Neulich in Leipzig: Diffamierung von Hartz-IV-Bezieher_innen am Amtsgericht

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Nachfolgend dokumentieren wir ein Artikel der Gruppe chronik.LE. Diese veröffentlichte mit dem Datum vom 3. Juli 2018 einen Artikel, der sich mit der "Diffamierung von Hartz-IV-Bezieher_innen am Amtsgericht" Leipzig befasst. Der im Artikel nicht-namentlich genannte Anwalt heißt Patrick Kühn (SCHULTZE IMMOBILIENANWÄLTE) und vertritt den Eigentümer der Thierbacher Straße 6, Hans Gireth.


Während des Gerichtsprozesses von Bewohner_innen eines Hauses in der Thierbacher Straße (Leipzig-Connewitz) gegen den Hauseigentümer äußert sich dessen Anwalt gegenüber Besucher_innen der Verhandlung in herabwürdigender Weise. So tituliert er Anwesende als "Kasper" und fragt in den Sitzungssaal, dabei aber zur Publikumsreihe gewandt, die er als Hartz-IV-Bezieher_innen bezeichnet, "was sie denn um diese Uhrzeit hier schon wollen“ können.

Leitendes Motiv des anwaltlichen Beistands des Hauseigentümers scheint weniger die Ablehnung der grundsätzlichen Öffentlichkeit von Gerichtsprozessen, als vielmehr die Abwertung von Bezieher_innen von Sozialleistungen im Allgemeinen sowie der Anwesenden im Konkreten zu sein. Mit seiner Äußerung suggeriert der Anwalt, dass das Publikum nur deshalb den Prozess verfolgen könne, da es erwerbslos sei und Zeit habe, folglich nicht der imaginierten Gemeinschaft der Produktiven und Arbeitswilligen angehöre. Sie entsprächen damit nicht den Nützlichkeitskriterien der Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft - sie werden entsprechend als unnütz, gar als unwert angesehen. Diese Ansicht bestätigt die_der Nutzer_in "HB" in der Kommentarspalte zum LVZ-Artikel - hinsichtlich einer Kundgebung für bezahlbares Wohnen vor dem Haus in der Thierbacher Straße:

[...] Wer eine wichtige Funktion in der Stadt hat, der wird auch so entlohnt, dass er dort unterkommen kann. Unwichtigere Personen (ja sorry ist nun mal so) müssen sich eben von den Wirtschaftszentren entfernen. [...]

Fordert der Kommentar die "Entfernung" von Menschen, die als unwichtig bzw. unnütz angesehen werden, dürfen nach Ansicht des Anwaltes Erwerbslose bzw. SGB-II-Bezieher_innen nicht mehr als Interessierte an einem Prozess im Gerichtssaal teilnehmen. Gleichfalls intendiert seine Aussage, eine Illegitimität des Anliegens der Hausbewohner_innen, aus denen und deren Unterstützer_innen sich das Publikum zusammensetzt: Erwerbslose haben, dem Denken des Anwalts folgend, letztlich nicht einmal das Recht, ihre Interessen gerichtlich einzufordern, sind sie doch "an ihrer Lage selbst schuld und für die Gesellschaft nutzlos".

Sozialdarwinistisch-motivierte Äußerungen sind vor Gericht jedoch keine Seltenheit.


#t6bleibt

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