Protest vor dem AGH: Warum beobachtet der Geheimdienst Putin-Gegner*innen?
Ungewohnte Aufmerksamkeit gab es es heute für eine Sitzung des Berliner Geheimdienstausschuss im Abgeordnetenhaus. Auf einer Kundgebung fragte die Antimilitaristische Aktion Berlin: „Warum beobachtet der Berliner Geheimdienst „Landesamt für Verfassungsschutz“ Putin-Gegnerinnen?“ Damit es etwas Interessantes zum Fotografieren und Filmen gibt, dekorierten die Aktiven der Gruppe das vor dem Landesparlament stehende Denkmal für den Freiherrn von Stein um. Dieses statteten sie mit Papp-Sprechblasen aus, so dass der comic-artige Eindruck entsteht, dass die Figuren fragen: „Warum beobachtet der Geheimdienst Putin-Gegnerinnen?“ Außerdem zeigte die Antimilitaristische Aktion Berlin ein Schild mit ihrem Logo und dem Satz: „Vom Verfassungsschutz empfohlen.“ Außerdem zeigten sie Fotos und Berichte von den beiden Protest-Aktionen, über die sich der Geheimdienst ärgert und verteilen Flyer an Passant*innen. „Wir haben Witze gemacht, dass sich bestimmt die russischen Geheimdienste für uns interessieren“, sagt Jan Hansen, Sprecher*in der Antimilitaristischen Aktion Berlin (amab): „Dass aber der Berliner Geheimdienst uns wegen Protestaktionen gegen den russischen Angriffskrieg und seine Profiteure beobachtet, ist ein Skandal!“
Verfassungsschutz beobachtet Putin-Gegnerinnen
Der Berliner Verfassungsschutz beobachtet eine der wenigen Organisationen aus der Friedensbewegung, die sich vom Beginn der russischen Invasion an gegen den verbrecherischen Angriffskrieg stellte. Das geht aus dem am 27. Juni veröffentlichten Jahresbericht des Geheimdienstes hervor. In dem Schriftstück stört sich der Geheimdienst an zwei einfallsreichen und bildstarken Protestaktionen gegen Gazprom und die russische Botschaft, die die Antimilitaristische Aktion Berlin (amab) im Jahr 2022 organisierte.
Protest bei GAZPROM
Im März 2022 veranstaltete die Gruppe vor der Zentrale von GAZPROM ein symbolisches Pipeline-sägen und forderte den Stopp der Finanzierung des russischen Krieges und die Umstellung auf Erneuerbare Energien.
https://amab.blackblogs.org/2022/03/03/kundgebung-vor-gazprom-klimaschutz-statt-krieg/
Symbolische Leichensäcke
Im Oktober 2022 verteilte die Antimilitaristische Aktion symbolische Leichensäcke mit der Aufschrift „Z-200“ rund um die russische Botschaft und das „Russische Haus“, um den dortigen Angestellten die Folgen der Politik ihrer Regierung zu verdeutlichen.
https://amab.blackblogs.org/2022/10/01/protest-in-berlin-leichensaecke-vor-der-russischen-botschaft/
Skandal!
„Dass der Berliner Geheimdienst uns wegen Protestaktionen gegen den russischen Angriffskrieg und seine Profiteure beobachtet, ist ein Skandal!“ sagt Jan Hansen, Sprecherin der Antimilitaristischen Aktion Berlin (amab). „Deshalb fragen wir: Warum beobachtet der Geheimdienst Putin-Gegnerinnen?
Abgeordnete stellen Fragen
Die Abgeordnete June Tomiak (Grüne) stellt eine parlamentarische Anfrage und sagte den Medien: „Kreativen Protest in einer losen Aufzählung mit Angriffen und Sachbeschädigungen an russischen Einrichtungen und Unternehmen zu nennen ist mehr als fragwürdig«, sagt Tomiak.
Der Abgeordnete Niklas Schrader (Linke) kündigte bereits an, den Vorgang im Ausschuss zu thematisieren: „Was an dieser Aktion verfassungsfeindlich sein soll, ist mir schleierhaft. Offensichtlich wird das Feindbild Linksextremismus vom Verfassungsschutz weiter gepflegt.“
„Gegen Geheimdienste hilft Öffentlichkeit“ sagt Jan Hansen. Denn die Geheimen seien es gewohnt, dass sie einfach so vor sich hinwursteln könnten, ohne das wer nachschaut. Doch richte man das Schlaglicht der Öffentlichkeit auf das düstere Wirken der Geheimen, bekämen diese recht schnell kalte Füße. „Lasst uns die GAZPROM-Versteher*innen aus dem Geheimdienst angemessen in die Pfanne hauen.“
Wer ist die Antimilitaristische Aktion Berlin (amab)?
