Wo bleibt der Aufschrei? Zu den öffentlichen Fahndungen nach Antifas

Am 3. November 2023 titelte das Springerblatt BILD in seinem Leipziger Regionalteil: „Die neuen Gesichter der Hammerbande – Polizei veröffentlicht Steckbriefe des linksextremen Schlägertrupps“. In dem reißerischen Artikel werden mehrere Bilder von jungen Genoss:innen mit ihren Vor- und Nachnamen abgedruckt. 

Diese erneute Öffentlichkeitsfahndung durch die Hintertür knüpft an zahlreiche Diffamierungen und Repressalien in den vergangenen 9 Monaten an.

 

Hier eine Chronologie dieser Maßnahmen:

15. Februar 2023: Die ungarische Polizei veröffentlicht persönliche Informationen und Gesichter der ersten drei Beschuldigten aus dem Budapest-Komplex. Zahlreiche Zeitungen greifen diese Bilder auf. 

7. Mai 2023: Veröffentlichung der ersten Bilder und Namen durch die Print-Ausgabe der Bundes-BILD unter dem Titel „Die brutalen 7“. Jene Bilder wurden zuvor vor allem durch einen rechtsradikalen X-Account (ehemals Twitter), sowie durch mehrere extrem rechte Onlinezeitungen öffentlich verbreitet. 

12. Mai 2023: Veröffentlichung eines Artikels durch den Spiegel, welcher eine „Behördenwarnung des BKA“ zitiert, die „Parallelen zur RAF“ vermutet. Es werden eine Radikalisierung im Untergrund und professionelle Vorbereitung auf das Abtauchen erdichtet.

18. August 2023: Der Spiegel verbreitet die polizeiliche Meldung, dass die Soko LinX des sächsischen Landeskriminalamtes 10 weitere Fahnder erhält, die sich ausschließlich mit der Suche nach den Verfolgten beschäftigen.

25. September 2023: Das BKA startet gemeinsam mit dem LKA Sachsen und dem Generalbundesanwalt eine bundesweite Öffentlichkeitsfahndung nach einem Genossen. In Bahnhöfen, Behörden, auf riesigen Werbebildschirmen, in allen großen deutschen Zeitungen und sogar zum Teil als Push-Benachrichtigung auf dem Handy wurde mit Bild und Name nach dem Genossen gefahndet. Wie teuer diese einzigartige Großfahndung nach dem Genossen war, möchte auf eine kleine Anfrage einer Landtagsabgeordneten im sächsischen Landtag niemand antworten. Außerdem beteiligen sich viele bekannte Neonazis an der Öffentlichkeitsfahndung und loben zusätzlich zu den 10.000 Euro des LKA Sachsen ein eigenes Kopfgeld aus. Der Fahndung war eine abgestimmte Medienkampagne des WDR/NDR vorausgegangen, die einen Tag zuvor vermeldeten, dass gegenwärtig „20 Linksextreme“ als untergetaucht zählen.

31. Oktober 2023: Mehrere Zeitungen in Deutschland und Ungarn verbreiten die Meldung, dass die ungarischen Behörden „gegen 14 weitere mutmaßlich Beteiligte, unter ihnen zehn Deutsche, einen internationalen Haftbefehl beantragt“ haben.

3. November 2023: Die Bild-Zeitung veröffentlicht erneut Gesichter und volle Namen von zwölf Personen. Darunter diejenigen von vier jungen Menschen, nach denen bisher nicht öffentlich gefahndet wurde. Zuvor waren die Bilder von der ungarischen Polizei veröffentlicht und u.a. durch einem extrem rechten X-Account (ehemals Twitter) weiter verbreitet worden. Auch andere Medien, wie Focus oder T-Online, verbreiten die neuen Fahndungsfotos online.


All diese Maßnahmen, die nicht nur der Fahndung, sondern auch der öffentlichen Delegitimierung dienen, werden von den bürgerlichen Medien mitgetragen und befeuert. Naiv wurden und werden polizeiliche Pamphlete gegen Antifaschismus übernommen und besonders das Narrativ von der „neuen RAF“ in der öffentlichen Wahrnehmung forciert. Wenngleich gemessen an den Fahndungsmaßnahmen der einzig zulässige Vergleich zur damaligen Zeit der anmutende Polizeistaat ist, der immer besessener konstruiert und handelt.

Das erklärte Ziel wird immer deutlicher: Konsequentes Vorgehen gegen organisierte Faschisten soll innerhalb der Gesellschaft und antifaschistischen Bewegung isoliert werden. Divide et impera – es wird versucht, Antifaschismus in guten und schlechten Aktivismus zu spalten, wobei Antifaschist:innen, die abseits von bürgerlichen Normen operieren, „dämonisiert und als sog. Kriminelle abgestempelt werden“ (Rote Hilfe Buvo). Aus vorgeworfenen Körperverletzungen gegen organisierte Neonazis formen Dirk Münster (Leiter des polizeilichen Staatsschutzes Sachsen) und Co. staatsgefährdende Terrorismusverbrechen. Realitätsferne Vergleiche mit der RAF oder Radikalisierungsfantasien durch den sächsischen Innenminister Armin Schuster (CDU) befördern dabei nur noch das Unverständnis für antifaschistische Praxis. 

Doch wo bleibt der Aufschrei? Immer härter werdende Angriffe des Staates auf unsere Bewegung vor dem Hintergrund einer immer stärker werdenden Rechtsentwicklung. Doch dass die große, drohende Gefahr für die Gesellschaft durch „linksextreme Schlägertrupps“ ein einziger Schwindel der zornigen Polizeibehörden ist, müssen wir entlarven! Denn Antifaschismus ist keine Gefahr für die Allgemeinheit. Wir müssen uns alle wieder mehr als gemeinschaftliche antifaschistische Bewegung verstehen, die zueinander uneingeschränkt solidarisch ist und sich nicht spalten lässt.

Wir treten diesen immer wiederkehrenden medialen und staatlichen Angriffen gemeinsam und solidarisch entgegentreten! 

Wir stehen für einen vielfältigen Antifaschismus auf allen Ebenen und mit verschiedenen Mitteln. 

Wir grüßen alle verfolgten Antifaschist:innen nach unbekannt und in die Knäste. Passt auf euch auf! Wir stehen hinter euch!

BASC – Budapest Antifascist Solidarity Comittee

 

Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen