Klimakämpfe in Frankreich - Eine Einordnung und Einladung

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In Westfrankreich gibt es momentan breite Proteste gegen die sogenannten Mega Bassins welche einer ganzen Region das Grundwasser entziehen sollen. Im folgenden wollen wir den Inhalt eines Zines teilen welches einen politischen Kommentar zu den Kämpfen abgibt und aber auch die Events des letzten Aktionstages beschreibt. Diese zeigen eine parallellen zum Kampf um Lützerath auf. Gleichzeitig wollen wir auch nochmal speziell auf den Aufruf zu den nächsten Aktionstagen vom  24.-26. März 2023 aufmerksam machen welcher schon hier dokumentiert wurde. (https://de.indymedia.org/node/264249) Im Anhang findet ihr auch das Zine in Englisch und Deutsch zum ausdrucken, verteilen und diskutieren.

 

  

 

 

Ökologie oder Revolution

 

 

 

Die Geschichte des Protests gegen das Wasserreservoir von

Sainte-Soline

 

 

Warum durch Felder laufen?

 

Sainte-Soline, 29. Oktober 2022

 

  

 

 

 

 

Ökologie oder Revolution

 

Niemand hat mehr Zweifel an der Katastrophe. Die riesige Menge an Bildern und Reden darüber lässt nur die Schlussfolgerung zu, dass diese Welt untergeht. Die Ausbeutung der Welt führt uns geradewegs in die Katastrophe und die Zivilisation macht keine Anstalten ihren Kurs zu ändern. Wir können uns darüber Sorgen machen. Wir können uns aber auch darüber freuen. Es ist eine Möglichkeit, nichts zu tun, keine Schlacht zu kämpfen. Wir könnten nur geduldig darauf warten, dass die Wirtschaft ihr Werk der Selbstzerstörung fortsetzt und ihre tausendjährige Herrschaft von selbst beendet. In Wahrheit will aber niemand an dieses Szenario glauben. Wir alle machen Pläne, sogar die, die an dem Desaster schuld sind. Was kommen wird ist düster und es gibt immer gute Gründe sich zu verpissen oder komplett zynisch zu werden – und doch scheint jeder noch daran zu glauben, dass es eine Zukunft gibt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis alle Umweltschützer werden. Bis alle verstehen, dass es eben nicht diese kleinen, tägliche Einzelaktionen sind, welche das Desaster stoppen werden. Ein großer Umbruch wird notwendig sein. Aber welcher? Für welche Zukunft?

 

Zunächst einmal muss der Zusammenbruch der Welt in den Zusammenbruch des herrschenden Zustandes transformiert werden. Die Ökologie vermischt beides. Indem es das Erste zu vermeiden versucht, rettet es das Zweite, durch das Zugestehen einer weiteren Chance unser Überleben zu sichern. Wenn es offensichtlich ist, dass wir an der Seite aller kämpfen werden, die der Verwüstung widerstehen, müssen wir ein für alle Mal aufhören, über Ökologie zu sprechen. Das ist eine Bedingung, um die revolutionäre Frage stellen zu können.

 

Das Problem der Ökologie ist ihr Bezug zur Macht. Nichts ist weniger wahrnehmbar als die strukturellen Ursachen des Klimawandels. Wir können uns dazu entscheiden, Infrastrukturen anzugreifen und der Nutzung jeglicher Art von Energie ein Ende zu setzen. Es gäbe immer noch keine Garantie dafür, dass die Katastrophen aufhören werden. Die Zivilisation, gegen die wir kämpfen, hat eine Organisation von solcher Komplexität entwickelt, dass es unmöglich scheint, Angriffspunkte finden zu können. Hören wir auf, uns Szenarien einer besseren Organisation der Gesellschaft vorzustellen. Eine andere Welt ist immer möglich.

