Anarchist/innen festgenommen

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Kasa Muntanya Barcelona

Politisch herrscht kalter Krieg zwischen der spanischen und der katalanischen Regierung, doch wenn es um Repression geht, klappt die Zusammenarbeit nach wie vor hervorragend. Vor Tagen wurden in Barcelona elf Personen festgenommen, sieben Frauen und vier Männer, denen “terroristische Umtriebe“ nachgesagt werden und die u.a. uruguayischer, italienischer und österreichischer Nationalität sind. Ausgerechnet an dem Tag, an dem der ehemalige Ministerpräsident Pujol wegen Steuerhinterziehung angeklagt wurde, fanden die Verhaftungen statt, verbunden mit umfangreichen Razzien. Die Rede war von “anarchistischem Terrorismus“, die Festgeommenen sollen verantwortlich sein für eine lange Reihe von Anschlägen, deren Konsequenzen jedoch an keiner Stelle erwähnt werden. Die Repressionskräfte drangen in drei Sozialzentren ein und nutzten die Gelegenheit, in umfangreichem Stil Material aller Art mitzunehmen, das mit dem Fall mitgroßer Wahrscheinlichkeit nichts zu tun hat. Zudem betroffen waren zwei libertäre Zentren in den Stadtteilen Sant Andreu und Poble Sec.

Die Verhafteten wurden nach Madrid gebracht, allerdings nicht unter Kontaktsperre gestellt, Foltervorwürfe gibt es also nicht, sie hatten Zugang zu ihren Anwältinnen. Sieben der elf sind seither vom Sondergericht Audiencia Nacional inhaftiert, vier weitere freigelassen worden. Die Haftbegründung ist geprägt von “heißer Luft“, oder von “Polizei-Literatur“ wie es die Tageszeitung GARA formuliert. Konkret lautet der Vorwurf, Teil einer Struktur zu sein, die für eine Vielzahl von Sabotageaktionen verantwortlich ist. Keine davon wird genannt, niemand kann sich vorstellen, welche Aktionen gemeint sein könnten, nicht nur in Katalonien, sondern auch im Staat. Der Richter wirft ihnen vor, “eine terroristische Organisation aufzubauen, zu führen und Mitglieder zu sein, Sprengstoff und Explosionsgeräte zu besitzen und verantwortlich zu sein für Sachschäden und Verwüstungen mit terroristischer Absicht“. Eine satte Liste. Das Problem ist, dass hinter diesen grobschlächtigen Beschuldigungen, wie es aus vergleichbaren Fällen vor allem im Baskenland hinlänglich bekannt ist, häufig keinerlei Beweise stehen. In diesem Fall lediglich die Sympathie für libertäre Ideen. Entsprechend vermutet einer der Anwälte, die Megarazzia diene allein dazu, die Betroffenen zu schädigen und zu bestrafen für ihre Überzeugung, nicht für irgendwelche Taten.

Dazu passt, dass die berüchtigten Mossos D’Esquadra (für Folter und regelmäßige Misshandlungen bekannte katalanische Polizei) den Moment genutzt haben, um in Zentren wie dem “Kasa de la Muntanya“ einzudringen, ein besetztes Gebäude im Stadtteil Gracia. Vor einem Jahr hatten Leute aus diesem Zentrum den festgestellt, dass sie per Video überwacht werden, wobei alle gefilmt wurden, die aus und ein gingen. Bei dieser Gelegenheit konnten die Mossos nun ausführlich schnüffeln, die Razzia zog sich über den ganzen Tag. Dabei wurden PCs, Handys und Informations-Material mitgenommen. Also nichts was in Bezug mit den mutmaßlichen Sabotage-Anschlägen zu tun haben könnte, mit denen die Audiencia Nacional und das Innenministerium in Barcelona die “Operation Pandora“ rechtfertigen. Die sozialdemokratische Tageszeitung EL PAIS spekuliert unter Berufung auf “informierte Kreise“ mit Anschlägen auf Kassenautomaten in den Jahren 2012 und 2013. Nach dieser Information führten Informationen aufgrund einer Verhaftung von drei Personen im November 2013 zur neuerlichen Razzia, an der 450 (!) Mossos beteiligt waren.

