[LE] Hanau Gedenken 2023 in Leipzig - Rotes Gedenktheater statt Erinnerung an die Opfer

Am 19. Februar 2023 fanden sich in Leipzig einige hundert Menschen bei einer Gedenkkundgebung zusammen, um der Opfer des Terroranschlags von Hanau vor drei Jahren zu gedenken. Organisiert wurde die Veranstaltung vor allem durch ein Konglomerat an sogenannten Roten Gruppen: die Internationale Jugend, Frauenkollektiv, Solidaritätsnetzwerk als FKO, Zora und Young Struggle. Ebenso rief die feministische Gruppe Abya Yala Libre zu der Kundgebung auf.

Was wir auf der Gedenkkundgebung erlebt haben, hat uns erschrocken und wütend gemacht, weshalb wir im Nachgang mit diesem Text nicht nur Kritik an antiimperialistisch, autoritär-kommunistischen Strömungen in Leipzig und ihrem Hanau-Gedenktheater üben, sondern auch einen Beitrag zur Debatte um linksradikales Gedenken allgemein formulieren wollen.

Rotes Gedenktheater statt Erinnerung an die Opfer

Schon äußerlich verfolgten die Organisator*innen der Kundgebung eine ganz klare Programmatik; im ersten Block der Demonstration wehen uns Fahnen von Young Struggle, Frauenkollektiv und Solidaritätsnetzwerk entgegen. Was das genau mit dem Gedenken an Hanau zu tun hat, bleibt ein Rätsel. Die Schilder mit den Gesichtern der Ermordeten folgen erst mit einigem Abstand und auch an den Infoständen finden wir fast auschließlich Werbung für die organisierenden Gruppen. Aber wir wollen ja nicht so oberflächlich sein und uns an reinen Äußerlichkeiten abarbeiten, inhaltliche Kritik am Gruselkabinett der anachronistischen Möchtegern-Revolutionäre gibt es ebenfalls zu Genüge.

Etwa am Redebeitrag der kommunistischen Jugendgruppe, in dem ganz klassisch kommunistisch-autoritär dazu aufgerufen wurde, eine kommunistische Partei zu gründen, um endlich den Rassismus aus der Welt zu schaffen. Rassismus und Antisemitismus verschwinden doch nicht einfach nur, weil es eine kommunistische Partei gibt und sich alle Menschen lieb an den Händen fassen. Die Partei hat immer Recht und die Organisationsfrage sollte sinnvollerweise an anderer Stelle besprochen werden, als auf einer Gedenkkundgebung für die Opfer eines rassistischen Terroranschlags. In ihrem Aufruf deklariert die FKO den rassistischen Terroranschlag von Hanau als „schwarzen Tag für alle Arbeiter:innen“1. Dabei verkennen sie nicht nur die deutsche Kontinuität, dass der Nationalsozialismus ohne einen beträchtlichen Zuspruch aus großen Teilen der deutschen Arbeiter*innenklasse sich nicht in dem Maße hätte entwickeln können, sondern auch, dass gegenwärtig viele Arbeiter*innen – ganz besonders in Sachsen – selbst einer rassistischen, antisemitischen und faschistischen Ideologie anhängen. Eine vermeintlich homogene Arbeiter*innenklasse wird hier als Projektionsfläche für die linke Suche nach dem revolutionären Subjekt herbeigesehnt. Weiter geht’s im linken Gruselkabinett mit „unseren ermordeten Klassengeschwistern in Hanau“2: Was die Opfer eint (die Mutter des Täters ausgenommen) und was ihnen zum Verhängnis wurde, ist eben genau nicht ihre Klassenzugehörigkeit, sondern ihr migrantischer Background, der mit solch einer Aussage dezent unter den Tisch gekehrt wird. Die Toten von Hanau sind nicht tot, weil sie die falsche Klassenzugehörigkeit hatten, sondern weil der Täter seinem mörderischen Rassismus freien Lauf gelassen hat. Die Toten von Hanau sind nicht für die internationale Arbeiter*innenklasse gestorben, sie haben ihr Leben nicht für den Aufbau einer besseren Welt gegeben und sie werden sicher nicht als Märtyrer für den Kommunismus auferstehen. Sie bleiben in der Erde – grundlos ermordet von einem deutschen Rassisten. Auch die Aussage „weil der Mord an ihnen uns traurig macht und uns Kraft gibt“3 schlägt in diese Kerbe. Wir sind uns sicher, dass die Ermordung einer Schwester, eines Onkels, eines Kindes niemandem Mut macht, sondern die Angehörigen traumatisiert und verzweifelt zurücklässt. Wie unempathisch kann man gegenüber dem Leid der Angehörigen sein, wenn man so etwas behauptet? Gemäß dem Credo: Alles ist Arbeiter*innenklasse. Menschen, die von deutschen Faschisten heimtückisch ermordet werden, sind vor dem Klassenbewusstsein deutscher Kommunist*innen nicht sicher. Man kann sie noch ganz wunderbar für die eigene autoritäre Propaganda missbrauchen.

