[DAN] Aufruf: Man redet nicht mit Holocaustleugnern!
Für die soziale Isolierung von Wilhelm von Gottberg (AfD), Landkreis Lüchow-Dannenberg, Niedersachsen
folgender Aufruf erging per E-Mail an Verbände, Institutionen, Zeitungsredaktionen und Funktionsträger der politischen Parteien im Landkreis Lüchow-Dannenberg sowie Lüneburg, einige ausgewählte Journalisten sowie weiterhin zur Kenntnisnahme an die jüdische Gemeinde Hannover und den Zentralrat der Juden in Deutschland. Er ist überdies öffentlich einsehbar auf der Internetseite antifawendland.net bzw. unter folgendem link: http://www.antifawendland.net/2018/11/14/aufruf-man-redet-nicht-mit-holo...
An dieser Stelle folgt eine Dokumentierung des Aufrufs.
Aufruf: Man redet nicht mit Holocaustleugnern!
Für die soziale Isolierung von Wilhelm von Gottberg (AfD), Landkreis Lüchow-Dannenberg, Niedersachsen
Für die “Alternative für Deutschland” sitzt sowohl im Bundestag, als auch im Kreistag von Lüchow-Dannenberg (“Wendland”), ein Holocaustleugner. Wilhelm von Gottberg hat am 6. Januar 2001 im Ostpreußenblatt den Holocaust mit einem in der Holocaust-Leugner-Szene beliebten Mittel geleugnet, mit dem er sich einer Strafverfolgung entziehen konnte. Er zitierte den italienischen Faschisten Mario Consolimit den Worten: „Jeder noch so fadenscheinige Vorwand (…) ist gut genug, um den Holocaust in Erinnerung zu rufen. Die Propaganda-Dampfwalze wird mit den Jahren nicht etwa schwächer, sondern stärker, und in immer mehr Staaten wird die jüdische ,Wahrheit‘ über den Holocaust unter gesetzlichen Schutz gestellt. Der Holocaust muß ein Mythos bleiben, ein Dogma, das jeder freien Geschichtsforschung entzogen bleibt.” Hierzu fügte von Gottberg im Text an: “Wir haben dem nichts hinzuzufügen”, machte sich die Äußerung also aktiv zueigen.Weiterhin heißt es im angeführten Zitat: "Als wirksames Instrument zur Kriminalisierung der Deutschen (…) wird immer noch der Völkermord am europäischen Judentum herangezogen.”Seitdem hat von Gottberg nichts von dem Gesagten zurückgenommen und es mit vielen weiteren Taten und Andeutungen noch untermauert. So veröffentlichte die Zeit¹ im März 2017 die Worte von Gottbergs und ließ ihn dazu Stellung nehmen. Er habe sich für die Zitierung öffentlich entschuldigt, entgegnete er dort, wollte aber nicht angeben, wann und wo. Außerdem sprach von Gottberg im Nachhinein davon, das Zitat sei “etwas leichtfertig” gewesen, ohne irgendetwas zum Sachverhalt selbst zu sagen. Wir fordern nun endlich Konsequenzen. Wir verlangen das Ende jeglicher Kommunikation und Zusammenarbeit mit Wilhelm von Gottberg. Wir wollen dies im Folgenden begründen.
