Tag der Pressefreiheit: Der "Deutschlandfunk" fragte, und wir gaben drei Antworten, die anscheinend nicht gefielen

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Der "Deutschlandfunk" fragte aus Anlass des heutigen "Internationalen Tages der Pressefreiheit":

"Was bedeutet Ihnen Pressefreiheit? Am heutigen Internationalen Tag der Pressefreiheit interessiert uns Ihre Beobachtung: Wird in unserer Gesellschaft die Pressefreiheit als zu selbstverständlich hingenommen? Ist man sich ihres Wertes nicht mehr bewusst? [...]. Es verwischen die Grenzen zwischen Journalismus, PR und Aktivismus. [...]. Was machen Sie mit diesem Befund?"

https://www.deutschlandfunk.de/mediasres-im-dialog-was-bedeutet-ihnen-pressefreiheit.2907.de.html?dram:article_id=447793 / https://www.deutschlandfunk.de/sendungen-mit-hoererbeteiligung.1628.de.html

Wir schickten drei Antworten, von denen anscheinend keine einzige gefiel - jedenfalls wurden sie alle drei nicht gesendet.

Antwort von Peter Nowak:

Zur Frage: "Was bedeutet Ihnen Pressefreiheit?"

Ich arbeite selber als freier Journalist und für mich bedeutet Pressefreheit auch unzensierte Information auf Internetplattformen wie Indymedia. Diese plurale linke Plattform ist in Zeiten der globalisierungskritischen Bewegung in den späten 1990er Jahren entstanden. Seit August 2017 ist die linke Internetplattform Indymedia Plattform verboten. Journalist*innen, die dort auch namentlich publizierten müssen mit Anklagen rechnen. Ich sehe daher die Pressefreiheit in Deutschland durchaus in Gefahr.

Antwort von Achim Schill:

Nach den Kriterien der Organisation „Reporter ohne Grenzen" gehört die Bundesrepublik zu den wenigen Ländern, in denen in Sachen Pressefreiheit eine „gute Lage" zu verzeichnen ist. Ich möchte ein Beispiel ansprechen, das die Frage aufwirft, ob die Bewertung „gut" nicht ein bisschen zu gut ist: Seit fast zwei Jahren ist die linke internet-Zeitung linksunten.indymedia mit einer 'Hilfskonstruktion' über das Vereinsgesetz verboten. (Was theoretisch auch auf jedes andere Medium übertragbar wäre.) Und bis heute gibt es kein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, ob das Gesamtverbot eines Mediums mit dem Grundgesetz (Zensurverbot) vereinbar ist. Dies wirft doch zumindest einen gehörigen Schatten auf die "gute Lage" der Pressefreiheit in der Bundesrepublik.

Antwort von DGS:

Zur Frage: „Es verwischen die Grenzen zwischen Journalismus, PR und Aktivismus. […]. Was machen Sie mit diesem Befund?“

Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz spricht zwar nur von der „Pressefreiheit und d[er] Freiheit der BERICHTERSTATTUNG durch Rundfunk und Film“. Aber zuvor wird schon in Satz 1 – für alle BürgerInnen und nicht nur professionelle JournalistInnen – die Meinungsäußerungsfreiheit garantiert. Diese kann logischerweise auch im Rahmen der Presse ausgeübt werden. So gesehen ist die Medienfreiheit nicht nur die Freiheit des Berichtens, sondern auch die Freiheit des KOMMENTIERENS. Auch wenn mit politischer Parteilichkeit transparent umgegangen werden sollte (statt sie versteckt zum Zuge kommen zu lassen), so ist die Parteilichkeit von Medien, die Verquickung von Medien und politischem Aktivismus nichts Ehrenrühriges.