 

Die Ökologie ist kein Schlachtfeld, sondern eine große Agora, bei der die Macht alle, die an seiner nächsten Metamorphose teilnehmen möchten, einlädt. Mit anderen Worten: Die Drohnen in der Landwirtschaft arbeiten Hand in Hand mit der Permakultur, am Bau der Welt von morgen. Unabhängig von eventuellen Umbrüchen, die zweifellos stattfinden werden, können wir uns sicher sein, dass das herrschende Modell sich wie üblich selbst umstrukturiert. Alle ökologischen Versuche des Jetzt, zielen nur darauf ab, die Macht wieder zur Vernunft bringen zu wollen. Wir sollten die Fähigkeit der Zivilisation nicht unterschätzen, seine Korrektur in die politische Logik zu integrieren, nur um länger zu überleben.

 

Solange wir die Sprache der Macht sprechen, wird seine Logik immer triumphieren und die Zukunft wird nur eine Fortsetzung dieser höllischen Realität in der Gegenwart sein, welche wir tagein, tagaus erleben. Eine Zukunft, in der die Verwüstung nur mittels Vertiefung der Logik der Herrschaft und weiterer Entfremdung, durchgeführt von Ingenieuren, die bereit sind, alles zu tun, begrenzt gehalten werden kann, ist so dystopisch, dass sie uns zum Kotzen bringt.

 

Um gegen eine Zukunft zu handeln, die sich ausschließlich der Technologie unterzogen hat, hat die Ökologie anscheinend eine Antwort gefunden. Wir müssen anscheinend nur eine authentische Verbindung zum Leben und zu den Lebenden wiederentdecken. Eine Landwirtschaft auf menschlicher Ebene und mit Respekt für die Umwelt sei eine gute Alternative zur industriellen Moderne und zur intensiven und destruktiven Landwirtschaft. Die Erde lügt nicht.

So wird die alte Zivilisationsfigur des Bauern, zu einem Lebensretter.

Wir müssen auch diese Vision der Zukunft loswerden, die zu einer früheren Ordnung zurückkehren möchte. Das Lebendige ist weder heilig noch in etwas anderem überlegen. Es gibt Schlachten, die in der natürlichen Umgebung auf einen Zementblock reduziert sind. Diese sind deshalb nicht weniger wichtig. Wir müssen um alles kämpfen, das zählt, alles, das nicht reduzierbar ist. Einige Dinge leisten Widerstand und dürfen nicht in objektive Kategorien gezwungen werden, die aus dem Nichts von irgendwelchen Biologen erfunden wurden. Es war genau diese Objektifizierung der Natur, die Herrschaft und Zerstörung ermöglichte.

 

Die Zivilisation wurde nicht mit der Industriegesellschaft geboren, sondern ist viel, viel älter. Die einfache Möglichkeit, die Moderne zu kritisieren, kann den Wunschtraum von vergangenen Lebensweisen aber nicht verbergen. Wir müssen in der Lage sein, beide abzulehnen. Eine Zukunft, die sich von der Vergangenheit und der Gegenwart befreit, muss aufhören, sich vorzustellen, was nicht hier ist, und verweigern, was bereits hier ist. Mit anderen Worten, wir müssen es vermeiden, von einer "vorzivilisierten Welt“ zu reden, genauso wie zu planen, was „nach der Revolution“ passieren wird. Um das zu schaffen, ist es unabdingbar, keine Alternativen vorzuschlagen, in denen die alte Herrschaft noch aktiv ist, nur um alle Leben zu berücksichtigen, die sich aus der bestehenden Ordnung hin zu Alternativen zurückziehen. Die Zukunft muss undefiniert bleiben. Das ist die einzige Bedingung, die es braucht, um eine Zukunft sehen zu können, in der die herrschende Ordnung ein Ende findet.

 

In den letzten Jahren hat die Ökologie die Menschen politisiert, indem sie alle Einwohner des Planeten unter einem gemeinsamen Banner zusammenbrachte. Es sollten alle auf der gleichen Seite stehen: Wir müssen unseren Heimatplaneten retten. Aber es ist schwer nicht zu sehen, wie dieses universelle Projekt dem verrückten Traum der modernen Fanatiker ähnelt. Das Bild der Erde als ein sichtbares und vereintes Ganzes wurde nur möglich, als einige erleuchtete, Menschen die Idee hatten, sie könnten einen Spaziergang auf dem Mond machen.