Die Anwälte konnten bisher nicht die gesamt Dokumentation sehen. Klar wurde jedenfalls, dass die Untersuchungshaft mit ideologischen Aspekten begründet wurde, in Hinblick auf die “Grupos Anarquistas Coordinados“ (Koordinierte Anarchistische Gruppen). “Diese Gruppen agieren immer gewalttätig, sie werfen bengalische Feuer oder Knallkörper, stecken Container an, verursachen Schäden an städtischem und privatem Eigentum, sie provozieren schwere Auseinandersetzungen mit der Polizei, und greifen alle an, die sich ihnen entgegen stellen. Normale Bürger werden eingeschüchtert, ein Zusammenleben und der öffentliche Frieden werden unmöglich gemacht“, so die Formulierungen des AN-Richters. Er erwähnt auch Utensilien, die für Anschläge benutzt werden könnten: einer der Festgenommenen (und später Freigelassenen) hatte einen Kanister Benzin für seine Motorsäge. Doch viel mehr Konkretes gab es nicht zu lesen. Doch die “ideologische Nähe“ und “Kontakte zu anderen gewaltbereiten Gruppen“ reichten aus für die Inhaftierungen. Sogar die Nähe zur FAI, der Iberischen Anarchistischen Föderation, zu der die historische CNT gehört, die mit Waffen zuletzt vor 80 Jahren gegen die aufständischen Faschisten gekämpft hatten.

Unmittelbar nach den Verhaftungen und Durchsuchungen gab es Solidaritäts-Demonstrationen. Andernorts kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Neben Libertären riefen auch die IPC (Initiative für Katalonien) und die linksnationalistische CUP zu Protesten gegen die Verhaftungen auf.

Dass die Repressions-Organe im Staat nach dem Ende des bewaffneten kampfes von ETA nach neuen “Zielen“ suchen, war absehbar. ETA war die Bedrohung schlechthin, die für alle denkbaren repressiven Maßnahmen, Aufrüstungen, Kontrollen und Gesetzverschärfungen als Alibi herhalten musste. Davon nährte sich ein Überwachungsapparat, der Hunderttausenden Arbeit gab und an dem sich einige Politiker der PP als Unternehmer eine goldene Nase verdienten. Von diesem Söldnerheer mussten Tausende entlassen werden, weil von einem Tag auf den anderen die Politiker/innen bis hinunter auf die Kommunalebene keine Bodyguards mehr brauchten. Um den Rest des Apparats zu legitimieren, mussten neue Alibis konstruiert werden. Seither hat sich die Repression (abgesehen davon, dass das Baskenland immer noch“Arbeit“ liefert) auf den Widerstand in Galicien konzentriert, auf die Veganer und Tierbefreierinnen, auf die breite Bewegung der Empörten, auf diejenigen, die Zwangsräumungen solidarisch verhindern wollen und auf alle die gegen Korruption und Monarchie auf die Straße gehen. Ein ziemlich breites Spektrum von “Zielen“, die eine entsprechend große Sicherheitsarmee rechtfertigt. In dieser Richtung ist auch das sog. Maulkorb-Gesetz zu verstehen, über das bei BASKINFO gestern berichtet wurde.

http://baskinfo.blogspot.com.es/2014/12/maulkorbgesetz.html

Die sieben Gefangenen von Barcelona - vier Frauen und drei Männer - sind auf vier Knäste in der Provinz Madrid verteilt. Ihre Adressen (mit einer Ausnahme) sind:

Lisa Sandra Dorfer: C.P. Madrid VII – Estremera / Ctra. M-241 / 28595 Estremera /Madrid

Alba Gracia Martínez + Noemí Cuadrado Carvajal + Anna Hernandez del Blanco: C.P. Madrid V - Soto del Real / Carretera M-609, Km 3,5 / 28791 Soto del Real / Madrid

Enrique Balaguer Pérez: C.P. Madrid VI – Aranjuez / Ctra. Nacional 400, Km. 28 / 28300 Aranjuez / Madrid

 

David Juan Fernández: C.P. Madrid III – Valdemoro / Ctra. Pinto-San Martín de la Vega, km. 4,5 / 28340 Valdemoro / Madrid

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