Krise überwinden - Utopien erkämpfen!

Wie aus der Krise der radikalen Linken finden

 

Krise überwinden – Utopien erkämpfen!

 

 

 

Wir befinden uns in einem Krisenzyklus. 2019 prognostizierte das IFO-Institut dass der deutschen Wirtschaft eine Rezession droht, ausgelöst durch eine Reihe weltpolitischer Ereignisse. Schon damals war klar, die fetten Jahre sind vorbei.

 

Wir gewöhnten uns langsam an die Krisen und die Regierungen machten uns klar: There is no Alternative – es gibt keine Alternative zum Kapitalismus. Von der Corona-Pandemie, zum Ukraine-Krieg, zur Gaskrise, zur Inflation bis hin zur Klimakrise deren Auswirkungen nicht wirklich abschätzbar und von den Menschen und Politikern schnell verdrängt werden.

 

 

 

Auch die radikale- und Bewegungslinke befindet sich in der Krise.

 

In der Corona-Pandemie gelang es kaum Akzente gegen die staatlichen Maßnahmen wie z.B. Ausgangssperren (z.B. private Isolierung – aber Arbeiten geht doch), Lockdowns, Versammlungsverbote, Militarisierung, Grenzschließungen zu setzen. Die Pandemie als Krisensituation ermöglichte eine umfassende politische Transformation, eine Restrukturierung der Herrschaft hin zur Kontrollgesellschaft, die sich in Form von Registrierungsapps, Tracing-Apps, Impfausweisapps und Pflichten zur Datenherausgabe und Nachweisen gegenüber Behörden/Polizei immer weiter ins offen autoritäre glitten. Es kam zu keiner linken Antwort auf die staatliche Pandemiepolitik und die „maßnahmenkritische Bewegung“ bestand zum größten Teil aus einem (klein)bürgerlich-unpolitischem Milleu. Es kam zu keinen nennenswerten Versuchen die soziale Unzufriedenheit in eine Bewegung von links zu übernehmen.

 

Ähnlich wie in der Pandemie verhält es sich im Ukraine-Krieg. Es wird darüber diskutiert, ob es sinnvoll ist, die Sanktionen seitens der EU zu verschärfen. Je weiter rechts man innerhalb der Linken schaut werden Forderungen nach Waffenlieferung durch NATO/EU wohlwollend für notwendig befunden. Forderung nach Verhandlungen und Waffenstillstand werden medial torpediert und verunglimpft. Teile der Linken übernehmen die Deutung der Herrschenden, anstatt für ein Ende dieses Krieges einzustehen und gegen Aufrüstung und Militarisierung im Großen zu sein.

 

Die Klimakrise spitzt sich weiter zu. Der Ukraine-Krieg hat die Klimakrise im medialen Diskurs verdrängt und der Klimabewegung gelingt es selten Akzente der Aufmerksamkeit gegen den drohenden Klimakollaps zu setzen und die Illusion zu zerstören, dass es einen grünen Kapitalismus und ein so weiter geben kann.

 

Energiekrise und Inflation sorgen für explodierende Preise, bedrohen unseren Alltag und lassen Grundbedürfnisse für Viele unbezahlbar werden. Ob und wie sich die Menschen gegen diese Klassenpolitik von oben wehren und auf die Straße gehen ist noch nicht absehbar. Querdenker und Neonazis scharren bereits mit den Hufen um kommende soziale Proteste für sich zu vereinnahmen. Wir sollten nicht den gleichen Fehler wie in der Corona-Pandemie bei den sozialen Protesten machen, sondern beim Kampf um die Barrikade in der ersten Reihe stehen.

 

Vorraussetzung dafür wäre die eigene Krise zu analysieren und zu überwinden. Derzeit befindet sich die Bewegungslinke größtenteils abgehängt in der Zuschauer*innenrolle.