 

Wenn aus jüngsten Aufständen wie dem der gelben Westen in Frankreich eine Lektion, eine Erkenntnis gewonnen werden kann, dann die, dass der Kampf nicht zwischen dem Guten auf der einen Seite und dem Bösen auf der anderen Seite stattfindet. Hinter den Barrikaden gibt es verschiedene Positionen – Reaktionäre, Reformisten, Revolutionäre ... -, die sich nicht versöhnen werden. Es ist ein Fehler zu glauben, dass Spaltungen auf Kosten der Einheit die Kämpfe schwächen. Das Gegenteil ist der Fall und es ist eine historische Banalität anzumerken, dass revolutionäre Impulse oft durch den Verrat derer zu Grabe getragen wurden, die eines Tages denjenigen Institutionen mit offenen Armen begegneten, die sie ursprünglich gemeinsam bekämpfen wollten. Es ist immer die gleiche, sich wiederholende Geschichte. Diejenigen, die den herrschenden Zustand verbessern wollen, unterwerfen am Ende immer diejenigen, die ihn stürzen wollen. Aus diesem Grund ist es absolut notwendig, zwischen diesen beiden Positionen eine klare Trennung zu vollziehen.

 

Nur eine aufständische Raumzeit kann die größte Anzahl von Dispositiven vernichten. Aber das verdammt und nicht zum Warten. Alle Kämpfe können Aufgangspunkte sein, um zu kämpfen und eine revolutionäre Position aufzubauen. Die revolutionäre Seite wächst in Konflikten und kann die Geschichte radikal verändern, indem sie die Vorherrschaft der Zivilisation zerstört.

 

Vereint in Sainte-Soline oder anderswo, damit revolutionäre Positionen wachsen.

 

 

 

 

Die Geschichte des Protests gegen das Wasserreservoir von

Sainte-Soline

 

Am Samstag, dem 30.08, versammelten sich 7000 Menschen, um gegen den Bau eines „Mega-Wasserreservoirs“ in Sainte-Soline zu protestieren. Trotz der Anwesenheit von 1700 Polizeibeamten und 6 Hubschraubern machten sich drei verschiedene Gruppen auf den Weg und schafften es, die Polizeiabsperrungen zu passieren, bis sie die von allen Maschinen geleerte Baustelle erreichten.

Dieser Text ist ein Bericht über eben jenen Tag, wie er verlaufen ist und was alles auf dem Spiel steht.

 

An diesem Wochenende haben wir die Polizei in Sainte-Soline völlig überwältigt. Ihr Ziel war klar: zu verhindern, dass wir die Baustelle des Beckens erreichen. Wir rissen die Tore auf und erreichten den geschützten Ort. Es gab nicht viel zu finden, aber was wir durchgemacht haben, um dorthin zu gelangen, wird unsere zukünftigen Kämpfe prägen. Das Erreichen der Baustelle schien kompliziert. Ausgehend vom Basislager, mitten im Sperrgebiet, bildeten wir drei Gruppen. Das Polizeiaufgebot war ziemlich beeindruckend (mindestens 1700 Polizisten und 6 Hubschrauber), aber das sollte uns nicht daran hindern, zum Becken zu gelangen.

 

Um dorthin zu gelangen, mussten wir einige Hindernisse passieren. Zuerst war eine Straße samt Straßensperre an der Reihe und wir mussten schnell sein und das Tempo bestimmen. Darauf folgte eine Abteilungsstraße. Drittens, eine Straße, die von Armeelastwagen geschützt wurde, die später panisch umdrehen sollten. Viertens, eine Straße mit einem zu überquerenden Graben. Und zu guter Letzt, die gut gesicherte Baustelle.

