Kann jemand mal die Welt anhalten, ich will aussteigen, mir ist übel.

Die Angst der Herrschenden vor einem Kontrollverlust in den Städten zeigt sich in neuen Dimensionen: sie verwandelt sich in ein architektonisches Spektakel des smarter Lebens. Dieses manifestiert sich in ihren sichtbaren und unsichtbaren Einhegungen, Zäunen, Mauern und Algorithmen, welche jede menschliche Handlung, ja jede Bewegung kontrollieren sollen. Die Angst vor Ressorcenknappheit, den Armutskonvois aus den Krisen- und Kriegsgebieten, aber auch vor kommenden Unruhen in den wachsenden Städten, lässt die Herrschenden in neuen Überwachungsphantasien einer hoch technologisierten Zeit baden.

Teil 1: Die Stadt

Die Stadt als Metropole wurde von den Herrschenden schon immer als Zentrum des ökonomischen Kapitals und der Marktströme erbaut. Im Zuge von Verstädterung und immer mehr Differenzierungen in der Lebens und Ausbeutungsart wurden Gemeinschaften, die auf persönlichen Beziehungen und auf solidargemeinschaftlichen Prinzipien beruhten immer brüchiger. Für uns ist die Möglichkeit die eigene Wahl bezogenen auf Gemeinschaft zu treffen schwieriger geworden. Jedoch auch die Herrschenden verlieren im Zuge des Städtewachstuns ihre Kontrollmöglichkeiten. Für sie ergibt sich daraus eine gefühlte Bedrohung der innerstädtischen Ruhe und Sicherheit und so haben sie allen Grund dafür, sich mehr und neue architektonische Mittel als Ziel omnipräsenter Kontrolle einfallen zu lassen. Eine Struktur und Architektur die schon immer alleinig zum Zwecke des Beherrschens, zum Angst Ehrfurcht Autorität einflößen und zum ein-und wegsperren dient. Die durch und durch künstliche Struktur der Stadt also ist im Detail für die Kontrolle von sozialen, kommerziellen, religiösen und regierungstechnischen Zwecken der Herrschenden geplant und erschaffen. Diese strukturellen opressiven Beziehungen, in dieser kontrollierten künstlich hergestellten Umgebung ziehen sich wie ein blutroter Faden durch unsere Leben, angefangen mit der Familie, Schule, über Kaserne, Fabrik, Klinik bis zum Gefängnis.

Auch in unserer Stadt spüren wir schon lange die Auswirkungen von Gentrifikation, Kontrolle und Vertreibung. die neuen und alten überflüssigen Menschen verschwinden seit geraumer Zeit aus unserem gereinigtem Stadtbild, zum Teil sorgen bauliche Massnahmen wie z.b. das reduzieren der Sitzbänke in öffentlichen Räumen dafür das obdachlose Menschen oder Menschen die nicht in Cafes und Restaurants konsumieren können Sitzgelegheiten in dieser Gesellschaft, vor diesem Kaufhaus oder in jenem Stadtteil mehr zustehen. Die übriggebliebenen alternativen Lebensweisen, in denen versucht wird sich kollektiv und solidarisch zu organisieren und eine alternative zum Kapitalismus aufzubauen sollen in gentrifizierten Gebieten Platz für Lofts und Grossbauprojekte machen. Orte wie m99, friedel und rigaer 94, die ohlauer schule etc. sollen verschwinden, denn hier kann ausprobiert und kommuniziert werden, was den würdefressenden Kapitalismus, Hoffnung auf Leben in Freiheit entgegensetzt. Ab und zu gelingt es den herrschenden ihre Ordnung überszustülpen und ab-und zu auch nicht.

Besitzt du jedoch soziales, ökonomisches und kulturelles Kapital kannst du weiterhin am Treiben der Allmachtsphantasien und Innenstädte teilhaben. So werden auch die neuen Start-up ich-ag unternehmer_innen beworben, jetzt demnächst In unsrer Nachbarschaft in Kreuzberg. Wenn du keine inovative kreative unternehmerische skills hast, steht es dir nicht mehr zu , dich in dem freiheits- – konsum- sauberkeits- und Sicherheitsraum der „Schönen und Reichen“ aufzuhalten. Für dich stehen dann nur noch Aussenbezirke Favelas und Banlieus zur Verfügung. Denn die Metropole braucht keine ausgebeuteten Fabrikarbeiter_innen oder sozialarbeiterische Arbeitslose mehr. Es gibt keinen Platz für Arme, für nicht Angepasste, für Migrantinnen ohne hohe Ausbildung, für Alle eben die keinen effizienten Wert haben. Diese Überflüssig-gewordenen müssen aus den kaptitalfliessenden smarten Teil der Stadt ferngehalten werden. In dieser Welt können und sollen nur noch Waren zirkulieren, nicht mehr im Edeka an der Ecke sondern im Internet, über Apps, über google, über amazon, zalando, über delivero, uber über das Internet der Dinge.