 

Spätestens mit der Corona-Pandemie hat die grundsätzliche Medialisierung unserer Gesellschaften in einem nie gekannten Ausmaß jedem Einzelnen das Gefühl gegeben über alles Bescheid zu wissen und hat zu emotionaler Überwältigung und Pflege unserer Affekte und Ängste geführt. Darin hat sich auch ein Schwarz-Weiss denken etabliert. Entweder staatsloyal oder Querdenker*in und/oder Putinversteher*in. Dazwischen gab es kaum politischen Spielraum. Vielleicht auch deshalb wurden staatliche Corona-Maßnahmen oder Waffenlieferungen an die Ukraine unkritisch abgenickt. Die Bedeutungslosigkeit der Radikalen- und Bewegungslinken darauf zu reduzieren würde aber zu kurz greifen.

 

Vielleicht hilft ein kurzer Blick zurück in die 70/80iger Jahre. In dieser Epoche entstanden neue Subkulturen (Punk, New Wave, …) und eine Vielzahl von NSB (Neue soziale Bewegungen). Es entstanden in dieser Epoche die Anti-AKW-, Ökologie-, Frauen-, Alternativ-, Friedens-, Selbsthilfe-, Häuserkampf-, Internationalistische Bewegung um nur einige zu nennen. Die jugendliche Rebellion entstand oft in der Verweigerung gegenüber dem Elternhaus. Vertont z.B. in dem Song von Ton Steine Scherben: „Ich will nicht werden was mein Alter ist“. Oder aber in der Ablehnung gegenüber der Nazi-Geschichte der Elterngeneration. Gleichzeitig eröffnete der Übergang vom Fordismus zum Postfordismus für die meist jugendliche Rebellion neue Freiräume. Dazu gehörte das Wohnen und Leben in großen Wohngemeinschaften und besetzten Häusern, der Aufbau von Kollektiv- & Alternativbetrieben, die politische Organisierung und eine Subkultur mit Konzerten, Straßenfesten und Volxküchen. Möglich war dies unter anderem dadurch, dass sich eine Auszeit genommen werden konnte ohne große Repression durch Ämter. Lücken im Lebenslauf waren kein Hindernis bei der Jobsuche und das Studium konnte ein paar Jahre ohne Probleme ausgesetzt werden. In den 90iger Jahren veränderte sich die politische Weltlage und erzeugten einen Bruch in den NSB`s. Der Mauerfall, der Wegfall der Ost-West Konfrontation und damit verknüpft die Veränderung der Internationale Solidaritätsarbeit. Linksradikale Gruppen wie die RAF, die Revolutionären Zellen, die Rote Zora lösten sich auf, weil die politische Praxis nicht mehr in den sozialen Bewegungen eingebettet war. Viele Aktivist*innen der 70/80iger Jahre zogen sich aus den politischen Strukturen zurück. Ursachen waren u.a. die zunehmende staatliche Repression gegen die Aktivist*innen und Teilbereichsbewegungen, oder der Rückzug ins private bürgerliche Leben. Viele Kollektivbetriebe und Alternativstrukturen lösten sich auf. Die Neuen Sozialen Bewegungen waren an ihre Grenzen gestoßen. Eine grundlegende Aufarbeitung um aus den Fehlern zu lernen hat bisher nicht stattgefunden.

 

 

 

Neoliberalismus & Digitalisierung

 

Machen wir einen großen Sprung in das Jetzt. In die „freiheitliche, marktwirtschaftliche Wirtschaftsordung“ des Neoliberalismus und der Digitalisierung der Gesellschaft. Die Vorläufer der neoliberalen Subjektivierung waren u.a. z.B. die Konzepte der SPD seit dem Jahr 2000 vom „Lebenslangen Lernen“ , die Agenda 2010 mit einem Konzept zur Reform des deutschen Sozialsystems und des Arbeitsmarktes, das von 2003 bis 2005 von der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen gebildeten Bundsregierung weitgehend umgesetzt wurde. Die Bezeichnung Agenda 2010 verweist auf Europa. So hatten die europäischen Staats- und Regierungschefs im Jahr 2000 auf einem Sondergipfel in Portugal beschlossen, die EU bis zum Jahr 2010 nach der sogenannten Lissabon-Strategie zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ zu machen. Der sogenannte Bologna-Prozess, die EU-einheitliche „Bildungsreform“ hatte zum Ziel, Schulen und Universitäten ganz nach den Bedürfnissen des aktuellen Kapitalismus auszurichten.