Die Antimilitaristische Aktion Berlin gründete sich 2018. Sie hat etwa ein dutzend Mitglieder. „Wir wollten was gegen Krieg und Militarisierung machen, waren aber krass abgefuckt von der Friedenserstarrung“, sagt Jan Hansen. Antisemistismus, toxische Männlichkeit, Weltbilder aus dem Kalten Krieg, Kritiklosigkeit gegenüber den Menschenrechtsverletzungen in Russland, regelmäßig hoch gelogene Teilnehmer*innenzahlen bei Kundgebungen, bombastische Propaganda bei den „bundesweiten Großdemonstrationen“, Kuschelkurs mit Nazis und ähnliches stieß den amab-Mitgliedern negativ auf. „Deswegen haben wir was eigenes aufgemacht.“
Veranstaltungen, Fahrten und Aktionen
Seitdem organisiert die Gruppe Veranstaltungen wie z. B. zu Rechtsoffenheit und Antisemitismus in der Friedensbewegung oder zur aktuellen Lage im Sudan. Beliebt sind die Fahrten zu internationalen Veranstaltungen wie nach Wien zur UNO anlässlich einer Konferenz zum Verbot von Atomwaffen oder zum World Peace Congress nach Barcelona. Immer wieder positioniert sich die Gruppe gegen die Verbreitung von Verschwörungsnarrativen in der Friedensbewegung. Und ab und und zu, je nach Uni-Stundenplan, mache die Gruppe auch Aktionen: „Für mehr Klimaschutz statt Aufrüstung oder aktuell gerade viel zur Forderung nach Asyl für Kriegsdienstverweiger*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine.“
Kontroverser Ruf
„Wir haben uns einen kontroversen Ruf in der Friedensbewegung hart erarbeitet“, sagt Jan Hansen. Einige wenige, vor allem aus der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsgegner*innen e. V., schätzten das Engagement der Gruppe gegen den russischen Angriffskrieg und unterstützten die Arbeit der jungen Aktiven gegen Antisemitismus, Sexismus und Rassismus in der Friedensbewegung. Andere ärgern sich über die Berichterstattung der amab, weil sie schonungslos die Anwesenheit von Nazis auf Friedensdemos kritisiert, Putin-Propaganda benennt und realistische Einschätzungen zur Größe von Veranstaltungen liefert. „Für unsere Egos ist das na klar sehr gut, dass jetzt auch ein Geheimdienst uns unsere Wichtigkeit attestiert“, sagt Jan Hansen, Sprecher*in der Antimilitaristischen Aktion Berlin (amab). „Endlich ist Friedensarbeit mal wieder aufregend und spannend!“
Was ist ein Verfassungsschutz-Bericht?
Die 17 deutschen Inlandsgeheimdienste geben alle einen jährlichen Bericht heraus. Diese heißen euphemistisch „Verfassungsschutzbericht“. Der Auslandsgeheimdienst „Bundesnachrichtendienst“ (BND) veröffentlicht keine Jahresberichte. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) versuchte es erstmalig 2020. Doch einer der beteiligten Möchtegern-James-Bonds dehnte auf einer Karte in der Publikation die Grenzen des Staates Jordanien bis ans Mittelmeer aus. Seitdem verzicht man im Verteidigungsministerium auf Jahresberichte des MAD.
Konsequenzen?
Landet man in diesen Geheimdienst-Berichten, hat das indirekte und schwer kalkulierbare Folgen. Es ist eine Art Feinderklärung, in diesen Berichten vermerkt zu werden. Die Notierung signalisiert anderen Behörden, dass sie in diesen Fällen keinerlei Zurückhaltung üben müssten, da es sich ja um so eine Art Kurz-vor-Terrorist*innen handle. Darüber hinaus können einem Banken das Konto kündigen, andere Länder die Einreise verweigern und Arbeitgeber*innen von Beschäftigungsverhältnissen absehen. Außerdem zielen die Geheimdienste mit der Notierung darauf, betroffenen Gruppen die Unterstützung in der Zivilgesellschaft abzugraben. „Denn welche Organisation will schon die nächste im Fokus des Geheimdienstes sein?“ erklärt Jan Hansen.
Mehr Infos:
Die Antimilitaristische Aktion Berlin im VS-Bericht:
https://amab.blackblogs.org/2023/06/29/berliner-verfassungsschutz-beobachtet-putin-gegnerinnen/
Bisherige Medienberichte:
https://amab.blackblogs.org/2023/07/17/medienartikel-zur-antimilitaristischen-aktion-berlin-im-jaehrlichen-geheimdienstbericht/
Reaktionen und Soli-Statements:
https://amab.blackblogs.org/2023/07/17/internationale-solidaritaet-fuer-vom-berliner-geheimdienst-beobachtete-putin-gegnerinnen/