Gerade der politisch engagierte und status quo-kritische Journalismus ist der Journalismus, der – historisch und aktuell – vom Staat bedroht wurde und ist sowie des Schutzes durch die Pressefreiheit bedarf. Die mit den Karlsbader Beschlüssen 1819 im Deutschen Bund eingeführte Zensur richtete sich gerade gegen die sog. „Demagogen“ – politische Aktivisten unterschiedlicher Richtungen der damaligen Zeit. Ende des 19. Jahrhunderts richtete sich dann das Sozialistengesetz gegen „Druckschriften, in welchen sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen [...] zu Tage treten“ [1]. Vor 95 Jahren im Herbst/Winter 1923/24 war die gesamte Parteipresse der KPD verboten [2]; von der NS-Zeit dann gar nicht erst zu reden. Kurze Zeit nachdem die Alliierten 1946 das deutsche Staatsschutzstrafrecht aufgehoben hatten [3], wurde bereits 1951 wieder ein ganzes Dutzend Paragraphen zur Bekämpfung der „Staatsgefährdung“ in das Strafgesetzbuch eingefügt [4]. Betroffen waren wiederum vor allem kommunistische Druckschriften und Vereinigungen; in diesem Zusammenhang ist von ca. 125.000 Ermittlungsverfahren und 6.000 bis 7.000 Verurteilungen in den gut 15 Jahren zwischen 1951 und 1968 auszugehen [5]. Nach 1968 waren es dann vor allem Zeitschriften, in denen auch die militante Linke zu Wort kam und in denen es den LeserInnen möglich war, sich authentisch über die Motive politischer Gewalt zu informieren, die dem Staat ein Dorn im Auge waren. Verfolgt wurden z.B. die Zeitschrift „Info Berliner Undogmatischer Gruppen (Info BUG)“ und deren Nachfolger (Agit-Drucker-Prozeß [6]), die Zeitschrift „radikal“ (die – erfolglos – versucht wurde, als Zeitschrift zu einer „kriminellen Vereinigung“ zu erklären) [7], aber auch die professoralen HerausgeberInnen des Buback-Nachrufes [8]. Auch im internet-Zeitalter hat sich nicht viel geändert: 2017 wurde die linke internet-Zeitung linksunten.indymedia verboten – weil sie angeblich ein „Verein“ ist, dessen Zwecke oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen und der sich angeblich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet. So wird nun zwar nicht mehr das Strafrecht, aber das öffentliche Vereinsrechts genutzt, um die Pressefreiheit und das Zensurverbot zu umgehen und um über Artikel 5 Grundgesetz nicht reden zu müssen. Die radikal kritische Meinung wird zur Nicht-Meinung erklärt und die radikal kritische Presse zum Verein...

[1] https://de.wikisource.org/wiki/Gesetz_gegen_die_gemeingef%C3%A4hrlichen_Bestrebungen_der_Sozialdemokratie_(Sozialistengesetz)#%C2%A7._11

[2] Mathias Grünthaler, Parteiverbote in der Weimarer Republik, Lang: Frankfurt am Main / Berlin / Bern / New York / Paris / Wien, 1995 (= Diss. Univ. Mainz, 1994), 147: „Das Verbot [der KPD] erstreckte sich auch auf die parteieigene Presse, die im gesamten Reichsgebiet nicht mehr erscheinen durfte.“

[3] Artikel I Kontrollratsgesetz Nr. 11 (http://www.verfassungen.de/de45-49/kr-gesetz11.htm): „Folgende Vorschriften des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 in seiner gegenwärtigen Fassung werden hiermit ausdrücklich aufgehoben: Paragraphen […], 80 bis 94 einschließlich, […].“ Siehe https://lexetius.com/StGB/80,9 bis https://lexetius.com/StGB/94,11

[4] BGBl. I 1951. S. 739 - 747 (740 – 742) / http://www.bgbl.de/Xaver/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*[@attr_id=%27bgbl151s0739.pdf%27]

[5] Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1978, S. 278.

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/AGIT-Drucker.

[7] https://www.nadir.org/nadir/archiv/Medien/Zeitschriften/radikal/20jahre/ und https://www.jurion.de/urteile/bgh/1995-06-07/stb-16_95_-2-bjs-127_93/

[8] http://www.glasnost.de/hist/apo/77buback.html und http://delete129a.blogsport.de/dokumente/recht/staatliches-konsensmanagement-statt-free-speech/in-sachen-mescalero/

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