 

Im folgenden zehn Thesen aus einer Tagungsbroschüre der IL zur Funktionsweise des neoliberalen Subjekts:

 

1. Das neoliberale Subjekt ist ein Individuum, das keine Gesellschaft kennt oder braucht. Margaret Thatchers Slogan »There is no society, only family« hat sich durchgesetzt. Jahrzehntelange Erfahrung im Bildungsbereich belegt mittlerweile – in Abgrenzung zu den 1980er Jahren als Resultat der 1968er Bewegung und der sogenannten Bildungsreform –, dass Jugendliche als wichtigsten Bezugspunkt ihrer Lebensgestaltung ihre eigene Familie sehen bzw. entsprechend eine eigene Familie gründen wollen.

 

2. Die Reduktion auf die individuelle Existenz hat zur Folge, dass das Individuum zu jeder Tages- und Nachtzeit für sich selbst verantwortlich ist. Die ehemals fortschrittliche Pädagogik der 1970er und 1980er Jahre, zum Beispiel die Aussage: »Sei dein eigener Chairman«, gedacht als Ermächtigung zu selbstbewusstem Handeln, wird hinterrücks zu einem Unterdrückungsmoment unentrinnbarer Verantwortungsübernahme. Ein radikales Zurückgeworfensein auf sich selbst, in unendlicher Einsamkeit, ist die Folge.

 

3. Auf diese Weise wird durch die Hintertür die Moral wieder eingeführt. Du bist selbst schuld! Scheitern oder Erfolg werden individualisiert und ganz in die Verantwortung des einzelnen gelegt….Neoliberal ist daran, dass das Versagen oder die Schuld dem Subjekt nicht äußerlich bleibt, sondern seinem Gewissen eingeschrieben wird.

 

4. Gewalt im Sinne von Kontrolle, Herrschaft oder Zurichtung wird unsichtbar gemacht, indem der Rahmen, in dem gelernt oder gearbeitet wird, niemals Gegenstand der Kritik wird. Das System ist quasi alternativlos. Wir reden hier von Schule, aber diese Beispiele lassen sich auf Betriebe, Nichtregierungsorganisationen usw. übertragen. Scheinbare Offenheit, Durchlässigkeit und Pluralität verhindern die Sicht auf Undurchlässigkeit und Begrenzungen. Daher sind Verbote überflüssig, weil das Subjekt sich selbst geißelt. Michel Foucault hat dazu wertvolle Studien vorgelegt, wie die Zensur des Königs in die Köpfe der Menschen hineinverlegt wurde.

 

5. Die Leistung des Subjekts besteht darin, sich im Rahmen des Systems bewegen zu können, die Regeln zu kennen und sich darin zu behelfen. In linken Kreisen zeigt sich dieses Denken als Bedürfnis, sich Regeln zu geben, um nicht die Orientierung zu verlieren. Für jede womöglich schwierige Situation eines Konflikts werden Leitlinien, Leitfäden usw. erstellt, um dahinter liegende Konflikte moderat und abgesichert zu bearbeiten…..Antagonismen gilt es zu vermeiden, indem man keine Standpunkte mehr als Wahrheit, um die gerungen werden muss, vertritt, sondern alles ist nebeneinander zu stellen. Es kommt dann nur noch darauf an, zwischen verschiedenen Positionen zu vermitteln. Ein »Falsch« wird als unerträglich empfunden.

 

6. Darauf beruht die sogenannte Kompetenzorientierung, bei der es nicht mehr um Vermittlung von Inhalten geht, sondern um Fähigkeiten, innerhalb des Systems handlungsfähig zu sein. Ein Unterrichtsgegenstand darf nicht zweckfrei sein, sondern dient ausschließlich der Nützlichkeit und Verwertbarkeit zur Bewältigung des Lebens, das nennt sich dann Handlungskompetenz.

 

7. Organisation und Organisierung lernt das neoliberale Subjekt nur scheinbar, da diesem Prozess ja eine Entscheidung vorausgegangen sein muss, was man will und dass man vielleicht etwas will, das im bestehenden System nicht vorgesehen ist. Behauptet wird zwar die Bedeutung von Eigenverantwortlichkeit und Selbstorganisation, allerdings nur im vorgeschriebenen Rahmen. Das unvorhergesehene zu organisieren, steht nicht auf der Tagesordnung.

