[S] Proteste gegen "Demo für Alle"

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Am gestrigen Sonntag fand erneut ein Aufmarsch der selbsternannten "Demo für Alle" in der Stuttgarter Innenstadt statt.

Etwa 2000 Personen zogen nach einer Kundgebung vom Schillerplatz über die Planie und die B14 zum Staatstheater bis vor die Oper. Die etwa 500 Meter lange Demoroute wurde geschützt von einem martialischen Polizei-Großaufgebot. Insgesamt etwa 250 Personen demonstrierten direkt gegen diese reaktionäre Versammlung.

Die "Demo für Alle" fand seit Februar 2014 mittlerweile zum fünften Mal statt. Dort versammeln sich Konservative, Rechte, religiöse Fundamentalisten und Ewiggestrige um gegen minimale Änderungen bezüglich der Erwähnung unterschiedlicher Lebens- und Liebesformen im Entwurf des Bildungsplans auf die Straße zu gehen. Bei diesen Zusammenkünften bleibt es allerdings nicht nur bei der homophoben "Kritik" am Bildungsplan; vielmehr ist die Demo ein Zusammenschluss und eine Bühne verschiedenster rechter und extrem konservativer Kräfte um ihrer reaktionären Ideologie auf der Straße geballt Gehör zu verschaffen.

Etwa 2000 Personen zogen nach einer Kundgebung vom Schillerplatz über die Planie und die B14 zum Staatstheater bis vor die Oper. Die etwa 500 Meter lange Demoroute wurde geschützt von einem martialischen Polizei-Großaufgebot. Insgesamt etwa 250 Personen demonstrierten direkt gegen diese reaktionäre Versammlung.

Einzelne Akteure der reaktionären Allianz wurden an ihren Standorten in Stuttgart von AntifaschistInnen aufgesucht und mit Transparenten und Kreideschriften markiert.

 

Die rechten Hetzer

Rund 2000 Personen folgten dem Aufruf der Organisatoren gegen "Gender Mainstreaming" und "Sexualisierung unserer Kinder" zu demonstrieren. Allein zahlenmäßig war dies also bisher die größte "Demo für Alle" in Stuttgart. AfD'ler, Evangelikale, katholische Fundamentalisten, (russisch/serbisch-) Orthodoxe, rechte PI-News-Aktivisten, Kreisverbände der evangelischen Arbeitskreise der CDU, Mitglieder der "Identitären", die extrem rechte "Konservative Aktion Stuttgart" und viele weitere rechte und ultrakonservative Akteure versammelten sich auf dem Schillerplatz um durch Stuttgart zu demonstrieren.
Auch die NPD Baden-Württemberg hat auf ihrer Facebookseite wieder zur Teilnahme an der Demo aufgerufen. So war zu beobachten, dass sich auf der Demo zum ersten Mal seit Monaten wieder einige klar erkennbare Faschisten in "Thor Steinar" Klamotten und aggressive Nazi-Hooligans unter den selbsternannten "Bildungsplangegnern" befanden. Das Auftreten und äußere Erscheinungsbild der "Demo für Alle" wurde insgesamt noch mehr angeglichen und professionalisiert. Es wurde massenhaft verschiedenes Material wie z.B. Transparente, Fahnen, Schilder, Luftballons und Sticker in freundlichem blau und rosa an die Demoteilnehmer verteilt. Dies vermittelte ein sehr homogenes und gut organisiertes Bild des reaktionären Hetzmobs.

Zusammenfassend lässt sich also in Bezug auf die Teilnehmer und die optische Wirkung festhalten, dass die Organisatoren mit ihrem aus Frankreich kopierten Konzept der "Demo für Alle" für ihre Maßstäbe durchaus erfolgreich waren: Alles, was der rechte, konservative und fundamentalistische Sumpf so zu bieten hat, unter einem "Label" für den gesellschaftlichen Rückschritt auf die Straße zu bringen.

