[Pressemitteilung] - Reisegruppe Digger
Pressemitteilungzur juristischen Situation und zur Motivstion der "Reisegruppe Digger"
Leipzig. Am Mittwoch, 20. Februar haben Aktivist*innen der sog. "Reisegruppe Digger" einen Bagger im Braunkohle-Tagebau Schleenhain im Leipziger Land besetzt. Die letzte von vier Aktivist*in wurde am Samstagmorgen, 9:30 Uhr aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Weder das Amtsgericht Leipzig noch die Polizeidirektion sind in der Lage, diesen dreitägigen Freiheitsentzug juristisch wasserdicht zu begründen. Die Aktivist*innen werden Beschwerde gegen das Vorgehen einlegen.
Leipzig. Am Mittwoch, 20. Februar haben Aktivist*innen der sog. "Reisegruppe Digger" einen Bagger im Braunkohle-Tagebau Schleenhain im Leipziger Land besetzt. Die letzte von vier Aktivist*in wurde am Samstagmorgen, 9:30 Uhr aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Weder das Amtsgericht Leipzig noch die Polizeidirektion sind in der Lage, diesen dreitägigen Freiheitsentzug juristisch wasserdicht zu begründen. Die Aktivist*innen werden Beschwerde gegen das Vorgehen einlegen. Hintergrund der Ingewahrsamnahme ist die Identitätsfeststellung der Aktivist*innen. Obwohl alle Aktivist*innen wegen angeblicher Straftaten festgenommen wurden, soll die Identitätsfeststellung nicht etwa nach der StPO – also repressiv – sondern fälschlicher Weise nach dem Polizeigesetz – also präventiv – erfolgen. Dabei ist beim Verdacht einer Straftat immer die StPO anzuwenden, während das Polizeigesetz nur für Handlungen gilt, die noch bevorstehen. Die Polizei stützt in diesem Fall ihr Vorgehen wahrscheinlich deshalb auf das Polizeigesetz, weil die Aktivist*innen so statt maximal 12 Stunden (§163c StPO) plötzlich für drei Tage (§22 SächsPolG) festgehalten werden dürfen. Dass die Polizei die Maßnahme nicht zur Gefahrenabwehr sondern zur (rechtswidrigen) Abschreckung und Erzwingen von konformen Verhalten einsetzt, zeigt sich auch an deren Antrag. Dort heißt es auszugsweise:
- „Aufgrund der kurzen zeitlichen Abfolge der Baggerbesetzungen [...] besteht die begründete Wahrscheinlichkeit, dass Gruppen von Straftätern in naher Zukunft erneut die öffentliche Sicherheit durch die Begehung von im Namen des Umweltschutzes begangener Straftaten sowie Verursachens hohen wirtschaftlichen Schadens stören werden.“
- „Die kriminalpräventive Wirkung dieser Faktoren würde ohne Feststellung der Identität nicht erreicht werden können. Darüber hinaus könnten zukünftige Störungen der öffentlichen Sicherheit durch genannte Gruppen seltener werden, wenn die Erfahrungen des Identitätsgewahrsams, verbunden mit Identitätsermittlungen, und die entsprechenden Rechtsfolgen in diesen Gruppen bekannt werden.“
- "Außerdem könnte UP1 (Anm. UP = unbekannte Person) im Angesicht eines tagelangen Gewahrsams aus Besorgnis um den Verlust des Arbeitsplatzes oder wegen familiärer Verpflichtungen die schnellst mögliche Beendigung des Gewahrsams als vordringliches Ziel erkennen und somit zu Preisgabe der Identität motiviert werden.“
Für uns Unterstützer*innen ergibt sich daraus, dass es der Polizei nicht um die Abwehr von Gefahren durch die festgenommen Aktivist*innen handelt, vielmehr richtet sich die Maßnahme gezielt gegen Unbeteiligte. Dies deckt sich auch mit der gezielten Fehlinformation der Sprecher der Polizei Sachsens, die Aktivisten hätten ihre Personalien freiwillig angegeben und der ungeprüften Publikation dieser Fehlinformation durch die epd am 21.Februar. Eine derartige Generalprävention ist Aufgabe des Strafrechts, nicht der Polizei oder Presse. Hier wird das Polizeirecht verwendet, um auf dem Rücken Einzelner unliebsame politische Meinungsäußerungen zu unterdrücken und die Bewegung für Klimagerechtigkeit als Ganzes einzuschüchtern. Wie die Polizei, die dabei die Sorge von Menschen um höchst persönliche Belange ausnutzen will, Handlungen von Inhaftierten zu erzwingen versucht, grenzt zudem an Folter. Die "Reisegruppe Digger" merkt dazu an: "Ironischer Weise versuchen die Ermittlungsbehörden ein solches Herangehen gerade bei unserer Aktion. Mit dem Slogan „Lieber Haft als Kohlekraft, doch beides gehört abgeschafft!