 

8. Der neoliberale Typus versucht, einer doppelten Botschaft gerecht zu werden: Genieße und sei diszipliniert. Das geht aber nur, wenn er inhaltslos, standpunktlos und rahmenlos ist. Ziel ist es, »Unternehmerin ihrer selbst« und nicht mehr »Arbeitnehmerin« zu sein.

 

9. Die Subjektivierung, von der wir hier sprechen, setzt schon im Kindergartenalter ein und läuft dort unter dem Konzept des situativen Ansatzes. Progressiv daher kommt die Idee des selbstbestimmten Kindes, dem man nichts vorschreiben möchte und zu dessen freier Entwicklung so wenig Vorgaben wie möglich gemacht werden. Perfide und schwer zu durchschauen sind allerdings die Rahmensetzungen und die ideologischen Vorgaben einer solchen Erziehung. Prämissen werden verschwiegen. Schon Herbert Marcuse hatte mit dem Begriff der repressiven Toleranz auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht. Das Kind hat zum Beispiel die Möglichkeit zu wählen, in welcher Gruppe es spielen möchte; nein, es muss wählen. Einmal die Wahl getroffen, liegt es dann in seiner Verantwortung, in dieser Gruppe zu bleiben. Eine direktive Erzieherin, die dem Kind sagt, wo es lang geht, wird man lange suchen, zumindest dem Konzept nach. Das Kind hat sich an die ihm bekannten Regeln, denen es zustimmen musste, zu halten.

 

10. Das neoliberale Subjekt lernt auf diese Weise, dass Formate, Methoden und äußere Gestaltung eine hohe Qualifikation darstellen. In linken Kreisen zeigt sich dies durch schnelle Ermüdung durch inhaltliche Beiträge, denen, wenn sie nicht eingebettet sind in moderative Formen, kein Wert zugebilligt wird. Die Reduktion in Schule und Universität auf »Schmalspurinhalte« führt dazu, dass Theorielosigkeit oder Theoriefeindlichkeit überhand gewinnen. Nach dem Motto: »Unterm Strich zähl ich«, soll es genügen, aus sich selbst heraus zu schöpfen und »prozess- und lösungsorientiert« zu arbeiten. Wenn nur noch gedacht werden darf, was einen Zweck verfolgt, kann es aber kein systemüberschreitendes Denken mehr geben, denn allein zweckfreies, auf Erkenntnis und Verstehen orientiertes Denken eröffnet andere Horizonte als die vorgegebenen. Vielleicht erklärt sich so, warum in der Linken kaum noch über den Bruch mit den herrschenden kapitalistischen Verhältnissen und die Überschreitung des Gegebenen nachgedacht wird.

 

 

 

Die 10 Thesen erklären, wie die neoliberale Subjektivierung mitten durch uns alle, als von dieser Gesellschaft geformte Subjekte funktioniert. Diese Subjektivierungsweisen zu analysieren ist essentiell, um zu verstehen, welche Subjekte wir sind und mit welchen wir es um uns herum zu tun haben. Das wäre die Vorrausetzung um Handlungsweisen zu erarbeiten, wie subjektiv und praktisch kollektive Gegenentwürfe aussehen könnten. Dazu später mehr, bei der Frage was können wir tun?

 

 

 

Im Windschatten des Neoliberalismus hat die digitale Lebensrealität unsere subjektiven und politischen Lebensweisen verändert. Wir sind fast immer erreichbar, ortbar und berechenbar. Über Handy, E-Mail oder Social Media sind die meisten von uns permanent verfügbar. Ob es darum geht noch schnell eine ankommende Firmen-email zu beantworten, schnell noch einen Text zu schreiben oder die nächsten privaten/politischen Verabredungen zu planen. Einfach abschalten im Privaten ist nicht vorgesehen, oder muss erklärt werden – bzw. warum ich gerade nicht kann. Was macht es mit unser Sinnen, wenn die Kommunikation digital läuft? Wir den Gegenüber nicht anfassen können oder Emotionalität nicht live erfassen – unsere Gefühle und Reaktionen wir in der Folge als ein Emo hinterherschicken.