Als wäre das alles nicht schon gruselig genug, wurde von Teilnehmer*innen der Kundgebung die Parole „Von Hanau bis nach Gaza – Yalla Intifada“4 gerufen. Intifada ist ein arabischer Begriff und bedeutet Erhebung, Abschüttelung. Er hat seinen Ursprung in zwei palästinensische Aufständen, der sogenannten Ersten und Zweiten Intifada. Während der Ersten Intifada (1987-1991) wurden durch Terroranschläge und Selbstmordattentate 160 Israelis ermordet, während der Zweiten Intifada (2000-2005) mehr als 1000 Israelis. Solch eine Parole mit einem positiven Bezug zu Terroranschlägen und Selbstmordattentaten auf einer Gedenkkundgebung an die Opfer eines rassistischen Terroranschlag zu rufen, gleicht einer Verhöhnung der Opfer und ist schon arg geschmacklos. Sie reiht sich in die regressive Form des Gedenkens ein, das die Bedingungen, die zur Tat geführt haben unangetastet lässt und selbst noch zur Legitmation menschenfeindlicher Gewalt genutzt wird.

Was wir in Leipzig auf der Kundgebung erlebt haben, ist leider nichts Neues. Beim Gedenken an Oury Jalloh in Dessau werden regelmäßig Reden auf Ernst Thälmann geschwungen und der Klassenfeind beschworen. Auch hier haben sich autoritär-kommunistische Gruppen das Gedenken angeeignet und sich breit gemacht. Ihre Stärke ist auch ein Armutszeugnis für die bürgerliche Zivilgesellschaft und antiautoritäre Gruppen.

Was muss Gedenken leisten?

Wie die 'initiative kritisches gedenken' zu Recht formuliert, hat Gedenken auf die Bedingungen reflektieren sollte, die die Tat erst ermöglicht haben. Im Falle des Terroranschlags von Hanau sind das mörderischer Rassismus, gesellschaftliche Exklusion von Migrant*innen, gesellschaftliche Ignoranz gegenüber rechter Gewalt sowie die staatliche Ignoranz, die bis zur offenen Unterstützung von Neonazis reicht. Ziel von Gedenken muss sein, zu verhindern, dass Ähnliches wieder geschieht: „Einzig legitimer Zweck öffentlichen Gedenkens – also der Instrumentalisierung – kann nur sein, zu verhindern, dass Ähnliches noch einmal geschieht. Legitim kann dann nur kritisches Gedenken sein. Also ein Gedenken, das rechte Morde als vermeidbare skandalisiert, indem es deren historische und aktuelle Bedingungen kritisiert; ein Gedenken, das die Solidarität mit den Opfern zur Grundlage hat und ihrer Entmenschlichung widerspricht.“5 Es drängt zur Analyse der Verhältnisse und basiert auf einer Praxis des Kampfes gegen Rassismus und dessen gesellschaftliche Grundlagen.