“ stiegen wir auf den Bagger, um unter anderem zu kritisieren, dass in der Lausitz und im Rheinland die deutschen Behörden selbst den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit über Bord werfen, um politische Ziele zu verfolgen. Dass uns jetzt selbst auch eine Rechtsbeugung aus politischen Gründen wiederfährt, zeigt wie wichtig und richtig unsere Aktion war. Klimaaktivismus ist kein Verbrechen. Es wird in diesem System als solches Behandelt, doch das hält uns nicht ab, weiter dafür zu kämpfen!" Intention der Aktivist*innen war insbesonder den Umgang der Behörden mit Repressionen zu kritisieren. Mit der wiederholten Blockade eines Kohlebaggers zeigen sie Solidarität mit den immer noch 3 inhaftierten Aktivisti der #Lausitz23, denen am Montag in Cottbus der Prozess gemacht wird, sowie der Hambacher Wald-Aktivistin Eule, die, wie stellvertretend für eine ganze Bewegung, zu neun Monaten Haft verurteilt wurde. Der Beschluss des Amtsgerichts Leipzig enthält kein Wort zu einer konkreten oder abstrakten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch die Inhaftierten. Der zuständige Ermittlungsrichter am Amtsgericht, Richter Tiegelkamp, begründet hingegen die Anordnung des Gewahrsams auch damit, dass der MIBRAG GmbH, dem Betreiber des Tagebau Schleenhain, durch die Besetzung ein Schaden von bis zu 170.000 Euro entstanden sei, für die die Besetzer*innen unter Umständen haftbar gemacht werden könnten. Dabei ist es im Rahmen der Entscheidung über den Freiheitsentzug einer Person nicht die Angelegenheit des Amtsgerichts zivilrechtliche Forderungen für einen Konzern einzubeziehen. Wir kritisieren dieses Vorgehen in aller Schärfe. Auf dem Rücken Einzelner versucht die Polizei hier in Leipzig politische Konflikte auszutragen und Exempel zu statuieren. Die deutsche Politik und Wirtschaft verfehlt die eigenen Klimaziele und steuert geradewegs auf einen katastrophalen Klimawandel zu. Statt sich in dieser Situation neutral zu verhalten, schützen die Behörden hier in Leipzig finanzielle und politische Interessen von klimapolitisch verantwortungslosen Konzernen und sperren unliebsame Personen unverhältnismäßig ohne juristisch konkrete Begründung weg. Die Symbolik unserer Aktion soll auch den Umgang mit Repressionen nicht außen vor lassen. Als Menschen, die wir versuchen unsere Privilegien zu reflektieren, sehen wir Identitätsverweigerung nicht nur als Schutz unserer eigenen Person und zur Wahrung unserer Anonymität an. Sie ist ein politischer Akt, mit welchem wir uns solidarisch gegenüber allen Menschen zeigen wollen, welche nicht das Privileg besitzen sich usweisen zu können bzw. Dokumente besitzen, welche es ihnen ermöglichen, sich frei zu bewegen. Im Kampf für eine Welt ohne Nationalstaaten und Grenzen, lehnen wir dieses Privileg mit allen Mitteln ab. gez. Unterstützer*innen und freie Aktivist*innen der "Reisegruppe Digger" Twitter: @ReiseDigger Pressekontakt: schleenhain-support (at) riseup . net Weiteres Material:
- Stellungnahme Anwohner: http://www.lvz.de/Region/Borna/Polizei-holt-Kohlegegner-von-besetztem-Bagger-in-Schleenhain
- jursitischer Hintergrund, ABC Rhineland: https://abcrhineland.blackblogs.org/2019/02/22/statement-zu-leipzig
- Erklärung zur Aktion der "Reisegruppe Digger": https://de.indymedia.org/node/29233