 

Die Digitalisierung macht uns zu gläsernen Menschen. Mit jedem Klick im Internet oder der Bewegung unseres Handys hinterlassen wir Informationen und Spuren über uns. „Zeig mir deine Daten und ich sag dir, wer du bist" Der Dokumenarfilm „Made to Measure – eine digitale Spurensuche“ macht auf eindrucksvolle Weise erlebar, welche Einblicke Google, Facebook & Co. In unsere intimsten Geheimnisse haben und stellt die philosphische Frage: ist die Idee der Autonomie des Einzelnen im Digitalzeitalter überholt?

 

Die Corona-Pandemie hat einen weiteren Schub ins digitale Zeitalter befördert. Kommunikation läuft immer weniger über soziale Zentren und wird mehr ins Digitale verlagert. Die Kommunikation läuft inzwischen weitgehend über Social Media wie Facebook, Telegramm, Instagramm, Signal… . Kommentare, Meinungen müssen möglichst einfach nachvollziehbar und nicht intelektuell tiefgründig sein. Sonst ist das zu kompliziert. Digitale Kommentare und Nachrichten überfluten uns, sind aber nicht nachhaltig und morgen „Verschwundende Nachrichten“. Plakate an Häuserwänden oder ausliegende Aufrufe hatten dagegen eine längere Aufmerksamkeits-Lebenszeit. Es ist daher wahrscheinlich kein Zufall, dass Querdenker*innen und Neonazis die Social-Media-Kanäle besser bedienen wie wir. Was bedeutet das für unsere politische Öffentlichkeitsarbeit? Wen können wir wann, wie mit was erreichen oder braucht es peppigere, nachhaltigere Kommunikation?

 

 

 

Die Radikale- und Bewegungslinke hat kein soziales/politisches Zentrum.

 

Dies äußert sich u.a. öfters durch fehlende Geschichtslosigkeit, Theoriefeindlichkeit und mangelnde Kapitalismuskritik.

 

Spielen die Erfahrungen und Kämpfe der 68iger/80iger Jahre für die heutigen Kämpfe eine größere Rolle? Die Frage ist wohl eher mit nein zu beantworten. Um aus den Erfahrungen zu lernen und Fehler zu vermeiden, wäre das aber extrem wichtig. In der jüngeren Zeit gab es aktuelle Publikationen wie z.B. „Herzschläge (Gespräch mit Ex-Militanten der Revolutionören Zellen)“ oder „MILI bittet zum Tanz“ (Auf den Spuren des militanten Feminismus der Roten Zora). Es gibt aber auch ältere Literatur, Romane, Biographien die sich mit militanten Kämpfen der Vergangenheit auseinandersetzen. Die Frage ist, spielt das für kommenden Kämpfe eine Rolle, wie kann die radikale Linke aus den Kämpfen lernen und lassen sich Techniken und Tricks der Sabotage und Aneignungen auf die heutige Zeit übertragen?

 

Wir können einerseits lernen aus vergangenen Kämpfen, andererseits sollten wir unsere Theoriefeindlichkeit und teils mangelnde Kapitalismuskritik überwinden. Wir können lernen von der marxschen Kapitalismuskritik, von den verschiedenen Imperialismustheorien um zum z.B. Antworten auf die Klimakrise zu finden. Ist grüner Kapitalismus ein Gegenentwurf? Nein! Denn jeder Kapitalismus ist verknüpft mit Wertsteigerung und Gewinnmaximierung zu Lasten der Natur und des Menschen. Wie aber kann ein funktionierenden Gegenentwurf aussehen? Dazu brauchen wir tiefgreifendere Analysen und praktische Gegenkonzepte, bzw. Utopien.

 

Wo kommen wir zusammen, wo treffen wir uns, diskutieren und tauschen uns aus. Die Digitalisierung der Gesellschaft, Corona und Repression gegen soziale Zentren, haben einen Zustand erzeugt, dass sozial/politische Räume an denen wir zusammenkommen könen zunehmend marginal geworden sind. Stadtzeitungen, Printmedien, Broschüren haben in der Digitalisierung ein Nischendasein. Indymedia und andere Webseiten können den Anspruch eines Informations- und Diskussionsportal nur bedingt einlösen. Wie können wir eine Präsenz/Forum schaffen, die dies einlöst?

