Vox: Neuer Faschismus in Spanien

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Jordi Borras

Der Foto-Journalist Jordi Borràs analysiert im Interview für Sare Antifaxista den Aufstieg der extremen Rechten und das Verhältnis zur Sozialdemokratie. Jordi Borràs ist spezialisiert auf soziale Themen, mit Schwerpunkt nationalistische und rechtsextreme Bewegungen in Katalonien und Europa. Er hat ein Dutzend Bücher veröffentlicht, zuletzt "Tots els colours del negre" (Alle Schwarz-Schattierungen, Verlag Ara Llibres, 2022). Inzwischen bereitet er ein weiteres Buch über die extreme Rechte vor. "Das Auftauchen von Vox hat viel zu tun mit dem Ultra-Nationalismus im spanischen Parlament während des katalanischen Unabhängigkeits-Referendums 2017".

Im Juli 2018 wurde Jordi Borràs (*1981) im gotischen Viertel von Barcelona von einem Mann angegriffen, der sich als Polizist ausgab und "Viva España, viva Franco" rief. Später wurde bestätigt, dass es sich bei dem mutmaßlichen Angreifer tatsächlich um einen Inspektor der Informations-Brigade der spanischen Polizei handelte. Nach Meinung von Jordi Borràs "war die PSOE in bestimmten Momenten daran interessiert, Vox in unverantwortlicher Weise anzuheizen". Er kommt zu dem Schluss, dass "die Entstehung der Faschistenpartei Vox viel mit dem spanischen Ultra-Nationalismus während des katalanischen Referendums 2017 zu tun hat". Vor allem bedauert er, dass das “Knebel-Gesetz“ genannte Poliozeigesetz zur öffentlichen Ordnung nicht rückgängig gemacht wurde.

Im Sommer 2018 wurden Sie von einem Polizisten geschlagen und von der extremen Rechten angegriffen. Ist es ein riskanter Beruf, als Foto-Journalist zu arbeiten, selbst dort, wo es heißt, dass die Demokratie etabliert ist?

Foto-Journalist zu sein ist ein riskanter Beruf, schließlich gewöhnst du dich daran, spannungsgeladenen Situationen beizuwohnen. Das kann sein bei einer Demonstration, bei einem Waldbrand oder in einem Krieg. Es gibt verschiedene Arten von Gefahren und Situationen. Unsere Aufgabe ist es, die Fakten zu zeigen. Wir müssen dort sein, wo die Dinge passieren. Wenn es ein Erdbeben gibt, ist es unsere Aufgabe, vor Ort zu sehen, was passiert ist oder was gerade passiert. Auch wenn es eine konfliktreiche Demonstration gibt mit Polizeieinsätzen und Molotow-Cocktails, müssen wir berichten.

Was mir im Sommer 2018 passierte, ist aber etwas anderes. Ich befand mich in keiner riskanten Situation. Ich kam von der Arbeit, holte mein Auto vom Parkplatz und traf auf einen Mann, der sich als Polizist ausgab. Er entpuppte sich als Inspektor der Nationalen Informationsbrigade der Polizei und schlug mir ins Gesicht. Dabei rief er "Viva Franco" und "Viva España". Als Fotojournalist muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Arbeit Risiken birgt, wie auch in anderen Berufen. Aber in diesem Fall wird die Situation verschärft für diejenigen von uns, die ideologische und politische Überzeugungen haben und diese nicht verstecken.

Für mich ist der Foto-Journalismus selbstverständlich ein Beruf, aber es ist wie der Journalismus auch ein Instrument für den sozialen Wandel. Ich versuche, den Antifaschismus auch in meinem Arbeitsbereich anzuwenden. Wenn du ein Mensch mit einem bestimmten gesellschafts-politischen Gewissen bist, kann das seinen Tribut fordern. Selbst dort, wo es heißt, dass demokratische Verhältnisse herrschen. Im Falle des spanischen Staates sind wir weit von Demokratie entfernt, seit dem vermeintlichen demokratischen Übergang (Ende der 1970er Jahre) haben wir unzählige Beispiele, in denen Demokratie nicht mehr als eine Bibel darstellte. Nun, die Demokratie ist eine interessante Legende.

Warum hat die extreme Rechte weiterhin so viel "Macht", um die Bevölkerung einzuschüchtern? Und warum ist sie gleichzeitig in den Parlamenten der europäischen Länder immer stärker? Was sind die Gründe für diesen Wandel, oder zumindest für das Aufkommen rechtsextremer Parteien?

Ich denke, dass je nach Land mehrere Faktoren für die Entstehung neuer rechtsextremer Parteien verantwortlich sind. Aus akademischer Sicht müssen wir die extreme Rechte in zwei große Familien aufteilen: die populistische extreme Rechte und die konservative extreme Rechte. Die neue extreme Rechte des 21. Jahrhunderts war in der Lage, den Anspruch und die Rhetorik aufzugeben, die sie in die Nähe des Faschismus der Zeit zwischen den Weltkriegen brachte.