Die im Zitat zu findende Hervorhebung der jüdischen “Wahrheit” in Einklammerung kann sinnvoll nur aus der Motivation heraus erfolgen, sich von der Sichtweise abzugrenzen, die Juden und Jüdinnen auf der ganzen Welt mit allen teilen, die einem wenigstens halbwegs wissenschaftlichen Weltbild anhängen: dass der Holocaust der Völkermord der Nationalsozialisten an den Juden war, in dessen Wüten 6 Millionen Menschen ermordet worden sind. Wird die “Wahrheit” eingeklammert, kann nur gemeint sein, dass die Wahrheit eine bloß scheinbare sei, das Gegenteil der Fall, also eigentlich wahr ist: dass der Holocaust und die Rede von ihm unwahr seien und dass die Existenz des Holocaust nicht bloß eine Unwahrheit darstellt, sondern eine jüdische Lüge, also die Behauptung einer Tatsache wider besseren Wissens. Nur diese Interpretation ergibt auch im unmittelbaren Kontext des Zitates Sinn. Schließlich wird die internationale und deutsche Anerkennung dieser Unwahrheit für diejenigen, die sie angeblich verbreiten, funktional gemacht: sie ist “wirksames Instrument zur Kriminalisierung der Deutschen und ihrer Geschichte”, woran nur ungenannte auswärtige Mächte ein Interesse haben können. Diese Mächte jedoch tauchen im Text nicht auf. Es wird mit Passiv-Konstruktionen gearbeitet, um kein Subjekt anführen zu müssen: “(…), um den Holocaust in Erinnerung zu rufen”. Wer ruft den Holocaust in Erinnerung? Wir erfahren es nicht. Ebenso eindeutig ist die Bezeichnung des Holocaust als einen “Mythos”. Der Duden gibt zur Bedeutung des Wortes “Mythos” an: 1.) “Überlieferung, überlieferte Dichtung, Sage, Erzählung o.Ä. aus der Vorzeit eines Volkes (die sich besonders mit Göttern, Dämonen, Entstehung der Welt, Erschaffung der Menschen befasst)” und 2.) “Person, Sache, Begebenheit, die (aus meist verschwommenen, irrationalen Vorstellungen heraus) glorifiziert wird, legendären Charakter hat”². Auf den Holocaust angewandt wird daraus eine verschwommene, irrationale und damit falsche Vorstellung, eine bloße Legendeund Zusammendichtung über einen historischen Sachverhalt, der aus der Vorzeit des jüdischen Volkes stammt, das jüdische Volk also als dasjenige konstituieren soll, das es nach dem Ereignis geworden ist (unter anderem: Staatsvolk eines jüdischen Staates). Ein Kernmerkmal des Mythos ist, dass das, was in ihm erzählt wird, nicht bzw. in der erzählten Form nicht stimmt.
Auch die Behauptung, die Deutschen und ihre Geschichte würden “kriminalisiert”, enthält den den Holocaust leugnenden Kern. In dieser Sichtweise ist nicht der begangene Völkermord dasjenige, was die Deutschen und ihre Geschichte “kriminell” macht, sondern eine von außen angebrachte “Kriminalisierung”, also die Kriminellmachung von etwas, das davor nicht aus sich heraus kriminell war – weil es, so soll die Formulierung suggerieren, nicht stattgefunden hat. Schließlich wird die “jüdische ,Wahrheit‘” auch noch dahingehend spezifiziert, dass sie in verschiedenen Staaten unter Schutz gestellt werde. In jeweils unterschiedlicher Formulierung richten sich die in vielen Staaten geltenden Gesetze gegen die Leugnung des Holocaust. Als Problem gibt von Gottberg also an, dass man den Holocaust nicht leugnen darf – ein Problem zuvorderst für diejenigen, die ihn leugnen wollen, weil sie ihn nicht anerkennen. Auch die Behauptung, der Holocaust sei einer freien Geschichtsforschung entzogen, ist ein codierter Versuch, seine Nichtexistenz zu behaupten. Die Geschichtsforschung hat den Auftrag, festzustellen, welche Sachverhalte in der Geschichte der Fall gewesen sind. Die wissenschaftliche Community ist sich in überwältigender Einstimmigkeit einig, dass der Holocaust eine Tatsache darstellt. Diese Forschung, also die Arbeit dieser internationalen Community, wird von von Gottberg als unfrei gekennzeichnet. Behauptet wird damit, dass das Urteil über die geschichtlichen Fakten von jemandem vorgegeben wird, nicht durch die Fakten selber zustande kommt. Suggeriert wird: würde man nur die Fakten befragen, würde man zum Schluss kommen, dass der Holocaust nicht stattgefunden habe. Aber die Befragung der Fakten ist, laut von Gottberg, der freien Geschichtsforschung entzogen. Stattdessen folgt ihr Urteil einer mysteriösen Vorgabe, die die Geschichtsforschung von unbekannter Stelle erhält – zumindest in dem Weltbild, das durch die Zitate deutlich wird. Zusammen mit der “jüdische[n] ,Wahrheit‘ über den Holocaust” wird klar, wer imstande sein soll, der Geschichtsforschung ihre Freiheit zu nehmen und ihr ihre Ergebnisse zu diktieren: Juden und Jüdinnen.