 

Klassenkampf

 

In den letzten Jahren haben Streiks und Arbeitskämpfe um bessere Arbeitsbedingungen, bessere Entlohnung in der Bundesrepublik Deutschland zugenommen. Bei Amazon, bei den Riders oder auch in den Kämpfen um Tarifautonomie z.B. im Gesundheitswesen. Die radikale Bewegungslinke ist in diesen Kämpfen leider nur marginal präsent. Dafür gibt es mehrere Ursachen. Zum einen müssen wir uns um unsere eigene Existenzsicherung kümmern, zum Anderen fehlen uns die Ansprechpartner*innen in Betrieben um einen Klassenkampf zu organisieren. Wie können wir einen Brückenschlag organisieren zu den existenziellen Ängsten von Familien, wie kann Solidarität und Vertrauen praktisch werden? Wie können wir mit militanten Untersuchungen, z.B. Schachbrettstreik Vertrauen und Situationen schaffen, dass sich Arbeitnehmer*innen darauf einlassen mit uns zu kämpfen?

 

Internationalismus

 

In den 70/80iger Jahren entstanden viele internationale Solidaritätsgruppen. El Salvador-Komitee, Nicaragua-Soli, Vietnam, Südafrika…. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion lösten sich viele dieser Initiativen auf. Im letzten Jahrzehnt kam es in vielen Ländern des globalen Südens zu Aufständen. Vom arabischen Frühling bis hin zum Aufstand in Chile oder aktuell im Iran. Viele Revolten vereint, dass Regime gestürzt wurden, es aber leider keine gesellschaftlichen Gegen-Entwürfe gab, was dazu führte das reaktionäre Machthaber*innen, wie z.B. die Muslim-Brüderschaft in Ägypten die Staatsmacht ergreifen konnten. Auch daraus müssen wir lernen gesellschaftlich funktionierende Gegenkonzepte lebbar zu machen.

 

Weniger im medialen Focus stehen die Kämpfe der indigenen Bevölkerung um ihre Rechte oder die Klimakämpfe um Fracking, den Abbau seltener Erden, Kobalt etc. zu stoppen. Wir müssen uns der Frage stellen, wie eine internationale Solidarität aus Sicht einer deutschen Bewegungslinken aussehen kann, wie wir Bezugspunkte erstellen und praktisch die Kämpfe im globalen Süden von hier aus unterstützen können. Denn die Verantwortlichen sitzen mitten uns.

 

Wie aus der Krise kommen?

 

Dazu braucht es tiefgreifende Analysen, militante Untersuchungen, Strategien, Bewußtseinsbildung, Organisation & Organisationsformen, weniger Lohnarbeit & mehr Zeit und nicht zuletzt die Hinterfragung der eigenen Lebensweisen.

 

Die Aussage: „Das Politische kann nicht vom Privaten getrennt werden“ bietet einige Ansatzpunkte. Viele von uns gehen der Lohnarbeit nach und reproduzieren im Privaten die kapitalistische Verhältnisse, von Wohnen über Privateigentum, Zweierbeziehung und Konsumverhalten. Gleichzeitig leben wir oft in einer subkulturellen Blase mit wenig Bindung zum Großteil der Gesellschaft. Das widerspricht dem, wofür wir politsch kämpfen und wie Gesellschaftsmodelle einer befreiten Gesellschaft aussehen könnten, weil das wenig sichtbar, bzw. transparent wird.Denn wo kommen wir zusammen? Eine aktuelle Studie des Allensbacher Instituts für Demoskopie besagt, dass 48 Prozent der Befragten meinen, der Kapitalismus in seiner derzeitigen Form sei nicht mehr zeitgemäß. Es gäbe als genug Anknüpfungspunkte.