Keine politische Gruppierung, Partei und erst recht nicht der deutsche Staat hat ein Monopol auf richtiges Gedenken. Wichtig ist: Gedenken muss lebendig sein, es darf nicht bloß als Instrument für politische Zwecke missbraucht werden, sondern wir selbst müssen die Erinnerung aufrecht erhalten. Da wo Unrecht geschehen ist, wo Menschen anderen Menschen Leid zufügen, da müssen wir als linksradikale, antiautoritäre Kommunist*innen hinschauen. Da dürfen wir nicht stumm sein und einfach weitermachen. Sich individuell mit den Schicksalen und dem Leben der Betroffenen auseinandersetzen, die mörderische, rassistische Ideologie des Täters klar benennen und denen, die überlebt haben zuhören und Kraft geben, ist eine unheimlich umfassende und schwierige Aufgabe, die bei uns allen anfängt. Die Mehrheitsgesellschaft hat Hanau schon wieder vergessen, der Schmerz über den Verlust eines guten Freundes, der Schwester oder dem eigenen Kind, bleibt. Es ist verständlich zu sagen: Wir müssen kämpfen, gegen Rassismus, Patriarchat und Faschismus, aber vielleicht müssen wir auch erst mal hinschauen, innehalten, zuhören und verstehen, was es in Deutschland heißt, Migrant*in zu sein, statt sofort zur vermeintlich guten Tat zu schreiten. Seit der Selbstenttarnung des NSU, gab es nicht zuletzt aufgrund der auch in der radikalen Linken nicht wahrgenommenen Klagen und Warnungen migrantischer Stimmen, eine lange selbstkritische Debatte über die zentrale Rolle, die der Solidarität mit den Betroffenen rechten Terrors zukommt. Wir dürfen hinter diese Debatte nicht zurückfallen. Im Falle von Hanau ist die Zeit des Innehaltens nun sicher schon vorbei. Die Angehörigen und Überlebenden des Anschlags haben Forderungen gestellt – wir sollten ihnen also unbedingt zuhören. Unser Gedenken sollte auch nicht bei einem bürgerlich-passiven Zuhören stagnieren, sondern muss eben eine Analyse der rassistischen Verhältnisse leisten, die diese Tat begünstigt haben. Unser Gedenken muss an die Opfer des Terroranschlages erinnern, die Angehörigen bei Ihren Forderungen nach Aufklärung und Gerechtigkeit unterstützen, die lückenlose Aufklärung der Tat und ihrer Umstände fordern und Konsequenzen für das staatliche und behördliche Versagen verlangen. Das alles am Besten ohne ein kommunistisches Spektakel auf den Gräbern der Toten zu veranstalten und sich dabei mit dämlichem Fahnengeschwenke und antisemitischen Parolenrufen zu profilieren.

Nehmen wir es uns alle zur Aufgabe, für nächstes Jahr ein würdiges Gedenken zu organisieren.

 

Say their Names!

 

Ferhat Unvar,

Mercedes Kierpacz,

Sedat Gürbüz,

Gökhan Gültekin,

Hamza Kurtović,

Kaloyan Velkov,

Vili-Viorel Păun,

Said Nesar Hashemi,

Fatih Saraçoğlu.

 


 

Wir wollten hier mit direkten Zitaten arbeiten, die ganze Geisterbahn findet ihr im LIZ-Artikel in den Quellen

  1. https://www.l-iz.de/politik/engagement/2023/02/drei-jahre-nach-dem-rassi...
  2. https://www.l-iz.de/politik/engagement/2023/02/drei-jahre-nach-dem-rassi...
  3. https://www.l-iz.de/politik/engagement/2023/02/drei-jahre-nach-dem-rassi...
  4. https://www.l-iz.de/politik/engagement/2023/02/drei-jahre-nach-dem-rassi...
  5. initiative kritisches gedenken erlangen (2022), In: Der Halle-Prozess: Hintergründe und Perspektiven

 


 

 

 

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