 

Die Gegenproteste

Ab 13:30 Uhr wurde auf den Stuttgarter Schlossplatz mobilisiert. Eine halbe Stunde vor den Reaktionären kamen also die GegendemonstrantInnen auf einer Kundgebung mit Infotisch zusammen. Dort wurden mehrere Reden gehalten und hunderte Flugblätter an PassantInnen verteilt. Der direktere Protest wurde nach kurzer Zeit direkt vor den Schillerplatz verlegt. Hier konnte mit vielen Schildern, einem großen Hochtransparent und lauten Parolen die über einstündige Auftaktkundgebung gestört werden. Der antifaschistische Gegenprotest spielte sich an mehreren Eingängen zum Schillerplatz, direkt an den Polizeiabsperrungen, ab. Die "Demo für Alle" konnte schließlich mit zeitlicher Verzögerung starten. Hilfe bekamen sie dabei wieder von den circa 1000 anwesenden Polizisten. Diese schafften es wegen massiver zahlenmäßiger Überlegenheit, die AntifaschistInnen abzudrängen. Mit hunderten Trillerpfeifen, Tröten und lauten Parolen konnte die Auftaktkundgebung der "Demo für Alle" stark gestört werden. Auch das gelegentliche Fliegen von Stinkbomben auf den Schillerplatz machte den Hetzern ihren Auftakt ungemütlich.
Rechte Fotografen und Provokateure, die sich vereinzelt unter die GegendemonstrantInnnen zu mischen versuchten, wurden schnell erkannt und des Platzes verwiesen.

Vor der Oper - dem Abschlusskundgebungsplatz - wurden vereinzelt AntifaschistInnen von BFE-Einheiten herausgegriffen. Um sich vor weiteren Angriffen der Polizei zu schützen, gingen die AntifaschistInnen gemeinsam in einer Spontandemonstration gemeinsam zurück über den Schlossplatz zum Infotisch. Eine kleine Gruppe Antifas begab sich dann noch in die Richtung festgenommener AktivistInnen um sich mit ihnen zu solidarisieren.

Auch außerhalb der öffentlichen Protestaktionen entschieden sich aktive Antifas offenbar, direkt gegen einzelne Akteure der "Demo für Alle" vorzugehen und diese zu markieren:
Am Abend zuvor wurde die Russisch Orthodoxe Jugend als homophober Akteur markiert, mehr dazu hier.
Parallel zu den Protesten wurden an beiden Standorten des evangelikalen "Gospel Forum" in Stuttgart symbolische Aktionen durchgeführt, mehr dazu hier.

 

 

Die Cops

Schon seit etwa 11 Uhr morgens war ein Großaufgebot der Polizei in der Stuttgarter Innenstadt präsent. Etwa 1000 Beamte, Pferdestaffel und über hundert Polizeiautos im Schlosshof als "Fuhrpark" postiert boten ein martialisches Bild.
Die, ebenfalls in hoher Anzahl präsente, Prügeltruppe der "Beweis- und Festnahmeeinheit" (BFE) war wieder mit einer Lichtbildmappe von AktivistInnen der vergangenen Gegenproteste ausgestattet um vermeintliche "StörerInnen" der letzten Male zu identifizieren und gegebenenfalls festzunehmen. Immer wieder drang die Polizei in die Mitte der AntifaschistInnen, um diese zu verunsichern, auseinander zu treiben und vereinzelt Personen herauszugreifen. Auch wurden den GegendemonstrantInnen im Laufe des Tages mehrmals Fahnen gewaltsam entrissen und zerbrochen. Insgesamt wurden vom Ermittlungsausschuss und den Demo-SanitäterInnen vier Festnahmen, mehrere Platzverweise und zwei kleinere Verletzungen bei den GegendemonstrantInnen gezählt.

Wie bei fast allen antifaschistischen Mobilisierungen in Stuttgart eilte die hiesige Polizeiführung wieder eifrig ihrem Ruf voraus, jede Form an effektivem Protest gegen faschistische oder rechte Hetze in der Landeshauptstadt durch ein allein zahlenmäßig völlig absurdes Aufgebot zu verunmöglichen.

