisch-militärische Apparate – die Funktion des ‚Bo­naparte‘ einnehmen.

Auf die gegenwärtige politische Lage bezogen, sollte man noch hinzufügen, dass die ‚bonapartistischen' Ambitionen von Teilen der bundesrepublikanischen Justiz kaum damit zu erklären sein dürften, dass die hiesigen Lohnabhängigen einen Bürgerkrieg beginnen würden, wenn ihren Ansprüchen nicht nachgegeben wird. Eher geht es um die Moderation von Widersprüchen innerhalb des ‚herrschenden Blocks‘ oder der ‚herrschenden Blöcke‘.

Die gesamte Tendenz zur ‚Bonapartisierung‘ der Politik wird noch dadurch verstärkt, dass die (programmatischen) Unterschiede zwischen den hegemonialen Parteien dermaßen glattgeschliffen sind, dass kaum noch Interessenwidersprüche auftreten, die konfliktöse Machtkonstellationen scharf hervortreten lassen.

Solche bonapartistischen Tendenzen lassen sich meines Erachtens im Vorgehen der Staatsanwaltschaft gegen das linksunten-Archiv und dessen Verlinkung durch Fabian Kienert sowie in der Rückdeckung, die die Staatsanwaltschaft insbesondere vom Amtsgericht Karlsruhe und teilweise auch vom Oberlandesgericht Stuttgart erhält, er­kennen. Von einer ‚Verselbständigung des Staatsapparates (oder von Teilen davon) kann allerdings (noch) nicht gesprochen werden.

Interessant wird auch sein, zu beobachten, ob der wachsende Einfluss der Afd diese bonapartistischen Tendenzen begünstigt oder gar abschwächt durch Versuche, „mehr Demokratie zu wagen“.

 

 


 

 

 

1 Abschnitt „Was sucht die Staatsanwaltschaft Karlsruhe auf den bei Fabian Kienert beschlagnahmten Daten­trägern?“.

 

2 Abschnitt „Ist ein Abschluß des Ermittlungsverfahren gegen die vermeintlichen Archiv-BetreiberInnen abzu­sehen?“.

 

3 „es [ist] wahrscheinlich, dass das erkennende Gericht nach Durchführung der Beweisaufnahme zur Auffassung gelangen wird, dass die verbotene Vereinigung noch existiert und ihren Willen, ihre verbotene Internetpräsenz fortzuführen, nicht aufgegeben hat. Mit diesem Schluss sind die Erkenntnisse weitaus besser in Einklang zu brin­gen, als mit einer Auflösung der Gruppe und der Aufgabe der Vereinstätigkeit. So wurde die verbotene Website nie­mals gelöscht oder endgültig nicht mehr betrieben.“ (OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.06.2023 zum Aktenzeichen 2 Ws 2/23, Textziffer 49)

 

4 „Nach dem Verbot wurde die Unter-Domain ‚linksunten.indymedia.org[‘] von einem Server in Frankreich auf Rechner in Kanada umgezogen.“ (https://www.nzz.ch/international/linksuntenindymediaorg-linksextremistische-internetplattform-meldet-sich-nach-verbot-zurueck-ld.1312818)

 

5 „Das [bonapartistische] Kaisertum, mit dem Staatsstreich als Geburtsschein, […] war es die einzige mögliche Regierungsform zu einer Zeit, wo die Bourgeoisie die Fähigkeit, die Nation zu beherrschen, schon verloren und wo die Arbeiterklasse diese Fähigkeit noch nicht erworben hatte.“ (MEW 17, 313 - 365 [337]; vgl. MEGA I/22, 179 - 226 [200] <dt. Übersetzung von Engels>; ebd., 119 - 162 [138] <der engl. Text von Marx>).

 

 

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