Sie haben nämlich begriffen, dass die Rechtfertigung einer faschistischen Diktatur oder eines Völkermord-Diktators in Bezug auf die Wählerstimmen ein Nachteil ist, da dies Stimmenverlust bedeutet und keine zusätzliche Unterstützung bringt. Die neue extreme Rechte übt sich in historischer Autonomie: "Wir leugnen nicht die Geschichte, sie ist wie sie ist, wir werden einen bestimmten Teil unserer Geschichte nicht für uns beanspruchen, wir werden sie aber auch nicht kritisieren, denn da die Geschichte von unseren Vorfahren gemacht wurde, sind wir für unser historisches Erbe nicht verantwortlich", sagen sie.

Das ist ein Taschenspielertrick, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. In Wirklichkeit bewirken dieser Trick und andere Manöver, dass sich die extreme Rechte nicht mehr im paramilitärischen Format des 20. Jahrhunderts kleidet, mit Militärstiefeln, Aufmärschen ... diese Kleidung, die ständig auf den Krieg anspielt. Wie kleiden sie sich heute? Wie normale Sozialdemokraten, mit seinem gebügelten Anzug, einem weißen Hemd. Sie haben sich den üblichen ästhetischen Normen angepasst. Das heißt, die Botschaft wird verwässert, ein wenig Zucker darauf gestreut, sie entfernen sich vom Faschismus der Zwischenkriegszeit, kleiden sich wie Abgeordnete einer beliebigen Partei, benutzen eine große Dosis Demagogie und Populismus, so ist eine Menge zu gewinnen.

Sie haben die Fähigkeit, ein Publikum anzuziehen, das ihre Rhetorik als etwas Besonderes ansieht, die Rhetorik besteht oft darin, aus der Antipolitik Politik zu machen. Wir alle wissen, dass sich die extreme Rechte darauf spezialisiert hat, für komplizierte Probleme magisch einfache Lösungen zu bieten. Eine Menge Antipolitik und billiger Populismus. Aber in einer Zeit, in der die etablierte Politik in hohem Maße in Verruf steht, können die ultrarechten Parteien mit dieser Strategie schnell wachsen.

Zudem spielen sie mit dem Niedergang des traditionellen Zwei-Parteien-Systems zwischen Konservativen und Progressiven, ein typisches Binom der liberalen Demokratien, zumindest in Westeuropa. Selbstverständlich gibt es viele Faktoren. Auch nationale und internationale Faktoren, für die es verschiedene Erklärungen gibt. Das Aufkommen von Vox hat viel mit dem Ultra-Nationalismus des spanischen Parlaments während des katalanischen Referendums 2017 zu tun, dabei wurden rechtsextreme Verbündete legitimiert, auf die man zählen konnte und die unverzichtbare Partner waren, um die heilige Einheit Spaniens zu erhalten. So sehe ich das.

Das große Problem ist, dass ein Teil der spanischen Linken die Unabhängigkeits-Anhängerinnen für das Erwachen des Faschismus verantwortlich gemacht hat. Unterstützt wurde diese extreme Rechte zum Beispiel von Vertretern der katalanischen PSOE-Sozialdemokratie, die während der Monate des Referendums 2017 an der Seite von Vox demonstrierte.Ohne mit der Wimper zu zucken. Vox war damals noch eine außerparlamentarische Partei ohne jede Art von Vertretung. Mit anderen Worten: die radikalste extreme Rechte wurde legitimiert.

Jedes Land hat seinen eigenen Anfang. In Spanien war es die Zeit zwischen dem Referendum und dem Prozess gegen die katalanischen politischen Gefangenen. Vox wurde es gestattet, im Prozess als gesellschaftliche Nebenkläger aufzutreten, das war ein ideales mediales Sprungbrett, das sie sich nicht einmal gegen Bezahlung hätten leisten können. In jedem Land gibt es einen bestimmten Moment, in dem die extreme Rechte aus der Versenkung aufsteigt.

Im spanischen Fall ist es bezeichnend, dass Vox auf den Anruf der PP wartet, um in weniger als einem Jahr die spanische Regierung zu bilden. Wie beurteilen Sie das? Warum verlieren Parteien an Stärke, die von sich behaupten, sozialdemokratisch oder links zu sein, was sich bei den Wahlen zeigen muss?

Im Dezember 2023 finden in Spanien tatsächlich Wahlen statt, seit langem deuten alle Umfragen auf einen Sieg der PP hin. (Anm: Nach dem Wahldebakel der PSOE bei den Regional- und Kommunalwahlen am 28. Mai 2023 kündigte Ministerpräsident Sanchez vorgezogene Neuwahlen für den 23. Juli an.) Seit einiger Zeit hat sich das Schachbrett verändert, die PP braucht einen Partner, in Wirklichkeit ist Vox nichts anderes als eine Abspaltung der PP.

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