 

Ein erstes Fazit

Die "Demo für Alle" konnte im Oktober mit extrem vielen Teilnehmern, geschützt von einem massiven Polizeiaufgebot, ihre 500m-lange Route laufen.

Neben der vergleichsweise hohen Zahl an Teilnehmern zeigte sich eine neue neue Entwicklung bei den Rechten: Sie scheinen ihr standing auch in klassischen konservativen Kreisen wie beispielsweise der CDU weiter ausgebaut zu haben.
Trotz öffentlicher Kritik an der Beteiligung der CDU an der "Demo für Alle" hielt Peter Hauck, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag eine Rede und mehrere Teile von Kreisverbänden riefen offen zur Demonstration auf.
Rechtspopulistische und rechte politische Akteure wie die AfD versuchen religiöse Fundamentalisten und ultrakonservative Spießbürger für ihre Ideen zu gewinnen. Auch das mag wohl ein Grund für Teile der CDU gewesen sein, sich zu beteiligen um nicht weiter Wähler an ihrem rechten Rand an die neurechte AfD zu verlieren.
Auf der anderen Seite sind in diesem Zusammenschluss gerade reaktionäre Kräfte aller Couleur dabei, gemeinsam einen gut organisierten Ausdruck auf der Straße zu entwickeln.
Diese Bündelung verschiedenster reaktionärer Ideologiefragmente in einem Bündnis gepaart mit einer kontinuierlichen Praxis auf der Straße ist die eigentliche Gefahr der "Demo für Alle", wie sich schon in Frankreich gezeigt hat.
Auch die Aggressivität vieler "Demo für Alle"-Teilnehmern entsprach so gar nicht dem familienfreundlichen Selbstbild, welches sie ständig zu transportieren versuchen.

Die erneute Anwesenheit extrem rechter und rassistischer Gruppen sowie mehrere offener Faschisten entlarvt die vorgeschobenen Distanzierungen der Organisatoren von "rassistischem und extremistischen Gedankengut" auf ihrer Homepage einmal mehr als schlechten Witz.

 

Der antifaschistische Widerstand gegen den rechten Mob hingegen war leider eher klein und konnte den Spuk nicht verhindern. Die recht geringe Zahl der anwesenden GegendemonstrantInnen lassen darauf schließen, dass der Charakter der "Demo für Alle" in linken, antifaschistischen aber auch in bürgerlichen Kreisen wohl nicht ausreichend vermittelt worden ist. Doch selbst mit mehr Menschen auf der Straße wären wegen dem massiven Polizeiaufgebot "klassische" Blockaden allein höchstwahrscheinlich nicht erfolgreich gewesen, wie die letzten Male hinreichend bewiesen haben.

Vielmehr ist es wichtig, dass, neben einer besseren Mobilisierung und gut organisierten Massenaktionen wie Blockaden und lautem Stören, sich AntifaschistInnen gut vorbereiten, neue Aktionsformen entwickeln und in der ganzen Innenstadt starten.

Dies wurde am 19. Oktober ansatzweise versucht umzusetzen: Mit neuen Ideen und dezentralen Aktionen wurden immerhin Akzente des direkten Protests gegen reaktionäre Hetze in Stuttgart gesetzt und Anknüpfungspunkte aufgezeigt. Diese gilt es immer weiter auszubauen und eng mit Aktionen des zivilen Ungehorsams zu verzahnen – nur so werden wir dem ein Ende setzen und angemessen auf die Polizeitaktik der Omnipräsenz reagieren können.

Wir werden uns also weiterhin mit diesem reaktionären Phänomen beschäftigen müssen, weiter Anknüpfungspunkte suchen und die Erkenntnis der Notwendigkeit gegen diese Hetze praktisch werden lassen. Unsere Proteste müssen von mehr Schultern getragen, weiter besser abgesprochen, unvorhersehbar und einfallsreich sein.

 

Unser Abwehrkampf gegen reaktionäre Bewegungen oder Tendenzen in der Gesellschaft ist notwendig und wichtig!

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