Teil 2: Die Angst vor dem Bumerang

Die Angst der Herrschenden vor einem Kontrollverlust in den Städten zeigt sich in neuen Dimensionen: sie verwandelt sich in ein architektonisches Spektakel des smarter Lebens. Dieses manifestiert sich in ihren sichtbaren und unsichtbaren Einhegungen, Zäunen, Mauern und Algorithmen, welche jede menschliche Handlung, ja jede Bewegung kontrollieren sollen. Die Angst vor Ressorcenknappheit, den Armutskonvois aus den Krisen- und Kriegsgebieten, aber auch vor kommenden Unruhen in den wachsenden Städten, lässt die Herrschenden in neuen Überwachungsphantasien einer hoch technologisierten Zeit baden.
Das sind alles keine Neuigkeiten für uns, doch ihre ihre Werkzeuge sind es. Mit Computertechnik, Internet, online vernetzten Geräten, umfassender Datenerfassung und DNA-Banken, Drohnen, Facebook- und google-Algorithmen etc. wird breit geforscht und getestet – mit tödlichen Folgen.

Der in Deutschland langsam kontinuierliche, aber kaum bewusst spürbare Abbau von „PapaStaats“ sozialen Sicherheitssystemen, prekarisierte Arbeit, vermehrte Investition in Eigentumswohnungen, das verschwinden von öffentlichen Gütern, die Verdichtung von Konflikten, Armut, und das sich Regen von Widerständen in einer Straße oder einer Kiezinitiative, geht einher mit der Angst der Herrschenden vor Rebellionen im städtischen Räumen. Auch in Berlin.

Die Angst der Herrschenden manifestiert sich vor den immer größer werdenden Städten weltweit und dem Bumerang, den sie durch die eigens geführten Kriege um Kapital, Eigentum und Ressourcen befürchten. Deshalb müssen Armut, religiöse und kulturelle künstliche Normen und städtische Gewalt durch Migration jetzt als Urheber allen Übels herhalten. Für uns sind das jedoch die Resultate von immer wiederkehrenden falschen „politischen“ Entscheidungen. Hunger, fehlender Wohnraum und Armut werden immer wieder als Sicherheitsbedrohungen inszeniert, gleichzeitig aber von der verlogenen Politik und Wirtschaftselite selbst durchgesetzt.

Denn alle wissen doch,
- dass Hunger gemacht ist, nicht eine Frage der Produktion, sondern des Zugangs zu Nahrung ist
- dass es Regierungs-Politik ist, einerseits neue Stadtviertel als Baugrund auszuweisen oder andererseits nicht ausreichenden günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, sodass Menschen, die sich das Wohnen nicht leisten können oder aufgrund anderer Diskriminierungen keinen Zugang zu Wohnraum haben, in prekären Verhältnissen oder in selbst gebauten Hütten leben
- dass NATO, G8- und G20-Staaten maßgeblich durch neoliberale Wirtschaftspolitik für die Aufrechterhaltung des Elends weltweit verantwortlich sind.

Hier zeigt sich jeden Tag aufs neue unverblümt die logik der demokratieschen herrscaft: nicht die Ursachen des Elends, sondern die Unruhen, welche sich gegen solche die Zustände richten, sollen bekämpft werden. Ein makaberer Cocktail, welcher mit westlichem Rassismus, Kolonialismus, Krisenherden, Terrorist*innen und Resourcenverunsicherung gemixt wird und uns dazu auffordert, die Gürtel enger zu schnallen anstatt um die Hälse der Kapitalist*innen, Kriegsfabrikant*innen, Politiker*innen und neoliberalistischen Smart-Gurus.

Das einzige was hilft sich ihren ängsten entgegenzustellen und unsere leben selbst in die hand zu nehmen ohne jegliche vermeintliche vertretungen, die niemals besser wissen könnten was mir und dir zu einem gutem und solidarischem leben verhilft.

Teil 3: Von Verstrickungen und der Befriedung der Gemüter

Wir haben uns nicht selbst entschieden, an diesem verlogenen System teilzunehmen, welches sich Demokratie nennt. Regeln, Werte und das Überwachen, die Kontrolle, Knast und Vertreibung aus den Innenstädten, basieren auf Gesetzen derjenigen, die das Eigentum schützen. Denn fast niemand hat sich selbst entschieden, arm oder reich zu sein und/oder kontrolliert zu werden.

Im Moment befinden wir uns in einer Zeit, wo emotionale Armut und materielle Verlustangst dafür sorgen, dass sich die Abwesenheit von Gemeinschaft und Solidarität um uns breit macht. An jeder Ecke lauern die Angebote des Kapitals, der neuen Technologien, der angeblichen Sicherheiten. Es ist schwer, diesen zu widerstehen. Denn oft scheinen die Gewohnheiten, Regeln und Normen stärker, das Integrieren komfortabler, das Sorglospaket von „PapaStaat“ unschlagbar. Um nicht abgehängt zu werden, um sich wenigstens noch eine Wohnung in der Innenstadt in der Nähe von Freund*innen zu leisten, oder das neueste Smartphone zu besitzen, arbeitet mensch doch gerne für ein Arschloch. Um nicht beim Jobcenter gekürzt zu werden, hört mensch sich zum wiederholten male die unverschämte Scheiße der sadistischen Bürokrat*in über das angeblich eigens verschuldete Versagen an. Und um nicht bei der Vermieter*in in Ungunst zu fallen, erklärt mensch sich doch klammheimlich bereit, die erhöhte Miete zu zahlen.

