#LinzwirdzuAthena: Kurzer Bericht über die erste Verhandlung zu den „Halloweenkrawallen“
2.3.2023 - Die Vorwürfe lauten schwere gemeinschaftliche Gewalt und schwere Körperverletzung. Nach circa zwei Stunden legt der Angeklagte ein Geständnis ab. Er wird zu 18 Monaten Haft verurteilt, davon 6 Monate scharf und die restlichen zwölf auf Bewährung.
Zusätzlich zu der üblichen Kontrolle am Haupteingang werden vor betreten des Saals die Handys abgenommen und Name und Ausweisnummer notiert. Währenddessen ist der Angeklagte von Kamerateams und Presse umgeben. Die Verhandlung beginnt um kurz nach eins mit den üblichen Formalitäten: zwei der Schöffen werden vereidigt, Daten des Angeklagten aufgenommen. Der Gerichtssaal ist vollbesetzt. Der Staatsanwalt startet, er behauptet die Besonderheit der Ausschreitungen an Halloween in Linz liege darin, dass es sich um geplante Angriffe auf Bullen gehandelt habe. Die Sprengmasse der geworfenen Böller sei höher gewesen, als die einer „durchschnittlichen“ Handgranate. Die Verteidigerin schließt sich den Schilderungen des Staatsanwaltes an: Die Geschehnisse seien „indiskutabel“ und müssen Konsequenzen haben. Jedoch sei ihr Mandant keinem Aufruf gefolgt, habe nichts von einer geplanten Aktion gewusst und entschuldige sich vor Ort gewesen zu sein. Der Richter geht auf den Strafrahmen ein und beginnt dann mit der Vernehmung. Der Angeklagte bekennt sich nicht schuldig. Nachdem er ihn etwa einer Stunde intensivem Psychoterror unterzogen hat unterbricht der Richter die Verhandlung für 15 Minuten. Direkt nach der Pause bekennt sich der Angeklagte schuldig und es kommt nicht wie vorher angekündigt zum Beweisverfahren. Staatsanwalt und Verteidigerin äußern sich noch einmal, Richter und Schöff*innen verlassen den Saal und kehren nach kurzer Zeit zurück um das Urteil zu verkünden. Der Richter begründet die Härte des Urteils mit dem „sozialen Störwert“ der Ausschreitungen und der Notwendigkeit einer „Generalprävention“.
Was ich gerne festhalten möchte:
1. Der Angeklagte spricht nicht besonders gut deutsch. Obwohl eine Dolmetscherin anwesend war hatte ich den Eindruck, dass er dem Verfahren nur schwer folgen konnte. Auf diese massiven sprachlichen Barrieren wurde von dem Richter keine Rücksicht genommen.
2. Ganz im Gegenteil: Er nutzte diese aus, um den Angeklagten bloßzustellen und teilweise lächerlich zu machen. Vereinzelt stiegen Leute im Publikum auf diese Anspielungen ein und lachten über den Angeklagten oder schüttelten den Kopf über seine Aussagen.
3. Zu Beginn der Vernehmung befragte der Richter den Angeklagten ausführlich über dessen Herkunft und Fluchtgeschichte. Die Fragen des Richters waren herablassend formuliert und haben die Legitimität seiner Flucht nach Österreich in Frage gestellt.
4. Generell lag ein starker Fokus auf der Herkunft und der vermeintlichen Fremdheit des Angeklagten: Immer wieder wird der Angeklagte darüber belehrt, wie die Dinge hier in Österreich laufen würden. Einmal fragte der Richter, ob es denn in Syrien normal sei, Böller auf Menschen zu schießen.
5. Die Fragen des Richters erzeugten ein bestimmtes Bild des Angeklagten: Das des bösen, kriminellen Flüchtlings, der nach Österreich kommt und dadurch rassistische Klischees bestätigt und somit allen guten, integrationswilligen Geflüchteten in Österreich schadet.
6. Der Staatsanwalt und der Richter haben mit massiven Übertreibungen gearbeitet - die Ausschreitungen wurden mit Krieg verglichen. Der Richter sprach von „Bildern, die wir vorher nur in den Nachrichten aus dem Nahen Osten gesehen haben“.
7. Zum Ende der Vernehmung kämpfte der Angeklagte mit den Tränen, wirkte verzweifelt und begann sich wiederholt zu entschuldigen. Der Staatsanwalt nutze das um den Druck weiter zu erhöhen: „Was tut ihnen denn Leid, wenn sie nichts gemacht haben?“. In Österreich müsse man sich nicht entschuldigen, wenn man nichts gemacht hat, setzte der Richter ihm nach. Nach diesem Höhepunkt der Tortur wurde die Verhandlung kurz unterbrochen und direkt nach der Pause legte der Angeklagte ein Geständnis ab. Für mich wirke es so, als wäre der Angeklagte im Endeffekt unter dem psychischen Druck zusammengebrochen.
Wie gut die Beweislage wirklich gewesen wäre, blieb unklar. Während der ganzen Verhandlung war keine klare Strategie der Verteidigung erkennbar.
Diskriminierung und Rassismus in der Justiz sind nichts neues. Die nationalistischen Positionen von Richter und Staatsanwalt heben sich nur erschreckend wenig von denen der üblichen Kommentarspaltennazis ab. Zusätzlich zu dieser diskriminierenden Scheisse möchte ich auch die Funktion der Gerichte kritisieren: Sie dienen der Abschreckung und der Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung. Zeigen wir den fünf Gefangenen, dass wir sie nicht alleine lassen und wir uns nicht mit den Bullen, dem Gericht und der österreichischen Nation identifizieren!
Termine der kommenden Verhandlungen:
Montag, 6.3.2023, 9:00 - 12:00 Uhr
Donnerstag, 9.3.2023, 9:00 - 15:00 Uhr
im Landesgericht Linz, Fadingerstraße 2, Saal 61