 

Aber warum sollten Unzufriedene, Prekarisierte, Familien, Lohnarbeiter*innen sich unseren Kämpfen für bessere Lebensbedingungen und eine andere Gesellschaft anschließen und gewohnte (Schein)-Sicherheiten aufgeben? Schwierig – zum einen kommen die meisten von uns aus einer akademischen, abgesicherten Mittelschicht und viele orientieren sich nach ein paar Jahren dorthin zurück. In den 80igern gab es Jobber*innen-Initiativen die in die Fabrik zur Agitation gingen. Der Unterschied zum Familienvater bestand darin, dass wir jederzeit wieder gehen konnten. Am Bild hat sich wenig geändert. Wir finden die Klassenkämpfe bei Riders, bei Amazon, für Emmely ( Arbeitsrechtsstreit um eine fristlose Kündigung einer langjährig beschäftigten Kassiererin und aktiven Gewerkschafterin in der Supermarktkette Kaiserś Tengelmann) gut. Ist die radikale / Bewegungslinke Teil dieser Kämpfe? Die Antwort lautet nein - bis dahin dass wir nur marginal beteiligt sind.

 

Wo kommen wir zusammen und wie können wir uns organisieren? Wie lässt sich der Individualisierung im Neoliberalismus begegnen, der durch die Corona-Pandemie einen zusätzlichen Schub erhielt? Dafür braucht es mehr offene Räume, wie Infoläden, kulturell/politische Stadtteilzentren, Kiezküchen.. Orte an denen wir zusammenkommen. Orte an denen wir uns kennenlernen, austauschen, diskutieren und Aktivitäten starten können – nicht nur in den Ballungszentren und großen Städten, sondern auch auf dem Land. Orte, die attraktiv und mit Leben gefüllt sind und mehr als die üblichen Verdächtigen anziehen. Wie aber erfahren wir von diesen Orten und wann, wo etwas stattfindet? Social Media wie Signal, Facebook, Instagramm, Telegramm, oder Whats App sind nur bedingt geeignet für die Kommunikation. Informationen in Social Media sind schnellebig und verschwindende Nachrichten und Menschen müssen an diesen Chats teilnehmen, sonst sind sie abgehängt von den Informationen. Abgesehen davon machen wir uns dadurch zu gläsernen Subjekten für die Werbeindustrie und staatliche Behörden. Oder wie aktuell im Iran, werden Social-Media-Kanäle von den Machthabern gesperrt.

 

Wir brauchen zentrale frei zugängliche Plattformen und Netzwerke für Nachrichten, Termine, Diskussionen etc. . Plattformen wie Indymedia oder andere meist regionale, oder oft themenspezifische Webauftritte können das nur bedingt einlösen. Lernen lässt sich z.B. von der Berliner Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen“. Mit Organizing-Kampagnen in den Stadtteilen von Haustür zu Haustür wurde erfolgreich versucht die Mieter*innen zu Stadtteiltreffen einzuladen und zum mitmachen bewegt.

 

Es gibt vielversprechende zarte Pflänzchen wie z.B. die Commens-Bewegung, Care-Revolution, Solidary Cities, Degrowth oder Buen Vivir ( stammt aus Südamerika und steht für das „gute Leben“). Um möglichst viele Menschen damit anzusprechen, braucht es positive Erzählungen und gleichzeit den Blick auf unsere imperiale Lebensweisen, um unsere Handlungsweisen zu ändern. Als Beispiel der Lebensmittelsektor ist für 40 % der Treibhausgasemission verantwortlich . Dabei gehen im Lebensmittelsektor nur 30 Prozent der Energiekosten für die eigentliche Produktion der Lebensmittel drauf, 70 Prozent dagegen für die Verarbeitung in Form von Konservieren, Kühlen, Verpacken, Lagern, Transportieren, Zubereiten. Um unsere imperiale Lebensweise zu ändern, braucht es positive Erzählungen und Konzepte, wie z.B. Solawis (Solidarische Landwirtschaft) die uns zum mitmachen und umdenken anregen.

 

 

 

Es braucht Kämpfe um Zeit, für Subsistenz & Selbstbestimmung. 1881 verkündete Bismark seine Sozialgesetzgebungspläne einer Reichsversorgungsanstalt, als Antwort auf die z.T. erfolgreich stattgefundenen Klassenkämpfe. Die Absicht dahinter war die Lohnarbeiter*innen nach einem patriarchischem Muster an den Staat zu binden. Verbunden mit einem Entzug der Subsistenzwirtschaft (z.B. kleine Viehzucht, Gartenanbau..) wurden die Arbeiter*innen zusätzlich abhängig vom Sozialstaat gemacht. Im neoliberalen Wirtschaftsmodell wurde dieser Ansatz weiter perfektioniert und auf das Private ausgeweitet. In der 4-in-1 Perspektive von Frigga Haug (Soziologin, kritische Psychologin und marxistische Feministin) identifiziert Haug vier menschliche Tätigkeiten, die auf die Einzelnen Betätigungen in gleichen Proportionen verteilt werden sollen: 1. Im Erwerbsleben, 2. in der Sorge um sich selbst und andere, d.h. in der Reproduktion 3. in der eigenen Entwicklung 4. in der Politik. Dabei wird hypotetisch von einem 16-Stunden-“Arbeitstag“ ausgegangen, in dem jede Betätigung jeweils 4 Stunden Raum einnehmen sollte.