 

Tatsächlich war es immer das gleiche Rezept, das funktionierte. Polizisten hielten die Stellung, bewegten sich aber langsam. In unserer Gruppe brauchten wir auch Zeit, um 1500 Menschen in Bewegung zu versetzen. Wir mussten die Breschen finden und lange genug standhalten, damit die ganze Demonstration durchkommen konnte. Nach einer Weile fanden wir einen Trick heraus. Wir rannten nach rechts und bogen dann plötzlich nach links ab, um sie zu überflügeln. Sobald ein Durchbruch möglich war, eilten die Schnellsten von uns hindurch. Während einige von uns die Polizei von der einen Seite angriffen, hielten andere die Straße und hinderten ihre Kollegen daran, von der anderen Seite dazuzukommen. Das war es mehr oder weniger.

 

Obwohl es einfach klingt, war es das nicht. Wir mussten uns festhalten und alle zusammen unter Tränengas durch die Felder rennen, wir mussten uns eng zusammen finden, um die Absperrungen zu bezwingen, wir mussten sie vom Angriff abhalten, wir mussten zusammen über Gräben rennen, wir mussten ihre Lastwagen angreifen, wir mussten verhindern, dass sie uns trennten. Das dritte Hindernis bedeutete für uns eine neue Schwierigkeit, und nicht die letzte. Die Polizei begann

Blendgranaten einzusetzen. Wir versuchten trotz der Explosionen in Bewegung zu bleiben, aber mussten uns auch gleichzeitig schützen. Trotz alledem haben wir haben nie damit aufgehört zu laufen, alle 1500 von uns. Als wir die Baustelle verließen, kamen die anderen beiden Gruppen, um uns zu helfen.

 

Wir hatten etwas nie dagewesenes geschafft, indem wir mehrere Absperrungen durchbrochen hatten. Das Erreichen des Beckens war schließlich ziemlich symbolisch, aber der Sieg über unsere Feinde war es nicht. Keine Baustelle zum Sabotieren, kein Sachschaden, der sie daran hindern würde, weiterzubauen, sondern ein neuer Stand der Dinge: Wenn wir durchkommen wollen, kommen wir durch. Wir müssen dieser neuen Schlussfolgerung auf den Grund gehen und sollten diesen Sieg nicht kleinreden. Aus der Ferne mag der Impuls, der so viele Menschen dazu gebracht hat, sich auf diese Felder zu begeben, schwer zu verstehen sein.

All das für ein Wasserreservoir? Warum so viele Risiken gegen diese Verirrung eingehen und nicht gegen eine andere?

 

Alles, um das es hier ging, war eine Möglichkeit, sich gegen die Herrschaft zu behaupten. Es war die Kristallisierung an einem bestimmten Punkt, innerhalb einer viel größeren Ablehnung. Die 1500 Menschen des Protests vom Samstag erlebten einen dieser Momente, in denen etwas Unmögliches möglich wurde. Ist es vernünftig sich, dafür auf der Baustelle enttäuschen zu lassen? Was eröffnet sich dadurch an Unvorhersehbarem für die Zukunft?

 

Viele von uns wurden verletzt, einige wurden festgenommen. Hier endet das Spiel, hier müssen wir stark sein und einander unterstützen, damit diese Einschüchterungen unsere zukünftige Entschlossenheit nicht schwächen. Bei Siegen wie am Samstag müssen sich diejenigen wehren, die sonst für Ordnung sorgen. Wir werden weiter angreifen.

 

 

 

Warum durch Felder laufen? Sainte-Soline, 29. Oktober 2022

 

Die Bewegung gegen die Monopolisierung des Wassers

 

Am Samstag, den 29.08 kam es während der verbotenen Mobilisierung gegen den Bau eines Wasserreservoirs zu einem aufständischen Angriff von mehreren tausend Menschen. Am Sonntag, den 30.08, sabotierte eine Gruppe von Menschen ein videoüberwachtes Rohr. Die Organisatoren, Anhänger eines aufständischen Ökopopulismus, hatten wie immer eine „freudige und entschlossene“ Demonstration versprochen, und sie haben ihr Versprechen auch gehalten. Das Ziel war, den Krater des zukünftigen Beckens zu erreichen, und es wurde tatsächlich eine erfolgreiche Wette.