Der Erfolg der Herrschenden gegen unsere Freiheit , unser Leben und Rebellion zu intervenieren, zeigt sich, ob es dem Staat, den Regierenden, den Medien gelingt, angebliche demokratische Alternativen zu den Rebellischen zu präsentieren. Denn diese angeblichen Alternativen bedeuten buckeln vorm Jobcenter oder der Chef*in, bedeuten zwangsgeräumt zu werden für Ferienwohnungen oder Lofts. In diesem Konzept der angeblichen Alternativen sollen wir uns selbst optimieren und bemühen, Teil dieser Gesellschaft zu sein. Wir sollen uns der flexiblen und mobilen Lebenswelt bemächtigen, um nicht den Anschluss zu verpassen. Doch gegen diese gesamte Scheiße gilt es, sich zu solidarisieren. Denn als Mensch lebendig zu bleiben in diesem Desaster, heißt, mit Traditionen zu brechen und die kompensatorischen Gegenleistungen, nämlich die falschen Sicherheiten des Systems, abzulehnen.

Gegen die kapitalistische Alternative zu rebellieren kann uns am leben erhalten. Die Person, die sich gegen ihre Zwangsräumung wehrt, die Bewohner*innen, die die verlogenen schimmeligen Modernisierungsmaßnahmen aufhält. Der Block, der sich zusammentut und gegen die Stadtpolitik kämpft. Die Gruppen, die sich treffen, um Scheiben bei Investor*in XY einzuschlagen und das Auto von yuppie Z abzufackeln. Die Kämpfe auf der Straße die sich entschlossen den Marionetten des Kapitals entgegenstellen und die Herrschenden zum Teufel jagen.

Denn nur auf gleicher Augenhöhe können sich Menschen begegnen, um bestehende Herrschaftsverhältnisse abzuschaffen. Wenn wir es ernst meinen und nicht nur nach bequemen Ausreden oder einer alternativen Karriere suchen, uns es nicht im Seriensessel nach dem Motto: „bleib sitzen und freu dich mal nichts zu tun“ gemütlich machen wollen, wenn wir nicht auf das nächste turbo-rechte Schweinesystem warten wollen, sollten wir jetzt anfangen, unsere träume wieder mit Leben zu füllen. Unser Privileg, nicht direkt an der Frontlinie oder am Hungerstock zu gehen, müssten wir um so mehr nutzen, um unseren befriedeten Widersprüchen auf den Grund zu gehen und den Garaus zu machen. Das Ausmaß und die Auswirkungen unseres Durchzogensein von Machtverhältnissen zu erkennen, die Herrschaftsstrukturen zu bekämpfen, der Selbstentfremdung durch neue Technologien Freude am Leben, Leidenschaft und kollektive Autonomie entgegenzusetzen, könnten dabei erste Schritte sein.

Ja vielleicht ist es ein langer Weg und hat auch etwas mit einer Änderung jener Mentalitäten tun, die uns Jahrzehnte lang antrainiert wurden. Aber wann wenn nicht jetzt anfangen? An unsere Ohnmacht, werden wir ohnehin tagtäglich erinnert. Diese Komponente geht so schnell nicht vergessen – doch Personen und Strukturen, die Interesse daran haben, uns in einem passiven Modus zu halten schon eher. Wer kennt schon die Strateg*innen vom google, amazon, facebook und Stadtumstrukturierung, die weiterhin wie die Bekloppten am Erhalt des Systems arbeiten? Google doch mal!

Also los geht’s raus aus der Ohnmacht! Lasst uns als mal mit weniger und mal mit mehr Kompliz*innen gefährlich für die herrschenden Strukturen werden. Ihnen Angst einflößen und unsere zerstören. Am besten passiert das gemeinsam und solidarisch auf der Straße, aber auch im kleinen Zirkel, wo sich Freund*innen treffen. Es geht uns im Grunde darum, zu sein wer wir sein wollen, von nichts und niemanden beherrscht zu werden. Nichts soll dazu führen, dass ich etwas machen muss, was ich nicht will.

Ein google-Campus und seine Philosophie einer technologischen Alternative passt nicht ins Herz unseres Kiezes. Unsere Kämpfe können nicht ohne unseren direkten Beziehungen, Gefühle, Würde und Wünsche gedacht werden.
Also erstmal Stecker ziehen und auf die Strasse!

(aus: SHITSTORM – Anarchistische Zeitung – Berlin, April 2017 - #1)

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