Als die Einlassungen von Gottbergs zum Holocaust im Juni diesen Jahres erneut in den überregionalen Medien zitiert wurden³, nachdem von Gottberg nach seiner Wahl in den Bundestag im September 2017 für internationale Aufmerksamkeit auch und gerade aus Israel⁴ und den USA⁵ gesorgt hatte, hat Wilhelm von Gottberg seine Äußerungen nicht zurückgenommen. Stattdessen wählte er zu seiner Verteidigung erneut ein eindeutig zweideutiges Mittel: er sprach gegenüber der FAZ von einer “Verleumdung übelster Art”, außerdem habe er in der Vergangenheit “mehrfach über den Holocaust geschrieben”. Wieder wählte er also ein geschicktes und perfides Kommunikationsmittel, um seinen öffentlichen Ruf zu schützen, ohne auch nur eines seiner Worte zurück zu nehmen: die bloß uneindeutige Sprache von “Verleumdung” gegen ihn stellt keine Aussage zur Existenz oder Nicht-Existenz des Holocaust in seiner allgemein anerkannten Form und Dimension dar. Die Behauptung, er habe in der Vergangenheit über den Holocaust geschrieben, soll bloß oberflächlichen Lesern die Anerkennung seiner Existenz suggerieren, während gleichzeitig unklar gelassen wird, wovon genau die Rede ist, in welcher Form vom Holocaust geschrieben worden sein soll und zu welchem Zweck. Im Extremfall kann man sogar die Leugnung des Holocausts als “vom Holocaust schreiben” bezeichnen – entsprechend ist die Behauptung nichts wert. Vom Standpunkt der Logik oder Sprachphilosophie ist die Rede von etwas, das den Namen “Holocaust” trägt, noch keine Anerkennung seiner Existenz im engeren Sinne. Es kann eben auch der bloße Begriff gemeint sein, von dem gesprochen wird, nicht der mit dem Begriff gemeinhin bezeichnete Sachverhalt, nämlich der durch die Nationalsozialisten von langer Hand geplante und zu großen Teilen in Tötungslagern durchgeführte Völkermord an den Juden, dem 6 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Vielen wird dieser Zusammenhang näher einleuchten, wenn man als Gegenprobe den Satz nimmt, dass der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche von Gott geschrieben habe. Auch die bloße Behauptung, von Gottberg habe über den Holocaust geschrieben, ohne eine Textstelle anzugeben, bei der er das getan geschweigedenn dabei die historisch korrekten Ausmaße des Völkermordes konkret benannt und in ihrer Existenz anerkannt hat, ist auffällig. Sie ist ebenfalls ein Mittel, die Berechtigung der an von Gottberg vorgenommenen Kritik infrage zu stellen, ohne auch nur einen einzigen belastbaren Beleg zu liefern, der die Kritik tatsächlich widerlegt. Diesen Beleg hätte von Gottberg obendrein auch an Ort und Stelle selber produzieren können, indem er aktiv den Holocaust in seiner gemeinhin anerkannten Dimension anerkannt hätte. Seine Kritiker wären so leicht zum Schweigen zu bringen gewesen – und trotzdem hat von Gottberg es nicht getan. Warum?