 

Die Krise der Bewegungslinken lässt sich nicht trennen von einer oft fehlenden oder mangelnden Kapitalismuskritik. Denn Klimakrise, Krieg, soziale Ungleichheit wird sich nur beseitigen lassen, wenn wir den Kapitalismus überwinden. Das liegt daran, dass Kapitalismus auf der Produktion von Mehrwert und Gewinn ausgerichtet ist und nicht an den Bedürfnissen der Menschen. Kapitalismus abschaffen oder auflösen, hat es das in der jüngeren Geschichte jemals gegeben und wenn ja wie lange ging das gut? Ein Grund dafür mag sein, dass unsere Utopien wie eine befreite Gesellschaft aussehen könnte, oft marginal und nicht richtig durchdacht sind. Wie schon weitern oben skiziert hat dies in der Vergangenheit dazu geführt, dass „Revolutionen“ von reaktionären Eliten gegen uns benutzt wurden.

 

Das bedeutet dass wir Taktiken und Strategien benötigen, wie wir den Kapitalismus abschaffen können. Georg Lakey (geb. 1937 in den USA) hat dazu geschrieben: „Eine Revolution braucht Eskalationsstufen“ und hat dabei fünf Phasen herausgearbeitet:

 

Phase 1: Bewusstseinsbildung ...Die Menschen beginnen ihre eigenen Probleme mit einem kritischen Blick auf ihre Umgebung zu betrachten. Sie entwickeln ein kollektives Bewusstsein, denn Arbeiter*innen, Frauen, Schwarze werden nichts einzelne ausgebeutet, sondern als Klasse. In dieser Phase muss ein politisches Bewusstsein geweckt werden, das private Schwierigkeiten zu öffentlichen Angelegenheiten macht und einen kollektiven Prozess befördert.

 

Phase 2: Aufbau einer Organisation … kleine Bezugsgruppen als Grundbaustein für eine Massenbewegung...

 

Phase 3: Konfrontation .. Die strategisch wichtige Frage lautet: wie können wir erreichen, dass die Gewalt gegen die Regierung wirkt, statt gegen uns? ….

 

Phase 4: Massenhafte Nichtzusammenarbeit. Indem wir „Nein“ sagen, wenn das System auf unser „Ja“ angewiesen ist, verlernen wir die zur Gewohnheit gewordene Unterwürfigkeit, auf die jedes unterdrückerische System beruht.

 

Phase 5: Parallel Verwaltung beschreibt den Vorgang wo Regierungsfunktionen von der revoutionären Bewegung übernommen werden.

 

Mit militanten Untersuchungen sollten wir herausfinden, wo und wie sensible erfolgreiche Streiks und Riots organisiert und unterstützt werden könnten. Ein Beispiel dazu findet sich in den 70iger Jahren in den Fabrikkämpfen in Italien. Toni Negri hat in einer Fabrik die Abläufe an Fließbändern untersucht und den Begriff des Schachbrettstreiks entwickelt. Da es damals in Italien keine Streikkasse gab, hat er ein Modell entwicklet, dass sich Arbeiter*innen einer Abteilung wechselnd krankschreiben ließen um so einen Produktionsstillstand zu erzielen. Die Coronakrise hat uns u.a. gezeigt, dass der Logistikbereich in einer digitalen weltumfassenden Gesellschaft eine Achillesferse ist und somit ein erfolgreiches Ziel von Streiks und Aktionen sein kann.

 

Es gibt viel zu tun. Bewusstseinsbildung, Organisierung, Diskussionen und das Entwicklen von Strategien.

 

Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren.

 

 

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