 

Ein Polizeichef versuchte, sich selbst zu gratulieren und die Tatsachen damit zu verteidigen, dass Demonstranten zurückgedrängt worden seien und die Besetzung des Geländes sofort gestoppt wurde. Aber die Wahrheit ist, die Polizei wurde zurückgedrängt, Grenze um Grenze. Die Möglichkeit ihrer Inkompetenz nimmt uns die Gewissheit unserer eigenen Leistungsfähigkeit. Aber der Angriff war kein Wimpernschlag, sondern ununterbrochen und dauerte zweieinhalb Stunden lang. Diese Entschlossenheit war nicht nur intensiv und kontinuierlich, sondern wurde in einem Maße geteilt, wie wir es selten zuvor gesehen hatten. Wie können wir das erklären? Es gab einen strategischen Aufstieg nach oben. Dies ist der Beweis dafür, dass wir ein hohes Maß an strategischem Denken entwickeln können.

 

Welche Rede ruft solch ein Ereignis hervor? Ökologenführer, die mehr oder weniger versuchen, sich anzupassen, zeigten ihre Unterstützung vor der Demonstration. Einer von ihnen verließ das Lager mit dem Wort „crevure“ (Drecksack auf Französisch), das auf beide Seiten seines Autos gemalt worden war. Sein radikalerer Kollege erklärt, dass dies der Preis für die Verteidigung einer Regierungsökologie anstelle einer kämpferischeren Ökologie sei. In den letzten Tagen sprach sie sogar vom „Wasserkrieg“ und erklärte Rémi Fraisse, der 2014 bei den Protesten gegen den Sivens-Staudamm mit einer Granate getötet wurde, zu ihrem ersten Opfer. Es überrascht nicht, dass die Linke die Revolution immer dann verteidigt, wenn es zu spät ist. Ein trotzkistischer Führer erhält großen Beifall, wenn er verkündet, dass wir uns fragen sollten, ob Gewalt eine Möglichkeit sein könnte. Die Demonstration hat bewiesen, dass es keine Frage mehr ist.

In Folge zögerte der französische Innenminister nicht, über Ökoterrorismus zu sprechen. „Das ist ein Fehler“, entgegnete Melenchons Sprecher und forderte ebenfalls eine republikanische Polizei. Das Innenministerium hämmert: In Sainte-Soline wird es keine ZAD (Zone to Defend) geben. Aber niemand hatte die Frage gestellt. Manche Tage scheinen mit Sprache gesegnet zu sein, die es uns ermöglicht, Fragen mit klarer und lauter Stimme zu stellen. Warum durch Felder rennen, die Polizei überflügeln, sie mit Feuerwerk anzünden, Gräben und Hecken überqueren, uns gemeinsam, Alt und Jung, durch all das kämpfen?

 

„Es ist feindlich im Kessel“. Das eine ist die angerufene Vernunft, die im Zentrum steht und dominiert, das andere die Mechanik der Revolte. Wenn die Revolte ein Schlachtfeld betritt, steht schon etwas anderes auf dem Spiel. Wir haben gemeinsam Grenzen überschritten, trotz Verbot, Angst überwunden, im Widerspruch zu unserem eigenen Atem, wir sind durch ein Netz geschlüpft, das dazu bestimmt war, enger zu werden; wir landeten im Bereich des Projekts, indem wir die letzten Barrieren niederrissen, im verwüsteten Bereich eines zivilisierten Projekts unter Millionen anderer, ließen zwei Hubschrauber davonfliegen, nachdem wir die Polizeiwagen erschreckt hatten, und dann mussten wir aussteigen, wir mussten unter Granatenwürfen und LBD-Schüssen, in der üblichen knappen Luft davonzukommen, und wir benutzten dieselben Taktiken, um unseren Rückzug zu schützen. Ja, es steht noch etwas anderes auf dem Spiel.