Es kann vernünftigterweise nur einen einzigen Grund für all die Zweideutigkeiten geben: von Gottberg erkennt den Holocaust in seiner faktischen Dimension nicht an, möchte aber auch nicht die sozialen, politischen und juristischen Konsequenzen tragen, die diese Sichtweise auf eine der am besten belegten historischen Tatsachen mit sich bringen würde. Darum haben wir uns gemeinsam dazu entschlossen, ihn wenigstens mit den sozialen und politischen Konsequenzen zu konfrontieren. Wir rufen überdies dazu auf, es uns gleich zu tun. Jeder, der ein Mindestmaß an Sensibilität für das durch die Verbrechen der Nationalsozialisten am jüdischen Volk, an den Juden und Jüdinnen verursachte Leid besitzt, wird uns darin zustimmen: Es kann keine Unterhaltung, keinen Plausch, keinen Small Talk und erst Recht keine politische Zusammenarbeit mit Wilhelm von Gottberg geben – nicht im Kreistag von Lüchow-Dannenberg und auch nicht im Bundestag. Man redet nicht mit Holocaustleugnern!
Wir wissen, dass im AfD-Gebietsverband von Lüchow-Dannenberg und auch am Fraktionstisch neben von Gottberg im Kreistag von Lüchow-Dannenberg und im Bundestag Menschen sitzen, die sich selbst einem irgendwie “gemäßigten” Spektrum der AfD oder einer angeblichen “Mitte” zurechnen. An diese Menschen ergeht unser Aufruf explizit nicht. Wir erachten es nur als konsequent, dass von Gottberg mit seinem politischen Verhalten und seinen zweideutigen Äußerungen zum Holocaust in der “Alternative für Deutschland” seine politische Heimat gefunden hat. Unzählige Vorkommnisse, vermeintliche “Skandale”, Äußerungen und Textstellen aus der AfD machen klar, dass die Zusammenarbeit mit Menschen wie Wilhelm von Gottberg und der zweideutige Bezug auf den Nationalsozialismus und seine Verbrechen keine Versehen darstellen, sondern eine perfide eingeplante Strategie. Sie soll nationalsozialistisch eingestellten Wählern zeigen, dass die AfD ihre Partei ist, ohne Gefahr zu laufen, vom Verfassungsschutz beobachtet oder gar als Partei verboten zu werden, wie es etwa Nachfolgeparteien der NSDAP in der Vergangenheit bereits ergangen ist. Wir setzen daher keinerlei politische Hoffnung in angebliche Kräfte der Mitte in der Partei, die der AfD nur als Feigenblatt dienen. Hinter diesen Feigenblättern versteckt sie ihre eigentliche Politik und das wissen auch die Feigenblätter selbst: dazu sind sie da. Es ist auch völlig unerheblich, wie sich weitere AfD-Mitglieder von nun an zu von Gottberg verhalten: er hat seit vielen Jahren die Leugnung des Holocaust betrieben und ihr mit seinen Funktionen im Vertriebenenverband, bis vor einigen Jahren in der CDU, in der AfD, als Bürgermeister der Gemeinde Schnega im Landkreis Lüchow-Dannenberg und auch als Gründer einer eigenen Stiftung für rechte Geschichtspolitik, die am kommenden Wochenende eine Tagung in Lüneburg durchführen möchte, den Anschein von Seriosität gegeben. Egal, was von Gottberg in Zukunft von sich gibt – der Schaden ist angerichtet und er ist irreperabel.
Wir alle sind mit der Aufforderung, die Anfänge zu wehren, groß geworden. Sie wurde uns in die Wiege gelegt, weil wir in Deutschland leben. Wir haben den Zeitpunkt der Anfänge längst überschritten. Lasst uns diese Tatsache endlich begreifen – man redet nicht mit Holocaustleugnern!
Fußnoten:
¹ https://www.zeit.de/2017/12/wilhelm-von-gottberg-afd-alterpraesident-bun...
³ unter anderem in der Frankfurter FAZ: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/brandanschlag-auf-auto-von-afd...
⁴ https://www.haaretz.com/world-news/europe/how-an-extremist-party-s-campa...
⁵ “a way to prevent the privilege from falling to Wilhelm von Gottberg, a Holocaust denier and member of the AfD”, über die Änderung der Geschäftsordnung des Bundestags zur Verhinderung vonWilhelm von Gottberg als Alterspräsident, https://www.theatlantic.com/international/archive/2018/02/germany-afd-me...