 

Der Tag sieht wie eine gescheiterte Tat aus, ein Symptom einer Ära: Wir haben das Ziel erreicht, und das Ziel war leer. Als ob wir bindungsfähiger wären, wenn es gegen null tendiert. Alle reinen Aktivisten werden sich darüber freuen, da sie die Revolte als ihr eigenes Ende betrachten. Die anderen werden plaudern und so tun, als sei jeder Kampf um eine ultrapräzise Frage ein zusätzlicher Schritt in Richtung Revolution. Aber ob sie wollen oder nicht, das Schritt-für-Schritt-Denken, also der radikale Progressivismus, hat nie andere Fragen aufgeworfen als die, die in die Regierungslogik passen. Mit der Verbreitung reformistischer Argumente und Alibis bedeutet das Schweigen der Radikalen Zustimmung. Es fühlt sich an, als hätten die Revolutionäre selbst, die zwischen Depression und Orientierungslosigkeit navigieren, den Plan verloren, die Lust an der Revolution verloren, nur vier Jahre nach einem aufständischen Aufstand, der ein Echo auf der ganzen Welt hatte. Es ist schwer zuzugeben.

 

In Wirklichkeit kennt die Revolte eine andere Art von Schritt für Schritt, sie gestaltet den Boden, wo hin sie ihren Fuß setzt, und wir erreichen nicht das Nichts, wenn wir uns für die Offensive organisieren, wir erreichen einfach etwas anderes als das, was angekündigt, geplant war oder vorab verbalisiert. Wir nehmen also nie nur an einem Aktionstag teil. Jede politische Partizipation setzt voraus, Partei zu ergreifen und eine Seite zu ergreifen, damit etwas anderes wachsen kann. Das mag nach einem Tag, an dem wir so gute Leistungen erbracht haben, paradox erscheinen, aber wir müssen mit dem Modell des Fußsoldaten als einer Form politischer Subjektivität brechen.

 

Ein Modell, wo wir zum Beispiel sagen könnten, dass die Soulèvements de la terre die kleinen Soldaten des Bauernbundes sind, oder andere solche Dinge. Subjektivität ist untrennbar, obwohl sie deutlich Ich und Wir sagen kann. Wir sprechen hier nicht von einer individuellen oder kollektiven Selbstmeinung, sondern von dem zentralen Gebot, die Entscheidung auf keiner Ebene aufzugeben. Das bedeutet, sicherzustellen, dass die Bedeutung dessen, was wir tun, klar ist. Und es auch um jeden Preis zu formulieren, das Risiko von Missverständnissen, von Konflikten einzugehen, anstatt in Verwirrung und/oder Halbherzigkeit zu schwelgen, wozu uns alles ermutigt.

 

Heute braucht man nicht mehr zwischen dem „Konkreten“ des abgegrenzten Kampfes und dem „Abstrakten“ der Revolution zu oszillieren. Der Moment, in dem wir uns mit Gesprächen über den Aufstand befriedigen konnten, ist vorbei (jeder weiß, dass es sich um eine Möglichkeit der Gegenwart handelt, um ihre Erleichterung und nicht um einen fernen Horizont). Die aus der Mode gekommen Revolution ist jetzt absolut relevant. Alles weist im Grunde auf den Aufstand hin, den wir wollen, den wir wollen können, gegen all jene, denen wir uns verweigern oder die wir ablehnen.

Jeder Kampf muss gleichzeitig, mit seinem eigenen Weg, auch eine Seite wählen, die es ihm ermöglicht, einen Raum der Debatte zu eröffnen, in dem er heranwachsen und stärker werden kann.

 

Es ist die revolutionäre Debatte, dieses besondere strategische Feld, das sofort gestärkt werden muss. Es reicht nicht aus, Kräfte zu bündeln, wir müssen ein neues Feld der Verständlichkeit erschließen und den Bruch mit der demokratischen Ordnung annehmen. Die Angst vor der Spaltung verstärkt, anders als oft formuliert, den faschistischen Prozess und gibt diesem den ganzen Spielraum, die große Spaltung zu verkörpern. Warum mit den Außenseitern anfangen? Warum auf das Unmögliche setzen und dieser Tage versuchen, Kräfte in einer revolutionären Weise, Sprache und Perspektive zu vereinen? Es hält die Leute dumm. Es ist der Glaube daran, dass übermäßig benutzte Reden das Wünschenswertesten wären. Es verurteilt Deserteure dazu, nicht zu genau wissen, woran sie teilnehmen, wenn sie desertieren. Es ermutigt sie zum Rückzug in die Ethik, auf den Lebensstil, auf die Familieneinheit, auf das Individuum als Gravitationszentrum – Entpolitisierung.

Es geht nicht um den Mangel an diffuser Radikalität, sondern um den Mangel an Ideen, an Worten, an Spannungen, an Hartnäckigkeit, an Geduld und an „Räumen“ der Organisation, die uns aus unserem revolutionären Analphabetismus herausführen – es ist in der Tat eine Frage des Wiedererlernens, was eine Organisation bedeutet.

 

Diejenigen, die ihr Leben dem politischen Kampf widmen, können sich nicht der Avantgarde des zeitgenössischen ideologischen Zusammenbruchs überlassen. Denken wir nur an eines: die Besessenheit von gesellschaftlichen Themen, also von Produktionsbereichen. Die Bewegung gegen die Monopolisierung des Wassers ist ein klares Beispiel dafür. Wir kämpfen gegen die Monopolisierung des Grundwassers durch eine bäuerliche Oligarchie. Und wogegen wehren wir uns genau? Den Gemeinwohlgedanken. Mit anderen Worten, wir setzen der privaten Monopolisierung eine andere private entgegen, die von der bekannten Perversion begleitet wird, „öffentlich“ genannt zu werden: der Staat. Der Gegensatz zwischen dem, was „privat“ ist, und dem, was „allen“ gehört, hat schon immer die Regierung der Welt, die Zivilisation, festgelegt. Eine Sache ist ein Eigentum.

 

Wenn man, wie es heute in Mode ist, für die „Gemeingüter“ plädiert, scheint sich bis auf wenige Ausnahmen niemand allzu sehr darum zu kümmern, den Hintergrund, den das alles impliziert, loszuwerden: das Eigentumsrecht. Wenn sich zumindest einige die Mühe machen, „gemeinsam“ und „öffentlich“ theoretisch zu trennen, versucht niemand, Wege zu finden, sie politisch zu trennen. Um die Idee des Gemeingutes aus dem Gesetz zu verbannen, müssen wir zumindest beginnen, uns für Elend und Desozialisierung wichtiger Angelegenheiten zu entscheiden. Wir müssen der Transformation unserer Fragen in den gesellschaftlichen Sektoren ein Ende setzen.

 

Dies impliziert den vollständigen Bruch mit dem revolutionären Programm der letzten zwei Jahrhunderte: dem Sozialismus. Gesellschaftliche Fragen sind diejenigen, die die Organisation in produktive Sektoren gleichzeitig voraussetzt und provoziert. Wir sollten also nicht vorschnell über das Thema Wasser sprechen, sondern uns zuerst fragen: Sollte es so etwas wie eine Wasserfrage geben? Dieses Element, das so eng mit dem Leben verbunden ist, wird politisch als Mittelpunkt konstruiert, der die Frage des Überlebens erzwingt. Die kommunistische Grundfrage dazu könnte man stattdessen so formulieren: Was können wir tun, wie können wir uns organisieren, nicht um die Wasserfrage zu lösen, sondern damit sie gar nicht erst existiert.

 

Der Imperativ des Elends macht eine neue revolutionäre Subjektivität, ein neues Wir möglich. Einerseits schlagen wir vor, alle objektiven Grundlagen der Politik aufzugeben: Klasse, Geschlecht, Rasse, Sexualität, aber auch Territorium; andererseits schlagen wir vor, in dieser Trauer weder ein Ende noch eine Beschränkung in der Entsubjektivierung zu sehen, sondern den Anfang von etwas anderem. Wir setzen weder auf eine einzige Partei der Revolte, noch auf eine plurale und einheitliche Seite des Guten. Es geht darum, die Aufnahme klarer und deutlicher revolutionärer Positionen in ein Lager zu denken und zu erleben, das in seinem Werden unaufhaltsam ist, aber an solide Kriterien gebunden ist: Hass auf Institutionen und Krieg gegen die Regierung der Welt.

 

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